Parlamentskorrespondenz Nr. 196 vom 31.03.2005

UNTERSCHIEDLICHE ZUGÄNGE ZUM THEMA SCHUL- UND BILDUNGSREFORM

Der Nationalrat im Vorfeld einer Reformdebatte

Wien (PK) - Schul- und Bildungsfragen standen im Mittelpunkt der weiteren Debatte des Nationalrats. Basis dafür waren ein Antrag der Koalitionsfraktionen und ein Antrag der Grünen.

Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (S) bezeichnete die Debatte seit Präsentation der PISA-Studie als einen Fortschritt. Aufgrund der Beiträge von ExpertInnen und der Zukunftskommission bestehe nun allgemeiner Konsens, dass man die Chance für eine Neuordnung des österreichischen Schulsystems nützen müsse. Um die bisherige Reformblockade aufzuheben sei es notwendig, die Zweidrittelmehrheit abzuschaffen, sagte Gusenbauer.

Gleichzeitig müsse man aber auch die Bedenken, Ängste und Einwände ernst nehmen. Gusenbauer sprach in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit an, die Schulgeldfreiheit und das Prinzip der Schulpflicht beizubehalten. Auch müsste das Erreichen der Ziele der Schule in den öffentlichen Schulen gewährleistet bleiben. Er halte es daher für sinnvoll, am Beginn eines Verfassungsgesetzes jene Ziele, die das österreichischen Schulsystem leisten soll, aufzulisten, denn die Schule habe die Aufgabe, für die gleichen Chancen aller Kinder und Jugendlichen zu sorgen. Für ihn sei es auch notwendig, ethisch-moralische Zielsetzungen zu verankern, und damit der Vielfalt der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Für eine grundlegende Reform des Schulsystems sei nicht nur ein breiter Konsens im Parlament, sondern auch in der Gesellschaft notwendig, weshalb er auch das Gespräch mit den Kirchen gesucht habe. Der SPÖ-Klubobmann unterstrich dabei, an den Bestimmungen des Konkordats festhalten zu wollen.

Die Beseitigung der Zweidrittelmehrheit sei eine Chance, aber keine Garantie, so Gusenbauer weiter, und verfolge man die Ankündigungen der Ministerin, so sei diese offensichtlich nicht bereit, die Chancen zu nützen. Das zeige auch das Bildungsbudget, in dem keine zusätzlichen Mittel für notwendige Initiativen veranschlagt seien. Es bedürfe wohl anderer Mehrheiten für eine Reform, so sein Resümee.

Abgeordneter AMON (V) zog die Glaubwürdigkeit seines Vorredners in Zweifel, zumal dieser nicht am Reformdialog teilgenommen, sondern in Baden Wahlkampf geführt habe. Für Gusenbauer bedeute PISA offensichtlich: "Plötzlich In Schulischen Angelegenheiten Aktiv", so Amon. Amon erinnerte an die von Bundesministerin Gehrer durchgeführte Oberstufenreform, an die mehr als 1.000 zusätzlichen Plätze an den HTL, an die Reform der Lehrpläne und an die Schritte zur Errichtung Pädagogischer Hochschulen. Er widersprach Gusenbauer grundsätzlich und meinte, aus der PISA-Studie sei keineswegs eine Totalreform abzuleiten. Vielmehr lägen die Schwächen im Lesebereich, wobei man die vielen Kinder mit Migrationshintergrund berücksichtigen müsse. Deshalb führe man sprachliche Frühförderung ein. Unumgänglich sei auch die Validität von Abschlüssen, was man durch Bildungsstandards und die Reform der Schulaufsicht erreichen wolle. Die ÖVP wolle ein leistungsorientiertes, differenziertes System erhalten und keinen Einheitsbrei, wie ihn die SPÖ propagiere. Gusenbauer betreibe im Hinblick auf die Abschaffung der Zweidrittelmehrheit eine Lizitationspolitik, die er, Amon, als verantwortungslos erachte.

Für Abgeordneten BROSZ (G) trifft die Diskussion den Kern der Probleme nur zum Teil. So wehrte sich Brosz gegen die Veröffentlichung, inwieweit die einzelnen Schulen die Standards erreicht haben, denn das führe nicht zur Leistungssteigerung, sondern zu einer noch stärkeren Selektion. Er kritisierte auch das Schulgeld, das es bereits für Ganztagsschulen gebe, denn in einer verschränkten Ganztagsschule könne man nicht zwischen Betreuung und Unterricht unterscheiden. Brosz hinterfragte auch die Tatsache, dass die Ministerin per Verordnung Unterrichtsstunden kürzen könne, nicht aber den Religionsunterricht. Dabei betonte er, dass er für den konfessionellen Religionsunterricht eintrete, denn dieser habe in seiner bisherigen Form fundamentalistische Tendenzen verhindert. Man müsse auch fragen, ob es neben dem konfessionellen Religionsunterricht auch andere Formen ethischer Bildung geben sollte. In Anbetracht des noch immer herrschenden gesellschaftlichen Drucks, vor allem auf dem Land, sieht er die Religionsfreiheit noch nicht realisiert. Deshalb wandte er sich dagegen, den Religionsunterricht in die Verfassung zu schreiben.

Zentrale Probleme beträfen vor allem die extreme Leseschwäche von 20 % der SchülerInnen und die private Nachhilfe. Aber von all dem stehe nichts im vorliegenden Antrag. Brosz schlug vor, sich an den Fördermodellen in Finnland zu orientieren.

Abgeordnete ROSSMANN (F) machte geltend, dass die Koalition einen umfassenden Entschließungsantrag zu Fragen der Schulreform vorgelegt habe. Es seien zwar teilweise nur Absichtserklärungen und Überschriften, räumte sie ein, diese würden jedoch nach und nach mit Inhalten gefüllt.

Ausdrücklich sprach sich Rossmann seitens der FPÖ für die Abschaffung der Zwei-Drittel-Mehrheit für Schulgesetze aus. Gelinge dieser Schritt nicht, "brauchen wir überhaupt nicht weiter über Schulreformen sprechen", meinte sie. In diesem Zusammenhang äußerte Rossmann die Befürchtung, dass die SPÖ in dieser Frage taktiere und eine "Absprungbasis" suche. Allgemein hielt sie fest, Schulpolitik könne nicht reine Lehrergewerkschaftspolitik sein.

Der vorsitzführende Dritte Nationalratspräsident Dr. PRINZHORN gab bekannt, dass das Verlangen auf Abhaltung einer Kurzen Debatte über die Anfragebeantwortung 2344/AB zurückgezogen wurde.

Bildungsministerin GEHRER wies die Kritik der Opposition an der Schulpolitik der Regierung zurück und gab unter anderem zu bedenken, dass Österreich viele Ziele im Schulbereich, die von der EU bis zum Jahr 2010 angepeilt würden, jetzt schon erreicht habe. So würden lediglich 9,5 % der Schülerinnen und Schüler nach Abschluss der Pflichtschule keine weitere Ausbildung in Anspruch nehmen. Zudem wies sie auf spezielles Lesetraining und weitere Fördermaßnahmen im Lesebereich hin. Die Opposition tue den Lehrern und der Schule mit ihrer Kritik unrecht, betonte Gehrer, es werde an den Schulen hervorragende Arbeit geleistet.

Zur Abschaffung der Zwei-Drittel-Mehrheit für Schulgesetze merkte Gehrer an, die SPÖ habe diesen Schritt zunächst gefordert, dann aber sofort zahlreiche Junktime aufgestellt. Die ÖVP wolle die Zwei-Drittel-Mehrheit aufheben, bekräftigte sie, gleichzeitig in einer neuen, modernen Verfassung aber die wesentlichen Eckpunkte des Schulwesens verankern.

Abgeordneter Dr. NIEDERWIESER (S) klagte, die Wortmeldungen von Unterrichtsministerin Gehrer und ÖVP-Bildungssprecher Amon hätten sich durch "Zynismus, Überheblichkeit und Polemik" ausgezeichnet. In dieser Weise könne kein Reformdialog geführt werden, unterstrich er. Niederwieser kann, wie er sagte, seitens der Regierungsparteien keinen echten Reformwillen erkennen, er sieht die Glaubwürdigkeit der Regierung nicht zuletzt in der Frage der Schulgeldfreiheit auf dem Spiel.

Ein von Niederwieser namens der SPÖ eingebrachter Entschließungsantrag zielt auf die Verankerung eines Leitbilds der österreichischen Schule in der Verfassung ab. Gleichzeitig will die SPÖ die Schulgeldfreiheit und das Prinzip der Schulpflicht verfassungsrechtlich garantieren und in Bezug auf den Religionsunterricht die Zwei-Drittel-Mehrheit beibehalten.

Abgeordnete Dr. BRINEK (V) forderte SPÖ und Grüne auf, den von der Koalition eingebrachten Vorschlägen zur Schulreform zuzustimmen, um so den Reformdialog aufrechtzuerhalten und fortzusetzen. Eine radikale Änderung der Schulorganisation war ihr zufolge nicht das Ergebnis des Reformgipfels im Februar. Experten hätten, so Brinek, klar gemacht, dass ein differenziertes Schulsystem nicht automatisch sozial selektiv sei. Verbesserungen könnten auch durch eine innere Schulreform erzielt werden.

Abgeordnete MANDAK (G) gab zu bedenken, dass Kinder aus Migrantenfamilien einfach nicht die gleichen Chancen hätten und zum Teil massive Rückstände aufwiesen, was die deutsche Sprache betrifft. Den Entschließungsantrag der Koalition wertete sie als unglaubwürdig; es würden willkürlich einige Punkte herausgegriffen. So vermisst sie etwa die Kernfrage der gemeinsamen Schule für unter Fünfzehnjährige. Sprachtests ein Jahr vor Schuleintritt hält Mandak für sinnlos, wenn nicht gleichzeitig ausreichend Ressourcen für die Sprachförderung zur Verfügung gestellt würden.

In einem von Mandak vorgelegten Entschließungsantrag fordern die Grünen Bildungsministerin Gehrer auf, für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf sowie für außerordentliche SchülerInnen auch für den Betreuungsteil am Nachmittag die notwendigen Lehrerkontingente bereitzustellen.

Abgeordnete Dr. BLECKMANN (F) führte aus, niemand der Verantwortlichen sage, dass in Schulfragen kein Handlungsbedarf bestehe. Man solle aber nicht nur Mängel aufzeigen, sondern auch auf die positiven Punkte des österreichischen Schulsystems hinweisen, betonte sie.

In der Frage der Abschaffung der Zwei-Drittel-Mehrheit für Schulgesetzte verhält sich die SPÖ nach Meinung Bleckmanns "unredlich". Zum einen werde die Abschaffung der Zwei-Drittel-Mehrheit gefordert, gleichzeitig würden aber neue Verfassungsbestimmungen verlangt. Bleckmann selbst hält die Abschaffung der Zwei-Drittel-Mehrheit für notwendig, um neue Dynamik und Flexibilität in das Schulwesen hineinzubringen. Zur Schulgeldfreiheit haben FPÖ und ÖVP Bleckmann zufolge in ihrem Entschließungsantrag ein eindeutiges Bekenntnis abgegeben.

Abgeordnete Mag. KUNTZL (S) bekräftigte, die SPÖ wolle allen Kindern die besten Chancen geben. Davon sei man mit dem jetzigen Schulsystem aber weit entfernt. Vehement sprach sich Kuntzl für die verfassungsrechtliche Absicherung der Schulgeldfreiheit aus und erinnerte in diesem Zusammenhang an ursprüngliche Versicherungen von Bildungsministerin Gehrer, keine Studiengebühren einzuführen.

Abgeordneter GROSSRUCK (V) versicherte dem gegenüber, niemand in der ÖVP wolle Schulgeld einführen. Gleichzeitig sprach er sich dagegen aus, das gesamte Schulsystem in Österreich zu ändern. Die Ergebnisse der PISA-Studie legen seiner Meinung nach einen solchen Schritt nicht nahe. Man tausche auch nicht das ganze Auto aus, wenn eine Zündkerze nicht funktioniere, sagte Großruck. Es werde keine Gesamtschule und keine verpflichtende Ganztagsschule geben. "Wir machen keine Experimente, die ideologisch begründet sind."

Abgeordnete SCHASCHING (S) erklärte in Richtung Abgeordneter Brinek, es könne nicht sein, dass die SPÖ zuerst den VP-FP-Vorschlägen zur Schulreform zustimmen müsse, um in einen Reformdialog eintreten zu können. Überdies machte sie darauf aufmerksam, dass es aufgrund der Schulpolitik der Regierung weniger Unterrichtsstunden, wenig motivierte Lehrer, immer mehr Kinder in den Klassen und weniger Sportstunden gebe.

Abgeordnete LAPP (S) vertrat die Auffassung, die Koalition habe in Bildungsfragen "abgedankt". Das im Entschließungsantrag genannte Anliegen, Schwache zu fördern und Starke zu fordern, wertete sie lediglich als Lippenbekenntnis, in Wirklichkeit würden Förderunterricht gestrichen und Stütz- und Sprachlehrer reduziert. Die Anstrengungen der Lehrer nützen ihr zufolge angesichts der knappen Ressourcen nichts. Der Bildungsministerin hielt Lapp vor, amtsmüde zu sein.

Abgeordnete FELZMANN (V) meinte, man sollte die Bildungsdebatte unaufgeregt führen. Veränderungen würden nicht von heute auf morgen durchgeführt werden können, aber die Abschaffung der Zweidrittelmehrheit werde ausreichende Freiheit geben. Mit diesem Schritt würden aber grundlegende Pfeiler in der Bildungspolitik nicht in Frage gestellt, versicherte sie. Als erste Maßnahmen nannte sie die Einführung der Fünf-Tage-Woche, die Umbenennung der Sonderschule in "Förderschule", die Umbenennung von Leibesübung in "Bewegung und Sport" und die Möglichkeit, die Schwerpunktsetzung im Namen der Schule führen zu können. Weitere Reformen würden dann aufgrund der Diskussionen und Vorschläge von ExpertInnen gesetzt. Man wolle die Starken fordern und die Schwachen fördern, sagte Felzmann. Die ÖVP stehe für Sicherheit und Stabilität, aber auch für die nötige Flexibilität.

Abgeordneter Dr. RADA (S) hielt fest, dass alle für Qualität an den Schulen einträten, die Frage stelle sich jedoch nach dem Zugang. Rada bezweifelte, ob die Schulgeldfreiheit für die Sekundarstufe II gewährleistet ist und das beunruhige die SozialdemokratInnen zutiefst.

Abgeordneter Dr. BRADER (V) plädierte für die Einbindung aller Schulpartner in den Reformdialog und betonte die Wichtigkeit einer frühen Sprachförderung. Konkret hoffe er auf eine gute Zusammenarbeit zu diesen Themen im Ausschuss.

Abgeordneter FAUL (S) beklagte den mangelnden Reformwillen seitens der zuständigen Ministerin und forderte eine Forcierung der Frühsprachförderung, wobei diese Maßnahme aber nicht zulasten der Eltern gehen dürfe.

Abgeordnete SCHIEFERMAIR (V) unterstrich die Bedeutung der Bildung und meinte, jedem Kind solle die bestmögliche Ausbildung zur Verfügung stehen. Dazu brauche es jedoch auch das entsprechende Schulsystem, das diese Ausbildung gemäß den Neigungen der Kinder ermöglicht. Konkret sprach sich die Rednerin auch für die Beibehaltung des Religionsunterrichts aus.

Abgeordneter Mag. GASSNER (S) plädierte für sprachliche Frühförderung und für eine adäquate Nachmittagsbetreuung. In diesem Zusammenhang gelte es, mit den Gemeinden zu sprechen. Finanzielle Beiträge von den Eltern sollten jedoch nicht eingefordert werden, meinte der Redner.

Abgeordnete FUHRMANN (V) sprach sich für ein differenziertes Schulsystem aus und appellierte an die Opposition, die Wichtigkeit eines solchen Systems anzuerkennen.

Abgeordnete Mag. MUTTONEN (S) mahnte zeitgemäße Reformen im Schulwesen angesichts der Ergebnisse der Pisa-Studie ein. Ihre Fraktion wolle ein sozial ausgewogenes und modernes Bildungssystem, so die Rednerin.

Abgeordneter RIEPL (S) sprach sich für adäquate Rahmen- und Arbeitsbedingungen für LehrerInnen aus.

Die Ausschussanträge wurden mehrheitlich angenommen. Die oppositionellen Anträge verfielen hingegen der Ablehnung.

(Schluss Bildung/Forts. Dringliche)

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