Fachinfos - Judikaturauswertungen 27.01.2021

Kein einstweiliger Rechtsschutz nach Mandatsverlust

Klage gegen eine Tatsacheninformation des Präsidenten des Europäischen Parlaments unzulässig. EuGH 8.10.2020, C-201/20 P(R); EuG 15.12.2020, T-24/20, Junqueras i Vies gg. Parlament (27. Jänner 2021)

Sachverhalt

Der Katalane Oriol Junqueras i Vies kandidierte nach seiner Verhaftung wegen Rebellion für ein Mandat im Europäischen Parlament (EP) und bekam dieses auch von der spanischen zentralen Wahlkommission zugesprochen. Nachdem Junqueras i Vies die Haftanstalt aber nicht verlassen durfte, um den – formal nach spanischem Recht erforderlichen – Eid auf die Verfassung abzulegen, erklärten die spanischen Wahlbehörden seinen Sitz im EP für vakant.

Seine Beschwerde dagegen führte zu einem Vorabentscheidungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) betreffend den Geltungsbereich der Immunität von Mitgliedern des EP (EuGH 19.12.2019, C-502/19). Der EuGH entschied, dass sämtliche Eigenschaften eines Mitgliedes des EP mit der offiziellen Verkündung des Wahlergebnisses erworben werden und Junqueras i Vies zum Zeitpunkt seiner Verurteilung demnach bereits Immunität genossen hatte.

Die durch eine Abgeordnete beantragten Sofortmaßnahmen zur Herstellung der Immunität von Junqueras i Vies wurden vom Präsidenten des EP nicht gesetzt. Nachdem kurz darauf die spanische Wahlkommission sowie das spanische Höchstgericht dargelegt hatten, dass die Ermittlungen gegen Junqueras i Vies vor seiner Wahl zum EP abgeschlossen und das Gericht bereits eingebunden gewesen war, informierte der Präsident des EP das EP von der Vakanz des Sitzes von Junqueras i Vies. Dagegen erhob Junqueras i Vies eine Nichtigkeitsklage an das Gericht der Europäischen Union (EuG), die zurückgewiesen wurde. Ebenso scheiterte sein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz in Form einer einstweiligen Verfügung (EuG 3.3.2020, T-24/20 R).

Gegen beide Entscheidungen erhob Junqueras i Vies Rechtsmittel: Hinsichtlich der Zurückweisung des Antrages auf vorläufigen Rechtsschutz an den EuGH und in Bezug auf die Feststellung des EP, dass sein Sitz vakant sei, sowie die Nichttätigkeit hinsichtlich der beantragten Sofortmaßnahmen an das EuG.

Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts der Europäischen Union

Die wesentlichen Aspekte der beiden Entscheidungen lauteten wie folgt:

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs

Die Vizepräsidentin des EuGH wies am 8. Oktober 2020 die gegen die Zurückweisung der einstweiligen Verfügung erhobene Klage als unbegründet ab: Der Ausspruch eines Mandatsverlusts resultiere alleine aus nationalen Bestimmungen und Verfahren, das EP werde lediglich darüber informiert und habe das Ergebnis zur Kenntnis zu nehmen. Nur in den Fällen, in denen das EP das Freiwerden eines Sitzes selbst feststellt (also bei freiwilligem Rücktritt oder aufgrund von Unvereinbarkeiten) käme dem EP ein Ermessensspielraum hinsichtlich der Feststellung eines vakanten Sitzes zu.

Das Erstgericht habe also bereits zu Recht erkannt, dass dem EP keine Kompetenz zukommt, die Ordnungsmäßigkeit eines Mandatsentzuges zu überprüfen. Diesbezüglich sei ein Ermessensspielraum des EP gänzlich ausgeschlossen. Eine derartige Kontrolle obliege einzig den zuständigen nationalen Gerichten. Die Unionsrechtskonformität dieser nationalen Regelungen könne allenfalls im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV bzw. in einem Vertragsverletzungsverfahren überprüft werden.

Junqueras i Vies habe außerdem – wie bereits vor dem Erstgericht – nicht ausreichend dargelegt, dass sein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht notwendig sei.

Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union

Das EuG wies am 15. Dezember 2020 die Nichtigkeitskeitsklage betreffend die Feststellung des EP, dass der Sitz von Junqueras i Vies vakant sei, sowie die Nichttätigkeit hinsichtlich der beantragten Sofortmaßnahmen als unzulässig zurück:

Hinsichtlich der Erklärung über den vakanten Sitz durch den Präsidenten des EP verwies auch das EuG auf die mangelnden Kompetenzen des EP im Zusammenhang mit der Überprüfbarkeit von nationalen Wahlordnungen und den informativen Charakter der beanstandeten Äußerung. Aus diesen Gründen existiere keine Grundlage für eine Nichtigkeitsklage.

Ebenso wenig könne gegen einen nicht existenten Akt – nämlich die Untätigkeit des EP-Präsidenten in Bezug auf die beantragten Sofortmaßnahmen – mittels Nichtigkeitsklage vorgegangen werden. Der Antrag sei nämlich weder ausdrücklich noch implizit abgelehnt worden. Es gäbe schlicht keine zeitlichen Fristen oder materielle Vorgaben für Maßnahmen des EP-Präsidenten zur Sicherstellung der Immunität einzelner Mitglieder des EP.

Vgl. zum Verfahren vor dem EuGH die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung (jeweils in französischer Sprache).

Vgl. zum Verfahren vor dem EuG die Pressemitteilung (in englischer Sprache) und den Volltext der Entscheidung (in französischer Sprache).