Parlamentskorrespondenz Nr. 1053 vom 11.11.2011

Dritter NR-Präsident lädt zu Dinghofer Symposium ins Parlament

Auszeichnungen für Gerhard Pendl und Waldemar Steiner

Wien (PK) – Die Ereignisse um die Verfassungswerdung in Österreich, Ungarn und der Tschechoslowakei bildeten den Fokus des diesjährigen Dinghofer-Symposiums, zu dem Dritter Nationalratspräsident Martin Graf in Kooperation mit dem Dinghofer-Institut ins Hohe Haus geladen hatte. An das Thema der heutigen Veranstaltung wurden die zahlreich erschienenen Gäste durch Kurzreferate von Heinrich Neisser (Zweiter Präsident des Nationalrats a.D. und Professor am Institut für Politikwissenschaft der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck), István Szabó (Professor am Institut für Rechtsgeschichte der Katholischen Universität Pázmány Péter, Budapest) und Jaromir Tauchen (Assistenzprofessor an der Juristischen Fakultät der Masaryk-Universität, Brünn) herangeführt: Sie informierten die BesucherInnen ganz im Sinne des Veranstaltungstitels "Die Verfassung im Wandel der Zeit: 1918-1928" über wesentliche konstitutionelle Fragen nach Zusammenbruch der Habsburgermonarchie.  

Den Vorträgen der Experten folgte die Verleihung zweier Franz-Dinghofer-Medaillen an den Mediziner Gerhard Pendl und den früheren Salzburger Vizebürgermeister Waldemar Steiner. Sie erhielten diese vom oberösterreichischen Künstler Odin M. Wiesinger neu gestaltete Auszeichnung für herausragende wissenschaftliche Leistungen und Verdienste um gelebte demokratische Gesinnung.

Die Jahre 1918-1928 als "Zeit des Ringens"

Dritter Nationalratspräsident Martin Graf erinnerte im Rahmen einleitender Worte daran, dass sich am morgigen Tage der Publikationsakt der Verkündung der Republik durch Franz Seraph Dinghofer zum 93. Mal jähre. Aber nicht nur der 12. November sei ein wesentliches Datum, dessen man eingedenk sein müsse: Am heutigen Tage, dem 11. November, jähre sich schließlich auch der Todestag Victor Adlers zum 93. Male. Obgleich nicht demselben politischen Lager zugehörig, habe sich Dinghofer diesem großen Staatsmann sehr verbunden gefühlt, erläuterte Graf und zitierte vor diesem Hintergrund aus der Totenrede, die Dinghofer als Präsident der Provisorischen Nationalversammlung für Adler gehalten hatte. Der historische Abschnitt, dem man sich auch im Rahmen des heutigen Symposiums widme, sei schließlich eine "Zeit des Ringens für das Vaterland" gewesen, das Parteigrenzen habe überwinden lassen.

Verfassungsentwicklung nach Zusammenbruch der Habsburgermonarchie

István Szabó (Katholische Universität Pázmány Péter, Budapest) beschäftigte sich im Rahmen eines Kurzreferats mit der Frage staatlicher Kontinuität in Ungarn nach 1918 und kam in diesem Zusammenhang auf die Schwierigkeiten in Hinblick auf eine verfassungsmäßige Verankerung der Staatsform der Republik zu sprechen. Schließlich hätte es durchaus nachweisbare Bestrebungen gegeben, die Monarchie aufrechtzuerhalten, erläuterte Szabó anhand konkreter Beispiele.

Jaromir Tauchen (Masaryk-Universität, Brünn) zeichnete in seinem Beitrag die Verfassungsentwicklung der Ersten Tschechoslowakischen Republik nach und hob in diesem Zusammenhang vor allem Probleme in Hinblick auf die Berücksichtigung nationaler Minderheiten hervor.

Heinrich Neisser (Leopold-Franzens-Universität, Innsbruck) gab einen Überblick über den Prozess der österreichischen Verfassungswerdung in den Jahren 1918-1920 und kam in diesem Zusammenhang vor allem auf die Divergenzen, die diesbezüglich zwischen den politischen Lagern bestanden hätten, zu sprechen. Die Verfassung, die am 1. Oktober 1920 von der Konstituierenden Nationalversammlung verabschiedet worden ist, bezeichnete der Redner dabei als Kompromisslösung, der man auch ansehe, dass es eine sei. Die unterschiedlichen Vorstellungen der politischen Lager in Hinblick auf konstitutionelle Fragen veranschaulichte Neisser schließlich anhand dreier Fragestellungen und Verfassungsentwürfe. Der Vorschlag der Großdeutschen Vereinigung Dinghofers, in dem bereits zu Beginn der Vorwurf einer "Knebelung durch die Nachkriegsverträge" anklinge, sei vor allem deshalb bemerkenswert, weil er eine umfangreiche Aufstellung der Grundrechte und –pflichten der BürgerInnen enthalte, skizzierte Neisser: Neben klassischen Abwehrrechten gegenüber dem Staat stelle man hier etwa auch die Ehe unter den Schutz der Verfassung. Darüber hinaus plädiere der Entwurf für Freiheit der Berufswahl und des Eigentums und verankere eine Pflicht zur Arbeit sowie zur Ausübung der politischen Rechte.

Die historische Verfassungsentwicklung habe laut Neisser schlussendlich aber dazu geführt, dass man heute mit einem "Konglomerat" konfrontiert sei, das einer grundlegenden Reform bedürfe. Diese sollte von den PolitikerInnen unserer Zeit in Angriff genommen werden, forderte er.

Dinghofer – "eine Identifikationsfigur für das Dritte Lager"

Holger Bauer, Kuratoriumsobmann des Dinghofer-Instituts (DI) und Moderator des heutigen Abends, kam abschließend nochmals auf die Verdienste Dinghofers zu sprechen, die ihn zu einer "Identifikationsfigur für das Dritte Lager" hätten werden lassen. Dementsprechend fördere das DI nicht nur allgemein Forschungsarbeiten aus den Bereichen Rechts-, Politik- und Geschichtswissenschaften, sondern auch zur Person Dinghofers, informierte er.

Franz Dinghofer wurde 1873 in Ottensheim geboren und studierte nach dem Abschluss des Gymnasiums in Graz Rechtswissenschaften. Nach seiner Promotion zum Doktor der Rechte 1899 schlug Dinghofer eine Karriere bei Gericht ein und wurde u.a. Richter in Linz und in Urfahr. Bereits frühzeitig in der deutschnationalen Bewegung aktiv, zog er für seine Partei 1901 in den Linzer Gemeinderat ein. 1905 wählte ihn der Gemeinderat zum Vizebürgermeister, zwei Jahre später avancierte er zum Bürgermeister der oberösterreichischen Donaumetropole.

Zusätzlich zu diesem Amt wirkte Dinghofer ab 1911 auch als Abgeordneter zum Reichsrat, wo er bald einer der führenden Köpfe seines Klubs wurde. So war es auch nicht verwunderlich, dass Dinghofer in den Tagen des Zusammenbruchs der Donaumonarchie an der Wiege der Ersten Republik stand. Gemeinsam mit dem Sozialdemokraten Karl Seitz und dem Christlichsozialen Jodok Fink übernahm Dinghofer im Oktober 1918 das Präsidium der Provisorischen Nationalversammlung. Nach den Wahlen im Februar 1919 wählte ihn die Konstituierende Nationalversammlung zum Dritten Präsidenten, und dieses Amt bekleidete er auch in der ersten und zweiten Gesetzgebungsperiode des 1920 geschaffenen Nationalrats.

Im Oktober 1926 holte ihn Bundeskanzler Seipel als Justizminister in sein Kabinett, dazu amtierte Dinghofer auch von Oktober 1926 bis Mai 1927 als Vizekanzler. Nach seinem Ausscheiden aus der Regierung im Juli 1928 beschloss Dinghofer seine Karriere als Präsident des Obersten Gerichtshofs – ein Amt, das er bis 1938 bekleidete. Dinghofer starb 1956 in Wien. (Schluss)

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments (www.parlament.gv.at) im Fotoalbum.