Parlamentskorrespondenz Nr. 315 vom 28.04.2005

EU-FINANZPOLITIK ZWISCHEN REKORDGEWINNEN UND ARBEITSLOSIGKEIT

Finanzausschuss: engagierte Diskussion über EU-Finanzpolitik

Wien (PK) - Der Finanzausschuss widmete sich am Beginn seiner heutigen Sitzung unter dem Vorsitz von Ausschussobmann Günter Stummvoll seiner neuen Aufgabe, an der EU-Gesetzgebung mitzuwirken und nahm die Jahresvorschau 2005 über die Programme von Kommission und Rat auf dem Gebiet der Finanzen (III-137 d.B.) in Verhandlung. Im Mittelpunkt der von Finanzminister Grasser eingeleiteten Debatte standen die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, der Zwischenbericht zur Lissabon-Strategie und die Vorbereitung der Agenda 2007 für einen EU-Finanzrahmen 2007 bis 2013. Nach einer umfassenden und von Seiten der Opposition sehr kritisch geführten öffentlichen Diskussion mit dem Finanzminister Karl-Heinz Grasser und Finanzstaatssekretär Alfred Finz wurde der Bericht von den Koalitionsparteien zur Kenntnis genommen.

MAASTRICHT-REFORM, NATIONALE LISSABON-PLÄNE UND AGENDA 2007

Als wichtigste Änderung bei der kürzlich beschlossenen Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes bezeichnete Grasser die Absicht, konjunkturell gute Zeiten besser zur Konsolidierung der öffentlichen Finanzen zu nutzen. Zudem sollen länderspezifische Besonderheiten und außergewöhnliche Belastungen stärker berücksichtigt werden. Der Verhandlungserfolg Österreichs und seiner Mitstreiter bestehe darin, dass es gelungen sei, das 3 % Defizitkriterium und das 60 % Verschuldungskriterium beizubehalten, ohne - wie vorgeschlagen - ganze Ausgabenkriterien herauszurechnen. Der Preis des Kompromisses ist eine größere Flexibilität der Kommission bei der Berücksichtigung länderspezifischer Besonderheiten, ein Recht, das die Kommission an sich schon bisher hatte. Dabei sei wichtig, dass das Defizitkriterium nahe bei 3 % bleibe, eine Defizitüberschreitung ohne Konsequenzen sei nur bis maximal 3,5 % möglich.

Das 2000 in Lissabon vereinbarte Ziel, Europa bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten, wissensbasierten Wirtschaftsraum zu machen, ist laut Kok-Bericht nicht erreichbar. Daher konzentriere sich die EU nunmehr auf die Ziele Wachstum und Beschäftigung und setze auf nationale Programme.

Die Diskussionen um die Agenda 2007 werden laut Finanzminister noch sehr zurückhaltend geführt, wobei der Rabatt Großbritanniens einerseits, die Interessen der Nettozahler andererseits und zudem die Interessen der neuen Länder sehr unterschiedlich seien. Er sei nicht optimistisch, dass es rasch zu einem Konsens kommen könne.

WERNER KOGLER: DIE EUROPÄISCHE WIRTSCHAFTSPOLITIK IST IM ABDANKEN

Abgeordneter Werner Kogler (G) leitete seine kritische Auseinandersetzung mit der EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik mit der Frage ein, ob es nicht gescheiter sei, das Verschuldungskriterium bei 60 % zu fixieren, gleichzeitig aber beim Defizit eine vernünftige Flexibilisierung herbeizuführen. Denn es mache einen Unterschied, ob ein Staat mit 100 % Verschuldungsquote oder mit 60 % Verschuldungsquote das Defizitkriterium überschreite. Damit meine er selbstverständlich nicht Ausgaben für laufende Aufgaben, wohl aber Investitionen, von denen etwas zurückkomme. Hier restriktiv vorzugehen, sei ökonomisch unverständlich und nur politisch erklärbar.

Beim Thema Lissabon bestritt Kogler, dass es sich dabei jemals um eine "Strategie" gehandelt habe, er sprach von einem Amalgam von Wunschvorstellungen, bei dem Ziele und Instrumente nicht unterschieden wurden. Pointiert sagte Kogler: "Je schöner die Stadt, in der EU-Gipfel stattfinden, umso toller die Titel der Programme, die dort beschlossen werden". Mit "Lissabon" sei lediglich ein ideologischer Paravent aufgestellt worden, der es den Regierungen möglich machte, wirtschaftspolitisch die Hände in den Schoß zu legen. Selbstverständlich gäbe es Spielräume und Wachstumsfelder, in die man investieren könne, man habe nur die Chance dazu bisher nicht genützt. "Die europäische Wirtschaftspolitik ist im Abdanken", lautete der Befund Koglers.

DIETMAR HOSCHER: WIE SOLLEN MAASTRICHT UND LISSABON ZUSAMMENGEHEN? 

Abgeordneter Dietmar Hoscher (S) schloss sich Kogler an und bedauerte ebenfalls den Verzicht auf Investitionen in die Infrastruktur. Er verstehe nicht, woher der Optimismus komme, mit unveränderten Maastricht-Kriterien die Lissabon-Ziele doch noch zu erreichen - "Wie sollen Maastricht und Lissabon zusammengehen?" lautete Hoschers Frage.

Abgeordneter Heinz Gradwohl (S) konzentrierte sich auf die nationalen Aktionspläne, auf deren Grundlage künftig die Lissabon-Ziele erreicht werden sollen und mahnte diesbezüglich die Mitarbeit des Parlaments an der Ausarbeitung des österreichischen Programms an. Kritisch sah der Abgeordnete den Hinweise darauf, dass Bulgarien und Rumänien Ausnahmen bei Umweltmaßnahmen zugestanden werden sollen. Schließlich wollte er wissen, in welchem Ausmaß ein Beitritt der Türkei die EU-Finanzen belasten würde.

CHRISTOPH MATZNETTER WILL STEUERDUMPING EINEN RIEGEL VORSCHIEBEN

Abgeordneter Christoph Matznetter (S) stimmte Kogler zu und plädierte für Investitionen in Forschung und transeuropäische Netze. Die Vernachlässigung von Investitionen sei hinsichtlich ihrer ökonomischen Auswirkungen wesentlich schädlicher als die Überschreitung einer willkürlich angesetzten Defizitgrenze. Matznetter setzte sich auch mit dem Phänomen der steuerpolitischen Free-Rider auseinander und riet, das Defizitproblem nicht nur ausgabenseitig zu betrachten. Der Redner verlangte, dem Steuerdumping einen Riegel vorzuschieben. Es brauche eine koordinierte europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik, und an dieser müssen die nationalen Parlamente mitarbeiten.

WERNER FASSLABEND: EUROPA HAT SICH GLOBAL POSITIONIERT

Abgeordneter Werner Fasslabend (V) lobte die hervorragende Vertretung österreichischer Interessen durch Minister Grasser und Staatssekretär Finz in Brüssel. Fasslabend bekannte sich zur Flexibilisierung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, durch die die Starrheit des Systems überwunden und durch Festigkeit ersetzt worden sei.

Die Diskussion über die Lissabon-Strategie sei berechtigt, man dürfe aber nicht vergessen, dass sich die EU mit dieser Strategie erstmals global positioniert habe. Auch wenn andere Kontinente wesentlich höhere Wachstumsraten haben, sollte man nicht übersehen, dass Europa qualitatives Wachstum in Sinne einer wissensbasierten Entwicklung anpeile. Die Lissabon-Ziele bleiben richtig, auch wenn sie 2010 nicht erreichbar seien, man müsse weiterhin auf Forschung und Entwicklung, auf Wissenschaft und auf eine Dienstleistungsrichtlinie setzen.

THOMAS PRINZHORN: DER EURO IST EINE EINZIGARTIGE ERFOLGSTORY

Abgeordneter Thomas Prinzhorn (F) forderte Abgeordneten Kogler auf, bei seiner Kritik die Kirche im Dorf zu lassen. Der Euro sei eine einzigartige Erfolgsstory, das sei insbesondere vor dem Hintergrund des teuren EU-Erweiterungsprozesses erstaunlich. Kleine Länder wie Österreich seien durch die Kriterien gefestigt worden, sagte Prinzhorn und fragte, ob der nationale Aktionsplan die nationalen Kompetenzen gegenüber der EU erweitern werde, etwa in der Landwirtschaft.

GRASSER WILL SOZIALPARTNER UND PARLAMENT IN AKTIONSPLAN FÜR LISSABON EINBINDEN

Finanzminister Karl-Heinz Grasser machte darauf aufmerksam, dass der reformierte Stabilitätspakt seinen Fokus auf die Verschuldung lege, bei der Beurteilung der Finanzschulden strenger werde, wodurch es richtig erscheine, dass Österreich bald unter 60 % liegen werde.

Klagen über mangelnde Kohärenz der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik hielt der Ressortleiter nicht für gerechtfertigt. Das Wachstum sei nicht befriedigend, bei den Kriterien Nachhaltigkeit und Stabilität liege Europa aber weit vor den USA.

Eine Union mit zentraler Geldpolitik setze eine Koordination der nationalen Wirtschaftspolitiken voraus. In diesem Zusammenhang zeigte sich der Minister besorgt über das Auseinanderdriften der Lohnstückkosten zwischen Österreich und Deutschland einerseits und Italien andererseits. Nationale Aktionsprogramme sollen dazu dienen, Prioritäten in den Mitgliedsländern zu setzen, um die europäische Kohärenz zu verbessern. Er, Grasser, setze bei der Formulierung des österreichischen Aktionsplans auf die Einbindung von Sozialpartnern und Parlament und sah im Reformdialog am 1. Mai eine erste Gelegenheit, über Punkte dieses Programms zu diskutieren.

Dass es produktiv sei, nationale Spielräume in Europa zu nützen, zeige Österreich mit seiner Steuerreform und den Investitionen in F&E sowie in die Infrastruktur.

Schätzungen über die Auswirkungen eines Türkeibeitritts, beispielsweise im Jahr 2015, auf die EU-Strukturfonds, reichen von 22 Mrd. € bis 34 Mrd. € auf Preisbasis 2004. Das österreichische Verhandlungsziel für die Agenda 2007 laute auf einen Bruttobeitrag möglichst nahe bei 1 % des EU-BIP, auf Maximierung der Rückflüsse. Über der österreichischen Beitragsquote liegen die Rückflüsse in den Bereichen ländliche Entwicklung, Grenzregionen, Bildung und transeuropäische Netze. Renationalisierungstendenzen könne er in der EU nicht erkennen, teilte der Finanzminister mit.

OHNE LEBENSQUALITÄT UND ARBEITSPLÄTZE KEIN GEMEINSAMES EUROPA   

Eine weitere Verhandlungsrunde galt im Wesentlichen Detailfragen. Ausschussobmann Günter Stummvoll (V) deponierte einmal mehr die Interessen der Grenzregionen, Abgeordnete Michaela Sburny (G) wies darauf hin, dass Wachstum an sich kein Wert sei, sondern es darum gehe, Wohlstand und Lebensqualität zu erreichen; gelinge dies nicht, werde die EU-Skepsis weiter zunehmen.

Ähnlich argumentierte Abgeordneter Johann Moser (S), der die Herausforderung der EU-Wirtschaftspolitik in der Tatsache sah, dass die Gewinne steigen, die Löhne aber stagnieren, worunter die Nachfrage leide. Auch Abgeordnete Marianne Hagenhofer (S) forderte eine Geldpolitik der EZB zugunsten der Menschen, sonst werde es kein gemeinsames Europa geben. Es werde nicht gelingen, aus allen Arbeitnehmern in der Produktion Forschungsspezialisten zu machen, sagte Hagenhofer.

Abgeordneter Hannes Bauer (S) schloss sich der Forderung an, dass auch wenig qualifizierte Menschen ein Recht auf einen menschenwürdigen Arbeitsplatz haben - wenn die EU dieses Problem nicht löse, lasse sie eine zentrale soziale Frage ungelöst. Außerdem drängte Bauer auf Infrastrukturinvestitionen mithilfe spezieller EU-Finanzierungsinstrumente und hielt es für untragbar, wenn Staaten auf Steuereinnahmen verzichten, "um sich dann bei den europäischen Förderungstöpfen anzustellen". Bauer plädierte für einen innereuropäischen Finanzausgleich.

JAKOB AUER KLAGT ÜBER BÜROKRATIE UND BEHINDERUNG VON PROJEKTEN

Abgeordneter Jakob Auer (V) konzentrierte sich auf das Problem der ausufernden Bürokratie in der EU und warnte davor, Infrastrukturprojekte durch Natur- und Umweltschutzauflagen unmöglich zu machen.

Abgeordneter Kurt Gassner (S) kritisierte einmal mehr den jüngsten Finanzausgleich, durch den die Finanzierung der zunehmenden Gemeindaufgaben immer schwieriger werde.

Finanzstaatssekretär Alfred Finz begründete das Eintreten Österreichs für eine Begrenzung des EU-Budgets mit 1 % des BIP mit der Überlegung, dass es effizienter sei, Geld, das man habe, auszugeben, als sich um Rückflüsse bemühen zu müssen.

Die wichtigste Aufgabe der Europäischen Zentralbank sei, so Finz, richtigerweise die Erhaltung der Preisstabilität, denn anders als bei der Federal Reserve Bank, die über eine lang eingeführte Währung entscheide, gelte es beim Euro, Vertrauen zu schaffen, und erst in zweiter Linie, Wirtschaftspolitik zu betreiben.

Bei der Abstimmung wurde der Bericht mit der Mehrheit der Koalitionsparteien zur Kenntnis genommen. (Fortsetzung)