Parlamentskorrespondenz Nr. 404 vom 05.04.2017

Pflege-Enquete: Ledl-Rossmann fordert gemeinsamen Schulterschluss

Rege Teilnahme an ganztägiger Veranstaltung im Parlament

Wien(PK) – Zu einer ganztägigen Enquete unter dem Titel "Die Zukunft der Pflege: Schaffbar, sichtbar, leistbar" lud heute Bundesratspräsidentin Sonja Ledl-Rossmann ins Parlament. Da ihr dieses Thema persönlich sehr am Herzen liegt, habe sie es auch zum Motto ihre Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2017 erkoren. Sie hoffe, dass mit der heutigen Veranstaltung der Grundstein für ein überparteiliches Arbeitsprogramm in diesem Bereich gelegt wird.

Im ersten Teil der Debatte nahmen die MinisterInnen Alois Stöger, Hans Jörg Schelling und Pamela Rendi-Wagner sowie der Tiroler Landesrat Bernhard Tilg aus der Sicht ihrer Ressorts zum Thema Pflege Stellung. Auf der Agenda standen zudem noch Impulsreferate von Volksanwalt Günther Kräuter, Caritas-Präsident Michael Landau, dem Eco-Austria-Vorstand Tobias Thomas und von Ursula Frohner, der Präsidentin des österreichischen Gesundheits-Krankenpflege-Verbands. Am Nachmittag lag der Fokus auf der "Praxis der Pflege", wobei vor allem VertreterInnen von NGOs sowie Betroffene zu Wort kamen.

Ledl-Rossmann: Pflege hat sich "Maximum an Sachpolitik und Minimum an Parteipolitik" verdient

Obwohl das Thema Pflege so viele Menschen betrifft, werden die Bedürfnisse und Nöte der Betroffenen und ihrer Angehörigen, die ein Schattendasein in unserer Gesellschaft führen, sehr oft nicht ausreichend gewürdigt, stellte Bundesratspräsidentin Sonja Ledl-Rossmann fest. Genau aus diesem Grund finde heute eine Enquete statt, in deren Rahmen, die mit dem Pflegebereich verbundenen Fragestellungen und Herausforderungen ehrlich und offen erörtert werden sollen. Es gehe dabei um medizinische, pflegerische, finanzielle, psychologische, weltanschauliche, aber vor allem um zwischenmenschliche Aspekte, hob Ledl-Rossmann hervor. Die Politik müsse gerade jenen Menschen, die sich in schwierigen Lebenssituationen befinden, deutlich vermitteln, dass sie nicht alleine gelassen werden. Aus diesem Grund werde sie sich auch nach ihrer Vorsitzzeit intensiv in dieser Sache engagieren, versprach die BR-Präsidentin.

Stöger plädierte für Valorisierung des Pflegegeldes und Abschaffung des Eigenregresses

Österreich könne auf sein Pflegesystem, für das im Jahr 1993 durch eine 15a-Vereinbarung die Basis geschaffen wurde, stolz sein, konstatierte Sozialminister Alois Stöger. Die Einführung des Pflegegeldes, das derzeit 450.000 Personen beziehen, war ein sozialpolitischer Meilenstein. Im Jahr 2011 kam es zu einer entscheidenden Weiterentwicklung, erinnerte der Minister. Bund und Länder haben sich nämlich auf die Einrichtung eines Pflegefonds geeinigt, dessen Finanzierung bis 2021 gesichert ist. Da sich der Anteil der Pflegekosten am BIP seit 1993 nur geringfügig erhöht habe, könne von einem Pflegenotstand überhaupt keine Rede sein. Stöger sprach sich vielmehr dafür aus, das Pflegegeld jährlich zu erhöhen und den Pflegeregress abzuschaffen. Nach Ansicht von Stöger ist der Staat verpflichtet, ein umfassendes solidarisch finanziertes System zur Verfügung zu stellen, das den Betroffen die höchstmögliche Menschenwürde garantiert, die Angehörigen unterstützt und auf zukünftige Herausforderungen reagiert.

Schelling mahnt kreative Lösungen bei Finanzierung und Betreuung ein

Die langfristige Absicherung des Pflegesystems, das sich rechtzeitig auf den demographischen Wandel einstellen muss, stand für Finanzminister Hans Jörg Schelling im Vordergrund der Diskussion. Da die Menschen nicht nur älter werden, sondern sich auch die Familienstrukturen ändern, brauche es ein breites Betreuungsangebot, eine bessere Vernetzung von ambulantem und stationärem Bereich sowie eine Bündelung der Strukturen. Kreative Lösungen seien daher gefragt, unterstrich der Minister, und zwar auch, was die Finanzierung betrifft. Spätestens ab 2020 sollten Entscheidungen darüber getroffen werden, welche Finanzierungsmodelle den enormen Herausforderungen am besten gerecht werden. Was es seiner Meinung nach jedenfalls braucht, ist mehr Transparenz und weniger Bürokratie. Über all diese Fragen sollte eine offene und ideologiefreie Debatte geführt werden, forderte er.

Rendi-Wagner: Höhere Qualität in der Ausbildung und Umsetzung der Primärversorgung

"Nur wenn wir gemeinsam dieses Thema vorantreiben", werde es zu weiteren Verbesserungen kommen, war Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner überzeugt. Was ihr Ressort betrifft, so habe man mit der Novelle zum Gesundheits- und Krankenpflegeberufsgesetz im Sommer 2016 einen wichtigen Schritt gesetzt, weil dabei eine signifikante Erhöhung der Ausbildungsqualität erreicht wurde. Damit verbunden waren nicht nur eine Attraktivierung und Aufwertung des Berufsbildes, sondern auch eine bessere Durchlässigkeit. Durch die Akademisierung erwartet sich Rendi-Wagner zudem bessere Karrierechancen für Frauen. Bei der sich gerade in Umsetzung befindlichen Primärversorgung Neu, die auf Teamwork und Interdisziplinarität setzt, stelle der Pflegebereich eine ganz wichtige Säule dar, merkte die Ministerin weiters an. Damit die Menschen nicht nur an Jahren älter werden, sondern dabei auch möglichst lange gesund bleiben, sollen vor allem Prävention und Gesundheitsförderung gezielt ausgebaut werden.

Tilg setzt auf integrierte Versorgungskonzepte, wohnortnahe Betreuung und Ausbau des ambulanten Bereichs

Der Tiroler Landesrat Bernhard Tilg ging zunächst auf die zahlreichen Herausforderungen ein, die von der starken Zunahme an Single-Haushalten (2016: 1,5 Millionen), über die Abwanderung aus dem ländlichen Raum, dem HausärztInnenmangel insbesondere in Randgebieten bis hin zum Anstieg an chronischen Krankheiten reichen. Diese Probleme können natürlich nur mit einem Bündel an Maßnahmen gelöst werden, wobei für ihn vor allem integrierte Versorgungskonzepte erforderlich sind. 75 % aller PflegegeldbezieherInnen werden zu Hause betreut, und zwar meist von nahen Angehörigen, zeigte Tilg auf. In Zukunft werde daher auch die Primärversorung eine bedeutende Rolle spielen, da der ambulante Sektor gestärkt und mobile Leistungen oder die 24-Stunden-Pflege weiter ausgebaut werden müssen. Weiters wünschte er sich noch ein gut funktionierendes Entlassungsmanagement, eine laufende Anpassung des Pflegegelds, eine ausreichende Unterstützung der Angehörigen sowie eine Stärkung des Ehrenamts.

Diskussion: Diverse Vorschläge zur finanziellen Absicherung des Pflegesystems

In der ersten Diskussionsrunde wurde vor allem das Thema Finanzierung angesprochen. Der Präsident des Bundesverbands der Alten- und Pflegeheime, Markus Mattersberger, gab zu bedenken, dass das neue Gesundheits- und Krankenpflegeberufsgesetz nicht nur Vorteile, sondern auch Gefahren mit sich bringt. Man müsse nämlich achtgeben, dass die Intentionen nicht ins Gegenteil umschlagen; es dürfe nicht auf Billiglösungen gesetzt werden. Generell fehlt ihm eine politische Vision, zumal es im Jahr 2050 rund 1,25 Millionen ältere Menschen geben wird. Auch der Sozialsprecher der ÖVP, August Wöginger, trat angesichts der demographischen Entwicklungen für nachhaltige Lösungen ein. Ohne Zweifel brauche es aber auch mehr Geld, um etwa die Valorisierung des Pflegegelds zu finanzieren. Außerdem regte er an, dass best-practice-Beispiele im Bereich Pflege vor den Vorhang geholt werden. Die oberösterreichische Landtagsabgeordnete Gisela Peutlberger-Naderer verteidigte das bestehende solidarisch finanzierte System und drängte auf eine Umsetzung der Finanztransaktionssteuer. Unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit sprach sich Bundesrätin Renate Anderl für die Abschaffung des Eigenregesses in der Pflege aus. Durch ein "unsägliches Wirrwarr" an Kompetenzen und Zuständigkeiten verschwinden Unsummen an Geldern, gab Hilde Kössler (Dachverband Hospiz) zu bedenken; kreative Lösungen seien daher gefragt. (Fortsetzung Enquete) sue

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek/fotos.