Fachinfos - Judikaturauswertungen 20.01.2022

Mobbingvorwurf gegen Referatsleiterin im Europäischen Parlament

Europäischer Gerichtshof formuliert Vorgaben für den Umgang der Parlamentsverwaltung mit der betroffenen Person (20. Jänner 2022)

EuGH 21.10.2021, C-894/19 P

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) entschied, dass das Europäische Parlament (EP) bei der Behandlung eines Mobbingvorwurfs gegen eine Führungskraft in der Parlamentsverwaltung insbesondere die Unparteilichkeit der Untersuchung und des Verfahrens, das im Ergebnis zur Sanktionierung der betroffenen Person führt, gewährleisten muss. Zudem führte er aus, das EP habe zur Sicherung des Rechts auf eine gute Verwaltung eine hinreichende Anhörung der zu sanktionierenden Person sicherzustellen. Das EP müsse einer beschuldigten Person jedoch keinen Beistand gewähren, wenn gegen sie aufgrund genauer und relevanter Informationen der Verdacht bestehe, dass ein schwerer Verstoß gegen die Dienstpflichten begangen worden sei, für den die Person disziplinarrechtlich verfolgt werden könne.

Sachverhalt

Eine Referatsleiterin im EP wurde von den MitarbeiterInnen ihres Referats des Mobbings beschuldigt. Die Generaldirektion des EP leitete daraufhin eine Verwaltungsuntersuchung ein und hörte die betroffene Referatsleiterin mehrfach an. Im Anschluss daran wurde der Disziplinarrat wegen Verletzung der Dienstpflichten befasst, der in seiner Stellungnahme vorschlug, die Betroffene um eine Besoldungsgruppe in derselben Funktionsgruppe zurückzustufen und ihr im Generalsekretariat einen anderen Dienstposten zuzuweisen. Zu dieser Stellungnahme wurde die Betroffene erneut angehört. Sie beantragte sodann ihrerseits im Zuge dessen den Beistand des Parlaments wegen Drohungen, die von Mitgliedern ihres Referats ihr gegenüber geäußert worden sein sollten. Das EP folgte der Empfehlung des Disziplinarrats und stufte die Betroffene zurück. Zudem wurde ihr eine Versetzung in ein anderes Referat vorgeschlagen. Die Betroffene reichte dagegen sowie gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Beistand Beschwerde beim Parlament ein, die vom Präsidenten des EP zurückgewiesen wurden. Das Gericht der Europäischen Union (EuG) hob die Entscheidung über die Zurückstufung wegen Verfahrensfehlern (insbesondere mangelnde Unparteilichkeit der vom Parlament eingesetzten Untersuchungsbeauftragten nach den Mobbing-Vorwürfen; Verstoß gegen den Grundsatz der Waffengleichheit; Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör) auf, wies die Beschwerde wegen Ablehnung des Antrags auf Beistand der Betroffenen aber ab. Gegen dieses Urteil des EuG erhob das EP Rechtsmittel.

Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union

Der EuGH stellte im Zuge des Verfahrens insbesondere fest, dass jede Person ein Recht darauf hat, dass ihre Angelegenheiten von den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unparteiisch behandelt werden. Dies ziele darauf ab, die Gleichbehandlung zu gewährleisten, auf der die Europäische Union beruhe und solle insbesondere dazu dienen, Situationen möglicher Interessenkonflikte von Beamten und sonstigen Bediensteten zu vermeiden, die im Namen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen handelten. Die Unparteilichkeit einer Person, die an einer Verwaltungsentscheidung mitwirke, werde zwar nicht dadurch beeinträchtigt, dass sie Vorkenntnisse über den Sachverhalt habe. Entscheidend sei vielmehr, ob ein objektives Element wie ein Interessenkonflikt (bei im Namen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen handelnden Beamten und Bediensteten) gegeben sei, das in den Augen Dritter berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit des in Rede stehenden Verfahrens aufkommen lasse. Berechtigte Zweifel, ob die an der Verwaltungsentscheidung beteiligte Person vorurteilsfrei entscheiden könne, seien allerdings hinreichend, um von einer fehlenden Unparteilichkeit auszugehen.

Im vorliegenden Fall sei das EP vor diesem Hintergrund verpflichtet gewesen, jeden berechtigten Zweifel an der Unparteilichkeit der beteiligten Personen auszuschließen. Da im vorliegenden Fall aber eine Person mit dem disziplinarrechtlichen Teil der Untersuchung der Mobbingvorwürfe betraut worden sei, die schon zuvor als Mitarbeiterin der Generaldirektion mit derselben Angelegenheit befasst gewesen sei und sich in dieser Eigenschaft mit einem/einer MitarbeiterIn der Betroffenen getroffen habe, habe das EP die Unparteilichkeit nicht in der beschriebenen Form gewährleistet. Zu diesem Ergebnis sei schon das EuG zu Recht gelangt. Da auch im Übrigen keine Verfahrensmängel durch das EuG vorlägen, sei das Rechtsmittel des Parlaments hinsichtlich der Aufhebung der Entscheidung der Zurückstufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Beistand der Betroffenen führte der EuGH aus, das Recht auf eine gute Verwaltung aus der Grundrechtecharta umfasse insbesondere das Recht jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen werde. Dies garantiere, als betroffene Person sachdienlich und wirksam den eigenen Standpunkt vortragen zu können, bevor eine möglicherweise nachteilige Entscheidung erlassen werde. Durch eine Anhörung werde zum einen der Sachverhalt ermittelt und zum anderen ein wirksamer Schutz der betroffenen Person gewährleistet.

Die Verwaltung sei allerdings nicht verpflichtet, einem Beamten/einer Beamtin Beistand zu leisten, gegen den/die aufgrund genauer und relevanter Informationen der Verdacht bestehe, dass er/sie einen schweren Verstoß gegen Dienstpflichten begangen habe, für den er/sie disziplinarrechtlich verfolgt werden könne. Dies gelte auch dann, wenn ein solcher Verstoß durch rechtswidrige Handlungen Dritter begünstigt worden sein sollte. Die Ablehnung des Beistandsantrages sei daher nicht zu beanstanden.

Vgl. zu diesem Verfahren den Volltext der Entscheidung.