Parlamentskorrespondenz Nr. 870 vom 09.11.2010

EU-Unterausschuss: Vorrang der Schiene vor Straße

EU plant einheitlichen europäischen Eisenbahnraum

Wien (PK) – Die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene hat absolute Priorität. Das betonten heute Infrastrukturministerin Doris Bures sowie die VertreterInnen aller Fraktionen (die Abgeordneten Anton Heinzl - S, Ferdinand Maier - V, Leopold Mayerhofer - F, Gabriela Moser – G und Christoph Hagen – B) im EU-Unterausschuss. Grundlage für die Diskussion war der Plan der EU, einen einheitlichen europäischen Eisenbahnraum zu schaffen und das transeuropäische Verkehrsnetz weiterzuentwickeln. Neben dem Richtlinienentwurf lag dem Ausschuss auch eine Mitteilung der Kommission zum Thema europäischer Eisenbahnraum sowie eine Arbeitsunterlage zu den TEN-Projekten vor.

Nachdem die Ministerin bestrebt ist, neben dem bestehenden prioritären TEN-Projekt "Brenner Basistunnel" auch die Baltisch-Adriatische Achse in das Kernnetz aufzunehmen, entwickelte sich eine kontroversielle Diskussion, da Abgeordnete der Opposition, aber auch der ÖVP diese Zielrichtung als nicht sinnvoll erachteten. Abgeordneter Ferdinand Maier (V) sprach sogar von Fehlplanungen und Fehlinvestitionen. Die Südachse ist die Verbindung Venedig – Klagenfurt- Graz – Wien – Brünn bis Polen, die die Koralmbahn und den Semmering Basistunnel als wichtige österreichische Projekte enthält.

Abgeordnete begrüßen einheitlichen europäischen Eisenbahnraum

Grundsätzlich begrüßten aber die Abgeordneten die Schritte zu einem einheitlichen europäischen Eisenbahnraum. In einem von den Abgeordneten Anton Heinzl (S) und Ferdinand Maier (V) eingebrachten Antrag auf Mitteilung werden die Bemühungen der EU zur weiteren Liberalisierung des Schienenverkehrmarktes begrüßt. Der Antrag wurde mit S-V-F-B-Mehrheit angenommen.

Die Abgeordneten unterstützen darin Strukturreformen im Sinne einer sachlichen Trennung von Infrastruktur und operativem Zugbetrieb, sie treten für die Entschuldung von Staatsbahnen, für einen diskriminierungsfreien Zugang für Eisenbahnunternehmen zur Schieneninfrastruktur sowie für die Aufwertung der Funktion des Schienenregulators ein. Ein wesentliches Ziel für die Abgeordneten ist die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf umweltschonende Verkehrsmittel. Neben den Maßnahmen zur Öffnung des Schienenmarktes sollte nach Auffassung der Abgeordneten auch die weitere technische Harmonisierung und eine weitere Verbesserung der Kostenwahrheit im Verkehrswesen angestrebt werden, um die Wettbewerbsnachteile der Bahn auszugleichen. Dazu bedürfe es auch eines ausreichenden Budgetrahmens der EU für TEN-Vorhaben, damit große Infrastrukturvorhaben von europäischer Bedeutung auch in den künftigen Finanzperioden ausreichend hoch co-finanziert werden können.

CO2-Reduktion bedingt Vorrang umweltfreundlicher Verkehrsmittel

Auch Bundesministerin Doris Bures kritisierte die derzeitige Diskussion auf EU-Ebene um die Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer und stellte eindeutig klar, dass der Schienenverkehr für sie und die Bundesregierung absoluten Vorrang vor der Straße habe. Alles andere sei im Hinblick auf die angestrebte CO2-Reduktion nicht schlüssig. Sie trete auch immer für mehr Kostenwahrheit auf der Straße ein und bedauerte ausdrücklich, dass Italien gegen die neue Wegekostenrichtlinie gestimmt hat.

Die Bemühungen der EU um Vereinheitlichungen im Eisenbahnsystem seien notwendig, um einheitliche Standards zu schaffen, sagte Bures, denn derzeit gebe es unterschiedliche Stromsysteme und unterschiedliche Zugsicherungssysteme. Auch auf dem Gebiet der Ausbildung und technischen Ausstattung sei eine Angleichung innerhalb der EU notwendig.

Bures erinnerte daran, dass die EU bereits 1991 die Diskussion über transnationale Eisenbahnnetze begonnen und für gewisse Bereiche der Eisenbahnunternehmen einheitliche Regelungen geschaffen hat, wie etwa die Trennung von Infrastruktur und Betrieb, die Einführung von Schienenbenutzungsentgelten und die Harmonisierung der Lizenzierung von Eisenbahnunternehmen. Auch die stufenweise Marktöffnung im Fracht- und Personenverkehr, einheitliche Sicherheitsparameter, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie die Stärkung der Rechte der Fahrgäste im Schienenpersonenverkehr gehen auf diese Initiativen - die drei so genannten "Eisenbahnpakete"- zurück. In Österreich sei die ÖBB 1992 ausgegliedert worden, weitere Liberalisierungsschritte seien im Güterverkehr gefolgt, aber auch im Personenverkehr habe es eine Marktöffnung gegeben.

Im Interesse eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums sollen nunmehr die geltenden Richtlinien zur Netzöffnung, Lizenzierung von Eisenbahnunternehmen sowie zum Netzzugang zu einem Rechtsakt mit entsprechenden Anpassungen zusammengeführt werden. Die neue Richtlinie zielt darauf ab, durch klarere Organisationsregelungen in den Eigentumsverhältnissen einen für alle Eisenbahnunternehmen verbesserten Zugang zu Serviceeinrichtungen wie Werkstätten, Verschubanlagen, Anlagen zur Stromversorgung etc. zu schaffen. Weiters soll es einen Bonus beim Schienenbenutzungsentgelt bei Verwendung lärmarmer Fahrzeuge geben. Auch will man die Rechte der Regulatoren - insbesondere in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und bei den Sanktionsmöglichkeiten - sowie deren Unabhängigkeit von staatlichen Institutionen stärken.

Diskussion um Koralmtunnel und Semmering Basistunnel

Die Kommission bereitet darüber hinaus auch eine Revision der Leitlinien zu den Transeuropäischen Netzen vor. In ihrer Arbeitsunterlage unterbreitet sie den Vorschlag einer "Zwei-Ebenen-Struktur" mit einem Gesamtnetz und einem Kernnetz, das die Verbindung besonders wichtiger Knoten – Hauptstädte, Metropolen, Seehäfen – festlegt. Das Dokument, zu dem die Mitgliedstaaten nun Stellung beziehen sollen, enthält auch Überlegungen zur Finanzierung, etwa einen integrierten europäischen Finanzierungsrahmen. Darüber hinaus strebt die Kommission eine stärkere Steuerung auf europäischer Ebene an.

Nachdem die Verkehrsministerin ausgeführt hatte, dass sie vehement für die Erklärung der Baltisch-Adriatischen Achse als prioritäres TEN-Projekt eintritt, entspann sich darüber eine heftige Diskussion.

Insbesondere die Tiroler V-Abgeordnete Karin Hakl brach eine Lanze für den Brenner Basistunnel als eine Notwendigkeit angesichts der Belastung der regionalen Bevölkerung, aber auch angesichts der Bedeutung der Transitstrecke vom Ruhrgebiet bis Mailand. Sie hielt es daher für nicht verantwortbar, wenn man für die Südachse mehr Geld ausgibt als für den Brenner Basistunnel, zumal der Brenner auf lange Sicht der wichtigste Alpenübergang bleiben wird. Über den Brenner führen mehr Lkw als über die gesamten Alpenpässe in der Schweiz, argumentierte Hakl. Derzeit könne aufgrund der mangelnden Infrastruktur nur ein Huckepack-Verkehr geführt werden, der aber eine wenig intelligente Art des Verkehrs darstellt, sagte sie. Es liege daher an Österreich, den Tunnel fertigzustellen, zumal die EU die Mittel bis 2015 gebunden hat. Hakl hielt es auch für angebracht, eine Mautstrecke von München bis Verona zu errichten. Eine höhere Maut in Tirol allein würde ihrer Meinung nach verlagerungstechnisch nichts bringen und mehr Belastungen für die Klein- und Mittelbetriebe bedeuten.

Hakl wurde in ihrer Einschätzung von Abgeordnetem Ferdinand Maier (V) unterstützt, der die Priorisierung der Südachse, und damit die Bevorzugung des Semmering Basistunnels und des Koralmtunnels als Fehlinvestition und Fehlplanung bezeichnete. Dies könne man angesichts der ohnehin knappen Mittel nicht verantworten, so Maier. Kritisch zum Projekt der Baltisch-Adriatischen Achse äußerten sich auch die Abgeordneten Leopold Mayerhofer (F) und Gabriela Moser (G). Für Moser ist die Baltisch-Adriatische Achse illusionär, da eine Revision der TEN-Projekte in die von der Ministerin angepeilten Richtung nicht wahrscheinlich sei. Wie Abgeordneter Christoph Hagen (B) wies auch Moser auf die Konkurrenzvariante über Ungarn und die Slowakei hin.

Im Gegensatz dazu hielt Abgeordneter Anton Heinzl (S) fest, der Semmering Basistunnel sowie der Koralmtunnel seien auch von nationaler Bedeutung, da eine Hochgeschwindigkeitsstrecke nach Süden wichtig für den Wirtschaftsstandort Österreich sei.

Die Ministerin verteidigte ihre Haltung und bemerkte, das neue Haushaltsrecht gebe nun die Möglichkeit von langfristigen Finanzierungsvereinbarungen, so wie dies in Bezug auf die Schieneninvestition geschehen ist. Bei derartig langfristigen Plänen gehe es auch um Verlässlichkeit, sagte Bures, und wenn man dem Grundsatz treu bleibe, den Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagern zu wollen, dann sei man nicht gut beraten, aus regionalen Überlegungen ein Projekt gegen das andere auszuspielen. Die Südbahn sei veraltet und zu langsam, deshalb werde sie weit weniger genützt als die Westbahn, weshalb sie für eine Forcierung dieses Projektes eintrete. Auf der Schiene herrsche nicht die gleiche Qualität wie auf der Straße nach Süden, außerdem gebe es völlig geänderte Verkehrsprognosen, verteidigte Bures ihre Haltung. Es gehe um eine europäische Achse und nicht um regionale Interessen, stellte sie fest. Den Vorwurf der Regionalität wies Hakl daraufhin dezidiert zurück.

Die Kosten für den Brenner Basistunnel mit dem Unterinntal, das ist eine Strecke von ca. 110 km, bezifferte Bures mit 10 Mrd. €. Für den Ausbau der Südstrecke, das sind rund 180 km, fielen ebenfalls Gesamtkosten von 10 Mrd. € an, rechnete die Ministerin vor. Die Behauptung, der Ausbau der Südstrecke sei viel teurer, stimme somit nicht. Die Aufnahme in die prioritären TEN-Projekte sei auch deshalb wichtig, weil man dann die Möglichkeit einer Querfinanzierung habe, erklärte die Ministerin.

Sie räumte aber ein, dass man auch im Hinblick auf den Brenner Basistunnel die Hausaufgaben machen und man die Möglichkeiten der Querfinanzierung ausschöpfen müsse. Man dürfe sich auch nicht auf die Finanzierungszusagen der EU ausruhen. Grundsätzlich sei vorgesehen, dass ein Drittel der notwendigen Mittel von Österreich, ein Drittel von Italien und ein Drittel von der EU kommen. Die Grundvoraussetzung für die Investitionen sei aber, dass dort auch Züge fahren. Italien habe bis heute keine Mittelzusage beschlossen und habe im Rat der EU auch gegen die Wegekostenrichtlinie gestimmt. Ein Bauprojekt zu finanzieren, ohne die verkehrspolitischen Rahmenbedingungen zu haben, halte sie für nicht verantwortbar. Man werde aber nicht locker lassen und sich für die Realisierung des Brenner Basistunnels weiter einsetzen, versicherte die Ministerin.

Auf die Frage des Abgeordneten Christoph Hagen (B) nach der Entwicklung des Schienenverkehrs antwortete die Ministerin, alle Güterverkehrsbahnen spürten die Wirtschaftskrise und hätten einen massiven Rückgang zu verzeichnen. Auf dem liberalisierten Markt habe man darüber hinaus mit Preisdumping zu kämpfen. In Österreich betrage der Rückgang rund 18 %. Was den Personenverkehr betrifft, so sei ein stetiger Zuwachs zu verzeichnen, die ÖBB würden täglich 1,2 Millionen Menschen befördern.

Abgeordneter Gabriela Moser (G) gegenüber, die sich nach der Summerauer Bahn erkundigt hatte, erläuterte Bures, sie sei darüber mit Oberösterreich in Verhandlung. Aber auch im Land selbst müssten Voraussetzungen geschaffen werden, damit auf der Bahn gefahren wird.

(Fortsetzung EU-Unterausschuss)