Parlamentskorrespondenz Nr. 545 vom 29.06.2010

EU: Gleichstellung ist Teil sozialer und ökonomischer Problemlösung

EU-Unterausschuss diskutiert EU-Vorhaben zur Gleichstellungspolitik

Wien (PK) – Um die Gleichstellung von Frauen und Männern innerhalb der EU zu erreichen, bedarf es noch großer Anstrengungen. Trotz der Fortschritte gibt es nach wie vor geschlechtsspezifische Ungleichheiten, etwa bei den Beschäftigungsquoten, beim Gehalt, bei der Arbeitszeit, bei den Führungspositionen, bei der Übernahme von Betreuungsaufgaben und Pflichten im Haushalt sowie beim Armutsrisiko. Das geht aus dem Bericht der EU-Kommission zum Thema Gleichstellung hervor, der heute gemeinsam mit einer Mitteilung der Kommission zu einem verstärkten Engagement für die Gleichstellung von Frauen und Männern und zu einer "Frauen-Charta" im EU-Unterausschuss des Nationalrats diskutiert wurde.

Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek befürwortete die Initiativen der EU, bedauerte jedoch, dass es nicht gelungen ist, eine eigene gesellschaftspolitische Leitlinie explizit in die Strategie "EU 2020" hinein zu verhandeln. Dennoch sei das Thema "Gleichstellung von Frauen und Männern" sowohl in den fünf Kernzielen als auch in den sieben Leitinitiativen enthalten, bestätigte sie.

Mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, Grünen und BZÖ wurde mehrheitlich ein Antrag auf Stellungnahme angenommen, in dem die Bundesregierung ersucht wird, Bestrebungen zur Förderung der umfassenden Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Politikbereichen der EU aktiv zu unterstützen und sich für die Verankerung der Gleichstellung als politikfeldübergreifendes, horizontales Prinzip im europäischen Handeln einzusetzen. Die Abgeordneten halten die Schwerpunktsetzung der EU-Kommission für richtig und vertreten die Auffassung, dass die Aufnahme einer geschlechtsspezifischen Komponente in die gemeinsame Außenpolitik der EU wesentlich dazu beitragen kann, Gleichstellung auch über die europäischen Grenzen hinaus zu fördern.

Heinisch-Hosek strebt nationalen Aktionsplan an

Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek zeichnete einen ähnlichen Befund für Österreich wie der Kommissionsbericht. Es habe Fortschritte gegeben, sagte sie, aber es gebe auch noch großen Nachholbedarf. Die Frauenbeschäftigungsquote liege in Österreich bei 65,8%, was deutlich über dem EU-Durchschnitt sei. Dass ein hoher Prozentsatz der Frauen nur Teilzeit arbeite, müsse in diesem Zusammenhang als ein Wermutstropfen betrachtet werden. Das sei auch auf mangelnde Kinderbetreuungseinrichtungen zurückzuführen, ergänzte sie, aber auch auf die Tatsache, dass Frauen stark in die Pflege von Angehörigen eingebunden sind.

Auch wenn es in Österreich weniger armutsgefährdete Frauen als in der EU gibt, könne man nicht zufrieden sein, stellte die Ministerin fest. Der beste Schutz vor Armut sei noch immer eine eigenständige Absicherung und ein eigenständiges Einkommen.

Heinisch-Hosek kündigte den Ausschussmitgliedern an, das Ergebnis des einjährigen Diskussionsprozesses mit über 100 ExpertInnen demnächst zu präsentieren. Diese hätten zahlreiche Maßnahmen erarbeitet, für die es zwar noch keinen Konsens gibt, aber sie sehe es als eine der wesentlichen Aufgaben für die nächste Zeit an, in die entsprechenden Verhandlungen mit den Sozialpartnern und den zuständigen Ministerien zur Erstellung eines nationalen Aktionsplans zu gehen.

Als einen wesentlichen Schritt bezeichnete die Ministerin die Einigung mit den Sozialpartnern zur Einkommenstransparenz. Damit werde man dem Ziel, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, näher kommen, zeigte sie sich überzeugt. Der Gesetzesentwurf werde bald in Begutachtung gehen, informierte sie die Abgeordneten. Sie unterstützte auch den Vorschlag des WIFO, den Alleinverdienerabsetzbetrag für jene, die keine Kinder betreuen, auf den Ausbau der Betreuungseinrichtungen umzuschichten. Sie hoffte auch, dass durch die Selbstverpflichtung privater Unternehmen mehr Frauen in Führungspositionen gelangen.

Die Frauenministerin wies auch auf den Zusammenhang zwischen Kinderbetreuungseinrichtungen und Geburtenrate und damit auf die demografische Entwicklung hin und unterstrich die positive Wirkung einer hohen Frauenerwerbsquote auf das Wirtschaftswachstum.

Die Pläne der EU-Kommission

Auch die Kommission stellt in der genannten Mitteilung fest, dass wirtschaftlicher Zusammenhalt, nachhaltiges Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit sowie die Bewältigung der demografischen Herausforderung von wirklicher Gleichstellung der Geschlechter abhängen.

Die Kommission plant daher, im Laufe des Jahres 2010 eine Gleichstellungsstrategie zu verabschieden, die nahtlos an den derzeitigen Fahrplan für die Gleichstellung von Frauen und Männern anschließt. Sie warnt davor, unter dem Vorwand der Wirtschafts- und Finanzkrise die Mittel für Gleichstellungsmaßnahmen einzufrieren oder sogar zu kürzen. Viel eher sollte man der Kommission zufolge wirksame Gleichstellungsmaßnahmen als Bestandteil des Lösungsansatzes zur Überwindung der Krise und als einen Faktor zur Wachstumsförderung sehen. Gleichstellungsmaßnahmen sollten nicht als kurzfristiger Kostenfaktor, sondern als langfristige Investition betrachtet werden, unterstreicht der Kommissionsbericht. Es sei unerlässlich, dass der Fahrplan der Kommission sowie der vom Europäischen Rat verabschiedete Europäische Pakt für die Gleichstellung der Geschlechter und der von den europäischen Sozialpartnern vereinbarte Aktionsrahmen für die Gleichstellung von Frauen und Männern ihre Fortsetzung in einer Nachfolgestrategie findet. Zudem müsse Gleichstellung ein Kernelement der EU-Strategie für 2020 bleiben und Gender Mainstreaming wirksam als Instrument der Politikgestaltung eingesetzt werden. Voraussetzung dafür seien unter anderem die Entwicklung von nach Geschlechtern differenzierten Statistiken, Indikatoren, Instrumenten und Leitfäden, einschließlich des Austauschs vorbildlicher Modelle.

Anlässlich des internationalen Frauentags 2010 und des 15. Jahrestags der Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Peking hat die Kommission auch ihr Engagement bekräftigt, die Gleichstellung von Frauen und Männern umfassend zu verwirklichen und die zur Umsetzung dieses Ziels nötigen Ressourcen bereitzustellen. So soll das Potenzial von Frauen voll ausgeschöpft werden, um so eine bessere Geschlechterverteilung auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen. Der Abbau des geschlechterspezifischen Lohngefälles durch die Mobilisierung aller legislativen und nichtlegislativen Instrumente ist laut Kommission ebenso Ziel wie die faire Vertretung von Frauen und Männern in Führungspositionen im öffentlichen Leben und in der Wirtschaft. Mit entsprechenden Maßnahmen will die Kommission auch der geschlechterspezifischen Gewalt ein Ende setzen.

Gleichstellungspolitik soll auch in die Außenpolitik integriert werden, um die soziale und wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen und Männern gleichermaßen weltweit zu fördern. Dieses Engagement sei nicht nur in den Beziehungen mit Drittländern zu forcieren, sondern auch im Rahmen der Zusammenarbeit mit internationalen und regionalen Organisationen.

Wie dem Bericht zu entnehmen ist, konnte die Frauenerwerbsquote im EU-Raum in den letzten zehn Jahren um 7,1 Prozentpunkte gesteigert werden, sie lag 2008 bei 59,1 %, wobei die Quoten in den einzelnen Mitgliedstaaten zwischen unter 40 % und über 70 % schwanken. Frauen haben aber ein höheres Risiko, nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes keinen anderen Arbeitsplatz zu finden. Sie sind auch weitaus häufiger in prekären Arbeitsverhältnissen und in unfreiwilligen Teilzeitbeschäftigungen zu finden. Groß ist nach wie vor das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen, dieses belief sich im EU-Durchschnitt zum Nachteil der Frauen auf 17,6 %. Frauen arbeiten auch weiterhin hauptsächlich in traditionell weiblichen und oft schlecht bezahlten Branchen. Sie besetzen trotz des erheblich gestiegenen Bildungsniveaus – 59 % der HochschulabgängerInnen sind Frauen – in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft seltener Führungspositionen.

Die Kommission drängt daher darauf, die Anstrengungen zur Beseitigung der Ungleichheit in der Arbeitswelt zu intensivieren, damit die bestehenden Unterschiede in Bezug auf Beschäftigung, Entgelt und Führungspositionen durch Schaffung besserer Arbeitsplätze sowie durch Abbau der Segregation auf dem Arbeitsmarkt und des Armutsrisikos erheblich reduziert werden können. Insbesondere sollte nach Ansicht der Kommission die Verringerung des Lohngefälles weiterhin Priorität haben, die Vollzeitbeschäftigung müsste gefördert werden, denn sie sei die beste Garantie gegen Armut und soziale Ausgrenzung. Steuer- und Sozialleistungssysteme sollten für Frauen und Männer die gleichen Anreize zur Aufnahme von Erwerbstätigkeit haben.

Die Kommission übt auch Kritik an mangelnden Kinderbetreuungseinrichtungen in den Mitgliedstaaten und fordert die EU-Staaten auf, mehr Maßnahmen zur Vereinbarkeit des Berufs-, Privat- und Familienlebens von Frauen und Männern zu ergreifen. Auf EU-Ebene selbst soll die Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub mit dem Ziel der Verlängerung des Elternurlaubs und dem Anspruch auf flexible Arbeitszeiten für einen bestimmten Zeitraum nach dem Elternurlaub geändert werden. Geplant ist ebenfalls, die Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen, die eine selbständige Tätigkeit ausüben, sowie von mithelfenden Ehegatten zu novellieren.

Außerdem hat die Kommission einen Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rats zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz von Opfern vorgelegt. Den Mitgliedstaaten wird nahegelegt, präventive Methoden der Bekämpfung sexualisierter Gewalt, wozu auch Menschenhandel zum Zweck der sexuellen oder wirtschaftlichen Ausbeutung zählt, zu intensivieren. Besonderes Augenmerk sollte nach Ansicht der Kommission auf gezielte Maßnahmen gegen Genitalverstümmelung, Früh- oder Zwangsehen und so genannte Ehrendelikte gelegt werden.

Gleichstellungspolitik der EU: Zwang oder Wahlfreiheit für Frauen?

In der Diskussion kamen grundsätzliche Auffassungsunterschiede zwischen SPÖ, ÖVP und Grünen einerseits, und FPÖ und BZÖ andererseits zutage. Während die Abgeordneten der Regierungsfraktionen und der Grünen die Pläne der EU unterstützten, forderte die FPÖ, die Stereotypen zu überdenken. Sie sah in den vorliegenden Papieren nur eine Summe von Glaubenssätzen, die Frauen ein bestimmtes Verhalten aufzwingen wollen. 

Abgeordnete Gisela Wurm (S) zeigte sich zufrieden über die Initiativen der EU in Bezug auf die Gleichstellungspolitik. Sie forderte vor allem mehr Betreuungseinrichtungen für Kinder bis zum dritten Lebensjahr. V-Abgeordnete Dorothea Schittenhelm urgierte einen nationalen Aktionsplan.

Abgeordnete Ursula Plassnik (V) brachte die außenpolitische Komponente der Gleichstellungspolitik in die Diskussion ein. Die EU sei eine Wertegemeinschaft, sagte sie, und Gleichstellung ein wesentlicher Teil davon. Dies müsse sich auch in der Außenwirkung der EU widerspiegeln. Sie erinnerte an die UNO-Resolution 1325, die im Herbst 2000 beschlossen worden war und in der der UN-Sicherheitsrat die Mitglieder auffordert, für eine stärkere Beteiligung von Frauen auf allen Ebenen der institutionellen Verhütung, Bewältigung und Beilegung von Konflikten Sorge zu tragen. Angesichts des zehnten Jahrestages sollte das Parlament seine Stimme erheben und Initiativen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit sowie der Außen- und Sicherheitspolitik setzen, verlangte Plassnik. Es sei auch notwendig, meinte die ehemalige Außenministerin, mehr Frauen in Führungspositionen bei internationalen Missionen zu bestellen. Sie regte auch an, innerhalb der Regierung eine Person zu bestellen, die sich mit dem Thema befasst. Auch sollte die Ablehnung der Genitalverstümmelung und der Gewalt an Frauen an sich mehr Gewicht in der Außenpolitik haben, forderte Plassnik.

In der Beurteilung der Lage sowie in den angestrebten Zielen und Maßnahmen ging Abgeordnete Judith Schwentner (G) mit der Frauenministerin konform. Sie betonte die Wichtigkeit des Gender-Budgeting und sprach sich für die Schaffung qualifizierter Teilzeitarbeitsplätze aus, da Teilzeit von Frauen durchaus auch selbst gewählt sei, ihnen dadurch aber Aufstiegschancen nicht verwehrt werden dürften.

Völlig anders bewertete Abgeordnete Heidemarie Unterreiner (F) die Pläne der Kommission und zweifelte, ob man damit den Frauen wirklich etwas Gutes tue. Man sollte darüber nachdenken, meinte sie, ob Frauen tatsächlich volle Berufstätigkeit wollen und ob man ihnen nicht vielmehr die Chance geben sollte, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es wollen. Es könne doch nicht sein, dass Frauen voll arbeiten müssen, damit sie nicht in die Armutsfalle geraten. Frauen müssten so abgesichert werden, dass sie sich es leisten können, Kinder zu bekommen und auch nicht gezwungen sind, ihre Kinder sofort einer Betreuungseinrichtung zu überantworten. Betrachtet man die von der EU und von der Regierung vorgesehenen Maßnahmen, so sehe es so aus, als ob sich Frauen mehr und mehr männlichen Verhaltensmustern unterordnen müssten, bemerkte Unterreiner, Wachstum könne in der Gleichstellungspolitik nicht alleiniges Kriterium sein.

Unterreiner wurde in ihrer Auffassung von ihrem KlubkollegInnen Johannes Hübner und Carmen Gartelgruber unterstützt. Gartelgruber warf der EU vor, den Frauen keine Wahlfreiheit geben zu wollen. Die Frauen-Charta stellt nach Meinung des Abgeordneten Hübner die Summe von Glaubenssätzen dar, die mit pseudowirtschaftlicher Argumentation untermauert wird. Außerdem sah er in dem Vorhaben der EU das Subsidiaritätsprinzip verletzt, da sämtliche Maßnahmen die Mitgliedstaaten selbst regeln können.

Dem wiedersprachen die Abgeordneten Gisela Wurm und Christine Muttonen (beide S) heftig. Es gehe um Gleichstellung im Sinne von Gerechtigkeit, bemerkte Wurm, und die Freiheit steige mit der Zahl der Möglichkeiten. Muttonen verwies auf das gute Netz der Kinderbetreuung und das Instrument der Väterkarenz, womit die Gesellschaft in den skandinavischen Ländern positiv verändert worden sei. Auch Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek stellte klar, es gehe nicht um Bevormundung. Sie wolle den Frauen gleiche Chancen eröffnen und ihnen ein Angebot machen.

Um der Armutsgefährdung vor allem der Alleinerziehenden entgegenzuwirken forderten die Abgeordneten Carmen Gartelgruber (F) und Ewald Stadler (B) die Einführung einer generellen Unterhaltsbevorschussung sowie steuerrechtliche Maßnahmen.

Der Antrag der FPÖ auf strikte Ablehnung der Frauen-Charta und der Mitteilung der Kommission zur Gleichstellung von Frauen und Männern fand bei den anderen Fraktionen keine Unterstützung und blieb somit in der Minderheit.

Abgeordneter Ewald Stadler (B) unterstützte Maßnahmen zur Geschlechtergerechtigkeit dann, wenn es um den Abbau sozialrechtlicher Unterschiede geht. Glaubenssätze seien aber der falsche Weg, meinte er. Stadler kritisierte insbesondere die Diskussion im Europarat um den Begriff Mutter, den einige Abgeordnete als sexistisch eingestuft hatten. Eine Erhöhung des Frauenanteils bedeute auch lange noch nicht mehr Geschlechtergerechtigkeit, argumentierte er, denn dann könnten in der Justiz keine Urteile gefällt werden, die Gewalt an Frauen mit dem Hinweis auf kulturelle Traditionen geringer bestrafen.

Abgeordnete Martina Schenk (B) fehlten konkrete Lösungsvorschläge in den vorliegenden Papieren. Sie kritisierte auch die letzte Steuerreform, die ihrer Ansicht nach dem Auseinandergehen der Einkommensschere zusätzlich Vorschub geleistet hat. Ihr Antrag auf Ausschussfeststellung, wonach Frauen mit niedrigen nicht lohnsteuerpflichtigen Einkommen künftig auch jene Unterstützungen lukrieren können, die mit der Steuerreform 2009 insbesondere den in der Mehrzahl männlichen Beziehern höherer Einkommen zugutekommen, fand ebenfalls nicht die erforderliche Zustimmung der anderen Fraktionen. (Fortsetzung)