Parlamentskorrespondenz Nr. 736 vom 14.10.2003

HAUPTAUSSCHUSS DISKUTIERT THEMEN DES KOMMENDEN EUROPÄISCHEN RATS

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Wien (PK) - Der kommende Europäische Rat am 16. und 17. Oktober 2003 stand heute im Mittelpunkt des Hauptausschusses des Nationalrates. Zentrale Punkte der Diskussion betrafen Fragen der Regierungskonferenz zur Erarbeitung einer europäischen Verfassung sowie die von der italienischen Präsidentschaft forcierte Wachstumsinitiative. Ein Antrag auf Stellungnahme der SPÖ zu einer EU-weiten Volksabstimmung und je einer von SPÖ und Grünen zur EU-Wachstumsinitiative fanden nicht die erforderliche Mehrheit.

SCHÜSSEL: MASSVOLLE ÄNDERUNGEN DES KONVENTSENTWURFS ANSTREBEN

SP-ANTRAG AUF EU-WEITE VOLKSABSTIMMUNG ABGELEHNT

Zum Thema Regierungskonferenz berichteten Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Außenministerin Benita Ferrero-Waldner, dass sich eine große Gruppe von Ländern der österreichischen Position - für jedes Land einen stimmberechtigten Kommissar - angeschlossen habe. Auch der österreichische Vorschlag einer Teampräsidentschaft auf zwei Jahre habe an Boden gewinnen können. Gefallen sei bereits gestern der Legislativrat, und das sei für Österreich ein wichtiger Punkt, denn dieser hätte die verfassungsmäßige Ministerverantwortung ausgehöhlt.

Generell seien auch von anderen Staaten interessante Akzente zu verschiedenen Themen in die Diskussion eingebracht worden, die auf eine maßvolle Änderung hinauslaufen. Die Opposition warnte dem gegenüber, die positiven Ergebnisse des Konventsentwurfes nicht zu gefährden. So unterstrich Abgeordneter Caspar Einem (S), dass der Verfassungsentwurf des Konvents unter anderem mehr Demokratie und mehr Rechte für den Einzelnen bringe, und dass daher die SPÖ darauf bedacht sei, das umzusetzen, was auf Grund des Entwurfes heute möglich sei. Bevor das gesamte Projekt scheitere, sollte man den Konventsentwurf 1:1 umsetzen, sagte Einem. Seitens der Grünen stellte Abgeordneter Peter Pilz die Frage, wie man damit umgehen werde, wenn andere Länder den Kompromiss mit Wünschen aufmachen, die den österreichischen Interessen diametral entgegen stehen. Schließlich hätten andere Länder die gleichen Rechte wie Österreich und man müsse sich daher klar äußern, ob man eventuell bereit sei, die ganze Sache scheitern zu lassen.

Bundeskanzler Schüssel bekräftigte daraufhin, dass man den Konventsentwurf keinesfalls zum Scheitern bringen wolle. Die Intention sei, die erstklassige Ausgangslage, die der Konvent geschaffen habe, zu verbessern, und er zeigte sich zuversichtlich, dass dies auch gelingen werde, wenn auch nicht in allen Punkten.

Im Zusammenhang mit dem Thema Regierungskonferenz wurde von der SPÖ ein Antrag auf Stellungnahme betreffend das Instrument einer EU-weiten Volksabstimmung eingebracht. Dieser wurde bei der Abstimmung von den Koalitionsparteien abgelehnt und fand somit nicht die erforderliche Mehrheit.

SPÖ WILL FLEXIBLE HANDHABUNG DES STABILITÄTSPAKTES

GRÜNE BEFÜRCHTEN AUSHÖHLUNG ÖKOLOGISCHER STANDARDS

Sowohl die Grünen als auch die SPÖ legten jeweils einen Antrag auf Stellungnahme zur geplanten Europäischen Wachstumsinitiative vor. Diese sieht vor, wie der Bundeskanzler berichtete, die Gesamtinvestitionen in die Transeuropäischen Netze sowie in wichtige F&E-Vorhaben zu erhöhen, wobei der Privatsektor gestärkt werden soll. Beide Anträge wurden jeweils nur von der eigenen Fraktion unterstützt und blieben somit ebenfalls in der Minderheit.

Im Gegensatz zu den Grünen begrüßte die SPÖ die vorliegende Initiative vor allem im Hinblick auf die positiven Auswirkungen auf den österreichischen Arbeitsmarkt. Sie ersucht aber gleichzeitig die Bundesregierung, für eine "intelligente und flexible Handhabung des Stabilitätspaktes einzutreten", um Investitionen ausreichend Spielraum einzuräumen. Dies war der Anknüpfungspunkt für die beiden Regierungsfraktionen, den Antrag abzulehnen, da dies, wie Klubobmann Wilhelm Molterer ausführte, nicht dem ÖVP-Verständnis des Stabilitätspaktes entspreche, nämlich eventuell mehr Schulden machen zu wollen. Auch Abgeordneter Fasslabend (V) hielt fest, dass es nicht Aufgabe des Hauptausschusses sein könne, den Stabilitätspakt aufzuweichen.

Die Grünen wiederum wollen der Wachstumsinitiative solange nicht zustimmen, solange nicht gesichert ist, dass bei geplanten Verkehrs- und Energieinfrastrukturen Erfordernisse des Umweltschutzes, der nachhaltigen Entwicklung sowie der Arbeitsplatzschaffung dem wirtschaftlichen Wachstum gleichgestellt werden. Da das vorliegende Papier der italienischen Präsidentschaft ausführt, es sollen technische, gesetzliche und verwaltungstechnische Hindernisse beseitigt werden, befürchten die Grünen, dass bestehende Konventionen und Gesetze zur Nachhaltigkeit, wie die Alpenkonvention und andere Maßnahmen zum Umweltschutz ausgehöhlt werden könnten. Alles auszuräumen, um schneller bauen zu können, sei der falsche Weg, sagte Abgeordnete Evelin Lichtenberger (G), und ihr Klubkollege Peter Pilz bekräftigte, dass man soziale und ökologische Voraussetzungen für Infrastrukturinvestitionen verbindlich und nicht nur begleitend vorzusehen habe.

Dem hielten Abgeordnete der ÖVP (Wilhelm Molterer und Roderich Regler) entgegen, dass der Antrag hieße, den Ausbau der transeuropäischen Netze zu verzögern. Werner Fasslabend (V) meinte, dass es im Falle der Annahme des Antrages keine Eisenbahnprojekte geben werde. Die drei Abgeordneten stellten dezidiert in Abrede, dass mit der Initiative soziale und ökologische Errungenschaften ausgehöhlt wurden, vielmehr gehe es darum, rascher zu entscheiden und vorhandene Prüfungen schneller abzuwickeln. Auch seitens der SPÖ wurde der Antrag der Grünen nicht unterstützt, da, wie Abgeordneter Caspar Einem darlegte, Europa alles unternehmen müsse, um das Wachstum anzukurbeln, selbstverständlich unter Einbeziehung sozial- und umweltpolitischer Standards. Er habe im vorliegenden Papier keinen Punkt gefunden, der der Nachhaltigkeit widerspricht. Sein Klubkollege Erwin Niederwieser teilte diese Auffassung und meinte, dass unter Beseitigung administrativer, technischer und rechtlicher Hindernisse nur zügigere Verfahren gemeint sein können. 

WIE WEIT SOLL DER VERFASSUNGSENTWURF DES EU-KONVENTS AUFGEMACHT WERDEN ?

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel gab zu Beginn der Sitzung einen ersten Bericht über den Verlauf der kürzlich begonnen Regierungskonferenz zur Erarbeitung einer neuen Verfassung der EU. Dabei sei, so der Regierungschef, die österreichische Position zur Kommission, jedem Land einen stimmberechtigten Kommissar zu geben, durch eine große Gruppe von Ländern unterstützt worden. Ebenso habe die österreichische Meinung zur Stimmengewichtung Zuspruch von relativ vielen Staaten gefunden. Bei EURATOM sei Österreich jedoch völlig allein dagestanden. Was die Frage der Daseinsvorsorge betreffe, so sei dies von Österreich stark thematisiert und von einer weiteren Delegation angesprochen worden. Gefallen sei der Legislativrat, der eine Aushöhlung der verfassungsmäßigen Ministerverantwortung bedeutet hätte. Von vielen seien auch Bedenken gegen die geplante Organisation der Präsidentschaft geäußert worden, und wenn man auch bei den prinzipiellen Bedenken gegen einen gewählten Präsidenten bleibe, so habe der österreichische Vorschlag einer Teampräsidentschaft auf zwei Jahre an Boden gewinnen können. Insgesamt laufe die Diskussion aus seiner Sicht nicht schlecht, auch wenn noch viele schwierige Punkte zu lösen seien. Von keinem Land sei jedoch gesagt worden, man dürfe am Konventsentwurf nichts ändern. Vielmehr hätten auch andere Staaten Vorschläge unterbreitet, die auf eine maßvolle Änderung des Vertrags hinauslaufen.

Bundesministerin Benita Ferrero-Waldner gab einen kurzen Überblick der gestrigen Sitzung der Regierungskonferenz und betonte die Wichtigkeit eines eigenen stimmberechtigten Kommissars, nicht nur im Hinblick auf den Symbolcharakter, sondern auch wegen des Informationsflusses. Dies wurde auch vom Bundeskanzler unterstrichen, der meinte, der Kommissar sei kein nationaler Interventionsreferent, sondern stelle eine wichtige Informationsquelle dar, die zur Wahrung der Stabilität und Kontinuität notwendig sei. Was den EU-Außenminister betrifft, so sei dieser die größte und innovativste Neuerung, sagte Ferrero-Waldner. Seine Doppelfunktion müsse aber noch institutionell geklärt werden, um eine genaue Abgrenzung vornehmen zu können. Einige Länder wollten jedoch keine Änderung gegenüber der derzeitigen Situation, bedauerte Ferrero-Waldner, und stellte fest, dass man aus Sicht Österreichs diesen Fortschritt nicht leichtfertig über Bord werfen dürfe. 

Für den Versuch einer maßvollen Änderung des Vertragsentwurfs in der Regierungskonferenz sprach sich auch Abgeordneter Michael Spindelegger (V) aus. Keinesfalls könne es Ziel sein, die Grundsatzgesetzgebung aus der Hand der Regierungschefs zu geben. Man dürfe nicht kleinmütig aus Angst darauf verzichten, auf Änderungen zu dringen, und offensichtlich zeichne sich auch ab, dass Änderungen möglich seien. Spindelegger unterstrich die Notwendigkeit der gleichwertigen Vertretung aller Staaten in den europäischen Institutionen. Gehe man von diesem Prinzip in der Kommission ab, so habe das Auswirkungen auf andere Institutionen.

Ähnlich äußerte sich sein Fraktionskollege Werner Fasslabend, der meinte, man solle sich auf Kernfragen wie die Kommission und die Ratspräsidentschaft konzentrieren. Wie Spindelegger und Molterer forderte er die Opposition auf, sich in diesen Fragen hinter die Position der Regierung zu stellen. Auch Klubobmann Molterer sprach sich dagegen aus, das Konventsergebnis 1:1 zu übernehmen. Dies entspreche nicht seinem Verständnis von Konvent und es müsse klar sein, dass die Entscheidung von der Regierungskonferenz getroffen werde. Vehement wehrte er sich gegen Äußerungen, die jene als Anti-Europäer bezeichnen, die versuchen, Änderungen des Konventsentwurfs anzustreben. Auch er trat dafür ein, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und sagte, ein stimmberechtigter Kommissar für jedes Land liege im österreichischen Interesse. Dies stärke auch die europäische Identität. Ebenso trat F-Abgeordneter Anton Wattaul für vorsichtige Änderungen des Konventsentwurfs ein.

Dazu warf Abgeordnete Evelin Lichtenberger (G) ein, dass die Oppositon nicht Steigbügelhalter für die Regierung sei. Angesichts der Anliegen anderer Länder befürchtet sie, dass das Ergebnis der Diskussion den österreichischen Interessen diametral entgegenstehen könnte. Wenn man sich die Praxis derartiger Diskussionen anschaue, so Lichtenberger, könne man davon ausgehen, dass die Vorgehensweise nur den Großen diene. Abgeordneter Einem (S) gab zu bedenken, ein Aufmachen sei zwar schnell möglich, am Schluss müsse aber unbedingt Konsens herauskommen. Er appellierte daher, mit der gebotenen Vorsicht vorzugehen.

Bundeskanzler Schüssel antwortete mit der Bemerkung, wenn die Regierungskonferenz ihre Arbeit nicht ernst nehmen würde, handelte sie fahrlässig. Außerdem legten die Verträge klipp und klar fest, dass eine Vertragsänderung nur durch eine Regierungskonferenz erfolgen könne. Darüber hinaus habe Giscard d'Estaing einen Vertragsentwurf vorgelegt, ohne darüber abstimmen zu lassen. Auch sei zum Beispiel der gesamt dritte Teil gar nicht diskutiert worden. Jedenfalls wolle niemand die Verfassungsdiskussion scheitern lassen.

Wenig Verständnis zeigte Einem (S) dafür, dass der Legislativrat nicht kommen solle, zumal dies einen Kompromiss im Konvent darstelle, der auch von Nationalratsabgeordneten und EU-Abgeordneten massiv vertreten worden sei. Dass nun Regierungsmitglieder, die im Konvent nicht vertreten waren, diesen Kompromiss ablehnten, stelle eine Legitimationsfrage dar. Dem widersprachen sowohl Abgeordneter Molterer als auch Bundeskanzler Schüssel, der im Legislativrat keinerlei Effizienzverbesserungen sah und darauf hinwies, dass das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit dadurch ausgehöhlt worden wäre. Aufgrund einer Bemerkung des Abgeordneten Peter Pilz (G), der darauf aufmerksam gemacht hatte, dass durch den Legislativrat eine neue Öffentlichkeit und Transparenz geschaffen worden wäre, sagte Schüssel, dass Österreich darauf dringen werde, die Gebote der Transparenz in der Phase der Gesetzgebung sicher zu stellen.

Abgeordneter Peter Pilz (G) äußert sich auch kritisch zum geplanten Art. 40 Ziffer 6, der die strukturierte Zusammenarbeit im militärischen Bereich betrifft. Er argwöhnte, dass sich dahinter ein verstärkter NATO-Passus verbirgt, wenn die Interpretation richtig sei, dass nur Mitglieder eines militärischen Bündnisses an dieser strukturierten Zusammenarbeit teilnehmen können. Der Bundeskanzler entgegnete, dass sich im Gegensatz dazu die NATO-kritische Schiene durchgesetzt habe. Es ergebe sich nämlich immer mehr die Notwendigkeit, dass Europa mehr in Richtung gemeinsame Sicherheits-, Außen- und Verteidigungspolitik gehe. Sollte es zu einer europäischen Sicherheitsdimension kommen, sei es klar, dass auch Österreich dabei sein wolle. Für die strukturierte Zusammenarbeit müssten die Regeln klar definiert sein, und es könne auch nicht so sein, dass die Gründungsmitglieder über weitere Aufnahmen entscheiden. Die Möglichkeit der strukturierten Zusammenarbeit müsse für alle offen sein.

Enttäuscht über die Haltung der anderen EU-Mitglieder zu EURATOM zeigten sich Abgeordnete aller Fraktionen. Abgeordneter Klaus Wittauer (F) meinte dazu, dass bei der Aufstockung der Mittel auf 6 Mrd. € keinesfalls die Atomenergie finanziert werden dürfe. Österreichische Gelder dürfte nur dann fließen, wenn damit der Ausstieg finanziert werde. Dem schloss sich Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) vollkommen an. (Fortsetzung)