Parlamentskorrespondenz Nr. 819 vom 20.10.2008

Volksgruppe Roma: Von der Verfolgung bis zur Anerkennung

Barbara Prammer stellt Buch und Forschungsprojekt vor

Wien (PK) – Der mühevolle Weg der österreichischen Roma und Sinti von der Verfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus bis zur Anerkennung als Volksgruppe im Jahr 1993 ist das Thema eines Buches von Rudolf Sarközi, das heute von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer gemeinsam mit dem Kulturverein österreichischer Roma im Parlament präsentiert wurde. In diesem Zusammenhang steht auch ein Forschungsprojekt, das sich die namentliche Erfassung der zwischen 1938 und 1945 ermordeten österreichischen Roma und Sinti zum Ziel gesetzt hat und bisher bereits die Namen von mehr als 12 000 verfolgten Personen zusammentragen konnte.    

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer sprach von einer inakzeptablen "Tradition" der Ausgrenzung und der Diskriminierung, auf der der Nationalsozialismus aufbaute, und meinte, die NS-Vollstrecker hätte sich bei ihrem Tun des Beifalls der Mehrheit gewiss sein können. Sie erinnerte daran, dass Ressentiments und Diskriminierung auch nach 1945 fortbestanden haben und dass die Roma und Sinti als Opfergruppe des Nationalsozialismus jahrzehntelang krass benachteiligt waren.

Der Umgang eines Landes mit seinen Minderheiten sei ein Gradmesser, wie sehr eine Gesellschaft zu ihren Grundwerten steht, unterstrich Prammer. Dass sich in Österreich nun vieles zum Besseren gewendet hat, sei untrennbar mit dem Namen Rudolf Sarközi verbunden, dem es gelungen ist, seiner Volksgruppe Gehör zu verschaffen. Seinem Engagement sei es, wie Prammer betonte, zu verdanken, dass die Roma und Sinti mittlerweile als Opfergruppe anerkannt sind und vor 15 Jahren überdies ins Volksgruppengesetz aufgenommen wurden. Die Nationalratspräsidentin meinte weiter, vieles sei in Österreich bereits erreicht worden, doch vieles gebe es gerade im Hinblick auf Vorurteile und Ressentiments noch zu tun. Das Buch Sarközis werde einen wichtigen Beitrag zur notwendigen Bildung- und Aufklärungsarbeit leisten, war Prammer überzeugt.

Rudolf Sarközi, Vorsitzender des Volksgruppenbeirats der Roma, blickte auf die vielen Jahre seiner Bemühungen um die Anerkennung der Roma und Sinti als Volksgruppe zurück und dankte insbesondere dem ehemaligen Bundeskanzler Vranitzky für dessen Engagement. Er sprach aber auch das Schicksal seiner eigenen Familie an und erinnerte dabei an seine Mutter, die im KZ Ravensbrück als 17jährige Analphabetin mit Rosa Jochmann in Kontakt kam.

Was die heutige Situation betrifft, beklagte Sarközi die Gleichgültigkeit der öffentlichen Politik in Anbetracht von Maßnahmen, die gegen die Roma und Sinti gerichtet sind, und sprach dabei kritisch von den Fingerabdrücken, die jungen Roma in Italien zur erkennungsdienstlichen Behandlung abgenommen werden, und von den Roma-Slums in Bulgarien und der Slowakei.

Franz Vranitzky, Bundeskanzler a. D., betonte, das Buch mache deutlich, was es hieß, Roma zu sein. Das Leben der Angehörigen der Volksgruppe sei von Armut, beruflicher Abhängigkeit und ewiger Ausgrenzung gekennzeichnet gewesen, die schändliche Behandlung der Roma habe auch nach dem Nationalsozialismus angedauert. Vranitzky führte das Fehlen profunder historischer Forschungsarbeit und einer Minderheitenorganisation darauf zurück, dass den Roma zur Zeit der Verabschiedung des Volksgruppengesetzes 1976 die Anerkennung verwehrt wurde.

Der Sozialdemokrat Rudolf Sarközi habe Aufbruchsstimmung erzeugt und erkannt, dass nur der politische Weg zum Ziel führe. Nachdem sich die SPÖ 1991 als erste Regierungspartei für die Anerkennung als Volksgruppe ausgesprochen hatte, habe es durch das Engagement Sarközis im Parlament weitere Meilensteine gegeben, an deren Ende dann 1993 die Anerkennung stand. Vranitzky appellierte an Sarközi, noch lange nicht aufzuhören, sich für die Roma einzusetzen und für sich ein wirkliches Heldentum in Anspruch zu nehmen, dies nicht zuletzt deshalb, "weil das Wort Roma in seiner deutschen Übersetzung nicht mehr und nicht weniger heißt als Mensch".

Hannah Lessing, Generalsekretärin des Nationalfonds und des Allgemeinen Entschädigungsfonds, berichtete, mit dem Projekt der namentlichen Erfassung der Opfer seien zwei Ziele erreicht worden: Einerseits bringe die wissenschaftliche Erforschung mehr Klarheit über das Schicksal der österreichischen Roma und Sinti, andererseits diene das Projekt dem Andenken an die Opfer, an jene über 9.000 Roma, die ermordet wurden. Erinnern brauche Namen und Orte, mit der Erfassung der Namen und Schicksale könne vielen Menschen die Erinnerung an ihre ermordeten Familienmitglieder zurückgegeben werden, unterstrich Lessing. Gerade im Gedenkjahr 2008 sei es wichtig, dass Österreich sein Verhältnis zur eigenen Vergangenheit klar und bewusst reflektiert und die Verantwortung dafür übernimmt. Das Projekt sei nicht nur ein wesentlicher Schritt zur Aufarbeitung der NS-Zeit, es zolle den Opfern überdies auch Respekt, indem es ihnen mit dem Namen ein Stück ihrer Würde zurückgibt, schloss Lessing.

Florian Freund, Leiter des Forschungsprojekts, setzte sich in seinem Statement mit der Genozid-Politik gegen die Roma und Sinti auseinander und skizzierte eine Entwicklung, die vom polizeilich-administrativen Begriff des "Zigeuners" aus der Zwischenkriegszeit mit der damit verbundenen Stigmatisierung und pogromartigen Stimmung über die Absonderung und Einweisung in eigene Sonderlager in der NS-Zeit bis hin zu Deportation und Vernichtung reichte. Er gab dabei vor allem auch zu bedenken, dass die Nationalsozialisten, die die Roma als Asoziale und Artfremde ansahen, bei ihrem Vorgehen auf so genannte "Zigeuner-Listen" zurückgreifen konnten, die noch vor der Zeit des Anschlusses in Österreich erstellt wurden.

Gerhard Baumgartner, Leiter des Forschungsprojekts, berichtete zunächst über das Zustandekommen der Liste und sprach dabei von der Schwierigkeit, die Opfer zu identifizieren. Es habe mühsamster Kleinarbeit bedurft um die Namen zu erfassen, zumal viele historische Quellen mittlerweile zerstört und von 90 % der Opfer keine Verwandten mehr am Leben seien. Zum Schicksal der Roma bemerkte Baumgartner, der Weg der Katastrophe habe sich schon früh abgezeichnet. Er nannte vor allem eine vollkommen verfehlte Sozialpolitik sowie die scheinwissenschaftliche und rassistische Überzeugung, dass Kriminalität und Arbeitsscheu angeboren seien, als Gründe für die Ausgrenzung. Die Situation der österreichischen Roma in den 30-er Jahren könne man mit jener in der Dritten Welt vergleichen, gab er zu bedenken. Doch auch in weiten Teilen Mittel- und Osteuropas sowie in Italien finde man dieselben Verhältnisse noch heute. Baumgartner drückte seine Hoffnung aus, dass das Projekt und das damit vermittelte Wissen dazu beitragen werden, dass sich eine derartige Katastrophe nie mehr wiederholen kann.

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments im Fotoalbum : www.parlament.gv.at

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