Parlamentskorrespondenz Nr. 380 vom 21.06.2000

KONTROVERSIELLE GEWERBEORDNUNGSDEBATTE IM WIRTSCHAFTSAUSSCHUSS

SP-Minderheitsbericht zu EU-Anpassungen im Anlagenrecht

Wien (PK) - Im weiteren Verlauf seiner Sitzung nahm der Ausschuss die am 24. Mai vertagten Verhandlungen über den V-F-Antrag zur Anpassung der Gewerbeordnung an EU-Richtlinien und den diesbezüglichen Entschließungsantrag der Grünen wieder auf. Außerdem reagierten die Abgeordneten KOPF (V) und HAIGERMOSER (F) auf die Aufhebung der Einkaufszentrenverordnung durch den Verfassungsgerichtshof und unterbreiteten mit einem Abänderungsantrag Vorschläge für einen verfassungskonformen Schutz der Nahversorgung, die teilweise auch bei SPÖ und Grünen positive Reaktionen hervorriefen.

Gänzlich negativ blieb aber die Einschätzung der Opposition hinsichtlich der von den Koalitionsparteien beantragten Umsetzung der EU-Richtlinien zur integrierten Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen und die Begrenzung von Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen, die bei bestimmten Tätigkeiten und in bestimmten Anlagen bei der Verwendung organischer Lösungsmittel entstehen (IPPC und Seveso II).

Die vehemente Kritik, mit der Abgeordneter EDER (S) die Debatte einleitete, richtete sich zunächst gegen die unrichtige und unvollständige Umsetzung der beiden EU-Richtlinien. Land- und forstwirtschaftliche Anlagen blieben ausgenommen und die Bestimmungen zur Verhütung schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen werde nur für gewerbliche Anlagen umgesetzt. Verfassungsrechtliche Bedenken äusserte der Abgeordnete gegen die Absicht, bestehende Schutzstandards abzusenken und die Rechte der Bürger durch die Abschaffung von Parteienrechten zu schmälern.

Durch die Einführung eines weiteren Verfahrenstyps in der Gewerbeordnung und das Konzept der Mitanwendung sämtlicher Rechtsvorschriften einschließlich des Denkmalschutzes werde keine Verfahrenskonzentration erreicht, aber die Interessen jener beeinträchtigt, die durch diese Rechtsvorschriften geschützt werden sollen. Das Anlagenrecht werde drastisch zersplittert und verkompliziert. Schwammige Begriffsbestimmungen sowie Doppelgleisigkeiten mit dem Luftreinhaltegesetz-Kesselanlagen und dem Abfallwirtschaftsgesetz werden nach Meinung Eders zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit und zu unklaren Zuständigkeiten innerhalb einer Betriebsanlage führen.

Die Aufhebung der Störfallverordnung und die Anhebung bislang niedriger Schwellenwerte bringe eine Verschlechterung bestehender Umweltstandards mit sich. Abgeordneter Eder warnte insbesondere davor, die Schwellen für explosionsgefährliche Stoffe von bisher einer Tonne auf 50 bzw. 200 Tonnen und die Mengenschwellen für leichtentzündliche Flüssigkeiten von 50 bzw. 300 Tonnen auf 5.000 bzw. 50.000 Tonnen anzuheben. Der Entwurf der Regierungsparteien führe auch dazu, dass das krebserregende Methylenchlorid nicht mehr erfasst und Salzsäure nicht mehr als gefährlicher Stoff gelten würde. Schließlich kündigte Abgeordneter Eder einen Minderheitsbericht seiner Fraktion zu dieser Änderung der Gewerbeordnung an.

Abgeordneter KOPF (V) bezeichnete die integrierte Betrachtung des Umweltschutzes als eine wichtigen Neuerung im Anlagenrecht, da einzelne Grenzwerte kontraproduktiv sein können, etwa dann, wenn ihre Erfüllung zu übermässigem Energieeinsatz führe. Daher sei der integrierte Ansatz sowohl aus ökologischer als auch aus ökonomischer Sicht vorzuziehen. Dem folge auch die neue Definition für den "Stand der Technik". Bedauerlicherweise sei es nicht gelungen, diese integrierte Betrachtung auch in den Materiengesetzen zu berücksichtigen.

Die Novelle bringe auch einen weiteren Schritt in Richtung One-Stop-Shop, zumindest was Bundesgesetze anlange. In diesem Zusammenhang würdigte Kopf, dass viele Bundesländer in der Konzentration des Anlagenrechts schon weit fortgeschritten seien.

Abgeordneter HAIGERMOSER (F) sprach von einem vorbildhaften Entwurf mit unbürokratischen und zielführenden Bestimmungen zur Gefahrenverhütung.

Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG (G) zeigte sich höchst unzufrieden und klagte über die Nichtumsetzung der Richtlinien, während die Regierungsparteien gleichzeitig bereit seien, ökologisch Bedenkliches zu übernehmen. Gegen die Vorlage der Bestimmungen zur Energieeffizienz in einem einfachen Gesetz sprechen auch verfassungsrechtlich Gründe, hielt Glawischnig fest. Darüberhinaus wandte sie sich gegen die Nichtumsetzung der Seveso II-Richtlinie im Bereich der Massentierhaltung und klagte über Defizite bei der Spanplattenerzeugung und im Schieß- und Sprengmittelbereich, eine Gefahrenquelle der ein spezieller Entschließungsantrag der Grünen galt. Verbesserungsbedürftig seien auch die Bestimmungen hinsichtlich Transparenz und Öffentlichkeit. 

Abgeordneter KIERMAIER (S) sah die Vereinheitlichung der Genehmigungsverfahren positiv, kritisierte aber die Abschaffung der Gefahrenpläne, da sie etwa bei Feuerwehreinsätzen unerlässlich seien.

Bundesminister Dr. BARTENSTEIN skizzierte seinen Dreistufen-Plan zur weiteren Modernisierung des Anlagenrechts, zu der mit dem heutigen Beschluss ein erster Schritt gesetzt werde. Zweitens werde ein Anlagenverfahrensgesetz mit einer Konzentration auf der Ebene der Bezirksbehörden zu beschließen sein. Ein einheitliches Anlagenrecht setze zudem Rechtsbereinigungen beim "Stand der Technik" in mehreren Materiengesetzen voraus.

Die Frage nach der Aufhebung der Störfallverordnung beantwortete der Minister mit dem Hinweis auf den speziellen Charakter der Seveso-Richtlinie, die auf Anlagen abstelle und nicht auf Störfälle. 

Abgeordneter Dr. STUMMVOLL (V) lenkte dann die Debatte mit einem V-F-Abänderungsantrag auf das Thema Nahversorgung. Die Landeshauptleute werden ermächtigt, Verordnungen mit den Kenngrössen und Beurteilungsmaßstäben für Einkaufszentren mit einer Gesamtverkaufsfläche von mehr als 800 m2 zu erlassen, die erhebliche Nachteile für die bestehende Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern des kurzfristigen und des täglichen Bedarfs im Einzugsgebiet mit sich bringen. Stadt und Ortskerne sind von der EKZ-Verordnung ausdrücklich ausgenommen.

Mit diesen Bestimmungen gelingt es laut Stummvoll, schutzwürdige Nahversorgung mit der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu vereinbaren. In einer Ausschussfeststellung präzisierten die Antragsteller zudem, was in jedem Fall zu den Konsumgütern des kurzfristigen und des täglichen Bedarfs zähle: Lebensmittel, Drogeriefachmarktartikel, Zeitungen und Zeitschriften, Papier und Schreibwaren, Zimmerpflanzen und Schnittblumen, Photoverbrauchsmaterial, elektrotechnische Ersatzteile und Zubehör sowie Textilien, wie insbesondere Bekleidung, soweit sie nach Art und Preis Verbrauchsgütercharakter haben.

Abgeordnete Mag. KUBITSCHEK (S) sah die Einschränkung der Warenliste auf Güter des täglichen Bedarfs als positiv an. Ihre Kritik galt der Übertragung der Verantwortung für die Einkaufszentren an die Landeshauptleute. Es könne nicht sinnvoll sein, neun Beurteilungsmassstäbe einzuführen und den Standortwettbewerb zwischen den Bundesländern zu verschärfen, dies führe auch zu einer Erhöhung der Kosten für Projektwerber.

Abgeordnete Dr. MOSER (G) vertrat den Antrag ihrer Fraktion, der Nahversorgung eine Chance zu geben, indem man die Einkaufszentren mit einer Verkehrserregerabgabe die Kosten bezahlen lässt, die sie hervorrufen.

Abgeordneter HAIGERMOSER (F) bekannte sich zu einer ganzheitlichen Sicht des Problems Nahversorgung und würdigte die Definition der Orts- und Stadtkerne im Abänderungsantrag, da es darum gehe, die Einkaufszentren von der grünen Wiese, "wo der Steuerzahler den Multis die Infrastruktur zahlt", in die Ortskerne der Dörfer, Märkte und Städte zu führen, wo der Handel eine zentrale Funktion der europäischen Gesellschaft darstelle. Einmal mehr wies Haigermoser darauf hin, dass jeder Arbeitsplatz, der in EKZ auf der "grünen Wiese" geschaffen werde, vier Arbeitsplätze vernichte.

Bundesminister Dr. BARTENSTEIN erinnerte an die Aufhebung der Einkaufszentrenverordnung durch den Verfassungsgerichtshof und begrüßte den Abänderungsantrag. Die Prüfung von Dienstleistungen und der Arbeitsplatzrelevanz habe sich als nicht praktikabel erwiesen habe. Es sei richtig, nun auf die Güter des täglichen Bedarfs und auf die Verkaufsfläche abstellen, da auch die Geschossflächenbestimmung nicht praktikabel gewesen sei. Die Verländerung werde vom Verfassungsgerichtshof nahe gelegt.

Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG (G) kündigte an, die die Einkaufszentrenverordnung betreffende Abänderung mangels ausreichender Prüfungsmöglichkeit im Ausschuss abzulehnen, behielt sich aber vor, ihr im Plenum zuzustimmen.

Bei der Abstimmung wurde die Änderung der Gewerbeordnung unter Berücksichtigung des V-F-Abänderungsantrages mit F-V-Mehrheit angenommen. Der Entschließungsantrag der Grünen blieb in der Minderheit der Antragsteller. Ausschussentschließungen erzielten die Mehrheit der Regierungsparteien. Der Entschließungsantrag der Grünen zur Sicherung der Nahversorgung wurde abgelehnt.

MEHR GELD FÜR KLEINE UND MITTLERE BETRIEBE

Eine Änderung des KMU-Förderungsgesetzes beantragten die Abgeordneten HAIGERMOSER (F) und Dr. PUTTINGER (V). Sie forderten, die 10 Mill. S-Obergrenze für die BÜRGES Förderungsbank GmbH bei Garantien mit Bundesausfallshaftung an die der Österreichischen Hotel- und Tourismusbank GmbH (ÖHT) anzupassen, also auf 25 Mill. S anheben. Die ÖHT wiederum soll mit anderen Kreditinstituten bei der Anwendung der Bundeshaftung gleich gestellt werden. Auch sie soll Garantien und geförderte Finanzierungen kombinieren können. Schließlich werden durch diesen Antrag die Schillingbeträge im Gesetzestext durch Eurobeträge ersetzt. - Der Beschluss erfolgte nach einer zustimmenden Wortmeldung des Abgeordneten PARNIGONI (S) einstimmig.

ÄNDERUNGEN IM BEREICH DER JUGENDAUSBILDUNG

Schließlich unterbreiteten die Abgeordneten Dr. PUTTINGER (V) und HAIGERMOSER (F) einen Antrag mit verbesserten Rahmenbedingungen für die Vorlehre. Sie schlugen Änderungen im Berufsausbildungsgesetz, im Jugendausbildungs-Sicherungsgesetz, im Familienlastenausgleichsgesetz und im Bundesgesetz über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen vor, die darauf abzielen, beim Übergang von der Vorlehre zur Lehrausbildung Lehrgänge anzurechnen und die Lehrgangsteilnehmer schul- und sozialrechtlich den Lehrlingen gleichzustellen. Weiters geht es um Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche des Schulabgangsjahrganges 2000, die keine Lehrstelle finden. Für sie sollen die Geltung des Jugendausbildungs-Sicherungsgesetzes bis Ende 2003 erstreckt werden. Im inhaltlichen Zusammenhang mit diesem Antrag brachten die Abgeordneten Dr. PUTTINGER (V) und HAIGERMOSER (F) einen § 27-Antrag ein, mit dem die Beschäftigungsmöglichkeit für Lehrlinge im Gastgewerbe bis 23 Uhr ausgedehnt wird. - Beide Anträge wurden mit den Stimmen der Koalitionsparteien verabschiedet.

Abgeordneter RIEPL (S) sah lediglich Vorteile für Lehrberechtigte, aber viele Nachteile für Jugendliche und die Gefahr, dass Jugendliche, die die Voraussetzungen für eine Lehre erfüllen, in die Vorlehre abgedrängt werden. Ausserdem kritisierte der Abgeordnete die Absicht, die Ausbildungsstiftungen auslaufen zu lassen. Die SPÖ könne diesem Antrag nicht zustimmen.

Abgeordneter Dr. TRINKL (V) machte auf die Notwendigkeit aufmerksam, die Lehrlingsstiftungen finanziell abzusichern und die Voraussetzungen für die Einrichtung neuer Lehrgänge im Rahmen der Vorlehre zu schaffen, sowie die Rahmenbedingungen für die Vorlehre zu verbessern, um dafür zu sorgen, dass dieses Instrument für Schulabgänger verstärkt eingesetzt werden kann.

Abgeordneter DOLINSCHEK (F) widersprach Riepl und meinte, der Antrag bringe nicht nur Verschlechterungen, sondern auch Vorteile für die Lehrlinge. Die Verbesserungen bei der Vorlehre seien ein Schritt in die richtige Richtung und auch die Ausdehnung der Beschäftigungsmöglichkeit von Jugendlichen über 16 Jahren bis 23 Uhr sei richtig.

Abgeordneter Dr. MITTERLEHNER (V) begründete die Änderungen damit, dass die Lehrlingsausbildung nicht mehr marktkonform sei, sondern durch Förderungen gewährleistet wurde. Die Verlängerung der Probezeit und die 23 Uhr-Regelung im Gastgewerbe seien wichtige emotionale Hemmnisse in der Wirtschaft, Lehrlinge einzustellen. Die vorgeschlagenen Änderungen seien Schritte in Richtung mehr Praxisnähe, sie werden die freiwillige Beschäftigung von Lehrlingen fördern, zeigte sich der Redner überzeugt.

Bundesminister Dr. BARTENSTEIN bekannte sich dazu, jedem lernwilligen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu geben und prognostizierte, dass es im Herbst mehr Lehrstellen als Lehrstellensuchende geben werde. Die Stiftungen werden für jene Jugendliche, die dort ausgebildet werden, zu Ende geführt, laufen dann aber aus. Der Minister sprach sich auch für bessere Chancen für die Vorlehre aus, die notwendig sei, da die Qualifikationen der Schulabgänger nicht einheitlich seien. Manche können mit Akademikern und Maturanten mithalten, Schwächere brauchen die Vorlehre, um einen Weg in die Arbeitswelt zu finden. Die Ausdehnung der Ausbildungszeit bis 23 Uhr rechtfertigte der Bundesminister damit, dass sich die Ausbildung der Lehrlinge an der Arbeitszeit in ihrem Unternehmen zu orientieren habe.

Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG (G) begründete die Ablehnung ihrer Fraktion mit Bedenken gegenüber der Vorlehre und an den neuen Bestimmungen über die Anrechnung der Ausbildungszeit.

Abgeordneter HAIGERMOSER (F) unterstrich die enorme Bedeutung des dualen Ausbildungssystems für den Wirtschaftsstandort Österreich und sprach sich für die Vorlehre als ein wichtiges Ausbildungsangebot für schwächere Schulabgänger aus. Die Kritik der Sozialdemokraten und der Grünen sei für ihn nicht nachvollziehbar.

Schließlich versuchte Wirtschaftsminister Dr. BARTENSTEIN, die wiederholt ins Treffen geführten Bedenken des Abgeordneten RIEPL (S), die neuen Bestimmungen würden dazu führen, dass Lehrlinge in die Vorlehre abgedrängt werden, zu zerstreuen, indem er zusagte, die Auswirkungen der neuen Bestimmungen genau zu beobachten und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen.

Eine Patentrechts- und Gebührennovelle 2000 mit EU-Anpassungen, einer Neuordnung der Patentgebühren und der Umbenennung des Österreichischen Patentamts in "Österreichisches Patent-, Marken- und Musteramt" wurde auf Anregung von Ausschussobmann Dr. PUTTINGER einstimmig von der Tagesordnung abgesetzt, um ein in der Sache Patentrecht anhängiges europäisches Verfahren abzuwarten. (Schluss)