Fachinfos - Fachdossiers 24.11.2023

Wie soll häuslicher Gewalt vorgebeugt werden?

Das Fachdossier behandelt aktuelle Entwicklungen betreffend Gewalt an Frauen und Gewaltprävention. (Erstveröffentlichung am 01.03.2022, zuletzt aktualisiert am 24.11.2023 infolge aktualisierter Zahlen und neuer Initiativen)

Wie soll häuslicher Gewalt vorgebeugt werden?

Am 1. Mai 1997 trat in Österreich das Gewaltschutzgesetz in Kraft. Es zielt vor allem darauf ab, Frauen und Kinder vor Gewalt in der Familie zu schützen. Dieses Gesetz galt als Meilenstein in der Gewaltprävention, Österreich wurde damit international zum Vorbild. Dennoch häufen sich jährlich die Berichte über Femizide in Österreich. Außerdem verweist eine Untersuchung des Instituts für Konfliktforschung im Auftrag der Frauensektion des Bundeskanzleramts darauf, dass Österreich „im Vergleich mit dem EU-Schnitt eine überdurchschnittlich hohe Rate von Tötungsdelikten an Frauen“ (S. 52) aufweist. In den Jahren vor der Covid-19-Pandemie stieg die Zahl an Frauen, die Schutz in Frauenhäusern suchten, kontinuierlich an. 2020 kam es erstmals zu einer Umkehr dieses Trends – obwohl Studien zeigen, dass insbesondere in Zeiten der häuslichen Isolation das Aggressions- und Gewaltpotenzial steigt (siehe Bericht zu Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf häusliche Gewalt auf der Website des Ludwig Boltzmann Instituts für Grund- und Menschenrechte). So gab es in mehreren europäischen Staaten während des ersten Covid-19-Lockdowns im Frühjahr 2020 einen deutlichen Zuwachs an Meldungen häuslicher Gewaltfälle.

Grundlegende rechtliche Rahmenbedingungen

Das Bundesgesetz zum Schutz vor Gewalt in der Familie, das am 1. Mai 1997 in Kraft trat, wurde von zwei wesentlichen Säulen getragen: Erstmals konnte die Polizei Gewalttäter:innen aus der gemeinsamen Wohnung wegweisen und ein zweiwöchiges Betretungsverbot aussprechen. Außerdem konnten nun Zivilgerichte mithilfe einer einstweiligen Verfügung GewalttäterInnen auftragen, die Wohnung langfristig zu verlassen. Als begleitende Maßnahmen wurden außerdem in allen österreichischen Bundesländern Interventionsstellen bzw. Gewaltschutzzentren eingerichtet.

Nach kleineren Teiländerungen des Gesetzes in den Jahren 1999, 2002 und 2004 trat am 1. Juni 2009 das Zweite Gewaltschutzgesetz in Kraft. Es verbesserte den Schutz für und die Unterstützung von Opfern, indem das Betretungsverbot verlängert, ein neuer Straftatbestand neuer Strafbestand „fortgesetzte Gewaltausübung“ (§ 107b Strafgesetzbuch (StGB)) geschaffen sowie das Recht auf kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung auch im Zivilverfahren etabliert wurde. In einer Novelle des Sicherheitspolizeigesetzes 2013 wurde das Betretungsverbot auf Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen ausgedehnt, um den Schutz Minderjähriger zu verstärken.

Seit 1. Jänner 2020 ist das Gewaltschutzgesetz 2019 in Kraft, das Änderungen von insgesamt 25 Gesetzen umfasst. Die zentralen Punkte sind ein personenbezogenes Annäherungsverbot im Sicherheitspolizeigesetz (anstelle des Betretungsverbots von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen), eine verpflichtende Gewaltpräventionsberatung nach Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbots, das Erfassen von Cybermobbing (hinsichtlich der Anti-Stalking-Verfügung), Strafverschärfungen sowie Melde- und Anzeigeverpflichtungen für Angehörige bestimmter Berufsgruppen.

Im Rahmen des Begutachtungsverfahrens übten verschiedene Organisationen Kritik am Gesetzentwurf für das Gewaltschutzgesetz 2019. Beispielsweise gab der Berufsverband Österreichischer Psycholog:innen in seiner Stellungnahme zu bedenken, dass die Verschärfung des Strafrahmens Opfer davon abhalten könnte, die Täter:innen anzuzeigen, weil sie mit diesen oft in einer engen persönlichen Beziehung stehen. Auch die Anzeigepflicht für bestimmte Berufsgruppen wurde kritisch gesehen: In ihrer Stellungnahme verliehen die Österreichischen Kinderschutzzentren ihrer Sorge Ausdruck, dass sich Kinder, die Opfer eines Gewaltverbrechens werden, infolge dieser Neuerung seltener einer möglichen Vertrauensperson anvertrauen könnten. Wie der Überblick über das parlamentarische Verfahren zum Gewaltschutzgesetz 2019 zeigt, zogen die kritischen Stellungnahmen keine Änderungen der angesprochenen Punkte im letztendlich beschlossenen Gesetzestext nach sich.

Eine weitere, am 1. Jänner 2022 in Kraft getretene Änderung betrifft ein vorläufiges Waffenverbot, das mit Ausspruch eines Betretungs- und Annäherungsverbots sofort in Kraft tritt (siehe Waffengesetz 1996, § 13 Bundesgesetz über die Waffenpolizei).

Auf europäischer Ebene gilt die Istanbul Konvention, ein Übereinkommen des Europarates. Sie ist das erste völkerrechtlich verbindliche Instrument zur umfassenden Bekämpfung aller Formen von Gewalt an Frauen in Europa. In Österreich trat sie am 1. August 2014 in Kraft. Im ersten offiziellen Evaluationsbericht 2017 der ExpertInnengruppe GREVIO des Europarates wurde darauf verwiesen, dass Österreich zwar lange Zeit eine Führungsrolle eingenommen hat. Spezifischeren Formen von Gewalt gegen Frauen, wie Vergewaltigung und sexueller Gewalt, Zwangsheirat und weiblicher Genitalverstümmelung, sei allerdings zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet worden. Mit 1. Juni 2023 trat auch die Europäische Union der Istanbul-Konvention bei. Damit werden internationale Normen für die gesamte EU bindend.

Gewalt an Frauen und Betreuung in österreichischen Frauenhäusern

Die österreichischen Frauenhäuser sind in zwei Vereinen organisiert, dem Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) und dem Zusammenschluss Österreichischer Frauenhäuser (ZÖF). Der AÖF gibt einen Überblick über Zahlen und Daten in Bezug auf Gewalt an Frauen in Österreich. Demnach ist jede dritte Frau (ab dem 15. Lebensjahr) körperlicher und/oder sexueller Gewalt innerhalb oder außerhalb von intimen Beziehungen ausgesetzt. Die Zahl weiblicher Mordopfer in Österreich verdoppelte sich zwischen 2014 (19) und 2018 (41). Danach wurden jährlich zwischen 29 und 39 Frauen ermordet, 2023 waren es laut Medienberichten bereits 26 Frauen (Stand: 8.11.2023).

Laut Tätigkeitsbericht 2022 der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie wurden im Jahr 2022 österreichweit 23.638 Opfer familiärer Gewalt in Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen betreut. Circa 80 % davon waren weiblich, circa 90 % der Gefährder:innen waren männlich. Laut Statistik des Bundeskriminalamts muss die Polizei kontinuierlich mehr Betretungs- und Annäherungsverbote verhängen. Waren es im Jahr 2020 insgesamt 11.652  und 2021 13.690, so wurden 2022 laut Gewaltschutzbilanz des Innenministeriums14.643 Verbote ausgesprochen. Üblicherweise sind über 90 % der Täter:innen Ehe- oder Ex-Partner:innen, Lebensgefährten der Frauen und Väter der Kinder (siehe Presseaussendung vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser).

Während der Covid-19-Beschränkungen verzeichnete die Frauenhelpline einen deutlichen Anstieg an Anrufen. Im selben Zeitraum ging die Zahl an Frauen, die in Frauenhäusern aufgenommen wurden, um fast 10 % zurück. Der AÖF als auch der ZÖF sehen als Grund für den Rückgang, dass es durch die ständige Anwesenheit der Familie während der Ausgangsbeschränkungen viel schwerer für betroffene Frauen war, zu flüchten.

Frauenhäuser in Österreich

Vor den Beschränkungen waren die Kapazitäten der österreichischen Frauenhäuser nicht immer ausreichend. Im Jahr 2018 wurden beispielsweise in den Frauenhäusern des AÖF 183 Frauen und Kinder wegen Platzmangels abgewiesen. Laut Artikel 23 der Istanbul Konvention (Seite 69) soll pro 10.000 Einwohner:innen ein Platz in Frauenhäusern zur Verfügung stehen. Gemessen an der Gesamtbevölkerungszahl wären das für Österreich 905 Plätze (jüngste Zahlen siehe Wohnbevölkerung Österreichs im Jahresdurchschnitt). Laut Letztstand vom Dezember 2022 gibt es in Österreich aber nur 839 Plätze in Frauenhäusern  – demnach fehlen bundesweit 59 Plätze. Wie die Grafik „Plätze in Frauenhäusern pro 10.000 Einwohner:innen“ zeigt, erfüllen 2022 nur vier Bundesländer (Burgenland, Kärnten, Salzburg und Wien) die Maßgabe von mindestens einem Platz pro 10.000 Einwohner:innen.

Quelle: Statistik Austria (Einwohner:innenzahlen) und AÖF (Zahlen Frauenhäuser pro Bundesland), Stand 16.11.2023, eigene Darstellung.

Finanzierung der Frauenhäuser

Für die Finanzierung der Frauenhäuser sind die Bundesländer verantwortlich. Laut Recherche des Momentum Instituts sind die Landesförderungen für Frauenhäuser für das Jahr 2019 sehr unterschiedlich und bewegen sich zwischen 1,03 € (Tirol) und 3,54 € pro Einwohner:in (Kärnten). Die unzureichende Ausstattung mit Plätzen in Frauenhäusern ist wiederholt Thema parlamentarischer Anfragen (z. B. Anfrage zu Plätzen in Frauenhäusern und Notunterkünften für Frauen und Kinder (297/J vom 22. Februar 2018) oder Anfrage zum Kapitel „Frauen“ im Regierungsübereinkommen 2020-2024 (2971/J vom 28. Juli 2020)) oder jüngst auch von einer Debatte über Mittel für das Frauenressort im Budgetausschuss (Parlamentskorrespondenz vom 15. November 2023). In allen Fällen verwiesen die zuständigen Bundesministerinnen auf die Zuständigkeit der Bundesländer. In der Anfrage zum Umsetzungsstand der Frauen- und Gleichstellungspolitik (9306/J vom 14. Jänner 2021) wird nach einer möglichen bundeslandübergreifenden Lösung für Frauenhausplätze gefragt (siehe auch Fachdossier „Was sind 15a-Vereinbarungen?"). In der Anfragebeantwortung vom 14.3.2022 verweist die zuständige Bundesministerin auf eine unter der Leitung des Frauenressorts einberufene Arbeitsgruppe „Bundesländerübergreifende Aufnahme von Hochrisikoopfern“. Diese besteht aus Vertreterinnen und Vertretern aller Bundesländer sowie Vertreterinnen der zwei Dachverbände der österreichischen Frauenhäuser und soll eine bundesweit einheitliche Regelung finden, um hochrisikogefährdeten Frauen und ihren Kindern eine Aufnahme in einem Frauenhaus eines anderen Bundeslandes ermöglichen. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass am 1. Jänner 2021 eine zweijährige Pilotphase für die bundesländerübergreifende Aufnahme von Hochrisikoopfern in Frauenhäusern in Kraft trat. In einer Presseaussendung der Pressestelle der zuständigen Bundesministerin im November 2022 wurde versichert, „dass eine bundesländerübergreifende Aufnahme von Hochrisikoopfern in Frauenhäusern gesichert ist“.

Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen im Kampf gegen Gewalt an Frauen

Internationale Organisationen wie die United Nations (UN) oder der Europarat haben Minimalstandards für die Untersuchung und die Prävention von Gewaltverbrechen sowie den Schutz von Opfern definiert. Diese beziehen sich zum Beispiel auf ethische Fragen, Fragen der Vertraulichkeit und Privatsphäre, die Kostenfreiheit von Unterstützungsangeboten oder die Ausbildung von jenen, die mit Opfern von Gewaltverbrechen direkt zu tun haben (IMPRODOVA Bericht 2020, Seite 3). Ein vergleichende Analyse, ob diese Standards erfüllt werden, ist allerdings schwer, weil das Erfassen von Daten oft sehr unterschiedlich erfolgt (IMPRODOVA Bericht 2019, Seite 9). Dabei geht es um Fragen wie:

  • Was wird als Gewalt definiert (physische Gewalt, psychische Gewalt, sexuelle Gewalt etc.)?
  • Wird das Verhältnis von Täter:in und Opfer erfasst?
  • Wie wird das Verhältnis zwischen Täter:innen und Opfer erfasst?
  • Wird der Zusammenhang mit anderen Verbrechen hergestellt?

Dementsprechend gibt es Bemühungen mithilfe wissenschaftlich fundierter Instrumente jene Personen bei der Risikoeinschätzung zu unterstützen, die den Erstkontakt mit Opfern von Gewaltverbrechen herstellen (z. B. VICESSE: Risk Assessment Tools and Case Documentation used by Frontline Responders).

Die Notwendigkeit, bestehende Instrumente weiterzuentwickeln, begründet sich nicht nur aus dem bereits erwähnten Anstieg häuslicher Gewalt im Zuge der Covid-19-Pandemie. Hinzu kommen auch gesetzlich noch nicht umfassend berücksichtigte Entwicklungen wie Cybergewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen.

Im Rahmen eines im April 2021 vom Innenministerium organisierten Sicherheitsgipfels zum Thema Gewaltprävention wurde betont, dass es einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz brauche, um Gewalt an Frauen zu verhindern. Neben den gesetzlichen Regelungen und diversen Begleitmaßnahmen sei demnach vor allem auch eine stärkere Sensibilisierung der österreichischen Bevölkerung für dieses Thema vonnöten. Im selben Jahr einigte sich die Regierung auf ein „Maßnahmenpaket gegen Gewalt an Frauen und Stärkung von Gewaltprävention“, welches ressortübergreifend zusätzliche Mittel für Gewaltschutzeinrichtungen, die Arbeit mit Tätern, den Ausbau von Beratungsleistungen und weitere Projekte zur Verfügung stellt. Am 6. Dezember 2022 luden Frauenministerin, Innenminister, Justizministerin und Sozialminister gemeinsam zu einem Gewaltschutzgipfel ein – mit dem erklärten Ziel, Gewaltprävention und den Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt weiter zu fördern.

Organisationen, die Opfer häuslicher Gewalt unterstützen und sich für deren Rechte einsetzen (Auswahl):

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