Grundsätzlich existiert ein breites Spektrum an Möglichkeiten, wie Menschen bzw. Gruppen in Demokratien ihre politische Meinung zum Ausdruck bringen können. Je nach demokratietheoretischer Perspektive werden manche als legitime Teilhabe an politischen Entscheidungsfindungsprozessen gesehen, andere nicht. Vertreter:innen partizipativer Konzepte von Demokratie argumentieren, dass neben fairen und wiederkehrenden Wahlen (zum Konzept der repräsentativen Demokratie siehe z. B. Beetham 1992) sowie öffentlichen Diskursen und gut informierten Entscheidungen (zum Konzept der deliberativen Demokratie siehe z. B. Landwehr 2012) auch Ermächtigung, Vertrauen, Transparenz und Selbstbestimmung wichtige Kriterien für die Qualität von Demokratie sind (siehe dazu z. B. Barber 1984). Inwiefern ziviler Ungehorsam dazu beiträgt, diese Kriterien zu erfüllen, ist Gegenstand laufender Diskussionen.
Für Thoreau (1849) steht vor allem das Individuum im Mittelpunkt, welches seine Lebensumstände frei gestalten können muss. Kann das Individuum bestimmte Entwicklungen, die der Staat zulässt oder sogar befördert, aus Gewissensgründen nicht mittragen, hat es das Recht – wenn nicht sogar die Pflicht – dem Staat den Gehorsam aufzukündigen. Der Philosoph John Rawls (1971) zeigt auf, dass ziviler Ungehorsam als letztes Mittel gewählt wird, wenn Bemühungen auf institutionellem Wege gescheitert sind. Ihm zufolge ist dabei zentral, dass mit den entsprechenden Aktionen ein symbolischer Appell an das Rechtsempfinden der gesellschaftlichen Mehrheit gerichtet wird. Das bedeutet aber nicht zugleich, dass die Öffentlichkeit ad hoc damit einverstanden sein muss.
Daraus ergibt sich die Frage, wann eine Ungerechtigkeit so groß ist, dass sie Verstöße gegen Gesetze rechtfertigt, und daran anschließend, ob sich Aktionen zivilen Ungehorsams innerhalb des Verfassungsrahmens demokratischer Gesellschaften bewegen und/oder bewegen müssen. Diesbezüglich wird oft das Argument ins Treffen geführt, dass sie dies ohnehin tun, weil jene, die ein Gesetz verletzen oder übertreten, die dafür vorgesehene Strafe in Kauf nehmen. Hannah Arendt (1972) hingegen gibt zu bedenken, dass eine persönliche Gewissensentscheidung („Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, diesem Gesetz zu gehorchen, akzeptiere aber die Strafe wegen meines Verstoßes dagegen.“) nicht die einzige mögliche Rechtfertigung für zivilen Ungehorsam sein kann. Da Bürger:innen durchaus selbst in der Lage sind, zu urteilen und dementsprechend politisch zu handeln, können diese Handlungen unter Umständen einfach „nur“ als Beitrag zu gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Aushandlungsprozessen verstanden werden.
Im deutschsprachigen Raum schließt daran v. a. Jürgen Habermas (1983) an. Er betont, dass sich Politik und Justiz diesen Handlungen stellen müssen und sich nicht hinter einer Mentalität von „Gesetz ist Gesetz“ verstecken dürfen. Demokratie entwickelt sich stetig weiter und ziviler Ungehorsam kann eine Art Kontrollinstanz sein und so zur Willensbildung einer demokratischen Gesellschaft beitragen.
Auch die Überlegungen des Philosophen Étienne Balibar (2009) schließen an Hannah Arendt an. Er geht davon aus, dass Bürger:innen in der Lage sind, selbst Verantwortung zu übernehmen. Einem radikaleren Verständnis von Demokratie folgend, legt Balibar allerdings besonderen Wert auf Dissens als zentraler Grundlage von Politik. Da auch Aktionen außerhalb des Rechtsrahmens Teil dieses Dissens sind, sind sie ebenso Teil der Entwicklung demokratischer Gesellschaften.
Diesem Verständnis stehen Überlegungen aus der Rechtsphilosophie gegenüber, welche sich mit der Frage auseinandersetzen, ob es ein Recht auf zivilen Ungehorsam gibt. Elisabeth Holzleithner (2020) verneint diese Frage mit dem Hinweis, dass in Rechts- und Verfassungsstaaten das Recht auf Widerstand nicht vorgesehen ist. Der „intakte Rechtsstaat“ sieht im Rahmen der Grundrechte ausreichend Möglichkeiten vor, Unmut zu äußern. Die Antwort auf die Frage, ob ein Verhalten legal ist, muss innerhalb dieses Rahmens allerdings nicht gleich lauten wie die Antwort auf die Frage, ob das besagte Verhalten legitim ist.