Fachinfos - Judikaturauswertungen 11.08.2022

Verurteilung wegen Veröffentlichung satirischer Cartoons

Verurteilung wegen Veröffentlichung satirischer Cartoons: Verletzung der Meinungsfreiheit (11. August 2022)

EGMR 7.6.2022, 42713/15, Patrício Monteiro Telo de Abreu gg. Portugal

Ein portugiesischer Politiker veröffentlichte in einem Blog Cartoons, die satirische Dar­stellungen von Gemeindepolitiker:innen enthielten. Die portugiesischen Gerichte ga­ben einer dagegen gerichteten Klage wegen Ehrenbeleidigung statt und verurteilten den Politiker zu einer Geldstrafe. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erachtete die gegen die Verurteilung erhobene Beschwerde für begründet. Der Politiker sei durch die Verurteilung in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung ver­letzt worden.

Sachverhalt

Ein portugiesischer Politiker, Tiago Patrício Monteiro Telo de Abreu (Beschwerdeführer), veröffentlichte in einem von ihm geführten Blog Cartoons, die einen weißhaarigen Esel sowie eine blondhaarige, halbnackte Sau mit Spitzenstrümpfen, Strapsgürtel und Stö­ckelschuhen abbildeten. Weitere Indizien deuteten darauf hin, dass es sich bei dem Esel um den damaligen Bürgermeister der Gemeinde und bei der Sau um eine bestimmte Gemeinderätin handelte, die gemeinhin als „rechte Hand“ des Bürgermeisters bekannt war. Beide gehörten jener Partei an, welche als politische Hauptkontrahentin der Partei des Beschwerdeführers galt.

Die Gemeinderätin erhob gegen die Veröffentlichung der Cartoons Klage. Sie brachte vor, durch die Art ihrer Darstellung in ihrer Ehre und ihrem Ruf verletzt worden zu sein. Das portugiesische Gericht gab der Klage statt. Es verurteilte den Beschwerdeführer zu einer Geldstrafe und verpflichtete ihn zur Leistung von Schadenersatz an die Gemein­derätin. Das Gericht stellte fest, dass es sich bei den dargestellten Tieren offenkundig um den Bürgermeister und die klagende Gemeinderätin handle. Letztere werde durch die Art der Darstellung in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt.

Gegen das – vom nationalen Berufungsgericht bestätigte – Urteil erhob der Politiker Beschwerde an den EGMR wegen behaupteter Verletzung im Recht auf freie Mei­nungsäußerung gemäß Art. 10 EMRK.

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Der EGMR sprach nun aus, dass der Beschwerdeführer durch die Verurteilung in sei­nem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt wurde. Zwar hätten die nationalen Ge­richte zutreffender Weise festgehalten, dass die veröffentlichten Cartoons politische Satire darstellten. Doch hätten sie nicht hinreichend auf die Besonderheiten politischer Satire – die von Übertreibungen lebe und deren Wesen in der Provokation liege – Be­dacht genommen. Die vorgenommene Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit ei­nerseits und dem Schutz des Privatlebens andererseits sei insofern nicht ausreichend, als sie den Kontext, in dem die Cartoons veröffentlicht wurden, nicht angemessen be­rücksichtigt habe.

So hätten die nationalen Gerichte den Blick primär auf die Frage des Vorliegens einer Rufschädigung der betroffenen Gemeinderätin gerichtet und dagegen den Kontext der Veröffentlichung (nämlich eine anhaltende politische Debatte zwischen den Beteilig­ten) außer Acht gelassen. Zwar sei zutreffend, so der EGMR, dass die Cartoons gewisse bedauernswerte Stereotype in Bezug auf Frauen in Machtpositionen bedienen würden. Doch würden weder die Zeichnungen selbst, noch der dazugehörige, vom Beschwer­deführer verfasste Text irgendwelche Anspielungen auf das Privatleben der Gemeinde­rätin oder beleidigende Bemerkungen enthalten. Nach Ansicht des Gerichtshofs sei vielmehr deutlich, dass das zentrale Anliegen des Beschwerdeführers die Kommentie­rung bzw. Kritik des politischen Geschehens war. Zudem sei bei der Abwägung auch nicht berücksichtigt worden, dass gewählte Abgeordnete einer solchen Art von Satire regelmäßig ausgesetzt seien und dass Politiker:innen gegenüber derartigen Karikaturen eine höhere Toleranz aufzubringen hätten, als dies bei anderen Personen der Fall sei, die nicht in der Öffentlichkeit stünden. Die Darstellung in den gegenständlichen Zeich­nungen bewege sich außerdem im Rahmen einer typischen satirischen Karikatur.

Die von den nationalen Gerichten vorgenommene Interessenabwägung sei somit inso­weit fehlerhaft, als sie den Kontext der Veröffentlichung außer Acht ließ, den besonde­ren Charakter satirischer Darstellungen im Zuge politischer Debatten nicht berücksich­tigte und auch sonst nicht auf die Rechtsprechung des EGMR zur Meinungsäußerungs­freiheit Bedacht genommen habe. Die Verurteilung des Beschwerdeführers sei zudem geeignet, eine abschreckende Wirkung auf satirische Aktivitäten in politischen Debat­ten zu entfalten („chilling effect“). Da die Verurteilung des Beschwerdeführers somit in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig sei, sei dieser in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt worden.

Vgl. zu diesem Verfahren die Pressemitteilung (in englischer Sprache) und den Volltext der Entscheidung (in französischer Sprache).