Fachinfos - Judikaturauswertungen 11.08.2022

Verarbeitung sensibler Daten für politische (Wahl-)Werbung

Personalisierte Zuordnung wahrscheinlicher Parteiaffinitäten ist sensibles Datum mit besonders hohem Diskriminierungspotenzial (11. August 2022)

VwGH 14.12.2021, Ro 2021/04/0007

Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat die personalisierte Zuordnung von vermutli­chen Einstellungen vis-à-vis ausgewählten politischen Parteien aufgrund des inhären­ten Diskriminierungspotenzials als besonders schutzwürdige Kategorie personenbezo­gener Daten qualifiziert, für deren Verarbeitung der verantwortliche Adressenverlag keine hinreichend qualifizierte Rechtsgrundlage vorweisen konnte; die Zuordnung der Informationen war daher rechtswidrig.

Sachverhalt

Ein österreichisches Logistikunternehmen ist auch als Adressenverlag und Direktwer­beunternehmen tätig, wobei es seinen (wahlwerbenden) Kund:innen zum Zweck des zielgerichteten Marketings personenbezogene Datensätze verkaufte. Diese enthielten neben Vor- und Nachnamen, Adresse sowie Geburtsdatum der betroffenen Personen jeweils auch eine Zuordnung ihrer (wahrscheinlichen) Affinität zu fünf in Österreich wahlwerbenden Parteien auf einer vierteiligen Skala von „sehr niedrig“ bis „sehr hoch“. Diese Informationen fußten auf Zusammenfassungen anonymer Meinungsumfragen zu soziodemografischen Faktoren, Wohnort sowie politischem Interesse in Marketing­gruppen. Für jede Gruppe wurde anhand der Angaben sowie regionaler Wahlergeb­nisse berechnet, mit welcher Wahrscheinlichkeit Interesse an Wahlwerbung der fünf politischen Parteien besteht.

Die Datenschutzbehörde wurde Anfang 2019 aufgrund entsprechender Medienbe­richterstattung von Amts wegen tätig. Sie wies den Adressenverlag in der Folge mit Bescheid unter anderem an, die Verarbeitung der Parteiaffinitäten zu unterlassen und trug die Löschung der entsprechenden Daten auf. Das belangte Unternehmen erhob Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in sämtlichen Spruchpunkten, worüber in zwei Teilerkenntnissen abgesprochen wurde; gegen beide Entscheidungen wurde Revision an den VwGH erhoben (vgl. zum zweiten Verfahrensstrang VwGH 14.12.2021, Ro 2020/04/0032-8). Nachdem das BVwG im gegenständlichen Fall der Beschwerde teilweise stattgab – dies insbesondere weil die Daten zum Zeitpunkt des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens grundsätzlich bereits gelöscht waren – brachte das revisionswerbende Logistikunternehmen vor dem VwGH zusammengefasst vor, dass keine personenbezogenen, sondern anonyme Daten verarbeitet würden und es sich höchstens um Vermutungen handle, aus denen jedenfalls nicht die politische Mei­nung der Personen hervorgehen würde.

Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs

Unter Verweis auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sowie die Vorinstanz bestätigend, hegte der VwGH hingegen keinen Zweifel am Vorliegen einer Verarbei­tung von politischen Meinungen und somit einer besonders schutzwürdigen Kategorie personenbezogener Daten („sensible Daten“).

Mit zahlreichen Verweisen auf die datenschutzrechtliche Literatur hielt der VwGH fest, dass als personenbezogene Daten nicht nur tatsächlich überprüfbare, objektive Infor­mationen, sondern auch Einschätzungen und Urteile gelten, selbst wenn diese unsicher oder sogar unzutreffend sind. Die Zuordnung von politischen Neigungen zu namentlich bezeichneten und somit zweifelsfrei identifizierten Personen unterscheide die gegen­ständliche Datenverarbeitung auch von anonymen statistischen Auswertungen wie z.B. Wahlanalysen. Der von der Revisionswerberin bemühte Vergleich dieser Verarbeitun­gen gehe daher fehl. Es seien nämlich nicht die für die Erhebung der Parteiaffinitäten zugrundeliegenden Datenverarbeitungen Gegenstand des Verfahrens, sondern viel­mehr die Zuordnung zu identifizierten Einzelpersonen.

Im Hinblick auf das Vorliegen eines sensiblen Datums stellte der VwGH – wie schon das BVwG – maßgeblich auf den rechtspolitischen Schutzzweck der entsprechenden Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ab. So würden auch be­reits vermutete politische Einstellungen ein besonders hohes Schadens- und Diskrimi­nierungspotenzial aufweisen; es mache daher keinen Unterschied, ob die Parteiaffini­täten auf tatsächlichem Verhalten oder statistischen Methoden beruhen würden. Für die Klassifizierung als sensibles Datum im Sinne des Art. 9 Abs. 1 DSGVO reiche es aus, dass die politische Meinung für einen durchschnittlichen, objektiven Dritten mittelbar hervorgehe. Mit dem Argument des Adressenverlags, dass dabei der Verarbeitungskon­text zu berücksichtigen sei, werde im vorliegenden Fall nichts gewonnen, da die Daten ja gerade an wahlwerbende Parteien veräußert wurden. Weiters merkte der VwGH an, dass nicht nur (unterstellte/s) gesteigertes Interesse, sondern auch Ablehnung oder Gleichgültigkeit gegenüber politischen Parteien eine politische Haltung darstellen, wel­che „abstrakt geeignet [ist], die Gefahr einer Diskriminierung oder auch Andersbehand­lung mit sich zu bringen.“

Das in der Gewerbeordnung normierte Recht, personenbezogene Marketinginformati­onen zu verarbeiten (§ 151 Abs. 6 GewO), erfüllt laut BVwG nicht den Ausnahmetat­bestand vom Verarbeitungsverbot sensibler Daten aus Gründen eines erheblichen öf­fentlichen Interesses (Art. 9 Abs. 2 lit. g DSGVO). Die Revision hätte keine (weiteren) Ausnahmetatbestände vorgebracht. Schließlich unterstrich der VwGH, dass angesichts des offenkundigen Auslegungsergebnisses keine Vorlage an den Gerichtshof der Euro­päischen Union erforderlich war („acte-clair“-Doktrin).

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung und den Volltext der Entscheidung.