Parlamentskorrespondenz Nr. 673 vom 14.09.2010

Kinderbetreuung als Schlüsselfrage österreichischer Familienpolitik

Familienausschuss diskutiert Lage der österreichischen Familien

Wien (PK) – Daten und Fakten des 5. Österreichischen Familienberichts (III-157 d.B.) bildeten im heutigen Familienausschuss Grundlage für Diskussionen über die Zukunft der österreichischen Gesellschaft und die Richtung, welche die Familienpolitik in Zukunft nehmen werde.  

Staatssekretärin Christine Marek entnahm dem Bericht, dass zahlreiche Erfolge bei der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf erzielt worden seien, etwa durch das Kinderbetreuungsgeld, die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten, die Einführung der dreizehnten Familienbeihilfe und durch Kinderzuschläge beim Alleinverdienerabsetzbetrag. Man habe ein Mehr an Kinderbetreuungseinrichtungen erreicht, sei hier aber noch nicht am Ziel, vor allem was die Betreuung der unter Dreijährigen betreffe. Ein Schwerpunkt der Familienpolitik bleibe die Unterstützung der Familien in allen Lebenslagen, insbesondere in Krisensituationen. Die Gesetze zur Bekämpfung von Gewalt in der Familie hätten eine wichtige Signalwirkung für einen Bewusstseinswandel gehabt.

Marek sah insgesamt eine erfolgreiche familienpolitische Bilanz, aber auch noch zahlreichreiche Herausforderungen an die Politik der nächsten Jahre. So sei eine Steigerung der Geburtenrate noch nicht erreicht worden. Die Absicherung der Finanzierbarkeit der Familienleistungen in ihrem gesamten Leistungsspektrum werde im Rahmen der Budgeterstellung noch intensiv zu debattieren sein.

Die ExpertInnenrunde eröffnete Martina Beham (Johannes Kepler Universität Linz), die vor allem die Ergebnisse des Berichts zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf präsentierte. In beiden Bereichen würden Veränderungen stattfinden, die aber nicht aufeinander abgestimmt seien, was neue Spannungsfelder schaffe. Die Aufweichung der Normalarbeitszeitverhältnisse betreffe vor allem Frauen, meinte Beham, gleichzeitig blieben aber traditionelle Erwerbsmuster bestehen. Das schränke insgesamt die Planbarkeit von Familiengründungen ein. Das Armutsrisiko sei außerdem für AlleinerzieherInnen besonders hoch.

In Österreich vollziehe sich ein massiver demographischer Wandel, für 2050 rechne man etwa mit mehr als einer Million über Achtzigjähriger. Man müsse überlegen, wie der öffentliche Bereich private Pflege besser unterstützen könne. Auch die schulischen Strukturen seien nicht mehr auf die veränderten Realitäten von Beruf und Familie abgestimmt. Der Bildungsabschluss sei in Österreich noch immer sehr stark von den elterlichen Ressourcen abhängig, hier müsse mehr Chancengleichheit hergestellt werden.

Rainer Münz (Erste Group Bank AG) merkte an, Familie sei heute eine Lebensform, keine Wirtschaftsform mehr. Der Bevölkerungszuwachs finde heute durch Zuwanderung statt, ein Kinderwunsch sei aber nicht mehr selbstverständlich realisierbar. Es gebe zahlreiche Singlehaushalte und etwa ein Viertel der Kinder lebten heute in Alleinerzieherhaushalten. In Österreich gebe es eine starke Umverteilung durch Sozialleistungen für Familien, die durchschnittliche Kinderzahl sei aber unverändert geblieben. Ein zentrales Ergebnis der durchgeführten Studien sei daher, dass Transferleistungen und Kinderzahl nicht miteinander korrelieren. Hingegen weisen Länder mit einer höheren Zahl erwerbstätiger Frauen eine höhere durchschnittliche Kinderzahl pro Frau auf.

Winfried Moser (Österreichisches Institut für Kinderrechte & Elternbildung) meinte, dass der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen weitergehen müsse. Kindergärten entwickeln sich immer mehr hin zu wichtigen Bildungsinstitutionen zur Herstellung von Chancengleichheit. Die pädagogische Qualität in der Kinderbetreuung sei daher von zentraler Bedeutung. Zunehmend werden Kinder als Zukunftsressource begriffen, in die zu investieren sich lohne, doch brauche das entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen. Nach wie vor fehlten 45.000 Kinderbetreuungsplätze. Einen wesentlichen Grund dafür, dass in Österreich der Kinderwunsch so niedrig wie in keinem anderen Land sei und oft auch nicht realisiert werde, ist laut Moser die schlechte Abstimmung der familienpolitischen Maßnahmen aufeinander.  

Martina Pecher (Pecher Consulting GmbH) präsentierte die Ergebnisse von Studien, die vor allem Vereinbarkeit von Familien und Beruf mit dem Fokus auf KMU untersuchten. Familienfreundliche Maßnahmen werden bereits von vielen Betrieben zur Erhöhung der Motivation und Zufriedenheit der MitarbeiterInnen umgesetzt und werden als Wettbewerbsvorteil begriffen.

Herbert Vonach (Freiheitlicher Familienverband Österreich) sah eine Einseitigkeit im Familienbericht insofern, als die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nur am Modell der Vollzeitbeschäftigung und eines möglichst raschen Wiedereinstiegs von Müttern ins Berufsleben gemessen werde. Eine Mehrheit der Frauen würde sich aber ein Modell der Kinderpausen wünschen. Vonach konstatierte eine Diskriminierung von Müttern, die ihre Kinder selber betreuen.

Alois Guger (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung) bewertete die Verteilungseffekte der österreichischen Familienpolitik als sehr ausgeprägt. Alle direkten und indirekten Familienausgaben würden zusammen etwa 19 % aller Sozialausgaben ausmachen. Familienpolitik habe damit einen hohen vertikalen Umverteilungseffekt und sei ein wesentlicher Faktor der Armutsbekämpfung. Trotzdem sei die Armutsgefährdung besonders von Alleinerzieherinnen und von Mehrkindfamilien hoch. Außerdem gebe es in Österreich eine höhere soziale Vererbbarkeit von Armut als in anderen Ländern.

Sybille Pirklbauer (AK Wien) verwies darauf, dass Österreich zwar hohe Direktförderungen für Familien vorsehe, bei den Sachleistungen für Kinderbetreuung der Wert aber wesentlich niedriger liege. Auch die Steuerreform 2009 habe grundsätzlich an dieser Struktur nichts geändert. Eine Förderung der Kinderbetreuung würde aber beschäftigungspolitisch positive Effekte haben und sich damit rasch für das Budget rechnen.

Christiane Rille-Pfeiffer (Österr. Institut für Familienforschung) sah das Thema Familienpolitik aufgrund des Geburtenrückgangs europaweit stärker in den Blickpunkt rücken. Themen seien die Qualität der Kinderbetreuung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die verstärkte Väterbeteiligung, das Ungleichgewicht zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit, das vor allem zu Ungunsten der Frauen gehe, und die Pflegeproblematik. Pflegeleistungen seien zu einem globalen Markt geworden, der vor allem Migrantinnen beschäftige.

In der Fragerunde der Abgeordneten an die Staatssekretärin und die ExpertInnen wurden vor allem Fragen von Kinderbetreuung und der Pflege angesprochen. Abgeordnete Gabriele Binder-Maier (S) erkundigte sich nach den Eckpunkten der Budgetpolitik im familienpolitischen Bereich. Abgeordnete Angela Lueger (S) sprach die qualifizierte Ausbildung von Kindergartenpädagoginnen und die Rolle der Unternehmen in der Kinderbetreuung an. Abgeordnete Gisela Wurm (S) interessierte sich dafür, wie man Kinderbetreuungseinrichtungen weiter zu fördern gedenke. Abgeordnete Ridi Maria Steibl (V) sah es als notwendig an, auf demographische Veränderungen mit neuen Angeboten in der Pflege zu reagieren. Abgeordnete Adelheid Irina Fürntrath-Moretti (V) begrüßte die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten, da Betreuung zu Hause immer noch wichtig sei.

Kritische Stimmen kamen von den Abgeordneten der Opposition. Abgeordnete Anneliese Kitzmüller (F) sah eine Valorisierung der Familienleistungen als dringend notwendig an. Der Bericht zeige eine Politik gegen die Interessen der Frauen, meinte sie und kündigte an, dass ihre Fraktion ihm deshalb nicht zustimmen werde. Abgeordnete Daniela Musiol (G) meinte, der Familienbericht sei eine taugliche Grundlage für weitere Entscheidungen, sie bezweifle aber, dass die Empfehlungen tatsächlich umgesetzt würden. Ein Problem der fehlenden Kinderbetreuungsplätze sei die Kompetenzzersplitterung durch den Föderalismus. Abgeordnete Tanja Windbüchler-Souschill (G) thematisierte das Thema Gewalt in Familien, die in Österreich immer noch höher als in anderen Ländern sei. Abgeordnete Ursula Haubner (B) sah eine überproportionale Belastung von Mittelstandsfamilien und wollte wissen, wie man die nachhaltige Finanzierung des FLAV zu sichern gedenke. Abgeordnete Martina Schenk (B) verwies auf Medienberichte über überfüllte Kinder-Kriseninterventionszentren und fragte, ob ein Ausbau geplant sei. Abgeordnete Edith Mühlberghuber (F) sprach die Frage des Generationenvertrags an und meinte, nur durch niedrig qualifizierte Zuwanderer sei dieser nicht aufrecht zu erhalten.

Staatssekretärin Christine Marek bekräftigte in ihrer Antwort auf die Fragen der Abgeordneten, dass sich die nachhaltige Absicherung von Familienleistungen im Budget niederschlagen werde. An eine Neustrukturierung des FLAV könne erst nach der Gesamtkonsolidierung gedacht werden, meinte sie auf die Frage von Abgeordneter Haubner. Die Anstoßfinanzierung für Kinderbetreuungseinrichtungen werde weitergeführt, die Bundesländer erhalten weiterhin Geld, das sie zweckgebunden dafür einsetzen müssen. In Richtung von Abgeordneter Mühlberghuber meinte sie, der Generationenvertrag sei eine Querschnittmaterie, hier gehe es auch um Fragen der Sozialpolitik und der Beschäftigung. Mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei man aber auf dem richtigen Weg. In der Ausbildung von KindergartenpädagogInnen habe man bundeseinheitliche Standards erreicht. Die Einbindung von Unternehmen sei ein wesentliches Anliegen, weshalb man einen Unternehmerfreibetrag für Investitionen in Kinderbetreuung eingeführt habe. Kriseninterventionszentren seien Sache der Länder, der Bund verhandle aber derzeit über das Kinder- und Jugendschutzgesetz, erfuhr Abgeordnete Schenk.

In einer weiteren ExpertInnenrunde betonte Christiane Rille-Pfeiffer, bei der Pflege gehe es um den richtigen Mix an Pflegeangeboten, die sich auch an lokalen Bedürfnissen orientieren müssten. Dieser Meinung schloss sich Martina Beham an, die weiters erläuterte, in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, bei Pflege und Kinderbetreuung müssten Unternehmen als dritte Säule einbezogen werden. Der Feminisierung von Pflegearbeit könne durch Professionalisierung und Aufstiegschancen in den Pflegeberufen entgegen gewirkt werden. Alois Guger meinte, es gebe bei der Familienpolitik eine Diskrepanz zwischen den Institutionen und der gesellschaftlichen Realität. Betriebe sollten stärker durch flexiblere Arbeitszeitmodelle auf die Bedürfnisse der Familien eingehen und so ihre Zeitbudgets entlasten. Martina Pecher schloss sich dem an und fügte hinzu, es fehlten hier noch Daten über den tatsächlichen Bedarf. Sybille Pirklbauer unterstrich, dass sich Investitionen in Kinderbetreuung rechnen, da sie Beschäftigung generieren. Herbert Vonach kritisierte eine Umverteilung von den Kinderreichen zu den Kinderlosen. Familien seien gesellschaftlich gesehen Nettozahler, das müsse geändert werden.

Der Bericht wurde mit Stimmenmehrheit zur Kenntnis genommen. Nur die Abgeordneten der Freiheitlichen verweigerten ihm ihre Zustimmung.

Opposition fordert gesetzliche Regelungen zugunsten von Familien

Weiters befasste sich der Ausschuss mit Entschließungsanträgen von FPÖ, BZÖ und Grünen, die sie vor allem unter dem Aspekt der Verbesserung der Situation der Familien eingebracht hatten.

Die Anträge der Grünen betreffend Anpassung der Regelungen zur SchülerInnenfreifahrt (1205/A[E] ), Einführung eines "Papamonats" (1203/A[E] ) und Fortsetzung des Bundeszuschusses zum Ausbau der Kinderbetreuung (1198/A[E] ) wurden mit S-V-Mehrheit vertagt.

Der Vorschlag des BZÖ, eine jährliche Valorisierung von Familienleistungen vorzunehmen (298/A[E] ) wurde mit S-V-Mehrheit vertagt. Ein weiterer Antrag des BZÖ, die Antrags- und Auszahlungsmodalitäten der Familienleistungen in Österreich zu vereinheitlichen (509/A[E] ), fand nur die Zustimmung der Oppositionsparteien und wurde damit abgelehnt.

Der Entschließungsantrag der FPÖ betreffend Beibehaltung der 13. Familienbeihilfe (1099/A[E] ) wurde mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP vertagt. Ebenso erging es den beiden F-Anträgen betreffend Vorlage eines Bundesgesetzes, mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geändert wird (257/A[E] und 259/A[E] ).  (Schluss)