Parlamentskorrespondenz Nr. 804 vom 06.07.2016

Grüne beklagen desaströse Umsetzung der Zentralmatura

Hammerschmid zieht positive Bilanz im Nationalrat und kündigt weitere Verbesserungen an

Wien (PK) – Kurz nach Beginn der Schulferien läuteten die Grünen den letzten Sitzungsmarathon des Nationalrats vor der Sommerpause mit einer Bildungsdebatte ein. Im Rahmen einer Aktuellen Stunde mit dem Titel "Schulangst, Prüfungsstress und Zentralmatura: so what?" übte Eva Glawischnig-Piesczek Kritik an der schlechten Umsetzung der Zentralmatura und plädierte generell für ein Schulsystem, in dem die Kinder und Jugendlichen ihre Potentiale entwickeln können. Die zuständige Ministerin Sonja Hammerschmid konterte mit den – auch im internationalen Vergleich - guten Ergebnissen und versprach eine Weiterentwicklung des Modells. Klar sei natürlich, dass eine so große Systemumstellung, die alle Beteiligten voll fordere, ihre Zeit brauche. 

Vor Eingang in die Debatte wurden drei neue Mitglieder des Nationalrats angelobt. Während David Lasar und Wolfgang Klinger den ausgeschiedenen FPÖ-Abgeordneten Gernot Darmann (F) und Heinz-Peter Hackl (F) nachfolgten, übernahm Klaus-Uwe Feichtinger (S), der bereits von 2013 bis Mai 2016 im Nationalrat vertreten war, das Mandat der früheren Staatssekretärin Sonja Steßl (S).

Grüne wollen eine angstfreie Schule und Förderung der Potentiale aller Kinder

Es sei immer schön zu beobachten, wenn Kinder mit einem Leuchten in den Augen, mit Wissbegierde und natürlicher Lernfreude ihre Volksschulzeit beginnen, konstatierte Eva Glawischnig-Piesczek (G), im Laufe der Jahre gehe diese Einstellung aber leider sehr oft verloren. Noch immer sei das Thema Schule mit viel Angst, Ärger, Frustration und Druck verbunden, da es in Österreich ein System gebe, das sich nicht auf die Stärken konzentriert, sondern an den Schwächen herumdoktere. Bedauerlicherweise habe auch die Zentralmatura keine Fortschritte gebracht, urteilte Glawischnig-Piesczek, die Situation habe sich sogar verschlechtert. Als Beispiel führte sie an, dass man heutzutage sogar dann durchfallen könne, wenn mehr als zwei Drittel der Mathematikaufgaben korrekt sind. Dies führe u.a. dazu, dass die LehrerInnen und SchülerInnen nur mehr auf die Zentralmatura hinarbeiten und Nebenfächer unter den Tisch fallen.

Es gebe mittlerweile so viele negative Rückmeldungen, dass ernsthafte Konsequenzen daraus gezogen und gezielt gegengesteuert werden müsse. Die Ministerin sollte eine unabhängige Kommission einsetzen, die die Ergebnisse evaluiert und sich u.a. anschaut, warum es so gravierende Unterschiede zwischen den einzelnen Standorten, den Regionen und auch zwischen Buben und Mädchen gibt. Julian Schmid (G) beklagte, dass noch nie so viel "schwachsinnig auswendig gelernt wurde" wie heute, weil es nur mehr um die Endnoten gehe. Man könne nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, wenn man z.B. im Fach Mathematik mehr als doppelt so viele negative Beurteilungen hat als im Vorjahr, bemängelte Harald Walser (G). Um Druck aus dem System zu nehmen und vor allem um die SchülerInnen zu entlasten, schlugen die Grünen u.a. vor, dass es bei einer negativen Beurteilung eine verpflichtende externe Zweitbegutachtung geben sollte. Außerdem könnte man in einer Übergangsphase vorsehen, dass bei der Endbeurteilung der SchülerInnen die Noten der 8. und eventuell auch der 7. Klasse miteinfließen.

Hammerschmid: Eine große Systemumstellung braucht ihre Zeit, aber die Richtung stimmt

Bildungsministerin Sonja Hammerschmid gab einleitend zu bedenken, dass heuer das allererste Mal eine Zentralmatura, die für alle Schultypen gilt, in Österreich umgesetzt wurde. Durch die Festlegung von standardisierten Aufgaben und einheitlichen Beurteilungsgrundlagen wolle man gewährleisten, dass alle SchülerInnen fair und gerecht behandelt werden. Außerdem könne man dadurch erstmals ablesen, wo das heimische Bildungssystem per se steht, hob Hammerschmid hervor. Österreich sei übrigens eines der letzten OSZE-Länder, das eine Zentralmatura, die sich international bestens bewährt hat, eingeführt hat.

Die erste Zwischenbilanz falle jedenfalls sehr gut aus, berichtete die Ministerin, so konnten 99% der KandidatInnen in Deutsch, 96,7% in Englisch und 93,8% in Mathematik eine positive Note erzielen. Dies sei auch im internationalen Vergleich, wo etwa Werte um 90% erreicht werden, absolut herzeigbar. Was die Kompensationsprüfungen anbelangt, so waren die Mathe-Ergebnisse teilweise schlecht, räumte Hammerschmid ein, aber in 112 Klassen gab es beispielsweise keine einzige negative Beurteilung. Außer Zweifel stand für die Ressortchefin, dass die Erfahrungen mit der Zentralmatura nun detailliert ausgewertet, entsprechende Optimierungen vorgenommen und vor allem Ruhe ins System gebracht werden müsse. Hammerschmid bedauerte diesbezüglich, dass die öffentliche Debatte gerade mitten in der Maturazeit oft aggressiv und tendenziös geführt wurde, was zu einer Verunsicherung der SchülerInnen beigetragen hat. In einem nächsten Schritt sollen nun gemeinsam mit der Schulaufsicht für jeden Standort maßgeschneiderte Maßnahmen entwickelt werden, um das System Zentralmatura weiter zu verbessern, kündigte die Ministerin an. Dazu zählen etwa Fortbildungsveranstaltungen, Kompetenz-Checks oder Förderkurse für leistungsschwächere SchülerInnen. Gleichzeitig werde intensiv an der Umsetzung der Bildungsreform gearbeitet, unterstrich Hammerschmid, wobei das Thema Autonomie – sowohl in pädagogischer, organisatorischer, personeller und finanzieller Hinsicht - für sie von zentraler Bedeutung sei; hier möchte sie einen großen Schritt weiterkommen.

SPÖ: Grundlegender Systemwandel im Sinne von mehr Fairness und Gerechtigkeit

Die Matura sei kein Geschenk dafür, dass man neun Schuljahre abgesessen hat, sondern ein Leistungsnachweis, betonte Elisabeth Grossmann (S). Durch die Einführung der Zentralmatura sei nun garantiert, dass auf dieses Abschlusszeugnis Verlass ist, und zwar vom Neusiedler See bis zum Bodensee. Außerdem werden die SchülerInnen fair und gerecht behandelt, weil die – professionell erstellten – Fragen und die Beurteilungsschlüssel vereinheitlicht wurden. Während die zukünftigen ArbeitgeberInnen der MaturantInnen sicher sein können, dass die notwendigen Kompetenzen erworben wurden, verfügen die Jugendlichen nun über ein Zeugnis, das den europäischen und internationalen Standards entspricht. Die Zahlen belegen, dass die Umsetzung von allen Beteiligten bravourös gemeistert wurde, unterstrich Grossmann, die den Grünen vorwarf, eine neue Ministerin "anpatzen" zu wollen. Diese Art von Panikmache und die zahlreichen negativen Schlagzeilen in den Medien haben sicher nicht dazu beigetragen, dass die über 40.000 MaturantInnen in Ruhe ihre Prüfungen absolvieren konnten, kritisierte auch Katharina Kucharowits (S). Das Stimmungsbild bei den SchülerInnen war im Gegensatz dazu sehr positiv; an den aufgezeigten Problemen werde man intensiv weiterarbeiten.

ÖVP: Gutes Modell, das noch Nachjustierungen braucht

Die ÖVP-Abgeordnete Brigitte Jank bekannte sich grundsätzlich zur Zentralmatura, weil diese für mehr Fairness und Vergleichbarkeit steht. Es sei richtig, dass die heurigen Ergebnisse bei vielen, die schlecht abgeschnitten haben, eine große Enttäuschung ausgelöst haben. Die Kritikpunkte der Betroffenen, dass es etwa zu wenig Vorbereitung gegeben habe oder unbekannter Stoff abgefragt wurde, müsse man sich daher genau anschauen. Ebenso wie die Ministerin war sie der Meinung, dass die Umstellung Zeit brauche und alle Beteiligten schrittweise mitlernen müssen. Da die Ausbildungsstätten auf das Berufsleben vorbereiten und der digitale Wandel rasch voranschreite, sollten die naturwissenschaftlichen Fächer einen besonderen Stellenwert einnehmen, meinte Jank.

Ihr Fraktionskollege Karlheinz Töchterle hob vor allem die Aussagekraft einer (teil)standardisierten Reifeprüfung im Hinblick auf die Hochschulreife hervor. Aus eigener Erfahrung wisse er, dass die Zentralmatura im Bereich der alten Sprachen bereits eine sehr positive Auswirkung auf die Prüfungskultur gehabt hat.

FPÖ ortet ein allgemeines Sinken des Schul- und Bildungsniveaus

Niemand wolle das Bildungssystem komplett schlecht reden, erklärte Walter Rosenkranz (F), der auf das große Engagement vieler PädagogInnen sowie den hohen Einsatz der SchülerInnen und ihrer Eltern hinwies. Die von der ÖVP mitgetragene SPÖ-Politik der letzten Jahre habe aber leider dazu geführt, dass oft die Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen nicht mehr erlernt werden, dass die Begabtenförderung de facto abgeschafft wurde oder viele Jugendlichen einfach nicht mehr am Arbeitsmarkt vermittelbar sind. Scharfe Kritik übte Rosenkranz an der Zentralmatura, weil die angestrebten Ziele – mehr Gerechtigkeit und mehr Transparenz – nicht erreicht wurden. So wurden etwa die Kompensationsprüfungen von namhaften Medienvertretern als eine "Art Notenwaschmaschine" bezeichnet. Österreich habe zudem ein differenziertes Schulsystem, gab der Redner zu bedenken, darauf müsse man mehr Rücksicht nehmen. Abgeordneter Wendelin Mölzer fragte sich, was die Zentralmatura eigentlich wert ist, wenn die Jugendlichen an den Unis trotzdem Eignungstests machen müssen, wie dies bei vielen Studienfächern bereits der Fall ist. Er sprach sich aber auch gegen ein künstliches Hochhalten der Akademikerquote aus, zumal gerade jene Länder wirtschaftlich gut dastehen, die einen hohen Facharbeiteranteil aufweisen.

NEOS für Weiterentwicklung und Verschlankung der Zentralmatura

Die NEOS stehen für eine entschlossene und rasche Weiterentwicklung des Instruments der Zentralmatura, weil es mehr Qualität ins Schulwesen bringen wird, stellte Matthias Strolz (N) klar. Das derzeitige System sei aber noch zu sehr ausdifferenziert, urteilte er, eine Konzentration auf die Kernfächer wäre notwendig. Weiters schlug Strolz vor, dass die Matura an einem schulortfernen Raum durchgeführt und dann wirklich zentral von externen Kräften ausgewertet wird. Claudia Angela Gamon (N) warnte davor, ein an sich gutes Modell zu kritisieren, nur weil einem die Ergebnisse nicht passen. Ihrer Meinung nach stelle die Zentralmatura eine Riesenchance dar, die genutzt werden sollte. Dennoch sah auch sie Optimierungsbedarf, vor allem was die Transparenz betrifft. Gamon appellierte an die Bundesministerin, die einzelnen Ergebnisse zu veröffentlichen, um dadurch einen bildungspolitischen Druck zu erzeugen. Nur auf Basis von validen Daten sei es möglich, das System in Richtung einer echten Vergleichbarkeit weiterzuentwickeln.

Team Stronach: Bildungspolitik müsse viel früher ansetzen

Das heimische Schulsystem sei in einer Zeit stecken geblieben, als man noch nicht wusste, wie man die natürliche Begeisterung am Lernen aufrechterhalten und fördern kann, resümierte Robert Lugar (T). Dafür brauche man auch gute und engagierte LehrerInnen, die es aber leider nicht überall gibt. Wenn nun ein Kind das Pech hat, das seine Begabungen nicht erkannt werden und zudem Eltern hat, die nicht die Zeit und die Möglichkeiten haben, es entsprechend zu fördern, dann bleibe es im österreichischen Bildungssystem auf der Strecke. Die Zentralmatura stehe nur am Schluss einer Entwicklung, ansetzen müsste man schon viel früher. Das Team Stronach schlägt daher die Einführung der kostenlosen Privatschule für alle vor. Leopold Steinbichler (T) trat zudem für eine Entrümpelung der Schulbürokratie ein, die viele Fortschritte verhindere.

Der fraktionslose Abgeordnete Rupert Doppler plädierte für die Einsetzung einer unabhängigen Kommission, die nun eine Evaluierung der Ergebnisse der Zentralmatura vornehmen sollte. Er hoffe zudem, dass gleichzeitig auch die Bildungsreform endlich auf Schiene gebracht wird.

Susanne Winter (o.F.) ging auf die Ausführungen der Ministerin ein, die man wohl eher als "old school" denn als "new deal" qualifizieren müsse. Wenn man weiter darauf setze, dass die SchülerInnen nur für die einzelnen Prüfungen lernen, dann habe man von Bildungspolitik wenig verstanden. "Kinder wollen nicht gefüllt werden wie Fässer, sondern entzündet wie Laternen", zitierte Winter. (Fortsetzung Nationalrat) sue