Fachinfos - Judikaturauswertungen 08.01.2020

Präsidium des Europäischen Parlaments und Parteienfinanzierung

Voreingenommenheit des Präsidiums des EP bei Beschluss über Finanzierung der Partei ADDE. EuG 7.11.2019, T-48/17, Alliance for Direct Democracy in Europe (ADDE) gg. Parlament (08. Jänner 2020)

Sachverhalt

Die Alliance for Direct Democracy in Europe (ADDE) ist eine von der UK Independence Party (UKIP) dominierte politische Partei auf europäischer Ebene. 

Im Dezember 2014 bewilligte ihr das Präsidium des Europäischen Parlaments (im Folgenden: Präsidium) für das Geschäftsjahr 2015 eine Finanzhilfe in Höhe von maximal € 1.241.725,–. Kontrollen und ein externer Prüfbericht gelangten später zu dem Ergebnis, dass bestimmte Ausgaben im Geschäftsjahr 2015 nicht zuschussfähig waren. Daher erklärte das Präsidium im November 2016 einen Betrag von € 500.615,55 für nicht zuschussfähig und forderte von der ADDE einen Betrag von € 172.654,92 zurück.

Im Dezember 2016 fasste das Präsidium einen Beschluss, mit dem der ADDE für das Geschäftsjahr 2017 eine Finanzhilfe in Höhe von maximal € 1.102.642,71 bewilligt wurde. Das Präsidium begrenzte die Vorfinanzierung auf 33 % des Höchstbetrags der Finanzhilfe und verlangte eine Bankgarantie, da es daran zweifelte, ob die ADDE mangels Eigenmitteln finanziell lebensfähig ist.

Gegen die beiden Beschlüsse des Präsidiums von November und Dezember 2016 erhob die ADDE beim Gericht der Europäischen Union (EuG) eine Nichtigkeitsklage. Der erste Beschluss sei wegen der Zusammensetzung des Präsidiums weder fair noch unvoreingenommen. Die sogenannten „euroskeptischen“ Parteien seien im Präsidium nicht vertreten. Dieses sei daher nicht in der Lage, eine unvoreingenommene und objektive Kontrolle der europäischen politischen Parteien und der mit ihnen verbundenen politischen Stiftungen zu gewährleisten. Überdies habe sich Ulrike Lunacek – als Mitglied des Präsidiums – vor der Sitzung, auf der der das Geschäftsjahr 2015 betreffende Beschluss gefasst worden sei, öffentlich geäußert und dabei ihre Feindseligkeit und Voreingenommenheit gegenüber der ADDE zum Ausdruck gebracht. Der zweite Beschluss verstoße u.a. gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Gleichbehandlungsgrundsatz.

Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union

Die Entscheidung des EuG betrifft insbesondere folgende Punkte:

Beschluss des Präsidiums über die Zuschussfähigkeit von Ausgaben (November 2016)

Das EuG erklärte den das Geschäftsjahr 2015 betreffenden Beschluss des Präsidiums für nichtig: Es stellte fest, dass Lunacek – vor der Beschlussfassung im Präsidium – Äußerungen getätigt hatte, die ein/e außenstehende/r Beobachter/in so verstehen konnte, dass sie die Entscheidung über die betreffende Frage bereits vorweggenommen hatte. Zudem sei sie zusammen mit einem anderen Mitglied innerhalb des Präsidiums dafür zuständig gewesen, die Vorgänge, die die Finanzierung der politischen Parteien auf europäischer Ebene betreffen, weiter zu verfolgen. Der Anschein der Unvoreingenommenheit sei daher ernstlich erschüttert worden: Der Inhalt der Erklärungen, die sie abgegeben hatte, bevor der angefochtene Beschluss für das Geschäftsjahr 2015 gefasst wurde, sei kategorisch und eindeutig gewesen.

Das Parlament müsse hinreichende Garantien dafür bieten, dass jeder Zweifel daran ausgeschlossen ist, dass seine Mitglieder bei der Beschlussfassung in administrativen Angelegenheiten unvoreingenommen sind. Parlamentsmitglieder müssten sich daher – solange die Akten noch geprüft werden – Äußerungen darüber enthalten, ob die politischen Parteien auf europäischer Ebene die ihnen gewährten Gelder gut oder schlecht verwalten.

Das EuG setzte sich in der Folge damit auseinander, ob bestimmte Ausgaben zur Finanzierung einer Umfrage im Vereinigten Königreich zuschussfähig waren oder nicht. Es hielt es im Ergebnis für nicht gerechtfertigt, dass sämtliche Ausgaben für die Umfrage als nicht zuschussfähig erklärt wurden.

Beschluss des Präsidiums über die Bewilligung einer Finanzhilfe (Dezember 2016)

Den Antrag auf Nichtigerklärung des das Geschäftsjahr 2017 betreffenden Beschlusses wies das EuG zurück: Das Parlament sei befugt, sowohl die Stellung einer Bankgarantie zu verlangen als auch die Höhe der Vorfinanzierung zu begrenzen, um das mit der Auszahlung der Gelder verbundene finanzielle Risiko für die Europäische Union zu begrenzen.

Alternative Maßnahmen hätten es nicht ermöglicht, die finanziellen Interessen der Union in gleicher Weise zu wahren wie die vom Parlament beschlossenen Maßnahmen. Dem Parlament komme bei der Festlegung der Maßnahmen, die geeignet und erforderlich sind, um die Union vor einem finanziellen Risiko zu schützen, Ermessen zu. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit liege nicht vor.

Ebenso wenig liege ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor: Das Präsidium habe gleichzeitig vergleichbare Maßnahmen zur Minderung des finanziellen Risikos hinsichtlich sieben Empfänger/inne/n beschlossen – darunter die ADDE. Zudem habe das Parlament hinsichtlich aller Empfänger/innen in Betracht gezogen, sie um Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Finanzlage zu ersuchen. Einen Hinweis darauf, dass das Parlament diese Möglichkeit bestimmten Empfänger/inne/n tatsächlich angeboten hätte, nicht aber der ADDE, gebe es nicht.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung (in deutscher Sprache) und den Volltext der Entscheidung (in englischer Sprache).