Fachinfos - Judikaturauswertungen 11.08.2022

Verurteilung eines Journalisten wegen Beleidigung eines Politikers

Verurteilung eines Journalisten wegen Beleidigung eines Politikers: Keine Verlet­zung der Meinungsfreiheit (11. August 2022)

EGMR 24.5.2022, 45014/16, Pretorian gg. Rumänien

Die rumänischen Gerichte verurteilten einen Journalisten wegen beleidigender Äuße­rungen, die dieser über einen Politiker im Rahmen zweier Zeitungsartikel getätigt hatte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erachtete den Journalisten dadurch nicht in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt. Die Bestrafung stünde in einem angemessenen Verhältnis zu den verfolgten Interessen.

Sachverhalt

Ein rumänischer Journalist (Chefredakteur einer regionalen Wochenzeitung) kritisierte einen bekannten Lokalpolitiker in zwei Zeitungsartikeln, deren Überschriften „Hallo, ist hier das Tierheim? Fangt den liberalen Streunerhund!“ und „Hau ab, Euer Majestät B.!“ lauteten und die neben diversen Beschimpfungen auch das Gerücht über einen hohen Alkoholkonsum des Politikers beinhalteten. Der gegen diese Äußerungen gerichteten Klage wegen Ehrenbeleidigung des Politikers gab das Gericht statt und verurteilte den Journalisten zu einer Geldstrafe (ca. € 3.200) sowie zur Veröffentlichung der Gerichts­urteils in der Zeitung. Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil. Die nationalen Ge­richte beurteilten die Aussagen des Journalisten als Werturteile, denen jedes Tatsa­chensubstrat fehlen würde. Als solche unterlägen sie nicht dem Schutz der Meinungs­freiheit. Zudem habe der Politiker die Angriffe auf ihn auch nicht provoziert. Gegen das Urteil erhob der Journalist Beschwerde an den EGMR wegen behaupteter Verletzung im Recht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 10 EMRK.

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der EGMR schloss sich der Beurteilung durch die nationalen Gerichte an und verneinte eine Verletzung des Journalisten (Beschwerdeführer) in seinem Recht auf freie Mei­nungsäußerung.

Zwar handle es sich bei der Ausübung des Amtes durch den Politiker um eine öffentli­che Angelegenheit. Auch sei einzuräumen, dass Teile der Aussagen möglicherweise sa­tirischen Charakter hätten. Doch bestünden die Äußerungen des Beschwerdeführers zum größten Teil aus bloßen Beleidigungen, welche die Privatsphäre des Politikers ver­letzen würden. Der Beschwerdeführer habe keinerlei Nachprüfungen vorgenommen, ob das von ihm in den Zeitungsartikeln verbreitete Gerücht über den Alkoholkonsum des Politikers eine faktische Grundlage hätte. Ein solches (bloßes) Gerücht könne daher auch keine Tatsachengrundlage für die schweren und ehrverletzenden Anschuldigun­gen des Journalisten darstellen.

Der Gerichtshof sah weiters keinen Anlass, von der Beurteilung der nationalen Gerichte abzugehen, dass keine Provokation seitens des Politikers vorlag, die die Angriffe auf ihn hätten rechtfertigen können.

Auch aus der Höhe der Geldstrafe könne keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht nach Art. 10 EMRK abgeleitet werden. Der EGMR gelangte wie die nati­onalen Gerichte zur Einschätzung, dass die Strafe relativ mild war. Insofern sei auch nicht davon auszugehen, dass von dieser eine abschreckende Wirkung für die künftige Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit („chilling effect“) ausgehen könnte.

Schließlich hielt der Gerichtshof fest, dass die nationalen Gerichte die gegenläufigen Interessen ausreichend und entlang der Kriterien der Rechtsprechung des EGMR abge­wogen haben. Die verhängte Strafe sei in einer demokratischen Gesellschaft notwendig und stünde zudem mit dem verfolgten Interesse (Schutz der Persönlichkeitsrechte) in einem angemessenen Verhältnis. Die Beschwerde des Journalisten sei somit abzuwei­sen gewesen.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung (in englischer Sprache) und den Volltext der Entscheidung (in französischer Sprache).