Fachinfos - Judikaturauswertungen 08.04.2020

Nichtzulassung einer Kandidatin zur rumänischen Parlamentswahl

Nichtzulassung einer Kandidatin zur rumänischen Parlamentswahl 2012 erfolgte in diskriminierender Weise. EGMR 24.3.2020, 25560/13, Cegolea gg. Rumänien (8. April 2020)

Sachverhalt

Gabriela Cegolea ist rumänisch-italienische Doppelstaatsangehörige und Vorsitzende von Vox Mentis, einer Organisation, die die italienische Minderheit in Rumänien repräsentiert. Als Vertreterin dieser Organisation beabsichtigte sie, im Dezember 2012 für die rumänische Parlamentswahl zu kandidieren: Um kandidieren zu können, wollte Cegolea – wie es nach dem rumänischen Wahlgesetz in solchen Fällen erforderlich ist – für ihre Organisation den Status einer gemeinnützigen Organisation erlangen.

Cegolea reichte daher im Mai 2012 namens ihrer Organisation einen Antrag auf Zuerkennung des Status als gemeinnützige Organisation beim Generalsekretariat der rumänischen Regierung ein. Dieses leitete den Antrag an die Direktion für interethnische Beziehungen und an das Ministerium für Kultur und nationales Erbe weiter. Die Direktion für interethnische Beziehungen lehnte den Antrag im Juni 2012 ab, weil die Aktivität von Vox Mentis keine interethnischen Beziehungen betreffe; Cegolea bekämpfte diese Entscheidung erfolglos. Das Ministerium für Kultur und nationales Erbe lehnte den Antrag im Jänner 2013 – d.h. erst nach der Parlamentswahl – ab, und zwar mit der Begründung, dass Vox Mentis im Zeitpunkt der Antragstellung zwar alle Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status als gemeinnützige Organisation erfüllt habe, aber später – im Juli 2012 – weitere gesetzliche Voraussetzungen in Kraft getreten seien, die Vox Mentis nicht erfülle.

Trotz der fehlenden Zuerkennung des Status als gemeinnützige Organisation reichte Cegolea im Oktober 2012 ihre Kandidatur für die Parlamentswahl bei der zentralen Wahlbehörde ein. Diese ließ sie aber nicht als Kandidatin zu, weil Vox Mentis nicht als gemeinnützige Organisation anerkannt sei. Cegolea bekämpfte dies erfolglos.

Auf Cegoleas Antrag hin wurde schließlich auch ein Gesetzesprüfungsverfahren beim rumänischen Verfassungsgericht anhängig gemacht. Cegolea brachte vor, dass das rumänische Wahlgesetz insofern verfassungswidrig sei, als es bei der Zulassung der Kandidaturen zur Parlamentswahl in diskriminierender Weise danach unterscheide, ob eine Organisation bereits im Parlament vertreten ist oder nicht: Bereits im Parlament vertretene Organisationen, die Minderheiten in Rumänien repräsentieren, könnten nämlich erneut kandidieren, ohne weitere Voraussetzungen erfüllen zu müssen; sie hingegen müsse nachweisen, dass Vox Mentis eine gemeinnützige Organisation ist. Das rumänische Verfassungsgericht wies Cegoleas Beschwerde im Dezember 2012 ab.

Cegolea wandte sich daher an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und behauptete, infolge der Nichtzulassung ihrer Kandidatur zur Parlamentswahl im Dezember 2012 in diskriminierender Form im Recht auf freie Wahlen verletzt zu sein (Art. 14 EMRK iVm Art. 3 1. ZPEMRK).

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der EGMR erklärte eingangs mit Blick auf das Recht auf freie Wahlen (Art. 3 1. ZPEMRK), dass die Konventionsstaaten bei der Festlegung der Wählbarkeitskriterien grundsätzlich einen weiten Spielraum hätten. Der Grundsatz der Effektivität gebiete aber, dass das Verfahren zur Zulassung von Kandidaturen mit ausreichenden Garantien versehen ist, um willkürliche Entscheidungen der Behörden hintanzuhalten.

Zudem erinnerte der EGMR an die besondere Wichtigkeit für die Gewährleistung des Rechts auf freie Wahlen, dass die gesetzlichen Bestimmungen im Bereich des Wahlrechts in zeitlicher Hinsicht beständig sind: Ändert ein Konventionsstaat die grundlegenden Wahlrechtsbestimmungen zu häufig oder zeitlich kurz vor einer Wahl, riskiert er damit, dass die Öffentlichkeit den Respekt für jene Garantien verliert, die freie Wahlen und das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Abhaltung sichern sollen. Alle gesetzlichen Änderungen im Bereich des Wahlrechts, die mutmaßlich darauf abzielen, allein oder vorwiegend zulasten der Opposition zu wirken, müssten vom EGMR mit besonderer Sorgfalt überprüft werden, insbesondere dann, wenn die Änderungen ihrer Art nach die Chancen der Oppositionsparteien minimieren können, eines Tages die Macht zu erlangen. Wird eine solche Änderung kurz vor einer Wahl beschlossen, und zwar in einem Zeitpunkt, in dem die Prognosen sinkende Stimmenzahlen für die Partei an der Macht vorhersagen, indiziere dies jedenfalls eine Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme.

Im konkreten Fall ging der EGMR davon aus, dass Cegolea in der Ausübung ihres Rechts auf freie Wahlen gemäß Art. 3 1. ZPEMRK eine Ungleichbehandlung erfahren hat, weil sie – im Unterschied zu den bereits im Parlament vertretenen Organisationen – für ihre Organisation Vox Mentis den Status als gemeinnützige Organisation erlangen hätte müssen, um zur Parlamentswahl kandidieren zu können. Diese Ungleichbehandlung sei mit Blick auf ein legitimes Ziel erfolgt, nämlich die Repräsentativität der Kandidat/inn/en zu garantieren und nicht ernst gemeinte Kandidaturen zu unterbinden.

Der EGMR prüfte in der Folge, ob diese Ungleichbehandlung auch gerechtfertigt war, insbesondere ob das Verfahren zur Ablehnung des Status als gemeinnützige Organisation (und in der Folge der Ablehnung ihrer Kandidatur) transparent und frei von Willkür abgelaufen ist und ob Cegolea die ablehnenden Entscheidungen vor den nationalen Gerichten ausreichend bekämpfen konnte.

Dabei stellte der EGMR zuerst fest, dass nach rumänischem Recht die Regierung zuständig war, über die Zuerkennung des Status als gemeinnützige Organisation zu entscheiden: Das Generalsekretariat habe den entsprechenden Antrag dennoch an zwei Behörden weitergeleitet, die den Antrag in der Folge in unterschiedlicher Weise behandelt haben. Rumänien habe im Verfahren nicht begründet, warum der Antrag von zwei Behörden behandelt werden musste; zudem seien die Antworten zu unterschiedlichen Zeitpunkten ergangen, eine vor dem Stichtag für die Einreichung der Kandidaturen und eine danach.

Dem EGMR zufolge hatte Cegolea auch keine Möglichkeit, die Entscheidungen dieser Behörden ausreichend von nationalen Gerichten überprüfen zu lassen. Der oberste rumänische Gerichtshof habe im Jahr 2007 nämlich ausgesprochen, dass es im freien Ermessen der Behörden liege, den Status als gemeinnützige Organisation zuzuerkennen – und zwar auch dann, wenn eine Organisation alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung erfüllt. Die Zuerkennung erfolge daher nach rumänischem Recht auf Basis von Opportunitätserwägungen und nicht aufgrund rechtlicher Kriterien: Die Entscheidungen der Exekutive unterliegen damit keiner effektiven gerichtlichen Kontrolle.

Hinsichtlich der Entscheidung der Direktion für interethnische Beziehungen habe Cegolea also jedenfalls keinen effektiven Rechtsschutz gehabt. Die Entscheidung des Ministeriums für Kultur und nationales Erbe habe sie darüber hinaus auch deshalb nicht effektiv bekämpfen können, weil diese Entscheidung nicht rechtzeitig – nämlich erst nach der Parlamentswahl im Dezember 2012 – ergangen ist.

Der EGMR merkte an, dass es besorgniserregend sei, wie weit die Entscheidungsbefugnis der rumänischen Behörden bei der Zulassung der Kandidaturen für die Parlamentswahl ist. Da die rumänischen Gerichte keine wahre Kontrollbefugnis gehabt haben, seien keine ausreichenden Garantien vorgelegen, um willkürliche Entscheidungen der Behörden zu unterbinden. Die Ungleichbehandlung sei daher im konkreten Fall nicht gerechtfertigt gewesen und Cegolea sei folglich in diskriminierender Form in ihrem Recht auf freie Wahlen (Art. 14 EMRK iVm Art. 3 1. ZPEMRK) verletzt worden.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung (in englischer Sprache) und den Volltext der Entscheidung (in französischer Sprache).