Parlamentskorrespondenz Nr. 887 vom 05.10.2011

AVISO: Quadriga 09 über das Ende des Privaten

Buchpräsentation am 6. Oktober 2011 im Palais Epstein

Wien (PK) – Fragen betreffend die (vermeintliche) Demokratisierung von Öffentlichkeit durch das Medium Internet stehen im Zentrum der neunten Auflage der Buchpräsentationsreihe Quadriga, zu der Nationalratspräsidentin Barbara Prammer morgen Abend in die Räumlichkeiten des Palais Epstein lädt. Anhand von vier Buchneuerscheinungen, die sich der zunehmend durchlässiger werdenden Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem annehmen, diskutieren Miriam Meckel (Kommunikationswissenschaftlerin), Viktor Mayer-Schönberger (Jurist, Softwareunternehmer, Autor und Professor) sowie Christian Stöcker (Psychologe und Journalist) über Nutzen und Gefahren medialer Selbstoffenbarung in Zeiten des Web 2.0. Für die Moderation zeichnen Zita Bereuter (FM4) und Peter Zimmermann (Ö1) verantwortlich.

Die Veranstaltung beginnt um 18.30 Uhr. Für die Teilnahme ist eine verbindliche Anmeldung unter veranstaltungen04@parlament.gv.at erforderlich.

Als Diskussionsbasis dienen die Bücher:

Miriam Meckel: NEXT. Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns. Rowohlt (2011)

Viktor Mayer-Schönberger: Delete. Berlin University Press (2010)

Christian Stöcker: Nerd Attack! DVA Verlag (2011)

Constanze Kurz, Frank Rieger: Die Datenfresser. Wie Internetfirmen und Staat sich unsere persönlichen Daten einverleiben und wie wir die Kontrolle darüber zurückerlangen. S. Fischer Verlag (2011)

Die präsentierten Bücher im Überblick

In "NEXT" entführt Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel in eine Zukunft, die ausschließlich den Computern gehört. Darin zeichnet zunächst der menschliche Algorithmus Legion, der angesichts der Datenmengen, die er gesammelt hat, mit Fug und Recht behaupten kann, die Gefühle, Bedürfnisse und Vorlieben des Menschen besser zu kennen, als dieser selbst, die Entwicklungsschritte, die zur Dominanz des Digitalen über das Analoge geführt haben, nach. Zu Wort kommen lässt Meckel, die derzeit als Direktorin am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen tätig ist, aber auch den letzten Menschen, dessen Vertrauen vor dem Hintergrund der vollständigen Erschöpfung seines Wissens, Denkens und Fühlens zerbrochen ist. Er berichtet von der Verschmelzung des Menschen mit seinem Nutzerprofil und der damit einhergehenden Gleichsetzung von Leben und Netzwerk am Übergang von Körper- zu Systemzeit. Meckel möchte ihr Buch dennoch nicht als "Überlegungen einer vermeintlichen Kultur- oder Technikpessimistin", sondern als "Angebot zum Weiterdenken" verstanden wissen.

Rechtsexperte Viktor Mayer-Schönberger setzt sich vor dem Hintergrund des Befunds der zunehmenden Durchdringung des menschlichen Lebens durch digitale Netzwerke und Kommunikationskanäle mit der "Tugend des Vergessens" auseinander: In seinem 2010 erschienen Buch "Delete" skizziert er die Folgen, die die technisch bedingte Verschiebung des Verhältnisses zwischen Vergessen und Erinnern nach sich zieht, und stellt vor diesem Hintergrund die Frage: "Wenn all unsere Taten, ob nun legal oder nicht, ständig präsent sind, wie können wir uns in unserem Denken und in unseren Entscheidungen von ihnen freimachen?". Die "Zwangsjacke des biologischen Vergessens und der Fehlerhaftigkeit des menschlichen Erinnerungsvermögens" durch digitale Speichermöglichkeiten abstreifen zu können, ist schließlich nicht immer nur ein Segen. Mayer-Schönberger, der derzeit am Institute Internet Governance and Regulation in Oxford tätig ist, plädiert deshalb für die Umkehr der gegenwärtigen Entwicklung: Die Einführung von Verfallsdaten für digital gespeicherte Information hält er dabei für einen sinnvollen Schritt. Das Vergessen erlaube es einer Gesellschaft schließlich, "Einzelnen zu vergeben und für den Wandel offen zu bleiben.

Der Psychologe und Journalist Christian Stöcker bezeichnet sein jüngst erschienenes Buch "Nerd Attack!" als "Reise zu den Schauplätzen der digitalen Revolution". Als Ausgangspunkt für diese Schilderung dient dabei der Triumphzug des C64, des ersten millionenfach verbreiteten Heimcomputers, der in den Kinderzimmern der 80er Jahre den Zugang zu einer neuen Welt eröffnete. Stöcker, der mit dem Computer aufgewachsen und heute als Ressortleiter der "Netzwelt" bei Spiegel Online tätig ist, beschreibt schließlich aus ganz persönlicher Sicht technische Entwicklungsschritte und die hinter ihnen stehenden Akteure. Der Autor gelangt dabei zum Ergebnis, dass die Digitalisierung zahlreiche "Segnungen" mit sich gebracht hat. Wolle man den Anschluss an das digitale Zeitalter jedoch nicht vollends verlieren, müsse man die indifferente, ignorante und ablehnende Haltung gegen dieses Medium aufgeben. Ein Umdenken hält Stöcker deshalb sowohl bei NutzerInnen als auch KritikerInnen digitaler Kommunikation für notwendig. Dem auf technischem Fortschritt basierenden "fundamentalen Wandel" unserer Welt prinzipiell ablehnend zu begegnen, hält er für den falschen Weg.

"Die Datenfresser" haben Constanze Kurz und Frank Rieger, beide Experten für Informationssicherheit, ihr 2011 erschienenes Buch betitelt, das den Weg in eine "neue digitale Mündigkeit" weisen soll. Darin wagen sie nicht nur einen sachkundigen Blick hinter die Oberfläche der digitalen Welt, sondern erläutern auch Geschäftsinteressen und –modelle, die auf zunehmender Vernetzung aufbauen. Dass wir immer mehr Informationen über uns preisgeben, von denen niemand genau wissen kann, wie sie in Hinkunft verwendet werden, halten Kurz und Rieger dabei für ein besonders betrachtenswertes Faktum: Sie plädieren in diesem Zusammenhang für den Aufbau eines Bewusstseins für die eigene Datensouveränität und die Bedeutung von Privatsphäre. Es gehe schließlich nicht an, dass sich Individuen und Gemeinschaften "ungesteuert im wilden Strom der Bits und Bytes treiben lassen", resümieren sie. Wie es gelingt, dieser scheinbar zur Naturgewalt gewordenen Macht entschieden und selbstbewusst gegenüberzutreten, verraten die AutorInnen in Form eines kurzen praktischen Wegweisers: Neben einem achtsamen Umgang mit eigenen wie fremden Daten und der Verwendung von Pseudonymen sollten sich die NutzerInnen schließlich auch für bessere Regulierung und mehr Transparenz stark machen: Wie die Zukunft aussehe, liege in der Hand jedes einzelnen von uns.

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments (www.parlament.gv.at) im Fotoalbum.

(Schluss)