Parlamentskorrespondenz Nr. 1438 vom 20.12.2016

EU will mit Migrationspaket Sekundär-Migration und Asyl-Shopping eindämmen

EU-Ausschuss des Bundesrats sieht Harmonisierung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems weitgehend positiv, nur FPÖ dagegen

Wien (PK) – Das Gemeinsame Europäische Asylsystem hat trotz einiger Fortschritte – die letzte Harmonisierung fand im Jahr 2013 statt - noch einen weiten Weg zurückzulegen. Das hat nicht zuletzt die Flüchtlingsbewegung des Vorjahres und deren Folgen deutlich gemacht, wo Strukturschwächen des Systems offenkundig wurden. Insbesondere stellen auch Sekundär-Migration und Asyl-Shopping ein großes und ungelöstes Problem innerhalb der EU dar, die immer wieder versuchte faire Verteilung von AsylwerberInnen innerhalb der EU funktioniert nicht.

Nach wie vor bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf die Art der Verfahren, die Leistungen für Asylsuchende, die Anerkennungsquoten und die Art des Schutzes. Die bisherigen Regelungen im Hinblick auf Vorschriften zur Bestimmung des für Anträge auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats (einschließlich der Eurodac-Datenbank zum Abgleich der Fingerabdruckdaten von AsylbewerberInnen) sowie auf gemeinsame Normen für die Asylverfahren, die Aufnahmebedingungen und die Anerkennung und den Schutz der betreffenden Personen reichen nicht aus. Die noch immer uneinheitlichen Standards haben eine unausgewogene Verteilung von Asylsuchenden und damit eine ungleiche Belastung unter den EU-Mitgliedstaaten zur Folge.

Wie man seitens des Innenministeriums im heutigen EU-Ausschuss des Bundesrats betonte, stand bislang der Schutz der Flüchtlinge im Vordergrund. Mit einem umfassenden Paket an Rechtsakten versucht die EU-Kommission nun auf eine, wie sie in den Erläuterungen betont, "integrierte, nachhaltige und ganzheitliche EU-Migrationspolitik" hinzuwirken, dabei werden auch die Verpflichtungen von AsylwerberInnen gesetzlich klarer verankert. Es gelte, ein wirksames und effizientes Asylsystem zu etablieren, um eine gerechte und nachhaltige Verteilung der Verantwortung zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen, zugleich aber auch hinreichende und menschenwürdige Aufnahmebedingungen in der gesamten EU zu schaffen, heißt es in den Unterlagen zu den Gesetzesvorhaben. Gleichzeitig müsse die EU gegen irreguläre und gefährliche Migrationsströme vorgehen und Schleppern das Handwerk legen. Daher seien einerseits Asylanträge von Personen, die keinen Anspruch auf internationalen Schutz haben, zügig zu bearbeiten und die betreffenden MigrantInnen anschließend rasch rückzuführen. Die EU möchte aber schutzbedürftigen Personen aus Drittstaaten auch legale und sichere Wege in die EU ermöglichen.

Bereits im Mai dieses Jahres hat die EU-Kommission ein erstes Paket zur Reform und Harmonisierung mit drei Prioritäten vorgelegt: Kernpunkt dabei ist die Dublin-Verordnung mit dem Ziel, ein tragfähiges und faires System einzuführen, mit dem jenes Mitgliedsland festgelegt wird, das für die Prüfung der jeweiligen Asylanträge zuständig ist. Eine neue Ausrichtung hat auch die Asylagentur der EU erhalten, die das reibungslose Funktionieren des europäischen Asylsystems gewährleisten soll. Schließlich soll auch das Eurodac-System (europaweiter Fingerabdruckabgleich von Asylsuchenden und Menschen ohne Aufenthaltsrecht) gestärkt werden, um die Sekundärmigration zu überwachen und irreguläre Migration zu bekämpfen.

Mit dem zweiten Paket, das dem EU-Ausschuss heute zur Diskussion vorlag, will die EU die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems vollenden: Es betrifft die Harmonisierung der Aufnahmebedingungen, der Anerkennungskriterien für Asyl und subsidiären Schutz, der Verfahren und schließlich der Neuansiedlungspolitik zur geregelten legalen Migration und Eindämmung der Schlepperkriminalität. Dabei sollen die Anerkennungs-Richtlinie und die Verfahrens-Richtlinie zu Verordnungen umgewandelt werden, die dann unmittelbar in den Mitgliedstaaten rechtskräftig werden. Einen Umsetzungsspielraum gibt es dabei nicht. Österreich müsste damit sein Asylgesetz in großem Umfang ändern, erfuhren die Bundesrätinnen und Bundesräte aus dem Innenministerium. Dort hofft man auch auf einen Abschluss der diesbezüglichen Verhandlungen vor der Übernahme der österreichischen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2018.

Österreich würde von Harmonisierung profitieren

Ausschussvorsitzender Edgar Mayer (V/V) und Stefan Schennach (S/W) begrüßten die Initiativen der EU grundsätzlich, da sie eine Harmonisierung des Asylsystems auf EU-Ebene für notwendig halten. Von einem solchen, vor allem von einem Verteilungsmechanismus, würde Österreich profitieren, waren sie sich einig und wurden in dieser Auffassung seitens der im Ausschuss anwesenden ExpertInnen des Innenressorts bestätigt. Wesentlich seien einheitliche Standards und praktikable Regelungen, sagte Mayer, von letzteren sei man noch nicht ganz überzeugt, merkte man dazu seitens des Ministeriums an.

Im Gegensatz dazu stieß sich Monika Mühlwerth (F/W) an den geplanten Verordnungen, da solche den Nationalstaaten keinen Handlungsspielraum belassen. Die Freiheitlichen seien grundsätzlich gegen eine Asyl-Union genauso wie gegen eine Sozial-Union, bekräftigte Mühlwerth. Sie zweifelte auch daran, dass Residenzpflichten und eine faire Verteilung auch nach den angedachten Neuerungen funktionieren werden.

Österreich hat wie ganz Europa einen Migrationsbedarf, warf Stefan Schennach (S/W) in die Diskussion ein. Trotz seiner positiven Haltung zu dem Gesamtpaket zeigte er sich skeptisch im Hinblick auf die Residenzpflicht und warnte davor, Menschen völlig die Bewegungsfreiheit zu nehmen. Asylsuchende brauchen einen Lebensspielraum, betonte er, Aufgabe werde es sein, eine den Menschenrechten verpflichtete Verknüpfung von Residenzpflicht und Leistungskürzungen zu finden. Dem stimmte Edgar Mayer (V/V) zwar zu, meinte aber, es könne nicht angehen, dass AsylantInnen von einem Land Europas in ein anderes ziehen und weiterhin Leistungen aus dem ursprünglichen beziehen.

Die betreffenden Personen würden nicht völlig in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, erfuhr man aus dem Innenministerium, Sozialleistungen würden aber nur dann ausbezahlt, wenn man an einem bestimmten Ort wohnhaft ist. Ziel sei es vor allem, den massiven Zuzug in die Ballungsräume einzudämmen.

EU plant Harmonisierung der Aufnahmebedingungen ...

Ein Teil des Pakets betrifft die Änderung der Aufnahme-Richtlinie, um die Aufnahmebedingungen in der EU weiter zu harmonisieren, die Anreize zur Sekundärmigration zu verringern und Maßnahmen zur Förderung der Eigenständigkeit und der Integrationsaussichten zu setzen. Es sei unerlässlich, dass die AntragstellerInnen in dem für sie zuständigen Mitgliedstaat bleiben, unterstreicht die Kommission. So sieht der Richtlinienentwurf die Einführung gezielter Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und eine wirksamere Kontrolle des Aufenthaltsorts der Asylsuchenden sowie strenge Konsequenzen für Verstöße vor. Zudem ist eine weitere Harmonisierung der Möglichkeiten für die Zuweisung eines bestimmten Aufenthaltsorts, die Auferlegung von Meldepflichten und die Beschränkung der im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen auf Sachleistungen vorgesehen.

Im Sinne einer besseren Integration drängt die Kommission auf einen rascheren Zugang zum Arbeitsmarkt, konkret innerhalb von höchstens sechs Monaten nach Einreichung des Antrags. Der Zugang zum Arbeitsmarkt müsse in völligem Einklang mit den Arbeitsmarktstandards erfolgen, betont man seitens der Kommission. Der Abbau der derzeitigen erheblichen Diskrepanzen unter den Mitgliedstaaten sei auch deshalb unerlässlich, um ein beschäftigungsbezogenes Asyl-Shopping und die Anreize zur Sekundär-Migration zu verringern.

Von österreichischer Seite wird darauf hingewiesen, dass der erweiterte Arbeitsmarktzugang Kernkompetenzen der Nationalstaaten betrifft. Kritisch sieht man vor allem überbordende Vorgaben hinsichtlich der Notwendigkeit individueller Bescheide bei Wohnsitzfestlegungen und Arbeitsmarktzugang. Auch sei die Frist, für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge innerhalb von fünf Tagen einen Vormund zu bestellen, zu kurz.

und der Anerkennung ...

Trotz gewisser Angleichungen nationaler Vorschriften im Jahr 2011 gibt es noch immer Unterschiede innerhalb der EU in Bezug auf die Anerkennungsquoten, die Geltungsdauer der gewährten Aufenthaltstitel, ferner beim Zugang zu Rechten sowie bei Entscheidungen über die Art des jeweils gewährten Schutzstatus. Die Anerkennungs-Richtlinie soll nunmehr durch eine in allen Mitgliedstaaten unmittelbar geltende Verordnung ersetzt werden. Die geplanten Neuerungen zielen auf eine weitere Harmonisierung der gemeinsamen Kriterien für die Zuerkennung von internationalem Schutz, mehr Konvergenz bei Asylentscheidungen und eine Residenzpflicht der Flüchtlinge ab.

Bei der Prüfung von Anträgen sollen die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, der gemeinsamen Analyse und Orientierungshilfe zur Lage in den Herkunftsländern zu folgen, die von der Asylagentur der EU und den europäischen Netzen für Herkunftsländerinformationen bereitgestellt wurden.

Der Schutz der Asylsuchenden soll lediglich so lange gewährleistet werden, so lange die Gründe für Verfolgung und ernsthafte Gefährdung bestehen. Damit ist die Verpflichtung der EU-Länder verbunden, systematisch und regelmäßig den Status zu überprüfen, wenn sich die Lage im Herkunftsland der betreffenden Personen wesentlich ändert. Außerdem wird klargestellt, dass sich die betreffenden Personen in dem Mitgliedstaat aufhalten müssen, der ihnen Schutz gewährt. Sollte diese in einem anderen EU-Land aufgegriffen werden, so hat das laut Kommissionsvorschlag Konsequenzen – die Kommission spricht von "negativen Anreizen".

Die Rechte von Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wird, soll ebenfalls weiter vereinheitlicht werden. In diesem Zusammenhang sieht Österreich die Ausweitung des Familienbegriffs auf erwachsene Geschwister sowie den erweiterten Zugang zu Sozialleistungen für subsidiär Schutzberechtigte kritisch.

sowie der Verfahren und ...

Auch die geltende Verfahrens-Richtlinie plant die Kommission zu einer unmittelbar in den EU-Staaten geltende Verordnung umzuwandeln. Diese sieht ein einheitliches Verfahren zur Gewährung des internationalen Schutzes vor, das laut Kommission "effizient und ausgewogen" sei. Ermessenskriterien werden darin gestrichen, Verfahrensvorschriften vereinfacht, gestrafft und konsolidiert. Damit will die Kommission ein höheres Maß an Harmonisierung und Einheitlichkeit beim Ausgang von Asylverfahren erreichen.

Konkret geht es um einfachere, klarere und kürzere Verfahren anstelle der derzeit uneinheitlichen Verfahrensvorschriften in den einzelnen Mitgliedstaaten. Die 6-Monats-Frist für die Entscheidungen wird beibehalten, für offensichtlich unbegründete und unzulässige Anträge sind erheblich kürzere Fristen vorgesehen. Enthalten sind darin auch Verfahrensgarantien zum Schutz der Rechte der AntragstellerInnen, um zu gewährleisten, dass Asylanträge im Rahmen eines strafferen und kürzeren Verfahrens angemessen geprüft werden. Die geplante Ausweitung der Rechtsberatung würde jedoch in Österreich bei der hohen Anzahl an Asylanträgen größere finanzielle Auswirkungen nach sich ziehen.

Der Entwurf sieht zudem strengere Vorschriften vor, um Missbrauch zu verhindern, offensichtlich missbräuchliche Anträge zu sanktionieren und Anreize zu Sekundär-Migration zu beseitigen, indem die Antragsteller während der Dauer des Verfahrens zur Zusammenarbeit mit den Behörden verpflichtet und deutliche Konsequenzen bei Verletzung ihrer Pflichten festgelegt werden. Der Vorschlag enthält insbesondere klare, ausführliche und verbindliche Listen von Gründen für eine beschleunigte Prüfung oder eine Ablehnung von Anträgen als offensichtlich unbegründet oder nicht weiter betrieben.

Zudem legt der Verordnungsentwurf harmonisierte Vorschriften über sichere Herkunfts- und Drittstaaten zur Vereinheitlichung der verfahrensrechtlichen Folgen fest, wobei dieser Prozess schrittweise innerhalb der auf das Inkrafttreten folgenden fünf Jahre erfolgen soll. Danach sollen die nationalen Listen durch europäische Listen oder Benennungen ersetzt werden.

EU legt Rahmen für legale Einreise in die Union vor

Schließlich plant die EU, einen stärker strukturierten, harmonisierten und dauerhaften Neuansiedlungsrahmen in der gesamten Union zu schaffen, um Vertriebenen, die internationalen Schutz benötigen, einen legalen Weg zur Einreise in die EU zu ermöglichen. Zwar würden in der EU seit vielen Jahren Neuansiedlungen vorgenommen, doch bislang beruhten alle derartigen Initiativen auf nationalen oder multilateralen Programmen bzw. wurden sie ad hoc durchgeführt. Wie die Kommission in der Begründung für das harmonisierte Konzept festhält, dient Neuansiedlung dem Ziel, denjenigen Schutz zu bieten, die ihn benötigen, und gleichzeitig die Schutzsuchenden von der Nutzung irregulärer und gefährlicher Routen abzuhalten, sodass die Schleppernetzwerke nicht mehr von dieser Situation profitieren können.

Der Entwurf zielt darauf ab, ein gemeinsames Konzept festzulegen, das Drittstaatsangehörigen, die internationalen Schutz benötigen, eine sichere und legale Einreise in die Union ermöglicht und sie damit auch vor der Ausbeutung durch Schleusernetze schützt. Er soll auch dazu beitragen, den durch spontan eintreffende Personen verursachten Druck auf die Asylsysteme der Mitgliedstaaten zu verringern und die Verantwortung mit Ländern, in die eine große Zahl von Schutzsuchenden vertrieben wurde, zu teilen und sie zu entlasten. Die EU will damit aber auch einen Beitrag zu den globalen Neuansiedlungsbemühungen leisten. (Fortsetzung EU-Ausschuss des Bundesrats) jan


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