Parlamentskorrespondenz Nr. 973 vom 23.11.2012

EU-Abgeordnete und heimische Parlamentarier wollen enger kooperieren

Fraktionsübergreifender Meinungsaustausch im Parlament

Wien (PK) – Eine Premiere fand heute im Parlament statt. Die österreichischen Abgeordneten im Europäischen Parlament (EP) trafen mit den Mitgliedern der EU-Ausschüsse von Nationalrat und Bundesrat erstmals zu einer offenen Aussprache zusammen, mit dem Ziel, Strukturen für eine bessere Kooperation und Koordination zu schaffen. Ein stärkerer fraktionsübergreifender Austausch sei notwendig, um mehr Verständnis für unterschiedliche Standpunkte zwischen europäischer und nationaler Ebene zu erreichen und eventuell auch Missverständnisse auszuräumen, war man sich einig. Es gehe darum, die fachliche Zusammenarbeit in der Gesetzgebung zu verbessern, gleichzeitig aber auch die Unterschiede aufzuzeigen, ohne die Gemeinsamkeit zu gefährden, stellte EP-Vizepräsident Othmar Karas (EVP) dazu fest.

Angesichts der großen Herausforderungen in politischer, sozialer und ökonomischer Hinsicht und der Grundsatzdebatte um die Zukunft der Union sei es erforderlich, die Bevölkerung an Bord zu holen. Dem müssten sich in erster Linie auch die Mitglieder der Parlamente als VolksvertreterInnen stellen, betonte Abgeordnete Christine Muttonen (S), die den Vorsitz führte, im Rahmen ihrer Begrüßung. Wenn auch vielfach nationale Interessen im Vordergrund stehen, so sollte man sich insgesamt im Klaren darüber sein, dass man nur gemeinsam die Herausforderungen der Zukunft bewältigen kann.

Dieses Bewusstsein um mehr Gemeinsamkeit und einen intensiveren Gedankenaustausch prägte die Diskussion auf weite Strecken. Skeptisch zeigte sich nur Abgeordneter Johannes Hübner (F), der hinterfragte, wie denn das funktionieren solle, und die EU in erster Linie als "Subventionsverwaltung" betrachtete.

Dringender Appell, einen Konvent einzuberufen

Trotz aller bestehender inhaltlicher Meinungsverschiedenheiten gab es Konsens darüber, dass die EU einen Demokratisierungsschub braucht, die Parlamente gegenüber der Regierung gestärkt werden müssen und eine ernsthafte Debatte darüber unausweichlich ist, welche Kompetenzen wo am besten angesiedelt sind. Um diese grundsätzlichen und tiefgreifenden Themen zu erörtern und die daraus entstehenden Probleme zu lösen, benötige man einen Konvent, betonten die EU-Abgeordneten Jörg Leichtfried (SPE), Othmar Karas (EVP) und Ulrike Lunacek (G) unisono. Man kommt mit den Mechanismen, die wir derzeit haben nicht aus, sagte etwa Lunacek, NR-Abgeordneter Kai Jan Krainer (S) hielt aus seiner Sicht fest, die Konzeption der EU beruhe auf einem Systemfehler. Vor allem beklagten die EuropapolitikerInnen die permanente Schwächung der Parlamente gegenüber den Exekutivorganen. Wir sitzen in einem Boot, formulierte Othmar Karas und bemängelte gemeinsam mit Leichtfried, dass die Krisenbewältigung derzeit aufgrund staatlicher Vereinbarungen ohne Einbeziehung des Europäischen Parlaments erfolgt. Diese "Angriffe auf den Parlamentarismus" (MdEP Jörg Leichtfried) müsse man abwehren und klar machen, dass die Regierungen den Parlamenten verantwortlich sind und europäische Entscheidungen auch einer europäischen Legitimation bedürfen und keiner nationalen.

Zentrale Frage: Wer kann was besser machen

Als ein wesentliches Thema wurde in der Diskussion auch die Kompetenzfrage angeschnitten. Man brauche endlich Klarheit darüber, was die EU tun soll, war der allgemeine Tenor, denn es gebe durchaus Bereiche, die besser nationalstaatlich geregelt werden könnten. In vielen Fragen sei aber die Union insgesamt gefordert, Regelungen zu treffen, und da werde man nicht umhin kommen, Souveränitätsrechte weiter abzugeben. Abgeordneter Bruno Rossmann (G) warf dazu ein, dass auch das Überleben der Eurozone europarechtliche Fragen betrifft, etwa die Rolle der EZB oder die Vergemeinschaftung der Schulden. EU-Abgeordnete Evelin Lichtenberger (G) wünschte sich in diesem Zusammenhang ein "starkes Signal", wo nationale und wo europäische Regelungen nötig sind. Der Vizepräsident des europäischen Parlaments Othmar Karas (EVP) richtete daher einen dringenden Appell an die Bundesregierung, beim nächsten Gipfel eine Initiative in Richtung eines Konvents zu starten. Dabei müsse man aber auch darüber reden, wie man diesen Konvent neu gestalten könnte, um mehr Transparenz und die Beteiligung der BürgerInnen sicherzustellen. Karas schlug vor, die Konventsdiskussionen über Video auf öffentlichen Plätzen zu übertragen und auch Videokonferenzen mit den EU-Ausschüssen einzuführen.

Im Interesse eines besseren Informationsaustausches kam auch der Vorschlag, die EU-Abgeordneten grundsätzlich mittels einer Videokonferenz an den EU-Ausschüssen von Nationalrat und Bundesrat teilnehmen zu lassen, da aufgrund der Terminplanung eine persönliche Präsenz nicht immer möglich ist. Abgeordnete Ulrike Lunacek (G) urgierte auch ein Rederecht der EU-Abgeordneten im Plenum des Nationalrates.

Mehrjähriger Finanzrahmen – die unterschiedlichen Sichtweisen

Thema dieser Aussprache war selbstverständlich auch der mehrjährige Finanzrahmen 2014-2020. Dabei warben die EU-ParlamentarierInnen um Verständnis für ihre Position und warnten vor einer Kürzung wichtiger Investition etwa in Infrastruktur oder in Bildung. Sie machten auch darauf aufmerksam, dass Österreich viele Vorteile aus dem EU-Budget lukriere und die guten Wirtschaftsdaten mit einer guten Beschäftigungslage auch mit den EU-Programmen und dem Binnenmarkt zusammenhänge. Man sollte daher den Blick nicht auf die Prozentzahlen richten, sondern auf die Qualität, meinten sie. Die Bundesräte Martin Preineder und Edgar Mayer (beide V) unterstrichen die Wichtigkeit der Förderungen für die Landwirtschaft, insbesondere die Bedeutung der zweiten Säule der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), und zeigten Verständnis für sinnvolles Sparen. Es dürfe jedoch nicht an die Substanz gehen, bemerkte Mayer. Abgeordneter Bruno Rossmann (G) zeigte sich überzeugt davon, dass man mittel- und langfristig über eine Ausweitung des Finanzrahmens sprechen müsse. "Es gibt keine Währungsunion ohne Fiskalunion", sagte er, und eine Fiskalunion sei substanziell auch eine Transferunion.

Keinen Widerspruch erntete EU-Abgeordneter Hubert Pirker (EVP), der für eine bessere Kommunikation plädierte und dafür eintrat, die Vorteile der EU besser zu vermitteln, die Union stärker sichtbar zu machen, gleichzeitig aber auch sachlich Kritikpunkte anzuführen.

An dieser Aussprache, die fortgeführt werden soll, nahmen die Abgeordneten Christine Muttonen, Wilhelm Haberzettl, Kai Jan Krainer (alle S), Johannes Hübner, Andreas Karlsböck (beide F), Bruno Rossmann (G) sowie die BundesrätInnen Werner Stadler (S), Edgar Mayer, Martin Preineder (beide V) und Monika Mühlwerth (F) teil. Aus dem Europaparlament waren die Abgeordneten Othmar Karas, Paul Rübig, Hubert Pirker, Heinz K. Becker (alle EVP), Jörg Leichtfried, Josef Weidenholzer, Karin Kadenbach, Evelyn Regner (alle SPE) sowie Ulrike Lunacek und Evelin Lichtenberger (beide Grüne) angereist.

HINWEIS: Fotos von dieser Diskussion finden Sie im Fotoalbum auf www.parlament.gv.at.