Fachinfos - Judikaturauswertungen 11.08.2022

Politische Auseinandersetzung via Facebook

Ex-Politiker durch Verurteilung wegen Rufschädigung in Meinungsfreiheit verletzt (11. August 2022)

EGMR 14.6.2022, 44652/18, Ponta gg. Rumänien

Ein ehemaliger Premierminister unterstellte auf seiner Facebook-Seite einem ehemali­gen Minister, an politischer Korruption beteiligt (gewesen) zu sein. Der wegen Rufschä­digung zu einer Entschädigung verurteilte ehemalige Premierminister beschwerte sich dagegen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) und bekam Recht. Die nationalen Gerichte hätten unter anderem den Kontext der Aussagen als Teil einer politischen Auseinandersetzung nicht hinreichend berücksichtigt und den Politi­ker dadurch in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt.

Sachverhalt

Zwischen zwei rumänischen Politikern – dem ehemaligen Premierminister, Victor-Vio­rel Ponta (Beschwerdeführer), und einem Minister aus Pontas Regierung, L.I. –  kam es zu einer politischen Auseinandersetzung: Letzterer führte während der laufenden Re­gierungsperiode eine Medienkampagne gegen Ponta. Umgekehrt veröffentlichte Ponta nach seinem Rücktritt als Premierminister – damals als Mitglied des Parlaments – einen Post auf seiner Facebook-Seite, in dem er auf gegen L.I. erhobene Korruptionsvorwürfe einging. Tatsächlich war der ehemalige Minister zuvor von den nationalen Anti-Korrup­tionsbehörden vorgeladen worden, um zu diesen Vorwürfen Stellung zu nehmen.

Wegen der auf Facebook getätigten Äußerungen klagte L.I. den Beschwerdeführer auf Schadenersatz. L.I. brachte vor, durch die Verbreitung dieser unwahren Informationen in seinem Ruf und seiner Ehre verletzt worden zu sein. Ponta entgegnete, dass die Äu­ßerungen auf einer faktischen Basis beruhten und dass sie im Kontext einer öffentli­chen Debatte über Korruption zu interpretieren seien. Die rumänischen Gerichte gaben der Klage L.Is. statt und verurteilten den Beschwerdeführer zur Leistung von Schaden­ersatz an jenen.

Gegen diese Verurteilung erhob Ponta Beschwerde an den EGMR. Er brachte vor, durch die Verpflichtung zur Leistung von Schadenersatz in seinem Recht auf freie Meinungs­äußerung gemäß Art. 10 EMRK verletzt worden zu sein.

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der EGMR gab der Beschwerde statt und erklärte den Beschwerdeführer in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt.

Der Gerichtshof hielt zunächst fest, dass die Handlungen beider Parteien als ehemalige Regierungsmitglieder in einem öffentlichen Kontext erfolgten und dass die streitigen Äußerungen zu einer Debatte beitragen sollten, die im öffentlichen Interesse stand (nämlich zur Bekämpfung politischer Korruption). Daraus folge, dass den nationalen Be­hörden bei der Beurteilung, ob die Bestrafung in einer demokratischen Gesellschaft er­forderlich sei, nur ein geringer Spielraum zukäme.

Diesen Spielraum hätten die rumänischen Gerichte aus mehreren Gründen überschrit­ten:

Zum einen hätten diese bei der Beurteilung der Aussagen des Beschwerdeführers den Kontext völlig außer Acht gelassen. Die Gerichte hätten lediglich auf das Vorliegen ei­ner Rufschädigung abgestellt. Dagegen sei der Umstand, dass die Äußerungen im Zuge einer Debatte zwischen zwei Politikern über eine Angelegenheit von öffentlichem In­teresse erfolgten, nicht berücksichtigt worden.

Zum anderen hätten die nationalen Gerichte, so der EGMR, es überhaupt unterlassen, eine Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen (Ehre bzw. Meinungsäu­ßerung) vorzunehmen, was im Lichte der Rechtsprechung zu Art. 10 EMRK bereits für sich genommen problematisch sei.

Zudem würden die getätigten Aussagen nicht jeglicher faktischen Grundlage entbeh­ren. Im Gegenteil habe der Beschwerdeführer auf konkrete Ereignisse und spezifische Informationen hingewiesen. Indem die Gerichte es dem Beschwerdeführer jedoch ef­fektiv verunmöglichten, über die Richtigkeit seiner Aussagen Beweis zu führen (etwa indem dessen Beweisanträge abgelehnt wurden), hätten diese aus Sicht des EGMR ih­ren Entscheidungsspielraum überschritten.

Schließlich hätten die nationalen Gerichte nicht dargelegt, inwiefern eine „dringende soziale Notwendigkeit“ daran bestand, dem Interesse des Klägers am Schutz seines Rufs gegenüber dem Interesse des Beschwerdeführers auf freie Meinungsäußerung und dem diesbezüglichen Interesse der Allgemeinheit in öffentlichen Angelegenheiten den Vorrang einzuräumen.

Aus all dem ergebe sich, dass die Bestrafung des Beschwerdeführers in einer demokra­tischen Gesellschaft nicht notwendig war und diesen somit in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzte.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung (in englischer Sprache) und den Volltext der Entscheidung (in französischer Sprache).