Parlamentskorrespondenz Nr. 175 vom 16.03.2007

1984/85: Hainburg - ein Kraftwerksbau erschüttert die Republik

Nationalrat: Debatte über Umweltschutz, Exekutiveinsatz, Rechtsstaat

Wien (PK) – Die Auseinandersetzungen um das geplante Donaukraftwerk Hainburg beherrschte ab 1983 die innenpolitische Diskussion und eskalierte Anfang Dezember 1984, als Bauarbeiter mit Rodungen in der Stopfenreuther Au beginnen wollten. Umweltaktivistinnen und –aktivisten blockierten Holzfällertrupps den Weg und versuchten in der Folge den Arbeitsbeginn durch die Besetzung der Au zu verhindern. Zusammenstöße mit der Polizei, die den Arbeitern den Zutritt zur Baustelle sichern sollte, gaben den Ereignissen eine weitere dramatische Dimension. Dementsprechend emotionell verlief die Diskussion um den Polizeieinsatz gegen zivilen Widerstand - nicht nur in politischen Kreisen und in den Medien, sondern auch in der gesamten österreichischen Bevölkerung.

Die parlamentarischen Debatten am 11. Dezember 1984 und am 23. Jänner 1985 gingen weit über den konkreten ökologischen Aspekt hinaus. Man diskutierte insbesondere, ob Umweltschutz und Wirtschaft miteinander verbunden werden können und ob das Interesse der Arbeitsplatzsicherung auf jeden Fall mit jenem des Umweltschutzes kollidiert. Aber auch rechtsstaatliche Fragen wurden eingehend erörtert. Breiter Raum wurde darüber hinaus dem Verhältnis zwischen direkter und repräsentativer Demokratie gegeben. Zentraler Streitpunkt blieb aber die Frage, ob der Einsatz der Exekutive angemessen war oder nicht.

In den Medien sowie von einigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern wurde damals die Ansicht vertreten, dass die Ereignisse in der Stopfenreuther Au Österreich verändern werden. Sie sollten insofern Recht behalten, als Hainburg die Geburtsstunde der Grünen markiert, die nach ihrem Einzug in das Parlament im Jahr 1986 die politische Landschaft aufmischten. Umweltschutz ist heute Bestandteil jedes Parteiprogramms und wird – auch auf Grund neuester technologischer Entwicklungen – nicht mehr als Gegenpol zu wirtschaftlichen Interessen gesehen.

Die Vorgeschichte

Mit der Staustufe Wien, die heute realisiert ist, und dem Donaukraftwerk bei Hainburg wollte die Donaukraftwerke AG (DoKW) den seit 1952 geplanten Vollausbau der Donau-Staukette abschließen. Gegen das Hainburg-Projekt und die damit verbundene Überflutung von sieben Quadratkilometern Aulandschaft erhob sich jedoch ziviler Widerstand. Die Gegnerinnen und Gegener des Projekts argumentierten, Österreich sei dem "Ramsar-Übereinkommen" zum Schutz der Feuchtgebiete und dem "Berner Abkommen zur Erhaltung wildlebender Tiere und Pflanzen" beigetreten. Im Februar 1983 startete der WWF seine Kampagne "Rettet die Auen" und schließlich gründeten rund zwei Dutzend Umweltgruppen die "Aktionsgemeinschaft gegen das Kraftwerk Hainburg".

Berühmt wurde die "Pressekonferenz der Tiere" am 7. Mai 1984. Prominente Hainburg Gegnerinnen und Gegner sowie  Umweltschützerinnen und –schützer aller Lager waren dabei als Tiere verkleidet, beispielsweise Günther Nenning als Auhirsch und Jörg Mauthe als Schwarzstorch. Sie gaben bekannt, unter Federführung von Gerhard Heilingbrunner und Günther Nenning ein Volksbegehren einleiten zu wollen, für das der Nobelpreisträger Konrad Lorenz gewonnen werden konnte und der für das vom 4. bis 11. März 1985 durchgeführte Referendum auch namensgebend werden sollte: "Konrad-Lorenz-Volksbegehren".

Auch aus dem Ausland meldete sich Protest: Deutsche Umweltschützer drohten mit Tourismusboykott, der Präsident des Internationalen WWF, Prinz Philipp, sprach sich gegen das Projekt aus und auch aus der Schweiz sowie aus der Tschechoslowakei regte sich Widerstand.

Die Sache gewann an Dynamik, als der niederösterreichische Landesrat Ernest Brezovszky am 26. November 1984 die naturschutzrechtliche Genehmigung und am 5. Dezember 1984 der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Günther Haiden, die wasserrechtliche Bewilligung erteilte. Daraufhin kam es am 8. Dezember 1984 zur Sternwanderung des "Konrad-Lorenz-Volksbegehrens", der österreichischen Hochschülerschaft und anderer Au-Initiativen auf die "Brücklwiese" bei Stopfenreuth. Unter den rund 8.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern befanden sich Freda Meissner-Blau, Günther Nenning, Jörg Mauthe und Bernd Lötsch.

Als die DoKW am 10. Dezember 1984 mit den Rodungsarbeiten beginnen wollten und einige hundert Auschützer den Arbeitern die Zufahrtswege blockierten, kam es zu ersten Zusammenstößen zwischen Demonstrantinnen und Demonstranten auf der einen Seite und der Exekutive auf der anderen Seite. Da sich die Lage derart zugespitzt hat, sah sich der Bundesminister für Inneres, Karl Blecha, veranlasst, am 11. Dezember 1984 vor dem Nationalrat während der Budgetdebatte eine Erklärung "über die Vorfälle in der Hainburger Au" abzugeben.

Erklärung von Innenminister Karl Blecha am 11. Dezember 1984

Minister Blecha vertrat dabei die Ansicht, dass auf Grund der vorliegenden behördlichen Genehmigungen die DoKW das Recht habe, die Arbeiten für das Kraftwerk Hainburg zu beginnen. Die DoKW wolle nicht bis zum Abschluss der parlamentarischen Behandlung des im kommenden März stattfindenden Volksbegehrens abwarten, referierte Blecha den Standpunkt der DoKW, da die Dauer der Beratungen im Parlament nicht absehbar sei und außerdem die Ergebnisse des Volksbegehrens "in einem Rechtsstaat nicht rückwirkend in bereits rechtskräftig erlassene Bescheide eingreifen können".

Der Minister ging dann näher auf die Ereignisse ein: Nachdem sich in den Nachtstunden vom 10. Dezember Kraftwerksgegner in der Stopfenreuter Au eingefunden und die Zufahrtswege zum Rodungsgebiet besetzt hätten, seien auf Weisung der Sicherheitsdirektion Niederösterreich 40 Gendarmeriebeamte und 10 Kriminalbeamte bereitgestellt worden, so Blecha. Er habe dann in den Mittagsstunden des selben Tages eine Verstärkung des Gendarmerieeinsatzes auf 212 Beamte bewilligt, weil trotz mehrstündiger Argumentation mit den Demonstranten diese der Aufforderung, den Arbeitern den Zugang zum Rodungsplatz zu ermöglichen, nicht Folge geleistet hätten. Schließlich sei um 13.30 Uhr von den Behördenvertretern über Megaphon für den Fall der Weigerung, die illegale, weil nicht angemeldete, Versammlung zu beenden, die Räumung durch Gendarmeriebeamte angekündigt worden.

Mit Hilfe der Gendarmerie und nach Überwindung von aus Steinhaufen und Bäumen aufgebauter Hindernisse habe der Arbeitstrupp um 15.17 Uhr den Rodungsplatz beim so genannten Tiergartenarm erreicht. Der Einsatz der Gendarmerie sei ohne irgendeinen Waffengebrauch durchgeführt worden. Drei Demonstranten seien vorübergehend festgenommen worden.

Während der Nacht zum 11. Dezember sei der Rodungsplatz von 50 Gendarmeriebeamten gesichert worden, Kraftwerksgegner hätten diese jedoch umzingelt und in ihrer Bewegungsfreiheit behindert. Von immer größeren Gruppen zuströmender Demonstranten seien dann Holzbarrieren aufgerichtet worden, die den in den frühen Morgenstunden zur Ablöse kommenden 50 Gendarmeriebeamten und Arbeitern den Weg versperrt hätten, sodass bei der dritten Barriere, etwa 350 m vom Rodungsplatz entfernt, "Endstation" gewesen, berichtete der Innenminister. In den Augebieten hätten sich im Laufe des Vormittags rund 3.000 Demonstranten befunden, man habe auch seitens der Gendarmerie Verstärkung herbeigeholt. Als es einigen Bauarbeitern gelungen sei, in den Mittagsstunden die Rodungstätigkeit wieder aufzunehmen, soll es zu Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Demonstranten gekommen sein, sagte Blecha. Ein Beamter sei dabei tätlich angegriffen und verletzt worden.

Zusammenfassend stellte der Bundesminister für Inneres fest, der Einsatz der Sicherheitsexekutive sei "in Erfüllung des gesetzlichen Auftrags zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung" erfolgt. Behauptungen eines brutalen Einsatzes der Sicherheitskräfte und einer Unverhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel wies er "mit Entschiedenheit" zurück. "Nicht die Exekutivkräfte, sondern Kraftwerksgegner haben den Boden der Legalität verlassen", betonte Blecha. Das "bewusste, organisierte und systematische Missachten unserer Rechtsordnung......müsste ohne entsprechende Reaktion des Staates und seiner Organe zu anarchischen Verhältnissen in Österreich führen". Die Gendarmerie habe ihre Aufgabe mit dem geringstmöglichen physischen Einsatz erfüllt, und die Bundesregierung habe und werde alles in ihrer Macht stehende tun, um eine Eskalation der Auseinandersetzung zu vermeiden. Bundeskanzler Sinowatz habe daher Vertreter des Konrad-Lorenz-Volksbegehrens zu einem Gespräch eingeladen.

Die Standpunkte der drei Parlamentsparteien

Als erster nach dieser Erklärung trat Abgeordneter Robert Graf (V) ans Rednerpult. Er plädierte für "Augenmaß" und kündigte an, dass die ÖVP den von den Regierungsfraktionen vorbereiteten Entschließungsantrag nicht unterstützen werde, da dieser in Anbetracht der Entwicklung "etwas zuwenig" sei. Er bekannte, ein Befürworter von Hainburg zu sein und zeigte kein Verständnis dafür, das sich Hainburg-Gegner unter dem Prätext "Erkanntes Unrecht darf nicht Recht werden" zur Wehr setzen, da es eine der "gefährlichsten Interpretationen" sei, "dass Meinungsverschiedenheiten als Recht oder als Unrecht in diesem Staat erklärt werden dürfen". Er regte an, eine Art Waffenstillstand, eine "cooling off period", wie er es nannte,  zu finden und begründete den Entschließungsantrag, den er seitens der ÖVP einbrachte.

Darin wurde verlangt, den endgültigen Baubeginn bis nach der Behandlung des Konrad-Lorenz-Volksbegehrens aufzuschieben und eine Hainburg-Konferenz durchzuführen. Die im Nationalrat vertretenen Parteien sollten sich verpflichten, das Volksbegehren fair und rasch zu behandeln. Darüber hinaus sprachen sich die ÖVP-Abgeordneten dafür aus, ein umfassendes System der begleitenden Kontrolle, das die Einhaltung von Umweltauflagen, insbesondere der Sicherung des Trinkwassers und des Grundwassers im Raum und Umgebung von Wien garantiert, bereitzustellen. Dieser Antrag wurde jedoch von SPÖ und FPÖ abgelehnt und blieb somit in der Minderheit.

Klubobmann Sepp Wille (S) thematisierte zunächst grundsätzlich die Herausforderung, Wirtschaft und Umwelt in Einklang zu bringen, um dann aus seiner Sicht klarzustellen, dass die Parole "Zurück zur Natur", die Angst vor der Technik und die Angst vor der Zukunft für die SPÖ keine Alternativen seien. Gerade die Technik werde helfen, die Versöhnung zwischen Umwelt und Wirtschaft zu meistern, bemerkte er. Zum konkreten Anlassfall kommend, meinte Wille, jeder Mensch habe das Recht, seine Meinung innerhalb der gesetzlichen Normen frei zu äußern. Wenn aber Umweltschützer einen Politiker oder Beamten Rechtsbrecher und Umweltverbrecher nennen, dann sei das "Rechtsbruch, Missachtung der Regeln der Demokratie und zerstörerische Intoleranz".

Wille kündigte eine friedliche Demonstration der Betriebsräte und Gewerkschafter in der Au an, um "ganz bewusst den Willen der arbeitenden Menschen und den Willen einer schweigenden Mehrheit zum Ausdruck zu bringen". Eine derartige Demonstration zeige, dass man miteinander reden müsse, um eine friedliche Lösung zu erzielen, unterstrich Wille. Einen neuerlichen Aufschub des Baubeginns, wie im ÖVP-Antrag vorgeschlagen, lehnte Wille aber ab, während er für die anderen Punkte Verständnis signalisierte. "Wenn Tausende Menschen widerrechtlich eine Au besetzen, um ihre eigenen Vorstellungen durchzusetzen, dann müssen wir ihnen sagen, dass die Verfassung aller die Verfassung Österreichs ist und dass sie damit beginnen, unsere Verfassung zu zerstören", schloss Wille.

Abgeordneter Walter Grabher-Meyer (F) brachte im Namen der Regierungsfraktionen einen Entschließungsantrag der Abgeordneten Wille und Grabher-Meyer ein, in dem der Bundesminister für Inneres ersucht wird, "zur Wahrung der rechtsstaatlichen Grundsätze unserer Verfassung alles zu unternehmen, damit die Streitigkeiten über den bewilligten Bau eines Kraftwerkes bei Hainburg friedlich beigelegt und die behördlich genehmigten Arbeiten in Angriff genommen werden können." Die Integrität und Unverletzlichkeit aller beteiligten Personen, aber auch der behördlichen Bewilligungen sei sicherzustellen, hieß es weiter. In der Begründung wird das uneingeschränkte Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Abhaltung von Versammlungen und Demonstrationen betont, gleichzeitig aber darauf hingewiesen, dass dieses von niemandem missbraucht werden darf, "um in rechtswidriger Weise subjektive Interessen durchzusetzen". Weder aus guten Gründen untersagte Demonstrationen noch Eingriffe in fremde Rechte oder gesetzwidrige Behinderungen behördlich genehmigter Arbeiten seien zulässige Mittel in einem rechtsstaatlichen Verfahren. Der Antrag wurde schließlich mehrheitlich von SPÖ und FPÖ angenommen.

Grabher-Meyer unterschied in weiterer Folge seiner Ausführungen zwischen den "Absichten und Zielen der österreichischen Naturschützer und insbesondere der jüngeren Menschen in Österreich und jenen Gruppierungen, die unter dem Deckmantel Hainburg viel weiter gesteckte, beziehungsweise ganz andere Ziele verfolgen". Man müsse Sorge dafür tragen, den ehrlich meinenden Umweltschützern die Gewissheit zu geben, dass alle ökologischen Auflagen vom Kraftwerksbauer penibel eingehalten und verwirklicht werden, meinte er.

Die Au bleibt weiter besetzt – der Verwaltungsgerichtshof entscheidet

Wie von Innenminister Blecha angekündigt, kam es am 12. Dezember 1984 zu einem Gespräch zwischen Vertreterinnen und Vertretern des Konrad Lorenz Volksbegehrens und Bundeskanzler Fred Sinowatz, das 13 Stunden gedauert haben soll. Vereinbart wurde eine "Nachdenkpause" bzw. eine Art "Waffenstillstand" bis 17. Dezember. Nach Ablauf der Frist unternahmen die DoKW einen neuerlichen Rodungsversuch. In der Au hielten sich inzwischen rund 3.000 Kraftwerksgegnerinnen und –gegner auf. Die Au wurde schließlich zum Sperrgebiet erklärt, worauf es am 19. Dezember zu Zusammenstößen mit der Polizei kam. 19 Sicherheitsbeamte und elf Umweltschützer wurden dabei laut Berichten verletzt, 48 Personen wurden festgenommen. Am gleichen Tag folgte eine Großdemonstration von ca. 35.000 Hainburg-Gegnerinnen und -Gegnern auf dem Wiener Heldenplatz.

Bundeskanzler Fred Sinowatz kündigte schließlich nach einer Krisensitzung in der Nacht vom 21. auf den 22. Dezember 1984 einen Weihnachtsfrieden an, womit auch die Rodungsarbeiten vorläufig gestoppt wurden. Am Beginn des neuen Jahres, am 2. Jänner 1985, hob der Verwaltungsgerichtshof aufgrund einer am 21. Dezember 1984 von Grundeigentümern eingebrachten Beschwerde den Wasserrechtsbescheid auf. Das hatte zur Folge, dass die Rodungen bis zur Klärung der rechtlichen Frage eingestellt wurden. Am 23. Jänner 1985 gab schließlich Bundeskanzler Sinowatz eine Erklärung vor dem Nationalrat ab. (Fortsetzung)

Hinweis: Die Parlamentskorrespondenz bringt in loser Folge historische Reportagen über "Reden, die Geschichte machten". Zuletzt brachten wir einen Bericht über "Die lange Nacht im Hohen Haus" (PK Nr. 156/2007 vom 12. März 2007) Den Schluss des Berichts über die Causa Hainburg siehe PK Nr. 176 von heute! Die Serie wird fortgesetzt.