Parlamentskorrespondenz Nr. 536 vom 03.07.2003

ZUKUNFTSKOMMISSION SOLL QUALITÄT DER SCHULEN NACHHALTIG SICHERN

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Wien (PK) - Eine Aktuelle Aussprache mit Bundesministerin Elisabeth Gehrer zum Thema "Die PISA-Studie und die Tätigkeit der Zukunftskommission" stand heute im Mittelpunkt des Unterrichtsausschusses. Eingeladen dazu war der Salzburger Bildungsforscher und Leiter des österreichischen PISA-Zentrums Univ. Prof. DDr. Günther Haider als Experte. Er steht der vierköpfigen Steuerungsgruppe der Zukunftskommission vor, der neben ihm Christiane Spiel, Vorstand der Abteilung für Bildungspsychologie und Evaluation am Institut für Psychologie der Universität Wien, der Bildungsforscher Ferdinand Eder von der Universität Linz und Werner Specht von der Universität Salzburg und Leiter des Bereichs Evaluation und Schulforschung am Zentrum für Schulentwicklung in Graz angehören.

VIRTUELLE PLATTFORM SOLL UMFASSENDEN DISKUSSIONSPROZESS IN GANG SETZEN

Wie Bundesministerin Elisabeth Gehrer erläuterte, soll am 4. Oktober dieses Jahres im Rahmen einer Startveranstaltung eine breite Diskussion in Gang gesetzt werden. Als Zielvorgabe für die Zukunftskommission nannte sie die Entwicklung eines nationalen Qualitätsmanagementsystems, eine Qualitätsoffensive im Unterricht, eine Stärkung der pädagogischen Aufgaben und die Entwicklung von Steuerungsstrategien, wonach eine Output-Messung im Vordergrund stehen solle und nicht eine Input-Messung. Die Einrichtung der Zukunftskommission sei eine Folge der bisherigen Bemühungen, die Qualität an den Schulen weiterzuentwickeln und an allen Schulen sicherzustellen. Man beabsichtige damit auch, aus internationalen Studien Konsequenzen zu ziehen, neue Unterrichtsmethoden zu untersuchen und umzusetzen, wobei vor allem die Kompetenz der Aufgabenlösung und das vernetzte Denken bei den SchülerInnen im Mittelpunkt stehe.

Als wichtigen ersten Schritt bezeichnete die Ministerin, Leistungsstandards festzulegen, wobei man diskutieren müsse, ob dies Mindest- oder Durchschnittsstandards sein sollen und welche Rückwirkung dies wiederum auf die Lehrpläne und auf die Ausbildung der LehrerInnen haben werde. Das Leitungsteam fange nicht von null an, sondern könne auf zahlreiche Unterlagen für die Formulierung von Leistungsstandards aufbauen. Ihr, Gehrer, gehe es darum, aus dem Qualitätsmanagement einen Prozess in der Schule in Gang zu setzen. Die Zukunftskommission solle daher möglichst viele mit einbinden, weshalb man auch nach der Methoden der offenen Planung vorgehe. Das bedeute, dass man durch eine "virtuelle Plattform" - Gehrer verwendete auch den Begriff der "virtuellen Schulreformkommission" -  eine breite Diskussion initiieren wolle.

BILDUNGSEXPERTE HAIDER: SCHWERPUNKT IST DIE VERBESSERUNG DES UNTERRICHTS UND NICHT DER SCHULORGANISATION

Der Bildungsforscher Günther Haider schloss daran an und unterstrich, dass sich die Zukunftskommission insbesondere mit der Qualität und der Qualitätsentwicklung auseinandersetzen werde, wobei man den Schwerpunkt auf die Verbesserung des Unterrichts legen werde. 80 % der Qualitätsverbesserung seien, so Haider, dadurch erreichbar, wobei man insbesondere in der Lehrerbildung ansetzen müsse. Nur 20 % an Verbesserungen, schätzt er, könnten durch organisatorische Maßnahmen erreicht werden. Besonderes Augenmerk werde der Vorbereitung auf ein lebenslanges Lernen und einem gesicherten und verstehenden Lesevermögen geschenkt werden, denn ohne dieses sei kein selbständiger Bildungserwerb möglich. Lebenslanges Lernen könne aber nicht verbal vermittelt werden, sondern nur durch die Art des Unterrichts und die Erfahrungen durch den Unterricht.

Nach den Ausführungen Haiders zielt die Arbeit der Zukunftskommission auf ein Gesamtkonzept ab, was nur langfristig umgesetzt werden könne, kurzfristige Auswirkungen könnte aber die Umsetzung des Qualitätsmanagements haben. Als langfristiges Projekt bezeichnete der Experte die Hinwendung zur Rechenschaftsorientierung sowie die Realisierung einer verstärkten Autonomie, da heute vielfach Schwierigkeiten zu beobachten seien, mit den vorhandenen Spielräumen umzugehen. Als Eckpunkte der Arbeit der Zukunftskommission nannte Haider eine Qualitätsprüfungskomponente und Qualitätsentwicklungskomponente.

ABGEORDNETE SETZEN HOHE ERWARTUNGEN IN DIE ZUKUNFTSKOMMISSION

An diese beiden Statements schloss sich eine ausführliche Diskussion der Abgeordneten an, wobei nicht nur zahlreiche und ins Detail gehende Fragen gestellt wurden, sondern auch auf Grund der vielen Anmerkungen und Anregungen deutlich wurde, welch weit reichende Erwartungen in die Arbeit der Zukunftskommission gesetzt werden. Der Ausschussvorsitzende Werner Amon (V) warnte daher auch seine KollegInnen davor, die Latte zu hoch zu legen.

In den einzelnen Wortmeldungen zeigten sich dann die unterschiedlichen Gewichtungen, die Opposition und Regierungsfraktionen vornahmen. Aus den Äußerungen der Abgeordneten von SPÖ und Grünen war die Meinung herauszuhören, dass organisatorische Maßnahmen durchaus einen stärkeren Einfluss auf die Qualität und den Output des Unterrichts nehmen könnten.

So wies Abgeordnete Andrea Kuntzl (S) auf eine Studie des Instituts für Familienforschung hin, die zu dem Ergebnis gekommen war, dass das österreichische Schulsystem eine stark selektierende Wirkung hat. Ihr Klubkollege Erwin Niederwieser bemerkte, dass die PISA-Studie durchaus den Schluss zulasse, in ganztägigen Schulformen seien die Leistungsunterschiede geringer. Auch Abgeordnete Beate Schasching (S) meinte, dass man anhand des positiven finnischen Beispiels, wo es die Form der Gesamtschule gebe, nicht um organisatorische Fragen herumkomme.

Ähnlich argumentierten die Abgeordneten der Grünen, Dietmar Brosz und Michaela Sburny. Brosz machte deutlich, dass in ganztägigen Schulformen die Struktur der Lern- und Ruhephasen völlig anders aufgebaut seien und man nicht davon ausgehen könne, dass vormittags Unterricht und nachmittags reine Betreuung stattfände. Daher seien Ganztagsschulen auf freiwilliger Basis auch gar nicht möglich. Dem widersprach Abgeordnete Mares Rossmann (F), indem sie ganztägige Schulformen auf freiwilliger Basis mit genau abgegrenzten Vormittagsunterricht und Betreuung und Freizeit am Nachmittag favorisierte.

Als wichtiges Ziel einer Reform bezeichnete es Brosz, vor allem Kinder aus bildungsfernen Schichten zu fördern, und hier müsse man auch bei der Organisation ansetzen. Michaela Sburny griff die Gender-Aspekte heraus, die ebenfalls die Schulorganisation beträfen. So seien beispielsweise in getrennten Klassen die Leistungen der Mädchen in naturwissenschaftlichen Fächern besser als in koedukativen Klassen. Ihrer Auffassung nach müsste man daher Rahmenbedingungen schaffen, wo SchülerInnen das Lernen Spaß macht.

Dagegen warf Abgeordneter Werner Amon (V) ein, dass die PISA-Studie zum Ausdruck gebracht habe, nicht die äußere Organisation sei für die Qualität einer Schule entscheidend, sondern der Unterricht. Es gehe daher darum, das relativ gute Schulsystem in Österreich weiterzuentwickeln. Amon sprach sich auch für die Stärkung der Autonomie an den Schulen aus, wobei man danach trachten müsse, dass Abschlüsse vergleichbar bleiben. Dazu ergänzte Abgeordneter Niederwieser, dass man die inhaltliche Arbeit und die organisatorische Selbständigkeit besser koordinieren müsse.

Abgeordneter Niederwieser thematisierte weiters das berufsbildende Schulwesen, das sich in einer Umbruchsphase durch die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt befinde, und stellte die Frage in den Raum, ob die derzeitige starke Spezialisierung der richtige Weg sei. Die Probleme der berufsbildenden Schulen wurden auch von Abgeordneter Mares Rossmann (F) angesprochen, die die starken Rückgänge im Hinblick auf den Facharbeitermangel als Besorgnis erregend ansah und anregte, die BerufsschullehrerInnen nach einiger Zeit wieder in die Praxis zu schicken, damit diese auf dem neuesten Stand blieben.

Rossmann setzte darüber hinaus in die Zukunftskommission die Erwartung, Tabus anzusprechen, dem sich Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (S) insofern anschloss als sie meinte, dass auch die Pragmatisierung Thema der Diskussion sein müsse. Ihrer Ansicht nach ist es auch erforderlich, über die Angleichung der Ausbildung aller LehrerInnen nachzudenken und die Praxis während des Studiums zu erhöhen. Abgeordnete Gertrude Brinek (V) unterstrich die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens, Abgeordneter Franz Riepl (S) und Abgeordnete Silvia Fuhrmann (V) wiederum traten dafür ein, die Schulpartnerschaft stärker in die Diskussion miteinzubeziehen.

Der Experte Günther Haider unterstrich in seiner Beantwortung nochmals die Notwendigkeit einer größeren Autonomie, die in der Unterteilung des Lehrplanes in einen Kernstoff und in erweiterte Stoffgebiete zum Ausdruck gebracht werde. Die Zukunft des Unterrichts liege seiner Meinung nach nicht in der jetzigen zeitlichen Vorgabe von 8 bis 14 Uhr mit dazwischen liegenden Pausen, da dieser "Stakkato-Unterricht" den Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie widerspreche. Er denke vielmehr in Richtung Zusammenziehung von Stunden, Projektunterricht und Jahresarbeitszeit.

Was die leseschwachen SchülerInnen betreffe, so liege der Prozentsatz in allen EU-Staaten durchschnittlich gleich zwischen 15 und 18 % und daher könne man nicht den Schluss ziehen, ganztägige Schulformen würden hier eine Verbesserung bringen. Alle vergleichenden Studien zeigten, dass rasche Lösungen unmöglich seien; das Problem dabei sei, wie man den Förderunterricht an die Gruppe der lern- und leseschwachen SchülerInnen besser heranbringe. Das Angebot an Ganztagsschulen werde das Problem sicherlich nicht lösen. Man könne auch nicht davon ausgehen, dass schwächere SchülerInnen von vornherein von offenen Lernformen profitierten. Diese fühlten sich oft besser in einem strukturierteren Unterricht. Das finnische Beispiel könne man auf Grund der unterschiedlichen Gegebenheiten nicht auf Österreich übertragen, sagte Haider. Jedenfalls werde die Zukunftskommission sich auch nicht davor scheuen, Tabu-Themen anzusprechen. (Schluss)