Fachinfos - Judikaturauswertungen 11.08.2022

Verstoß Spaniens gegen den Grund­satz der Effektivität

Haftung des Staates für dem Gesetzgeber zuzurechnende Verletzung des Unions­rechts: Verstoß Spaniens gegen den Grund­satz der Effektivität (11. August 2022)

EuGH 28.6.2022, C-278/20, Kommission gg. Spanien

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) sprach in einem gegen Spanien geführten Ver­tragsverletzungsverfahren aus, dass Spanien gegen seine Verpflichtungen aus dem Grundsatz der Effektivität verstoßen hat. Gegenstand des Verfahrens waren die natio­nalen Bestimmungen zur Regelung des Schadenersatzes wegen unionsrechtswidrigen Handelns des Staates.

Sachverhalt

Die Europäische Kommission (EK) hegte Bedenken gegen die nationalen Rechtsvor­schriften Spaniens bezüglich der Voraussetzungen, unter denen Einzelpersonen Scha­denersatz für Verstöße des Staates gegen Unionsrecht einklagen können, und leitete letztlich ein Vertragsverletzungsverfahren ein.

Die Bedenken der EK bezogen sich speziell auf die spanischen Rechtsvorschriften, wel­che die Bedingungen für eine Haftung des Staates für gesetzgeberisches Handeln re­geln. Durch diese gesetzlichen Voraussetzungen verstoße Spanien gegen seine Ver­pflichtungen aus den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität: Gegen den Grund­satz der Effektivität verstoße, dass die Erlangung von Schadenersatz in der Praxis un­möglich gemacht oder übermäßig erschwert werde. Dies sei der Fall, weil die spanische Rechtsordnung den Schadenersatz wegen unionsrechtswidrigen Handelns des Staates insbesondere davon abhängig mache, dass eine Entscheidung des EuGH vorliegt, in der dieser die Unionsrechtswidrigkeit der fraglichen Handlung bzw. Unterlassung feststellt oder aus der sich die Unionsrechtswidrigkeit ergibt. Zudem liege eine Verletzung des Grundsatzes der Äquivalenz – wonach die nationalen Schadenersatzregelungen bei Unionsrechtsverletzungen nicht weniger günstig sein dürfen als bei ähnlichen Rechts­behelfen, die nur nationales Recht betreffen – vor. Dies insofern, als Spanien bestimmte Anforderungen für die Haftung eines Mitgliedstaates (MS) wegen Unionsrechtsverstö­ßen vorsehe, nicht aber auch für entsprechende Schadenersatzklagen ohne unions­rechtlichen Bezug.

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs

Der EuGH (Große Kammer) gab der Klage der Kommission teilweise statt. Er beurteilte den Grundsatz der Effektivität als durch die Ausgestaltung der Staatshaftung im spani­schen Recht verletzt, erblickte darin aber keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Äquivalenz.

Der EuGH verwies zunächst auf den – von ihm aus dem System der Verträge abgelei­teten – Grundsatz, dass der Staat für Schäden haftet, die dem bzw. der Einzelnen durch dem Staat zurechenbare Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen, unabhängig da­von, welches mitgliedstaatliche Organ (somit auch der nationale Gesetzgeber) den Ver­stoß begeht. Mangels entsprechender Vorschriften im Unionsrecht sei es Sache der MS, die Folgen des entstandenen Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben.

Zum Grundsatz der Effektivität führte der EuGH unter anderem aus wie folgt:

Zunächst habe der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Ersatz des durch den Ver­stoß eines MS gegen das Unionsrecht verursachten Schadens in keinem Fall davon ab­hängig gemacht werden darf, dass zuvor eine Entscheidung des EuGH erging, mit der ein solcher Verstoß gegen das Unionsrecht festgestellt wird oder aus der sich die Uni­onsrechtswidrigkeit der schadensstiftenden Handlung oder Unterlassung ergibt. Da das spanische Schadenersatzrecht an das Vorliegen einer solchen Entscheidung anknüpfe und auch kein anderer Rechtsbehelf bestehe, mit dem Ersatzansprüche wegen unions­rechtswidrigen Handelns des Gesetzgebers geltend gemacht werden könnten, stünden die spanischen Verfahrensregelungen im Widerspruch zum Grundsatz der Effektivität.

Darüber hinaus sei der Grundsatz der Effektivität verletzt, wenn die Haftung des Staa­tes von der Erhebung eines Rechtsmittels gegen eine schadensverursachende Verwal­tungshandlung abhängig gemacht werde, ohne eine Regelung für den Fall vorzusehen, dass sich der Schaden unmittelbar durch eine unionsrechtswidrige Handlung bzw. Un­terlassung des Gesetzgebers ergibt. Zwar sei es grundsätzlich zulässig, für die Geltend­machung von Ersatzansprüchen auf bestehende Rechtsschutzmöglichkeiten zu verwei­sen. Jedoch dürfe dies der bzw. dem Geschädigten keine übermäßigen Schwierigkeiten bereiten oder unzumutbar sein. Die sich aus der spanischen Regelung in solchen Fällen ergebende Verpflichtung der bzw. des Geschädigten, aktiv eine Verwaltungshandlung herbeizuführen, sei in diesem Sinne unzumutbar und verletze den Grundsatz der Effek­tivität.

Der Gerichtshof erachtete den Grundsatz der Effektivität zudem durch zwei Regelun­gen des spanischen Rechts verletzt, die eine zeitliche Befristung hinsichtlich des Scha­denersatzes wegen unionsrechtswidrigen Handelns des Staates vorsahen: Zum einen betreffe dies eine Bestimmung, wonach für den Beginn der Frist für die Geltendma­chung eines Ersatzanspruchs allein auf die Veröffentlichung einer Entscheidung des EuGH im oben erörterten Sinn im Amtsblatt der EU abzustellen sei. Dadurch werde, so der EuGH, das Vorliegen einer solchen Entscheidung zu einer zwingenden Vorausset­zung für die Erhebung einer Staatshaftungsklage erklärt. Zum anderen bezog sich der EuGH auf eine Vorschrift, der zufolge nur solche Schäden geltend gemacht werden könnten, die innerhalb von fünf Jahren vor dem Zeitpunkt der Veröffentlichung einer solchen Entscheidung eingetreten seien. Dies schließe aus, dass in jedem denkbaren Fall die tatsächlich erlittenen Schäden in vollem Umfang ersetzt werden könnten (etwa bei langer Verfahrensdauer).

Dagegen hielt der EuGH das Vorbringen der EK hinsichtlich des behaupteten Verstoßes gegen den Grundsatz der Äquivalenz für unbegründet. Aus diesem könne keine Pflicht der MS begründet werden, die Entstehung eines Schadenersatzanspruchs unter güns­tigeren Bedingungen zuzulassen, als in der Rechtsprechung des EuGH vorgesehen. Der Grundsatz der Äquivalenz verpflichte die MS nicht, die günstigste innerstaatliche Rege­lung auf alle Klagen zu erstrecken, die in einem bestimmten Rechtsgebiet erhoben wer­den.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung (in französischer Sprache) und den Volltext der Entscheidung.