Parlamentskorrespondenz Nr. 711 vom 12.09.2013

Parlament: PolitikerInnen diskutieren mit ErstwählerInnen

Viele Likes für Pflichtfach Politische Bildung und kostengünstiges Jugendticket

Wien (PK) – Jugendlichen sagt man gerne nach, dass sie sich für Politik nicht interessieren. Viele halten 16-Jährige auch für zu unreif, um zu wählen. Wie weit weg solche Pauschalurteile von der Realität sind, zeigte sich heute im Parlament. Rund 270 ErstwählerInnen kamen auf Einladung von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und der Bundesjugendvertretung ins Hohe Haus, um mit VertreterInnen aller bundesweit bei den Nationalratswahlen kandidierenden Parteien über ihre Anliegen zu diskutieren.

Im Sitzungssaal des Nationalrats stellten sich unter der Moderation von ORF-Journalist Christoph Redl Katharina Kucharowits (SPÖ), Asdin El Habbassi (ÖVP), Christian Höbart (FPÖ), Tanja Windbüchler-Souschill (Grüne), Stefan Petzner (BZÖ), Daniel Brandtmayer (Frank), Mirko Messner (KPÖ), Matthias Strolz (NEOS) und Juliana Okropiridse (Piratenpartei) den Fragen der Jugendlichen zu den Themen Bildung, Arbeitsmarkt, Pensionen, Diskriminierung, Europa und Umwelt. Ein Teil der Jugendlichen hatte sich zuvor in Themen-Workshops im Palais Epstein auf die Diskussion vorbereitet, dennoch gab es auch viel Raum für spontane Fragen.

Besonders viele "Likes" – grüne nach oben gestreckte Daumen – gab es von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen für ein österreichweites kostengünstiges "Jugendticket" für den öffentlichen Verkehr, die Einführung eines Pflichtfachs "Politische Bildung" an allen Schulen, die Beibehaltung des Euro, die Vereinheitlichung der Jugendschutzbestimmungen und die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern. Auch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, die Abschaffung der Schubhaft für minderjährige Flüchtlinge und die Wiedereinführung eines Jugendgerichtshofs stießen auf breite Zustimmung. Schon etwas weniger Stimmen, aber noch ein deutliches Ja im Publikum erhielt die Forderung nach einer automatischen Staatsbürgerschaft für in Österreich geborene AusländerInnen; für den Vorschlag, öffentliche Förderungen an eine Frauenquote zu knüpfen, konnte sich hingegen nur noch maximal die Hälfte der Jugendlichen begeistern.

Am meisten rote, nach unten gestreckte Daumen, ergänzt durch Buhrufe, gingen hoch, als Abgeordneter Christian Höbart die FPÖ-Wahlplakate verteidigte. Die jungen WählerInnen konnten mit der Aussage Höbarts, man könne über den Stil der Plakate diskutieren, aber die FPÖ wolle mit ihren Werbebotschaften aufrütteln und Fehlentwicklungen aufzeigen, um Änderungen zu bewirken, wenig anfangen. Vor einer etwaigen "Zensur" warnten aber auch BZÖ-Abgeordneter Stefan Petzner und Piraten-Vertreterin Juliana Okropiridse, während KPÖ-Chef Mirko Messner von nicht zu akzeptierendem Rassismus sprach. NEOS-Vertreter Niki Scherak, der im zweiten Teil der Diskussion Matthias Strolz vertrat, meinte zu dem Thema schlicht, eine starke Demokratie müsse auch dumme Plakate aushalten.

Breite Zustimmung der Politik zur Zentralmatura

Weitgehend einig waren sich die ParteienvertreterInnen darin, dass die Zentralmatura grundsätzlich eine gute Sache sei, bei der Umsetzung aber viel schiefgelaufen ist. In diesem Sinn wurde von Seiten des Podiums mehrfach ein "Zurück an den Start!" gefordert. Nur Mirko Messner scherte aus der allgemeinen Meinung aus und wandte sich generell gegen Versuche, Wissen und Bildung zu standardisieren. Man solle stattdessen mehr Augenmerk auf solidarisches Lernen richten, forderte er.

Von den Jugendlichen gefragt, wie man den Lehrerberuf attraktiver gestalten könnte, schlug Asdin El Habbassi vor, LehrerInnen, die sich besonders engagieren und Zusatzprojekte organisieren, ein höheres Gehalt zu zahlen, eine Anregung, die bei den Jugendlichen auf viel Zustimmung stieß. Auch Matthias Strolz erhielt für seine Forderungen, aktiv um junge Menschen zu werben, um die Besten für den Lehrerberuf zu gewinnen, und alles zu tun, um das Sozialprestige des Berufs zu verbessern, viele "Likes". Katharina Kucharowits plädierte seitens der SPÖ dafür, die pädagogische Ausbildung an den Universitäten zu verbessern.

Beim Thema Arbeitsmarkt sprachen sich Kucharowits und Grün-Abgeordnete Tanja Windbüchler-Souschill für die Einführung eines Mindestlohns und gegen die Praxis unbezahlter bzw. schlecht bezahlter Praktika aus. Auch Asdin El Habbassi und Christian Höbart machten sich für gut bezahlte Jobs stark, damit sich Arbeit lohne und das Pensionssystem gesichert werde. Daniel Brandtmayer trat dafür ein, nicht nur Managern, sondern allen Mitarbeitern Boni zu zahlen.

Podium und Publikum einig: Keine Rückkehr zum Schilling

Für eine Rückkehr zum Schilling wollte von den ParteienvertreterInnen niemand votieren, Christian Höbart und Stefan Petzner plädierten aber für die Einführung eines Nord- und eines Südeuro und wandten sich wie Daniel Brandtmayer dezidiert gegen den Euro-Stabilitätsfonds EMS. Wäre Österreich noch nicht bei der EU, würde Höbart der Europäischen Gemeinschaft auch nicht beitreten wollen, seiner Ansicht nach würde man mit einer privilegierten Partnerschaft besser fahren. Mehr Europa urgierte hingegen Tanja Windbüchler-Souschill.

Von Seiten des jugendlichen Publikums kam unter anderem die Forderung, das Geld für Wahlwerbung zur Gänze einzusparen, gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht zu diskriminieren und sich klar gegen einen Syrien-Krieg auszusprechen. Außerdem wurde moniert, dass die Politik oft zu viel streitet, anstatt etwas zu verändern. Hinterfragt wurden auch die Höhe der Parteienförderung sowie die Wahlhürde von 4 % der Stimmen für einen Einzug in den Nationalrat, überraschend verteidigte ausgerechnet BZÖ-Abgeordneter Stefan Petzner letztere Bestimmung aber als Voraussetzung für eine stabile Regierung.

Appell an die Jugendlichen: "Geht auf jeden Fall wählen!"

Wenig Zweifel bestanden am Ende der Diskussion daran, dass zumindest die anwesenden Jugendlichen dem breiten Appell vom Podium folgen und bei den Nationalratswahlen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen werden. Für die Veranstaltung und den Vorsitzenden der Bundesjugendvertretung David Neuber gab es am Ende der Diskussion jedenfalls viel Applaus.

Bereits in seinen Einleitungsworten hatte Neuber betont, dass es der Bundesjugendvertretung (BJV) ein Anliegen sei, die Mitbestimmung junger Menschen auszubauen und darauf zu achten, dass Jugendthemen auf der politischen Agenda stehen. Jugendliche kämen in der tagespolitischen Diskussion immer noch viel zu wenig zu Wort, bedauerte er. So würde in der Bildungsdebatte hauptsächlich über die Interessen der Lehrer und die Interessen der Eltern geredet. Nicht zuletzt deshalb haben die JugendvertreterInnen im Vorfeld der Nationalratswahlen die Informationskampagne "29913 – Du gibst den Ton an!" gestartet. In deren Rahmen ist auch ein Folder erschienen und eine eigene Website (www.29913.at) eingerichtet worden, wo die Bundesjugendvertretung die Parteien auch einem "Jugendcheck" unterzogen hat.

Parlamentsdirektor Harald Dossi, der in Vertretung von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer die Veranstaltung eröffnete, betonte, dass sowohl Prammer als auch dem Parlament eine hohe Wahlbeteiligung ein Anliegen seien. Er äußerte die Hoffnung, dass die Veranstaltung dazu einen Beitrag leisten könne.

Bei der Nationalratswahl am 29. September sind mehr als 6,38 Millionen Menschen wahlberechtigt. Rund 348.000 Jugendliche und junge Erwachsene dürfen erstmals ihre Stimme abgeben. (Schluss) gs

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie im Fotoalbum auf www.parlament.gv.at.