Parlamentskorrespondenz Nr. 1087 vom 15.10.2015

Nationalrat diskutiert über Pflege, Smart Meter und Vergaberecht

Breite Mehrheit für Abkommen mit Australien über soziale Sicherheit

Wien (PK) – Oppositionsanträge und ein neues Sozialabkommen mit Australien standen heute am späten Abend im Nationalrat zur Diskussion. Unter anderem diskutierten die Abgeordneten über das Thema Pflege, die neuen intelligenten Stromzähler, die Höhe der GIS-Gebühren für stark sehbeeinträchtigte und blinde Personen sowie die Berücksichtigung regionaler Wertschöpfung bei öffentlichen Vergaben. Der FPÖ ging es außerdem darum, Halsatmern automatisch einen Behinderten-Vermerk gemäß Straßenverkehrsordnung auszustellen. Die Anträge wurden gemäß den Empfehlungen des Sozialausschusses abgelehnt bzw. anderen Ausschüssen zugewiesen. Das Abkommen mit Australien erhielt breite Unterstützung.

Geregelt werden im Abkommen zwischen Österreich und Australien im Bereich der sozialen Sicherheit unter anderem die Anrechnung von Versicherungszeiten und die Vermeidung von Doppelversicherungen bei grenzüberschreitendem Arbeitseinsatz. Ein ähnliches Abkommen existiert bereits seit 1992, allerdings hat sich durch wesentliche inner- und zwischenstaatliche Rechtsänderungen die Notwendigkeit einer Aktualisierung der Bestimmungen ergeben. Laut SPÖ-Abgeordnetem Dietmar Keck erhalten derzeit immerhin 879 in Österreich lebende Personen auf Basis des Abkommens eine australische Pensionsleistung. Im Gegenzug überweist Österreich in 7.736 Fällen eine Pension nach Australien, darunter an viele ÖsterreicherInnen, die in Australien leben.

NEOS fordern Gesamtstrategie für den Bereich Pflege

Vom Nationalrat abgelehnt wurden zwei Anträge der NEOS zum Bereich Pflege. Abgeordneter Gerald Loacker und seine FraktionskollegInnen mahnen zum einen eine Gesamtstrategie der Politik für den Pflegebereich ein und schlagen in diesem Sinn die Einrichtung einer bundesweiten Zielsteuerungsgruppe vor. Zum anderen sprechen sie sich dafür aus, die Möglichkeit der Umwandlung von Akutbetten in Spitälern in "Übergangspflegebetten" zu prüfen. Es gehe darum, die Finanzierung des Pflegesystems langfristig sicherzustellen, betonte Loacker, er sieht hier große Herausforderungen auf die Politik zukommen. Kein brauchbarer Weg ist für ihn ein erschwerter Zugang zu den beiden niedrigsten Pflegegeldstufen, wie sie zuletzt beschlossen wurde.

Abgeordneter Erwin Spindelberger (S) hielt fest, die SPÖ habe den Antrag zum Thema Pflegebetten im Sozialausschuss abgelehnt, weil die Frage, wo und ob Pflegebetten bereitgehalten werden, in die Kompetenz der Länder falle. Das heiße aber nicht, dass die SPÖ keine strategische Planung für eine bedarfsgerechte Pflege für notwendig erachte, bekräftigte er. "Wir brauchen sinnvolle Strukturen." Spindelberger urgierte in diesem Zusammenhang auch mehr Mut, was die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern betrifft.

Beim Bereich Länderkompetenzen setzten auch die Abgeordneten Waltraud Dietrich (T) und Judith Schwentner (G) an. So ist es für Dietrich unverständlich, dass es ja nach Bundesland unterschiedliche Vorgaben für Pflegeeinrichtungen gibt. Ihrer Ansicht nach sind bundesweit einheitliche Mindeststandards dringend erforderlich. Als sinnvoll qualifizierte Dietrich auch die Forderungen der NEOS, sie kündigte in diesem Sinn die Zustimmung ihrer Fraktion zu beiden vorliegenden Anträgen an.

Schwentner machte aufmerksam, dass es in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Pflegeangebote und unterschiedliche Pflegekosten gebe. Es sei nicht gewährleistet, dass jeder, unabhängig von der Postleitzahl seines Wohnorts, gleich gut gepflegt werde. Eigentlich sollte Schwentner zufolge der Pflegefonds für eine Angleichung der Standards sorgen, sie ortet aber noch einigen Handlungsbedarf.

ÖVP-Abgeordneter Michael Hammer sprach sich dagegen aus, an der Länderzuständigkeit für den Pflegebereich zu rütteln. Es sei wichtig, dass die Pflegeleistungen bürgernah erbracht werden, betonte er. Die Anträge der NEOS würden seiner Einschätzung nach nur mehr Bürokratie bringen.

Hammers Fraktionskollegin Gertrude Aubauer (V) machte geltend, dass Österreich Pflege auf hohem Niveau anbiete. Die Leistungen seien in letzter Zeit deutlich ausgebaut worden, hob sie hervor. Überdies werde das Pflegegeld im Jänner durchgehend um 2% angehoben. Reformbedarf sieht Aubauer allerdings bei den Pflegesachleistungen, zudem drängte sie darauf, die Hospiz- und Palliativversorgung endlich auszubauen. Die Empfehlungen der parlamentarischen Enquete-Kommission müssten zügig umgesetzt werden. "Wir brauchen mehr Tempo."

SPÖ-Abgeordneter Johann Hell wies die NEOS darauf hin, dass es bereits umfangreiche Daten zum Thema Pflege gebe. Die vorhandenen Kennzahlen bilden ihm zufolge die Grundlage für die Weiterentwicklung des Pflegesystems.

Für eine jährliche Valorisierung des Pflegegelds machte sich Dagmar Belakowitsch-Jenewein für die FPÖ stark. Das Pflegegeld habe seit seiner Einführung aufgrund der Inflation schon 30% an Wert verloren, gab sie zu bedenken. Viele Betroffene könnten sich qualitätsvolle Pflege nicht mehr leisten.

Smart Meter: Wirtschaftsausschuss soll sich mit FPÖ-Antrag befassen

An den Wirtschaftsausschuss weitergeleitet wurde ein Antrag der FPÖ zum Thema Smart Meter. Abgeordneter Peter Wurm spricht sich dafür aus, die neuen intelligenten Stromzähler nicht flächendeckend einzuführen, sondern Privathaushalte mit einem jährlichen Stromverbrauch unter 6.000 kWh auszunehmen. Bei umfassenden Feldversuchen hätten die ursprünglich beworbenen Vorteile der neuen Stromzähler nicht nachgewiesen werden können, argumentiert er. Mit einer Ausnahme für Privathaushalte würde man seiner Meinung nach finanzielle Mehrbelastungen der StromkundInnen vermeiden.

Konkret rechnet Wurm allein in Österreich mit Zusatzkosten durch die Zähler-Umrüstung von knapp 1 Mrd. €. Dem stehen ihm zufolge erwartete Stromeinsparungen zwischen maximal 1,2% und 1,8% durch ein geändertes Nutzungsverhalten der KonsumentInnen gegenüber. Für Wurm ist es außerdem extrem problematisch, dass die StromkundInnen mit dem Smart Meter einen "Spion" in ihrer eigenen Wohnung bekommen, der Datenschutz würde aufgehoben. Empört ist Wurm, dass es keinen Rechtsanspruch auf ein Opt-Out gibt.

Kritisch zum Smart Meter äußerte sich auch Grün-Abgeordneter Albert Steinhauser. Der Nationalrat habe vor zwei Jahren zwar beschlossen, den KundInnen ein "Opt Out" zu ermöglichen, in der Praxis würden die Energieunternehmen dieses Recht aber mit Füßen treten, kritisierte er. Entweder werde den KundInnen erklärt, dass ein Opt Out nicht möglich sei oder es werde eine einzige Funktion abgeschaltet, nämlich die viertelstündliche Meldung des Stromverbrauchs. Dabei sind laut Steinhauser die EU-Vorgaben gar nicht so streng, man müsste den Austausch der Stromzähler nur durchführen, wenn es wirtschaftlich sinnvoll ist. Die FPÖ wird von Steinhauser allerdings für wenig glaubwürdig gehalten, diese habe der Einführung der Smart Meter seinerzeit zugestimmt.

Für Abgeordnete Angela Fichtinger (V) ist der Smart Meter hingegen ein Ausdruck des technologischen Fortschritts. Der intelligente Stromzähler ermögliche es, die KundInneen auch während des Jahres über ihren Energieverbrauch zu informieren. Zudem eröffne man ihnen Zugang zu speziellen Tarifen. Es sei aber notwendig die finanzielle Belastung der KonsumentInnen im Auge zu behalten, machte Fichtinger geltend.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer verteidigte den flächendeckenden Einbau der intelligenten Stromzähler in Österreich und verwies unter anderem auf eine entsprechende Studien der E-Control. Der Weg in Richtung Digitalisierung sei nicht aufzuhalten, betonte er und erinnerte daran, dass die Entscheidung für den Smart Meter in der EU bereits 2008 getroffen wurde. Anders als in Deutschland müssten die Kosten für die Umrüstung auch nicht allein die Haushalte zahlen, vielmehr würden diese auf sämtliche Netzteilnehmer aufgeteilt. Auch die Datenschutzfrage sieht Hundstorfer als geklärt an.

SPÖ-Abgeordneter Rainer Wimmer hervor, dass man im Wirtschaftsausschuss genügend Gelegenheit haben werde, über den Antrag zu diskutieren.

GIS-Gebühren: Beratung über Team-Stronach-Antrag dem Finanzausschuss empfohlen

Mehrheitlich empfahl der Nationalrat, den Team-Stronach-Antrag auf Reduktion der ORF-Gebühren für blinde und hochgradig sehbeeinträchtigte Menschen dem Finanzausschuss zur weiteren Behandlung zuzuweisen. Abgeordneter Marcus Franz (V), der diesen Antrag noch für das Team Stronach gestellt hatte, wertet den Umstand, dass visuell stark beeinträchtigte Personen nicht das gesamte Fernsehprogramm nutzen können, als legitimen Grund für eine drastische Gebührenreduktion. Während in der Plenardebatte Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F), Helene Jarmer (G) und Waltraud Dietrich (T) sich ähnlich äußerten, lehnten Franz-Joseph Huainigg (V) und Gerald Loacker (N) eine Aufhebung oder Kürzung der Gebühren deutlich ab. Dadurch würde man ein falsches Signal senden, nämlich, dass blinde oder sehbeeinträchtigte Personen keine vollwertigen KundInnen des ORF seien. Ungeachtet dessen tue eine Ausweitung des barrierefreien Angebots mittels Untertitel und Audiodeskription immer noch Not, meinten beide Redner. Jarmer nutzte das Thema ORF überdies, am Publikumsrat das Fehlen von Menschen mit Behinderung zu kritisieren.

Straßenverkehrsordnung und Pflegegeld: FPÖ-Forderungen ohne Mehrheit

Keine Mehrheit im Nationalrat erhielt ein Antrag von FPÖ-Gesundheitssprecherin Dagmar Belakowitsch-Jenewein, der darauf abzielt, "Halsatmern" automatisch einen Eintrag in den Behindertenpass gemäß §29b Straßenverkehrsordnung zu gewähren, um ihnen die Nutzung von Behindertenparkplätzen und das Halten in Halteverbotszonen zu ermöglichen. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei Personen, die über eine künstlich angelegte Halsöffnung atmen, nicht zuzumuten, da sie regelmäßig Entschleimungs- und Reinigungsutensilien anwenden müssten, wie sich an einem konkreten Fall gezeigt habe, argumentierte Belakowitsch-Jenewein ihren Vorstoß, fand jedoch bei den Abgeordneten von SPÖ, ÖVP und NEOS keine Zustimmung dafür. Johann Hechtl (S) unterstrich, bei der betroffenen Personengruppe werde in jedem Einzelfall geprüft, ob ein §29b-Ausweis erforderlich ist.

Ebenso ohne ausreichende Unterstützung blieb ein neuerlicher Versuch der FPÖ, eine laufende Valorisierung des Pflegegelds durchzusetzen. Ulrike Königsberger-Ludwig (S) erinnerte, unter Sozialminister Hundstorfer sei das Pflegegeld bereits dreimal erhöht worden und insgesamt hätten sich die Ausgaben für die Pflege schon aufgrund der wachsenden Zahl an BezieherInnen gesteigert.

Bestbieterprinzip wird Verfassungsausschuss verstärkt beschäftigen

Die Neugestaltung des Vergaberechts bei öffentlichen Ausschreibungen beschäftigte den Nationalrat am Schluss des Sozialblocks der heutigen Sitzung. Den Anlassfall bot ein Team Stronach-Antrag, im Sinne der regionalen Wertschöpfung ein Bestbieterprinzip bei öffentlichen Vergaben zu verankern. Mehrheitlich sprach sich das Plenum dafür aus, die Forderung zum Vergaberecht an den Verfassungsausschuss weiterzuleiten. Obwohl die FPÖ wie auch alle anderen Fraktionen grundsätzlich den Vorstoß begrüßte, erklärte Peter Wurm (F), die Freiheitlichen hätten die Thematik der Wertschöpfungssicherung lieber im Sozialausschuss behandelt.

Aus legistischen Gründen sei das Vergaberecht Sache des Verfassungsausschusses, stellte Nikolaus Scherak (N) klar, und Josef Muchitsch (S) informierte, am 9. November werde dort die Novelle zum Bundesvergabegesetz, mit der das Bestbieterprinzip als Maßnahme gegen Lohn- und Sozialdumping verpflichtend werde, auf Schiene gebracht. Muchitsch hofft auf ein Inkrafttreten des Gesetzes mit Jahresbeginn 2016 als wichtiges Zeichen für die Bauwirtschaft – der Team Stronach-Antrag bekräftige das. Scherak teilte zwar diese Einstellung, hielt aber fest, die Bestimmungen müssten gemäß EU-Recht diskriminierungsfrei ausgestaltet sein. Beifall für die Initiative kam auch von Werner Groiß (V) und Ruperta Lichtenecker (G), die neben Transparenz bei Subunternehmen und die Beachtung von Sozialstandards auch ökologische Faktoren bei künftigen Ausschreibungsvorgaben im öffentlichen Bereich betonten.

Antragstellerin Waltraud Dietrich (T) zeigte sich erfreut über die breite Zustimmung zu ihrem Anliegen, die heimische Wirtschaft vor ausländischen Billiganbietern zu schützen. (Fortsetzung Nationalrat) gs/rei