Fachinfos - Judikaturauswertungen 11.08.2022

Öffentliche Beschimpfung eines Anwalts durch den (Staats-)Präsidenten

Öffentliche Beschimpfung eines Anwalts durch den (Staats-)Präsidenten war nicht von Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt (11. August 2022)

EGMR 5.5.2022, 19362/18, Mesic gg. Kroatien

Ein früherer kroatischer (Staats-)Präsident wurde zu einer Schadenersatzzahlung ver­pflichtet, weil er in einer im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz einen Anwalt beschimpft hat, der eine Anzeige gegen ihn eingebracht hatte. Der Europäische Ge­richtshof für Menschenrechte (EGMR) erblickte darin keine Verletzung des Rechts auf Meinungsäußerungsfreiheit, da eine solche persönliche Beschimpfung durch einen ho­hen Amtsträger nicht vom Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt sei.

Sachverhalt

Stjepan Mesić (Beschwerdeführer) war kroatischer Präsident von 2000 bis 2010. 2006 brachte ein kroatischer Anwalt, Ivan Jurašinović, eine Anzeige gegen elf kroatische Staatsbürger:innen – darunter den Beschwerdeführer – ein, die zwei Fälle des versuch­ten Mordes und einen Fall der versuchten Erpressung durch eine kriminelle Vereinigung betraf. Der Beschwerdeführer wurde als Mittäter beschuldigt. Eine weitere der elf Per­sonen war ein angeblich bekannter Mafiaboss, der laut der Anzeige die Wahlkampagne für den Beschwerdeführer im Jahr 2000 finanziert hätte.

Daraufhin berichteten kroatische Medien über die Strafanzeige und nannten den Be­schwerdeführer eine „Art politischen Patron der Person, die den Mord beauftragt hat“, wobei der genaue Inhalt der Anzeige nicht bekannt war. Jurašinović bestätigte Journa­list:innen gegenüber, dass er die Anzeige erstattet hatte, ging jedoch aus rechtlichen Gründen nicht weiter ins Detail.

Als der Beschwerdeführer bei einer im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz von Journalist:innen auf die Anzeige angesprochen wurde, sagte er, dass Jurašinović, wenn er das nächste Mal in Zagreb sei, in eine bestimmte psychiatrische Anstalt gehen solle, wo er (und andere wie er) entsprechend behandelt werden könnte(n). Diese Aussage wurde auf der offiziellen Website des Präsidenten und von verschiedenen Medien wie­dergegeben.

Der Anwalt klagte daraufhin wegen Verleumdung, da der Beschwerdeführer seine Po­sition als Präsident und die damit einhergehende Medienwirksamkeit genutzt habe, um seinem Ruf und seiner Glaubwürdigkeit zu schaden. Dieser brachte hingegen vor, die Aussage sei nicht beleidigend gewesen, sondern lediglich eine Redewendung (eine „per­sönliche Metapher“), um ironisch auf die unbegründeten und schweren Vorwürfe gegen ihn zu reagieren. Die kroatischen Gerichte verpflichteten den Beschwerdeführer zur Zahlung von Schadenersatz in der Höhe von HRK 50.000 (damals € 6.660), wodurch er sich in seinem Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit verletzt sah und daher Be­schwerde beim EGMR erhob.

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der EGMR hielt zunächst fest, dass der Beschwerdeführer versucht habe, sich zu ver­teidigen und es nicht bloß seine Absicht gewesen sei, den Anwalt zu beleidigen. Der Beschwerdeführer sei jedoch Präsident gewesen, weshalb über seine Aussage von vie­len Medien berichtet worden sei. Unabhängig davon, ob die Aussage wörtlich oder im übertragenen Sinn zu verstehen sei, hätte sie daher nicht nur den Ruf des Anwalts schä­digen, sondern ihm auch beruflich wie persönlich nachteilig sein können, weshalb sein Recht auf Achtung des Privatlebens zu berücksichtigen sei.

Der Anwalt sei weder eine Person des öffentlichen Lebens („public figure”) gewesen, noch habe er sich öffentlich zum Präsidenten geäußert. Er könne damit nicht mit Per­sonen verglichen werden, die sich freiwillig an einer öffentlichen Debatte beteiligen.

Gleichzeitig sei die vermeintliche Verwicklung eines Präsidenten in einen versuchten Mord bzw. dessen mögliche Verbindungen zu organisierter Kriminalität unzweifelhaft von öffentlichem Interesse. Der Beschwerdeführer habe auf diese Vorwürfe reagieren und sich verteidigen dürfen, was er mit sachlichen Stellungnahmen auch getan hätte. Indem er jedoch versucht habe, den Anwalt zu diskreditieren, sei er einen Schritt weiter gegangen. Es sei nicht notwendig gewesen, ihm mit herabwürdigenden und unver­schämten Worten zu unterstellen, dass er nicht vertrauenswürdig sei. Diese persönliche Beleidigung habe zu keiner öffentlichen Debatte beigetragen und die Grenzen akzep­tabler Kritik überschritten.

Zu beachten sei zudem, dass der Anwalt im Strafverfahren zur Verschwiegenheit ver­pflichtet gewesen sei. Es sei ihm daher rechtlich nicht möglich gewesen, darauf hinzu­weisen, dass die Vorwürfe nicht so absurd seien, wie es der Beschwerdeführer darge­stellt hatte. Dadurch sei er – verglichen mit einer mächtigen Person des öffentlichen Lebens, die großes Medieninteresse genoss – im Nachteil gewesen. Die Aussage des Beschwerdeführers könne zudem einen „chilling effect“ auf die Ausübung der berufli­chen Aufgaben als Anwalt haben. Die Verpflichtung zur Zahlung von Schadenersatz sei daher eine angemessene Sanktion gewesen, um diese Auswirkungen zu neutralisieren und zudem geeignet, den Ruf des Anwalts zu schützen.

Der Beschwerdeführer sei daher nicht in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt. Jedoch sprach der EGMR aus, dass eine Verletzung des Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren – angemessene Verfahrensdauer) vorliegt. Das Zivilverfahren habe mit vier Jahren und sieben Monaten zu lange gedauert.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung (beide in englischer Sprache).