Parlamentskorrespondenz Nr. 681 vom 30.06.2011

Die langweiligste Verbindung zweier Punkte ist die Gerade

Quadriga 08 über die Kunst des Umwegs und des Nichtstuns

Wien (PK) – Der direkte Weg, der in unseren Breitengraden als der einzig wahre gilt, muss nicht immer der beste sein: Dieser Erkenntnis widmete sich der nunmehr achte Teil der Buchpräsentationsreihe Quadriga, zu dem Nationalratspräsidentin Barbara Prammer heute Abend in die Räumlichkeiten des Palais Epstein geladen hatte. Dass es manchmal zielführender sein kann, sich zu verirren, attestieren auch die vier Buchneuerscheinungen, die Rebekka Reinhard (Philosophin), Kathrin Passig (Autorin), Christine Altstötter-Gleich (Psychologin) und Gerhard Schwarz (Journalist, Philosoph und Gruppendynamik-Trainer) zu einer facettenreichen Diskussion über die Kunst des Umwegs und des Müßiggangs anregten.

Parlamentsdirektor Georg Posch, der die Gäste und DiskutantInnen in Vertretung von Nationalratspräsidentin Prammer willkommen hieß, meinte, das Thema des heutigen Abends stehe in schroffem Gegensatz zur Lebenswirklichkeit, die im politischen Bereich vorherrsche. Wie er jedoch aus persönlicher Erfahrung berichten könne, sei es von großer Relevanz: Die Sicherheitszone zu verlassen und Akteur im eigenen Leben zu werden, falle schließlich nicht immer leicht, gab Posch zu bedenken. Die Anleitungen und gedanklichen Ansätze, die die heute präsentierten Bücher dazu enthielten, zeigten jedoch Möglichkeiten auf, wie man aus dieser Situation ausbrechen könne: Sie regten zur Standortbestimmung und zur Reflexion über die eigene Denk- und Handlungsweise an.

Irren als zentrale Lebenskompetenz

Rebekka Reinhard plädierte für eine Wiederentdeckung des Irrens als zentraler Lebenskompetenz. In einer Zeit, in der der Mensch nicht mehr das Maß aller Dinge sei, sondern das iPhone, versuche man diese Fähigkeit aber eher abzutrainieren, indem man Verwirrtsein mit Schuld und Strafe in Verbindung setze. In ihrer "philosophischen Praxis" versuche sie deshalb, Menschen zum Entdecken dieser verschütteten Kompetenz im Sinne eines "Propädeutikum für das Leben" anzuleiten, erklärte Reinhard.

Christine Altstötter-Gleich plädierte in diesem Zusammenhang dafür, zwischen dem Begehen von Fehlern und dem Zustand der Verwirrung zu unterscheiden, zumal die Voraussetzungen ihrer gesellschaftlichen Anerkennung verschiedenartig seien: Während man erstere zunehmend toleriere, wäre es immer noch problematisch, verwirrt zu sein und keinen Platz im Leben zu haben, gab die Psychologin zu bedenken. Es gelte sich aber auch mit diesem Zustand auseinanderzusetzen. Gerade das fiele aber Menschen, die hohe Anforderungen an sich selbst stellten und objektive Standards zu erreichen versuchten, nicht leicht.

Entschleunigung und Umwege in einer Zeit des Umbruchs

Wie Odysseus leben auch wir in einer Zeit, in der ein dominantes Weltbild zerbröckle, stand für Gerhard Schwarz fest: Was wir nunmehr zu spüren bekämen, sei schließlich nichts anderes die Ablöse der Idee der Hierarchie und ihrer Vision der "Machbarkeit der Welt". Dieses geradlinige System der Konformität habe lange das Widersprüchliche zurückgedrängt und seinen Prinzipien entsprechend bestraft. Diese Zeiten seien aber vorbei, zeigte sich Schwarz überzeugt. Vor allem das von John Kay verfasste Buch weise stark in diese Richtung. Die Argumentation von Rebekka Reinhard zielte in eine ähnliche Richtung: Sie plädierte für "schräges Denken" und sah eine Notwendigkeit zur Distanzierung von jenen aristotelischen Maximen gegeben, auf denen unsere Gesellschaft immer noch beruhe.

Kathrin Passig sprach in Hinblick auf theoretische Konzeptionen, die beklagten, dass die Welt immer schnelllebiger und die Konzentrationsspannen zunehmend kürzer werden, von Kulturpessimismus. Schließlich könnten auch Störungen als produktiv erlebt werden: Es gebe wahrscheinlich nicht nur den glücklichen Perfektionisten, sondern auch den glücklichen Abgelenkten, gab sie zu bedenken. Was das Verirren anbelange, zeigte sich Passig überzeugt, dass es nicht nur trotz modernster Technologie möglich sei, sondern auch den Horizont erweitern könne. Hierzu brauche es aber Zeit – einen Faktor, den auch Schwarz für essentiell hielt: Im Wirtschaftsbereich könne man schließlich feststellen, dass Hektik die Fehleranfälligkeit erhöhe und die Streichung von Pausen die Leistung verschlechtere.

Christine Altstötter-Gleich stellte fest, dass die Aufgaben der Menschen verschiedenster Natur seien und dementsprechend auch unterschiedliche Strategien zur Bewältigung erforderten. Damit könne man weder den geraden, noch den verschlungenen Weg als einzig wahren bezeichnen. Wesentlich sei es bei jeder Tätigkeit aber, den richtigen Schlusspunkt zu finden. Tue man es nicht, so drohten schwerwiegende Folgen wie etwa das Hineinschlittern in ein Burnout. PerfektionistInnen neigten nicht per se zur Entwicklung pathologischer Verhaltensweisen, erklärte Altstötter-Gleich: Wer das Erreichen von Zielen auskosten könne und nicht nur von einer Etappe zur nächsten haste, könne durchaus von negativen Folgen verschont bleiben.

Empfehlungen für den sommerlichen Müßiggang

Zuletzt formulierten die DiskutantInnen auf Aufforderung von Zita Bereuter (FM4) und Peter Zimmermann (Ö1), die in gewohnter Manier für die Moderation verantwortlich zeichneten, persönliche Empfehlungen für den sommerlichen Müßiggang. Kathrin Passig empfahl in diesem Zusammenhang die Methode des "A-to-Z-travelling", bei der die Reiseroute spontan entlang der Anfangsbuchstaben von Orten organisiert werde, was die Möglichkeit biete, die Kunst des Verirrens auszukosten. All jenen, die lieber in ihren eigenen vier Wänden verbleiben wollten, schlug Rebekka Reinhard vor, sich einen großen Klassiker der modernen Literatur vorzunehmen: Kafkas "Verwandlung" eigne sich etwa hervorragend zur Konfrontation mit eigenen Verwirrungen. Gerhard Schwarz hielt es für interessant, sich auf den Pfaden des Internets zu verlieren, während Christine Altstötter-Gleich anregte, einfach "geistig in den Urlaub zu fahren", um auszuloten, was man selbst tatsächlich wolle. (Schluss)

Als Grundlage für die Podiumsdiskussion fungierten die folgenden Bücher:

John Kay: Obliquity. Die Kunst des Umwegs. DTV (2011)

Rebekka Reinhard: Odysseus oder Die Kunst des Irrens: Philosophische Anstiftung zur Neugier. Ludwig Verlag (2010)

Kathrin Passig, Aleks Scholz: Verirren. Eine Anleitung für Anfänger und Fortgeschrittene. Rowohlt Berlin (2010)

Ulrich Schnabel: Muße. Vom Glück des Nichtstuns. Blessing Verlag (2010)

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments (www.parlament.gv.at) im Fotoalbum.