COVID-19-Impfpflichtgesetz – COVID-19-IG (4717/SN-164/ME)

Stellungnahme zu Ministerialentwurf

Stellungnahme zu dem Ministerialentwurf betreffend Bundesgesetz über die Impfpflicht gegen COVID-19 (COVID-19-Impfpflichtgesetz – COVID-19-IG)

Bei den Stellungnahmen handelt es sich nicht um die Meinung der Parlaments­direktion, sondern um jene der einbringenden Person bzw. Institution. Mehr Informationen finden Sie in den Nutzungsbedingungen.

Inhalt

Stellungnahme zum Bundesgesetz über die Impfpflicht gegen COVID-19 (COVID-19-Impfpflichtgesetz - COVID-19-IG)

Gemäߧ 1 (1) sind zum Schutz der öffentlichen Gesundheit Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz haben oder über eine Hauptwohnsitzbestätigung gemäß § 19a des Meldegesetzes 1991 (MeldeG), BGBl. Nr. 9/1992, verfügen, und das 18. Lebensjahr vollendet haben, verpflichtet, sich einer Schutzimpfung gegen COVID-19 zu unterziehen.

Anmerkung: Eine Impfpflicht zum Schutz der öffentlichen Gesundheit ist nur dann gerechtfertigt, wenn:

1) Alle gelinderen Maßnahmen ausgeschöpft wurden - - https://bit.ly/3d64Jfu - Das war in Österreich mit Sicherheit nicht der Fall. So wurden bei Weitem nicht alle Anstrengungen unternommen um die Impfquote zu steigern, so wie es die OECD Anfang Mai 2021 empfohlen hat - https://bit.ly/318laWv - Es fehlten von Anfang an Investitionen in proaktive Zugänge und niederschwellige Angebote - https://bit.ly/3I6LGjz - und vertrauensbildende Maßnahmen. So hatte Österreich den höchsten Vertrauensverlustes in die Regierung in allen EU-27-Ländern - https://bit.ly/3D31SP5

2) Österreich verstößt mit der geplanten Impflicht aber auch gegen die im April 2021 getätigte Empfehlung der WHO - https://bit.ly/3Ia2FRV - "Impfstoffe sind wirksam, um Menschen vor schweren Verläufen von COVID-19 zu schützen. Regierungen und/oder institutionelle Entscheidungsträger sollten Argumente verwenden, um eine freiwillige Impfung gegen COVID-19 zu fördern, bevor sie eine obligatorische Impfung in Betracht ziehen. Es sollten Anstrengungen unternommen werden, um den Nutzen und die Sicherheit von Impfstoffen für eine größtmögliche Akzeptanz der Impfung zu kommunizieren. Strengere regulatorische Maßnahmen sollten nur erwogen werden, wenn diese Mittel nicht zum Erfolg führen. Eine Reihe ethischer Überlegungen und Vorbehalte sollten explizit diskutiert und eine ethische Analyse durchgeführt werden, ob eine obligatorische COVID-19-Impfung eine ethisch vertretbare politische Option ist. Ähnlich wie bei anderen Politiken im Bereich der öffentlichen Gesundheit sollten Entscheidungen über obligatorische Impfungen durch die besten verfügbaren Beweise gestützt und von legitimen öffentlichen Gesundheitsbehörden auf transparente, faire und nicht diskriminierende Weise getroffen werden und die Betroffenen einbeziehen / beteiligen."

3) Im Gesetzesentwurf fehlen auch SMARTe (spezifische, messbare, adäquate, erreichbare und mit einem Zeithorizont versehene) Ziele.

Wenn das Ziel die Steigerung der Impfquote ist, dann braucht es wissenschaftliche Belege, dass dies mit einer Impfpflicht gelingt. Aktuell gibt es dazu keine bzw. eher gegenteilige Studienergebnisse - https://go.nature.com/3Eda2WC – Österreich ist bis dato auch das einzige europäische Land das eine Impfpflicht einführen will. Die Impfstrategien der anderen europäischen Länder haben gezeigt, dass es viele andere Möglichkeiten gibt die Impfquote zu steigern.

Wenn das Ziel der Infektionsschutz ist, dann braucht es valide Daten in welchem Ausmaß und wie lange die Impfung die Übertragung reduziert. Die WHO geht aktuell von minus 40 Prozent aus. Aktuell ist eher davon auszugehen, dass SARS-CoV-2 endemisch wird - www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1074761321004040 - also weiterhin global zirkuliert, sowohl unter geimpften als auch unter nicht geimpften Personen.

Wenn das Ziel der Systemschutz ist, dann braucht es hohe Impfquoten in den Risikogruppen. Über 80 Prozent der Patient*innen die wegen COVID-19 intensivmedizinisch versorgt werden müssen sind über 50 Jahre alt und über 80 Prozent sind übergewichtig oder adipös. Für einen wirksamen Systemschutz muss somit vor allem die Impfquote in diesen Bevölkerungsgruppen gesteigert werden. Ob in Österreich ein höherer Anteil von mit SARS-CoV-2 infizierten Personen auf einer Intensivstation landet als in anderen europäischen Ländern, sollte ebenfalls hinterfragt werden. Letztendlich ist auch eine suboptimale Versorgung der COVID-Fälle (über 98% aller offiziellen Fälle) außerhalb der Krankenhäuser mitverantwortlich für eine mögliche Überlastung der stationären Versorgung.

4) Jedes Gesetz muss die Verhältnismäßigkeit beachten. Eine Impfpflicht hat auch unerwünschte Effekte und Nebenwirkungen. Zum Beispiel den Vertrauensverlust in Behörden und Regierung - https://bit.ly/3I4RCcT – aber auch den Vertrauensverlust und Vernachlässigung anderer Impfungen - https://bit.ly/3d2xU34 – den Einfluss auf den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft, etc. Wie wurde eine positive Nutzen-Risiko-Bilanz der geplanten Impfpflicht abgeschätzt und damit gewährleistet, dass mittel- und langfristig die negativen Effekte einer Impfpflicht nicht überwiegen?

5) Bleibt zum Schluss die Frage, ob eine Impfpflicht am Ende des Winters generell eine wissensbasierte und epidemiologisch sinnvolle Entscheidung ist.

In § 4. des geplanten Gesetzes zur Impfpflicht wird der Umfang der Impfpflicht für verschiedene Szenarien – nicht, einfach, zweifach geimpft, genesen, genesen und geimpft, etc. – und die damit verbundenen Zeiträume dargestellt.

Wie wissensbasiert sind diese Angaben? Gibt es für alle skizzierten Szenarien eine wissenschaftliche Begründung? Gilt diese Begründung für alle zugelassenen Impfstoffe, Altersgruppen, Risikogruppen, etc. in gleichem Ausmaß, unabhängig vom Immunstatus, also auch unabhängig von der Höhe der neutralisierenden Antikörper?

Auf welcher Evidenzbasis wurde festgestellt, dass gesunde Menschen ein epidemiologisches Risiko, oder ein Systemrisiko darstellen? Auf welcher Evidenzbasis wurde festgestellt, dass genesene Personen mit einem hohen Titer an neutralisierenden Antikörpern, z.B. über 500/1.000 BAU/ml ein epidemiologisches Risiko, oder ein Systemrisiko darstellen?

Wurden bei der Erstellung des Gesetzesentwurfs die aktuellsten Studienergebnisse zur Wirksamkeit von Impfungen, der Wirksamkeit von 3. und 4. Impfungen, der Einfluss von neuen Virusvarianten (z.B. Omikron) auf die Wirksamkeit von Impfungen berücksichtigt?

Wurden bei der Erstellung des Gesetzesentwurfs die aktuellsten Studienergebnisse zur Re-Infektionsrate von genesenen Personen, deren Risiko für schwere Verläufe berücksichtigt?

Wurden bei der Erstellung des Gesetzesentwurfs die aktuellsten Studienergebnisse zum Nutzen-Risikoprofil der Impfungen bei gesunden 14- bis 30-Jährigen Personen, insbesondere Männern berücksichtigt?

Evidenzbasierung stellt auch im öffentlichen Gesundheitswesen eine zentrale Anforderung dar. Fünf allgemeine Prinzipien gelten in der evidenzbasierten Medizin wie auch in der evidenzbasierten Public Health (EBPH) - https://bit.ly/3I9X8La

"Insbesondere muss die Wirksamkeit von Public-Health-Maßnahmen auf Bevölkerungsebene und unter Alltagsbedingungen sorgfältig beleuchtet werden. Außerdem sollten potenziell negative Auswirkungen möglichst gering ausfallen, denn auch Public-Health-Maßnahmen können eine Vielzahl von nichtintendierten Folgen, die positiv oder negativ ausfallen können, haben. Analog zur Evidenzbasierten Medizin (EBM) sind also Wirksamkeit und Sicherheit von Bedeutung, der Nachweis eines Nettonutzens (d. h. Nutzen > Schaden) einer Maßnahme ist somit eine wichtige Voraussetzung für eine evidenzbasierte Public Health (EBPH). Darüber hinaus betreffen Public-Health-Maßnahmen große Bevölkerungsgruppen und diverse Lebensbereiche und können unter Umständen individuelle Freiheiten beschneiden, weshalb die Schaden-Nutzen-Abwägung noch umfassender verstanden werden muss als in der EBM."

Die fünf STIIP-Prinzipien von EBPH sind Systematik (S), Transparenz und Umgang mit Unsicherheit (T), Integration und Partizipation (I), Umgang mit Interessenkonflikten (I) und strukturierter, reflektierter Prozess (P).

Die Fragen lauten somit: Wie evidenzbasiert ist die Entscheidung für eine Impflicht? Wie wurde der Nachweis eines Nettonutzens (d. h. Nutzen > Schaden) erbracht? Wie wurde mit Unsicherheit umgegangen? Wie erfolgte die Partizipation der betroffenen Bevölkerung? Wie wurde mit Interessenkonflikten umgegangen? Wie transparent, strukturiert ist und war der Entscheidungsfindungsprozess?

Mit freundlichen Grüßen – Martin Sprenger
Arzt und Gesundheitswissenschaftler, Graz

Stellungnahme von

Sprenger, Martin

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