Fachinfos - Judikaturauswertungen 14.10.2021

Nichterscheinen einer Auskunftsperson vor dem Ibiza-U-Ausschuss #2

Keine Beugestrafe wegen „genügender Entschuldigung“ für Nichterscheinen aus medizinischen Gründen (14. Oktober 2021)

BVwG 1.6.2021, W249 2242260-1 (Folgeverfahren zu BVwG 3.8.2020, W234 2233183-1)

Ein Untersuchungsausschuss (UsA) kann über eine ordnungsgemäß vor einem UsA geladene Auskunftsperson, die „ohne genügende Entschuldigung“ nicht zu ihrer Befragung erscheint, die Verhängung einer Beugestrafe beantragen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) hat sodann das Vorliegen einer „genügenden Entschuldigung“ zu prüfen und alle für seine Entscheidung notwendigen Ermittlungen durchzuführen. Kommt ein eingeholtes medizinisches Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine Befragung aus medizinischen Gründen unzumutbar war bzw. wäre, so ist der Antrag auf Verhängung einer Beugestrafe abzuweisen.

Sachverhalt

Eine vor den Ibiza-UsA geladene Auskunftsperson, die Antragsgegnerin im Verfahren vor dem BVwG, erschien nicht zu ihrer Befragung und begründete dies mit ihrem schlechten gesundheitlichen Zustand. Die Auskunftsperson legte dem UsA dazu entsprechende ärztliche Bestätigungen, die die Unzumutbarkeit ihrer Mitwirkung aus medizinischen Gründen belegen sollten, vor. Der UsA erachtete diese allerdings als unzureichende Nachweise über das Vorliegen einer „genügenden Entschuldigung“ im Sinn der einschlägigen Rechtsvorschriften und beantragte beim BVwG die Verhängung einer Beugestrafe über die Auskunftsperson. Das BVwG wies diesen Antrag ab und führte begründend aus, dass es der UsA unterlassen habe, ausreichend Beweise zum Gesundheitszustand der Antragsgegnerin vorzulegen und er keine Begründung dafür erbracht habe, weshalb den ärztlichen Gutachten entgegen zu treten sei. Das Gericht selbst könne die erforderlichen Ermittlungen im vorliegenden „Eilverfahren“ nicht nachholen (vgl. dazu Judikaturauswertung 3. Quartal 2020).

Nach Abschluss dieses Verfahrens wurde die Verfahrensordnung für parlamentarische Untersuchungsausschüsse (VO-UA) im Hinblick auf das Verfahren vor dem BVwG zur Verhängung von Beugestrafen novelliert. Neben einer ausdrücklichen Ermittlungspflicht des BVwG wurde auch eine Verlängerung der Entscheidungsfrist von zwei auf vier Wochen normiert.

Im Verlauf des(selben) UsA wurde die Antragsgegnerin erneut als Auskunftsperson geladen. Wiederum erschien sie unter Verweis auf ihren schlechten Gesundheitszustand und unter Vorlage ärztlicher Bestätigungen nicht zur Befragung. Abermals beantragte der UsA die Verhängung einer Beugestrafe durch das BVwG, da nicht vom Vorliegen einer genügenden Entschuldigung auszugehen sei. Einerseits fehle es dem UsA an medizinischer Expertise, um das tatsächliche gesundheitliche Risiko für die Antragsgegnerin zu beurteilen. Andererseits sei ein öffentlich bekannt gewordenes Foto, das von der Teilnahme der Antragsgegnerin an einer Feier zeugte, geeignet, berechtigte Zweifel an ihrer Behauptung hervorrufen, dass ihr ein Erscheinen vor dem UsA aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar sei.

Gegen diese Argumentation des UsA wehrte sich die Auskunftsperson unter anderem mit der Behauptung, dass sie in ihrem Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 EMRK verletzt werde. Durch die mit der Novellierung der VO-UA eingeführte Ermittlungspflicht des BVwG in Verbindung mit der Entscheidungsfrist von vier Wochen sei die Einhaltung des verfassungsrechtlich verankerten Gebots der Gewährung rechtlichen Gehörs nicht mehr gewährleistet. Die Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens sei unter diesen Umständen nämlich nicht möglich.

Das Gericht beauftragte einen allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten medizinischen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens zum gesundheitlichen Zustand der Antragsgegnerin. Da die Antragsgegnerin keinen der vorgeschlagenen Untersuchungstermine wahrnahm, beurteilte der Sachverständige den Gesundheitszustand allein aufgrund der bestehenden Untersuchungsergebnisse sowie der Auskunft der bisherigen behandelnden Ärzte. In dem medizinischen Gutachten kam der Sachverständige zum Schluss, dass es der Gesundheitszustand der Antragsgegnerin nicht zuließe, vor dem UsA zur Befragung zu erscheinen.

Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts

Das BVwG wies den Antrag des Ibiza-UsA mit der Begründung ab, dass für das Nichterscheinen der geladenen Auskunftsperson eine „genügende Entschuldigung“ gemäß § 36 Abs 1 VO-UA vorlag. Das Sachverständigengutachten sei zu dem eindeutigen Ergebnis gekommen, dass ein Erscheinen der Antragsgegnerin vor dem UsA mit einem nicht verantwortbaren Gesundheitsrisiko verbunden gewesen wäre. Auch zum jetzigen Zeitpunkt sei eine Ladung vor den UsA aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich.

Der Umstand, dass die Antragsgegnerin keinen der vorgeschlagenen Untersuchungstermine wahrnahm, könne dem Gericht zufolge „zwar als mangelnde Kooperationsbereitschaft zu werten sein“. Dies sei „jedoch vor dem Hintergrund ihres derzeitigen Gesundheitszustandes zu relativieren“. Dem Sachverständigen sei es auch ohne eine eigene Untersuchung möglich gewesen, den Gesundheitszustand der Antragsgegnerin umfassend zu beurteilen. Auf das Vorbringen des Ibiza-UsA, dass die offenkundige Teilnahme der Antragsgegnerin an einer Feier geeignet sei, den behaupteten schlechten Gesundheitszustand in Zweifel zu ziehen, ging das BVwG nicht näher ein. Da die genaue Dauer und die Umstände der Veranstaltungsteilnahme der Antragsgegnerin nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem BVwG gewesen seien, seien diese auch nicht in die Beurteilung durch das Gericht miteinzubeziehen.

Das BVwG hielt überdies ausdrücklich fest, dass es aufgrund der geänderten Rechtslage und der nunmehr gesetzlich normierten Ermittlungspflicht des BVwG nicht mehr dem UsA obliegt, nähere Beweise zum Gesundheitszustand der Antragsgegnerin zu ermitteln.

Den Anforderungen hinsichtlich der Begründung von Anträgen auf Verhängung einer Beugestrafe habe der UsA hingegen entsprochen. Diese hätten der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zufolge lediglich „eine (erste) Grundlage für die Entscheidung des BVwG zu liefern“. Diesen, nach der Judikatur nicht strengen Anforderungen entspreche der UsA durch die chronologische Wiedergabe der Geschehnisse, eine Darlegung der maßgeblichen Rechtgrundlagen sowie eine Begründung des Antrags.

Hinsichtlich der Novellierung der VO-UA teilte das BVwG die Bedenken der Antragsgegnerin in Bezug auf die verfassungsgesetzlich gewährleistete Garantie eines fairen Verfahrens (Art. 6 EMRK) nicht. Im vorliegenden Verfahren habe das Gericht den verfassungsrechtlich gebotenen Grundsätzen wie der Gewährung rechtlichen Gehörs – wenn auch unter Einhaltung entsprechend kurzer Fristen – entsprochen. Auch sonst stehe die neue VO-UA nicht im Widerspruch zu dem Recht auf ein faires Verfahren.

Im Ergebnis sei der Antrag des UsA jedoch letztlich wegen Vorliegens einer „genügenden Entschuldigung“ der Antragsgegnerin abzuweisen gewesen.

Vgl. zu diesem Verfahren den Volltext der Entscheidung.