Parlamentskorrespondenz Nr. 942 vom 25.11.2010

Ist Geben wirklich seliger denn Nehmen?

Quadriga 06 im Spannungsfeld von Altruismus und Egoismus

Wien (PK) – "Geben & Nehmen" lautet der schlichte Titel des nunmehr sechsten Teils der Buchpräsentationsreihe Quadriga, zu dem Nationalratspräsidentin Barbara Prammer heute Abend in den prunkvollen Rahmen des Palais Epstein geladen hatte. Dabei diskutierten Monika Kalcsics (freie Journalistin und Katastrophenhelferin der Caritas), Stefan Klein (Wissenschaftsautor, Physiker und Philosoph), Martin Schenk (Sozialexperte der Diakonie Österreich und Vorsitzender der Armutskonferenz) sowie Helmut Spudich (Autor und Journalist) unter Moderation von Zita Bereuter (FM 4) und Peter Zimmermann (Ö1) über die Natur des Menschen, seine Fähigkeit, selbstlos zu handeln, und die Frage, warum der Abstand zwischen Arm und Reich – trotz aller altruistischen Bemühungen – größer wird.

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer stellte im Rahmen einleitender Worte fest, dass die Anstrengungen der Zivilgesellschaft wichtig seien, diese aber nicht den Staat aus seiner Verantwortung entlassen dürfe. NGOs können bestimmte Schwerpunkte setzen, damit aber nur Zusatzleistungen zum staatlichen Angebot bereitstellen, schloss Prammer. Zu bedenken gab die Nationalratspräsidentin, dass es gerade kleine Hilfsorganisationen schwer hätten, auf dem Markt der medialen Aufmerksamkeit zu bestehen.

Die vier Buchneuerscheinungen anhand derer sich die DiskutandInnen dem Thema annäherten, gehen zum Teil von dem Postulat aus, dass der Mensch ein prinzipiell gutes Wesen ist, in dessen Natur es liegt, zu helfen und zu geben, erläuterten die Moderatoren. Dass Jahr für Jahr Milliardenbeträge in nationale und internationale Hilfsprojekte fließen und sich zunehmend auch Superreiche humanitär engagierten, scheint diesen Befund noch zu stützen. Für die KritikerInnen der millionenschweren Hilfsindustrie haben diese Beispiele jedoch keine Beweiskraft: Sie postulieren, dass hinter diesem Geben weniger das Motiv des Altruismus als vielmehr die Motive der Profitmaximierung und Aufmerksamkeitssteigerung stünden, gab das Moderatorenduo zu bedenken.

Zu diesen kritischen Stimmen zählt auch die Journalistin Linda Polman, deren Buch von Monika Kalcsics kritisiert wurde. Der Autorin fehle als Kriegsreporterin die Einsicht in die Interna von Hilfsorganisationen, weshalb sie zu pauschalen Urteilen gelange, stand für Kalcsics fest. Bei aller Kritik könne man Polman aber in einem Punkt recht geben: Die Opfer hätten immer Anspruch auf Schutz vor ungebetenen Helfern, die die Bedürfnisse der Betroffenen hinter ihr eigenes Geltungsbedürfnis stellten. Um seriös arbeiten zu können, sei es deshalb notwendig, mit lokalen und vertrauenswürdigen Organisationen zu kooperieren, konstatierte die Katastrophenhelferin. Bei prestigeträchtigen Einsätzen eilten viele NGOs zu Hilfe, doch bewiesen nur einige wenige einen "langen Atem" und damit Professionalität. Konkurrenzdenken sei sicherlich vorhanden, räumte Kalcsics ein, denn das kleine Zeitfenster der medialen Aufmerksamkeit müssten alle Hilfsorganisationen zur Lukrierung von Spendengeldern nutzen. Dazu brauche es aber wieder Geschichten, die von Seiten der Medien aufgegriffen würden. Bilder von Aufbau- und Büroarbeiten interessierten schließlich nicht in ausreichendem Maße, schloss sie.

Helmut Spudich war es wichtig, zu betonen, dass Polman sich in ihrem Buch vor allem auf bewaffnete Konflikte beziehe. Die Frage, ob Kriegsparteien die Hilfsorganisationen benützen könnten, um einen Konflikt zu verlängern, stelle diese vor schwierige ethische Fragen. Daraus abzuleiten, es werde "zu viel" geholfen, sei aber falsch. Spudich meinte, sein Interesse gelte jenen Superreichen, die ihr privates Vermögen benützen, um Dinge zu bewegen, anstatt es in Stiftungen, die der reinen Vermögensverwaltung dienen, zu stecken. Bill Gates, der Geld in die Malariaforschung investiere, sei ein gutes Beispiel dafür. Spudich ging es darum, dass man die kapitalistische Logik nicht pauschal abtun sollte, schließlich habe sie in vielen Gesellschaften Reichtum geschaffen. Sie könne sich positiv auswirken, wenn etwa Investitionen in Bereiche getätigt werden, die auf langfristige Ziele ausgerichtet sind. Es sei nicht immer gut, wenn Hilfsorganisationen eine Katastrophenstimmung erzeugen müssen, um die mediale Aufmerksamkeit nicht zu verlieren, gab er zu bedenken. Man solle auch gelegentlich von den Erfolgen reden.

               

Stefan Klein versucht in seinem Buch geläufige Ansichten und scheinbar abgesicherte Fakten über das menschliche Verhalten in Frage zu stellen und zu widerlegen, dass Gier das einzige Handlungsmotiv des Menschen ist. Experimente bewiesen den angeborenen Hang unserer Spezies zum Teilen und Helfen, stand für Klein fest. Man müsse sich deshalb gegenüber dem Menschenbild, das in den letzten 40 Jahren forciert wurde, abgrenzen, denn wir seien zwar auch – aber nicht nur – Egoisten. Wann wir uns selbstsüchtig verhielten, hinge stark von Situation und Kontext ab, zeigte sich Klein überzeugt. Dabei dürfe man Altruismus nicht nur positiv betrachten, zumal er einen ambivalenten Charakter habe: Großzügigkeit komme zuerst der eigenen Gemeinschaft zugute, wohingegen es an sich "unnatürlich" sei, für Menschen in anderen Ländern und Regionen zu spenden. Ist dies aber der Fall, so kämen vor allem gesellschaftliche Normen zum Tragen. Interessant sei auch der Befund, dass Menschen, die glaubten, dass ihr Umfeld bereit ist, zu geben, auch selbst großzügiger agierten. Was die Kritik an der "Hilfsindustrie" anbelange, wollte Klein klargestellt wissen, dass es nicht das Ziel sein könne, den Eindruck zu vermitteln, es werde bereits zu viel gegeben. In vielen Bereichen wie bei den nachweislich sehr wirksamen WHO- und UNICEF-Programmen mangle es schließlich an finanziellen Mitteln, schloss er.

Martin Schenk schränkte in Hinblick auf Spudichs Buch ein, dass die Beträge, die von Superreichen im Sozialbereich bewegt werden können, nur einen kleinen Teil zu mehr Verteilungsgerechtigkeit beitragen. Viel wichtiger wäre es, dass die obersten zehn Prozent einer Gesellschaft ihren anteilsmäßigen Beitrag zum Sozialsystem über Steuern leisteten. Hier sei Österreich in den letzten zwei Jahrzehnten den Weg gegangen, die Reichen zu schonen, während das Steueraufkommen von der Arbeit und der Mittelschicht getragen werde. Armut und ihre effektive Bekämpfung müsse man als Frage von Machtverhältnissen und Interessenslagen bewerten. Wenn sich hier wenig bewege, so liege es auch an einer verzerrten Wahrnehmung der Mittelschichten hinsichtlich ihres Anteils am Volksvermögen, was verhindere, höhere Vermögenssteuern politisch durchzusetzen. Die Mittelschicht grenze sich, aus verschiedenen Gründen, wie etwa Abstiegsängsten, von der Unterschicht zunehmend ab. Armut werde schließlich auch als Stigma wahrgenommen. Auf die Frage, wie Menschen der Armutsfalle entgehen könnten, und welchem Faktor dabei besonders Gewicht zukomme, gebe es keine einfache Antwort. Es sei stets ein Bündel an Faktoren wie Arbeit, von der man auch leben könne und Zugang zu Bildung, wobei auch das entsprechende Arbeitsplatzangebot gegeben sein müsste. In diesem Zusammenhang wies Schenk darauf hin, dass Sozial- und Hilfsorganisationen auch ein wichtiger volkswirtschaftlicher Faktor sind, was oft nicht ausreichend gewürdigt werde.   

Als Grundlage für die Podiumsdiskussion dienten die folgenden Buchneuerscheinungen:

Stefan Klein: Der Sinn des Gebens. S. Fischer, 2010.

Linda Polman: Die Mitleidsindustrie. Hinter den Kulissen internationaler Hilfsorganisationen. Campus, 2010.

Martin Schenk, Michaela Moser: Es reicht! Für alle! Deuticke, 2010.

Helmut Spudich: Reich & gut. Wie Bill Gates & Co. die Welt retten. Ueberreuter, 2010.

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments (www.parlament.gv.at) im Fotoalbum.