Der EGMR sprach nun aus, dass der Beschwerdeführer durch die Verurteilung in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt wurde. Zwar hätten die nationalen Gerichte zutreffender Weise festgehalten, dass die veröffentlichten Cartoons politische Satire darstellten. Doch hätten sie nicht hinreichend auf die Besonderheiten politischer Satire – die von Übertreibungen lebe und deren Wesen in der Provokation liege – Bedacht genommen. Die vorgenommene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit einerseits und dem Schutz des Privatlebens andererseits sei insofern nicht ausreichend, als sie den Kontext, in dem die Cartoons veröffentlicht wurden, nicht angemessen berücksichtigt habe.
So hätten die nationalen Gerichte den Blick primär auf die Frage des Vorliegens einer Rufschädigung der betroffenen Gemeinderätin gerichtet und dagegen den Kontext der Veröffentlichung (nämlich eine anhaltende politische Debatte zwischen den Beteiligten) außer Acht gelassen. Zwar sei zutreffend, so der EGMR, dass die Cartoons gewisse bedauernswerte Stereotype in Bezug auf Frauen in Machtpositionen bedienen würden. Doch würden weder die Zeichnungen selbst, noch der dazugehörige, vom Beschwerdeführer verfasste Text irgendwelche Anspielungen auf das Privatleben der Gemeinderätin oder beleidigende Bemerkungen enthalten. Nach Ansicht des Gerichtshofs sei vielmehr deutlich, dass das zentrale Anliegen des Beschwerdeführers die Kommentierung bzw. Kritik des politischen Geschehens war. Zudem sei bei der Abwägung auch nicht berücksichtigt worden, dass gewählte Abgeordnete einer solchen Art von Satire regelmäßig ausgesetzt seien und dass Politiker:innen gegenüber derartigen Karikaturen eine höhere Toleranz aufzubringen hätten, als dies bei anderen Personen der Fall sei, die nicht in der Öffentlichkeit stünden. Die Darstellung in den gegenständlichen Zeichnungen bewege sich außerdem im Rahmen einer typischen satirischen Karikatur.
Die von den nationalen Gerichten vorgenommene Interessenabwägung sei somit insoweit fehlerhaft, als sie den Kontext der Veröffentlichung außer Acht ließ, den besonderen Charakter satirischer Darstellungen im Zuge politischer Debatten nicht berücksichtigte und auch sonst nicht auf die Rechtsprechung des EGMR zur Meinungsäußerungsfreiheit Bedacht genommen habe. Die Verurteilung des Beschwerdeführers sei zudem geeignet, eine abschreckende Wirkung auf satirische Aktivitäten in politischen Debatten zu entfalten („chilling effect“). Da die Verurteilung des Beschwerdeführers somit in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig sei, sei dieser in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt worden.
Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung (in englischer Sprache) und den Volltext der Entscheidung (in französischer Sprache).