Parlamentskorrespondenz Nr. 924 vom 14.12.2006

Nationalrat einstimmig gegen Temelin

Entschließungantrag aller fünf Fraktionen

Wien (PK) - Vor Eingang in die Tagesordnung und Beginn der Debatte über das Atomkraftwerk Temelin gab Nationalratspräsidentin Mag. PRAMMER bekannt, dass die Fraktion der Grünen einen Antrag eingebracht hat, in dem gefordert wird, dem Ausschuss für Land- und Forstwirtschaft zur Berichterstattung über den Entschließungsantrag 55/A(E) betreffend gesetzliche Verankerung des österreichischen Programms für die ländliche Entwicklung 2007 bis 2013 eine Frist bis zum 29. Jänner 2007 zu setzen. Die Debatte darüber wird um 15 Uhr stattfinden. Der Entschließungsantrag wurde vom Nationalrat einstimmig angenommen.

Abgeordneter KRAINER (S) betonte, der vorliegende Fünf-Parteien- Antrag solle dem Minister den Rücken stärken - nicht nur gegenüber der Tschechischen Republik, sondern auch gegenüber der Bundesregierung, wie er mit leicht kritischem Unterton bemerkte. Krainer erinnerte in diesem Zusammenhang an die öffentlichen Aussagen im Jahr 2001 des damaligen Ministers Molterer, der versichert habe, Temelin werde nicht in den kommerziellen Betrieb gehen, bevor die Punkte des Melker Abkommens umgesetzt sind. Der vorliegende Antrag sehe als letzte Konsequenz daher auch die Völkerrechtsklage vor.

Abgeordneter WÖGINGER (V) bekräftigte, dass nach wie vor die Null-Variante das Ziel der Bemühungen sei. Der vorliegende Antrag stelle eine wichtige und notwendige Maßnahme dar, um die Tschechische Republik zu bewegen, das Melker Abkommen einzuhalten. Die Kollaudierung des Kraftwerks sei ein eindeutiger Vertragsbruch, da es noch immer massive Sicherheitsprobleme gebe. Die Völkerrechtsklage sei daher notwendig, sagte Wöginger, sie bedürfe aber einer sorgfältigen Vorbereitung, um rechtlich zu halten.

Abgeordnete Dr. GLAWISCHNIG-PIESCZEK (G) bezweifelte, dass dem Minister bzw. der Bundesregierung die Völkerrechtsklage ernst ist. Sie ortete vielmehr eine Verschleppungs- und Verzögerungstaktik, da es für sie nicht nachvollziehbar ist, dass man einen Monat benötigt, um den Bescheid zur Kollaudierung zu übersetzen. Die Inbetriebnahme des AKW wäre ein eindeutiger Vertragsbruch, weshalb eine Völkerrechtsklage als massiver Protest notwendig sei, sagte sie. Mit der Kollaudierung habe die tschechische Regierung einen Schlussstein gelegt, obwohl keine Sicherheitsaufrüstung stattgefunden habe. Die österreichische Politik müsse daher ihr Versprechen, das sie der Bevölkerung gegenüber abgegeben hat, einhalten, unterstrich Glawischnig-Piesczek und erinnerte an die Aussagen der Regierung im Jahr 2001 nach Abschluss des Melker Protokolls. Sie bedauerte, dass dieses Abkommen nicht, wie ursprünglich zugesagt, in den EU-Beitrittsvertrag eingeflossen ist.

Abgeordneter WEINZINGER (F) vermutete in Bezug auf Temelin eine Politik auf zwei Ebenen. Nach außen hin stehe man geschlossen voll und ganz zur Null-Lösung, die Möglichkeiten, die man gehabt hätte, habe man aber nicht wahrgenommen, kritisierte er. So habe man beim EU-Beitritt der Tschechischen Republik klein beigegeben und versucht, mit dem Melker Abkommen die Bevölkerung zu beruhigen. Er plädierte daher dafür, nunmehr ein Zeichen zu setzen und sowohl im Parlament als auch seitens der Regierung zu zeigen, dass "wir uns nicht alles gefallen lassen".

Abgeordnete HAUBNER (B) sah den gemeinsamen Antrag ebenfalls als eine klare Willenskundgebung zum raschen Handeln. In Oberösterreich sei die Sorge besonders groß, und das Risiko dieses pannenanfälligen AKW dürfe nicht unterschätzt werden. Seitens der Landesregierung und des Landtages habe es viele Initiativen gegeben, erinnerte Haubner, und man habe große Hoffnungen auf den Sicherheitsdialog gesetzt. Daher sei man nun besonders betroffen über die Betriebsgenehmigung und betrachte diese als einen Affront gegenüber Österreich als Vertragspartner sowie gegenüber den berechtigten Sorgen der Menschen. Die Zeit der Kompromisse sei vorbei, so Haubner, man sei den Menschen im Wort, vor allem jenen, die das Volksbegehren unterschrieben haben.

Bundesminister DI PRÖLL begrüßte den Antrag als eine klare Handlungsanleitung für das Vorgehen der Bundesregierung. Er verwies auf die klare Anti-Atom-Politik der Vergangenheit und bekräftigte, dass die Null-Variante weiterhin im Mittelpunkt der Bestrebungen stehe. Alle Maßnahmen hätten der Sicherheit der Menschen zu dienen, sagte Pröll, und daher werde man den klaren Kurs beibehalten. Zu den Melker Beschlüssen gebe es keine Alternative und sie stellten auch eine gesetzliche Grundlage dar. Er werde daher auf drei Ebenen konsequent vorgehen. Ende September habe es einen Experten-Workshop gegeben und dessen Ergebnisse müsse man abwarten. Der Bescheid der Betriebsgenehmigung sei übersetzt und liege nun den ExpertInnen zur Befassung vor. Zur Vorbereitung der Völkerrechtsklage seien aber alle Grundlagen abzuchecken, um eine wasserdichte Klage vorlegen zu können. Man wolle nicht riskieren, einen spektakulären Schiffbruch zu erleiden, denn dann hätte man das letzte Instrument verspielt. Er setze auf eine kluge Variante und auf Qualität, weil dies die sichere Variante sei. Alle, die nun übereilt aufs Tempo drücken, gefährden dieses letzte Mittel, warnte er und bat mit Augenmaß vorzugehen, um den Sicherheitsdialog, einen zentralen Punkt im Melker Vertrag, nicht zu gefährden.

Abgeordneter Mag. GASSNER (S) erwiderte dem Minister, diese Maßnahmen seien seit sechs Jahren überfällig. Er vermisste auch den Dialog und hinterfragte die Aussagen des tschechischen Botschafters, wonach kein völkerrechtlicher Vertrag vorliegt. Nach Auffassung Gaßners ist seit dem Melker Abkommen nichts mehr geschehen, die Störfälle nehmen zu, es werde aber nur beschwichtigt. Selbstverständlich müsse man auf die Qualität achten, meinete er, gleichzeitig aber auch auf Tempo drücken, um glaubwürdig zu bleiben.

Abgeordneter Dr. SONNBERGER (V) replizierte auf seinen Vorredner. Es sei außerordentlich schwierig, auf diesem Gebiet international erfolgreich zu sein. Gleichzeitig stellte er die Frage, warum die damalige von der SPÖ geführte Bundesregierung nichts gegen den Baubeginn des Kraftwerks unternommen habe. Damals wäre es leichter möglich gewesen einzugreifen, stellte er fest. Die oberösterreichische Landesregierung sowie der Landtag hätten viel getan, um das Kraftwerk zu verhindern. Der Vertrauensbruch durch die nunmehrige Kollaudierung sei umso schmerzlicher, als man der tschechischen Regierung einen Vertrauensvorschuss gegeben habe. Auch für die tschechische Regierung müsse der Grundsatz "pacta sunt servanda" gelten, sagte Sonnberger und unterstützte den Minister, dass es bei der Völkerrechtsklage um Qualität vor Tempo gehe. Grundsätzlich forderte Sonnberger eine gemeinsame EU-Energiepolitik ein.

Abgeordnete Dr. MOSER (G) zeigte sich erfreut über den einstimmigen Beschluss und appellierte an die Bundesregierung, das Votum des Parlaments ernst zu nehmen und umzusetzen. Sie warf Minister Pröll allerdings Säumigkeit vor. So seien wichtige Voraussetzungen für eine Völkerrechtsklage noch immer ausständig, meinte sie. Der Minister sollte Tempo und Qualität machen, um zu verhindern, dass Grenzblockaden als letztes Instrument in Anspruch genommen werden, forderte Moser.

Abgeordnete ROSENKRANZ (F) hob ebenfalls den Grundkonsens in der Anti-Atompolitik hervor, kritisierte aber, die Strategie sei bisher nicht effizient genug gewesen. Die Bundesregierung habe gegenüber Tschechien nie das gemacht, was notwendig gewesen wäre, um den Interessen der Bevölkerung Genüge zu tun und sich Respekt zu erwerben. Man habe sich vielmehr so verhalten wie schon seinerzeit bei den Benes-Dekreten, fügte sie an.

Abgeordneter DOLINSCHEK (B) beharrte auf der Nullvariante und meinte, Österreich sollte angesichts der zahlreichen Störfälle alles daran setzen, dass Temelin geschlossen werde. Er rief die Bundesregierung auf, die Völkerrechtsklage vorzubereiten und einzubringen.

Abgeordneter SCHOPF (S) stellte fest, dass das Melker-Abkommen gescheitert ist und weiterhin viele Sicherheitsmängel bestehen. Er drängte den Bundeskanzler, in Sachen Temelin persönlich aktiv zu werden.

Abgeordneter NEUBAUER (F) klagte über Versäumnisse der Regierung und vermisste insbesondere eine Streitbeilegungserklärung im Melker-Vertrag sowie eine Möglichkeit, die Europäische Kommission in die Pflicht zu nehmen.

Abgeordnete BAYR (S) argumentierte, die Bedrohung durch Temelin rechtfertige alle für Österreich gangbaren rechtlichen Schritte. Im Übrigen warnte die Rednerin davor, in den AKWs eine Alternative zur fossilen Energie zu sehen. Die Lösung der Energiefrage könne nur in der Forcierung erneuerbarer Energien liegen, zeigte sie sich überzeugt.

Abgeordneter DOBNIGG (S) mahnte zu Taten und bemerkte, es sei höchst an der Zeit mit aller Schärfe und Härte gegen Temelin vorzugehen. Es müsse endlich Schluss sein mit der Taktik des Aussitzens und Abwartens.

Abgeordneter Mag. KUZDAS (S) betonte, die Freiheit des einen ende dort, wo die Sphäre des anderen beeinträchtigt wird. Dies gelte auch im Völkerrecht und auch für Tschechien. Es könne daher nur das Ziel geben, die Kollaudierungsunterlagen zu analysieren und rechtliche Schritte gegen Temelin einzuleiten.

Abgeordneter MAYER (S) warf der Regierung vor, sich von einer aktiven Anti-Atompolitik verabschiedet zu haben. Ziel der neuen Bundesregierung müsse es sein, dafür zu sorgen, dass Temelin vom Netz kommt.

Abgeordneter MUCHITSCH (S) stellte größten Handlungsbedarf in Sachen Temelin fest und drängte Minister Pröll, aktiv zu werden.

Abgeordneter STAUBER (S) forderte ein konsequentes und forsches Auftreten des Ministers gegenüber der tschechischen Regierung.

Bei der Abstimmung wurde die Entschließung einstimmig angenommen.

Auslieferung Koglers abgelehnt

Abgeordneter Mag. STADLER (F) beleuchtete den Hintergrund des Auslieferungsantrages gegen seine Person und sah einen Zusammenhang zwischen dem Atomic-Konkurs und den Karibik-Geschäften der BAWAG. Er warf der BAWAG die mutwillige Zerschlagung des Atomic-Konzerns sowie die Verunglimpfung Rohrmosers vor. Als ehemaliger Volksanwalt fühle er sich moralisch verpflichtet, diesen Skandal nicht straflos durchgehen zu lassen, sagte Stadler.

Bei der Abstimmung wurde einstimmig beschlossen, der behördlichen Verfolgung des Abgeordneten Kogler (G) nicht zuzustimmen. Ebenfalls einstimmig beschloss das Plenum, dass hinsichtlich des Abgeordneten Stadler (F) kein Zusammenhang zwischen der vorgeworfenen Tat und der politischen Tätigkeit vorliegt. Damit ist eine behördliche Verfolgung von Abgeordnetem Stadler in der genannten Sache möglich.

(Schluss Temelin/Forts. NR)