Parlamentskorrespondenz Nr. 377 vom 05.05.2009

Gedenken ist mehr als Erinnerung

Gemeinsame Gedenkveranstaltung von NR und BR im Parlament

Wien (PK) – "Gedenken ist mehr als Erinnerung – 'Vom Begräbnis aller menschlichen Würde' zur Unteilbarkeit der Menschenrechte". Unter diesem thematischen Schwerpunkt stand der Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus, der heuer zum zwölften Mal gemeinsam von Nationalrat und Bundesrat im Historischen Sitzungssaal des Parlaments begangen wurde. Für die musikalische Umrahmung sorgte das "aron quartett", das Streichquartette von Hanns Eisler und Viktor Ullmann spielte.

Die diesjährige Gedenkveranstaltung war der kritischen Auseinandersetzung mit der österreichischen Gedenkkultur gewidmet und erinnerte an die Gründung des Europarats vor 60 Jahren als gesamteuropäischer Konsequenz aus den nationalsozialistischen Verbrechen.

Der Zweite Präsident des Nationalrats, Fritz Neugebauer, sagte bei der Gedenkveranstaltung, Gedenken bedeute "die Verpflichtung, Zeugnis abzulegen" und bringe Verantwortung für Bildung und Erziehung zu mündigen Bürgern, zu Mitverantwortung und zu gegenseitigem Respekt mit sich. "Gedenken ist mehr als Erinnerung", schloss Neugebauer, "Gedenken heißt Verpflichtung zum Handeln, Gedenken heißt Aufbegehren gegen Gleichgültigkeit." (Wortlaut der Rede siehe PK Nr. 378/2009!)  

Bundesratspräsident Harald Reisenberger ging zunächst auf Umfragen unter Mandatarinnen und Mandataren aller Gebietskörperschaften und einer darauf aufbauenden Studie ein. Ein Ergebnis sei gewesen, dass eine große Mehrheit finde, dass Gedenken organisiert und gefördert werden sollte, nicht zuletzt in Schulen. Der Bundesratspräsident rief die PolitikerInnen dazu auf, sich stärker mit ihrer Rolle, ihren Aufgaben und ihrer Verantwortung im Hinblick auf öffentliches Gedenken und Erinnern zu befassen. (Wortlaut der Rede siehe PK Nr. 379/2009!)

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer stellte klar, dass der Gedenktag keine "Pflichtübung" sei und niemals eine solche werden dürfe. Man dürfe sich nicht mit dem "bloßen Erinnern" zufrieden geben, sondern müsse "alles in die Gegenwart und damit in unseren Lebensalltag holen". Dies bedeute, Ausgrenzung dort aufzuzeigen, wo sie noch immer oder schon wieder Platz greife, Antisemitismus sowie Leugnung, Verharmlosung und Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen nicht zuzulassen. "Die Demokratie ist mehr als die Summe von Institutionen einer Verfassung", sagte die Präsidentin des Nationalrats. "Sie baut auf Prinzipien wie Toleranz, Respekt gegenüber Minderheiten und Zivilcourage." Unter dem Applaus der Anwesenden forderte Prammer in diesem Zusammenhang: "Wir brauchen einen breiten moralischen Grundkonsens, der weit über das juristisch Einklagbare hinausgeht." (Wortlaut der Rede siehe PK Nr. 380/2009!)

Bundespräsident Heinz Fischer betonte in seiner Ansprache, es genüge nicht, an die Verbrechen des Nationalsozialismus zu erinnern. Man müsse sich mit den einzelnen Elementen dieses "Totalversagens der Humanität", mit dem Problem der Intoleranz und dem Phänomen des Wegschauens beschäftigen. Es gehe darum, sich zu Werten und Prinzipien zu bekennen – und das sei "nicht altmodisch, sondern unverzichtbar für die Stabilität einer Gesellschaft". Es gehe um ein Bekenntnis zum europäischen Menschenbild und zur Demokratie, sagte der Bundespräsident. (Wortlaut der Rede von Bundespräsident Heinz Fischer siehe PK Nr. 381/2009!)

Die Betrachtung von Entstehen und Wesen des NS-Systems sei von besonderer Relevanz, um Lehren aus der Vergangenheit ziehen zu können, heißt es in der Einladung. Die Ächtung von Rassismus und Antisemitismus sei die zentrale Herausforderung für die Gedenkkultur und unsere Gesellschaft insgesamt. Der Europarat und die Verbriefung der Menschenrechte seien die Antwort auf den Nationalsozialismus, auf das "Begräbnis aller menschlichen Würde", wie Carl Zuckmayer treffend formulierte.

Der Europarat hat sich vor allem der Durchsetzung und dem Schutz der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der parlamentarischen Demokratie verschrieben. Als eine seiner herausragenden Leistungen gilt die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnet wurde, am 3. September 1958 in Österreich in Kraft trat und heute im Verfassungsrang steht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wurde 1959 eingerichtet. Die EMRK hatte wesentlichen Einfluss auf die modernen Rechtsordnungen der europäischen Demokratien, sie wurde in den folgenden Jahren durch Zusatzprotokolle weiterentwickelt und garantiert den Bürgerinnen und Bürgern der Vertragsstaaten hohe einklagbare Standards der Grund- und Freiheitsrechte. Wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hat die EMRK die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und die Unteilbarkeit der Menschenrechte festgeschrieben.

HINWEIS: Fotos von der Gedenkveranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments im Fotoalbum : www.parlament.gv.at

(Fortsetzung: Reden im Wortlaut)