Parlamentskorrespondenz Nr. 538 vom 08.05.2017

Integrationspaket: ExpertInnen halten Burka-Verbot für grundrechtskonform

Öffentliches Hearing im Außenpolitischen Ausschuss des Nationalrats

Wien (PK) – Das Parlament hat heute die Beratungen über das von der Regierung vereinbarte Integrationspaket aufgenommen. Bei einem rund zweistündigen öffentlichen Hearing im Außenpolitischen Ausschuss des Nationalrats ging es insbesondere um das Burka-Verbot, die Verpflichtung von Flüchtlingen zum Besuch von Deutsch- und Wertekursen sowie adaptierte Integrationsbestimmungen für rechtmäßig in Österreich niedergelassene Drittstaatsangehörige. Zudem werden gesetzliche Grundlagen zur Verhinderung fragwürdiger Koranverteilungsaktionen geschaffen und höhere Strafen für jene verankert, die sich einen Aufenthaltstitel, etwa durch Schummeln bei Deutschprüfungen, erschleichen. Das Gesetzespaket (1586 d.B.) soll noch heute Nachmittag vom Ausschuss an das Plenum weitergeleitet und dort zusammen mit dem vom Sozialausschuss bereits gebilligten Integrationsjahr für Flüchtlinge diskutiert werden.

Von Seiten der ExpertInnen gab es keine rechtlichen Einwände gegen das geplante Verbot, sein Gesicht in der Öffentlichkeit vollständig zu verhüllen. Sowohl Ronald Faber, stellvertretender Leiter des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramts, als auch Katharina Pabel, Dekanin der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Johannes Kepler Universität Linz, sind überzeugt, dass die vorgesehenen Bestimmungen vor dem Europäischen Menschengerichtshof (EGMR) halten werden. Die gebürtige Syrerin Laila Mirzo hält das Burka-Verbot allerdings für unzureichend, und sprach sich dafür aus, auch das islamische Kopftuch aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Dieses ist für sie ein Symbol von Unterdrückung und Apartheit.

Was die neue Integrationsverbeinbarung betrifft, trat Dunja Bogdanović-Govedarica, Juristin und Mitarbeiterin im Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen in Wien, dafür ein, Härtefallregelungen vorzusehen. Silvia Demmig, Expertin für Deutsch als Zweitsprache, kritisierte die Vermengung von Deutsch- und Wertetests.

Kritik kam auch von der Opposition. Reinhard Eugen Bösch (F) wandte sich dagegen, die Materien Asyl und Zuwanderung miteinander zu vermischen und sprach von einem Versuch, das durch das vorübergehende Öffnen der Grenzen verursachte "Chaos" zu verrechtlichen. Christoph Hagen vom Team Stronach hält das Gesetz für untauglich, um die Fehler der Vergangenheit in der Integrationspolitik zu reparieren. Zudem sprach er sich für ein generelles Kopftuchverbot in öffentlichen Gebäuden aus. Seitens der Grünen hinterfragte Alev Korun die Auslagerung hoheitlicher Aufgaben an den Österreichischen Integrationsfonds und bemängelte die weitere Zersplitterung des Integrationsrechts. Nikolaus Scherak (N) ist nicht davon überzeugt, dass durch das Burka-Verbot bestehende Integrationsprobleme gelöst werden können.

Namens der Koalitionsparteien hob Franz-Joseph Huainigg (V) die Bedeutung von Deutsch- und Wertekursen hervor. Sein Klubkollege Christoph Vavrik gab allerdings zu bedenken, dass Werte zu lernen, noch lange nicht heiße, sie auch zu akzeptieren. Hannes Weninger (S) wies darauf hin, dass Werte oft unterschiedlich beurteilt würden, es also klare Vorgaben für den Österreichischen Integrationsfonds brauche. Skeptisch zur Monopolstellung des ÖIF bei den Sprachkursen und zur Koppelung von Sprach- und Wertekursen äußerte sich Nurten Yilmaz (S).

Knasmüller: Integrationsgesetz schließt Lücken

Eingeleitet wurde das Hearing mit einer Stellungnahme der Leiterin der Abteilung Integrationskoordination im Außenministerium Susanne Knasmüller, die als Vertreterin des Ressorts am Hearing teilnahm. Knasmüller wies darauf hin, dass das Integrationspaket aus drei Teilen bestehe und neben Rechten und Pflichten für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte auch neue Bestimmungen für rechtmäßig in Österreich niedergelassene Drittstaatsangehörige sowie wichtige strukturelle Maßnahmen zur Förderung von Integration enthalte. Zudem würden erstmals Integrationsmaßnahmen für AslywerberInnen mit hoher Anerkennungswahrscheinlichkeit gesetzlich geregelt.

Knasmüller unterstrich, dass die vorgesehene Integrationserklärung einerseits einen Anspruch auf Integrationsangebote für anerkannte Flüchtlinge und andererseits deren Mitwirkungspflicht an Deutsch- und Wertekursen beinhalte. Was Drittstaatsangehörige betrifft, seien höhere Strafen für Missbrauch bei der Integrationsprüfung vorgesehen. Zudem werde diese von einer reinen Sprachprüfung zu einer Prüfung über die österreichische Rechts- und Werteordnung ausgeweitet. Als geplante strukturelle Maßnahmen nannte Knasmüller unter anderem den Expertenbeirat, das Vollverschleierungsverbot und die Novellierung der Straßenverkehrsordnung zur möglichen Unterbindung von salafistischen Koranverteilungsaktionen.

Dass die zuständige Behörde feststellen kann, dass die Integrationsvereinbarung trotz eines vorgelegten Prüfungsnachweises nicht erfüllt ist, ist laut Knasmüller schon jetzt geltendes Recht. Die Bestimmung komme etwa dann zum Tragen, wenn ganz offensichtlich keine Kenntnisse der deutschen Sprache vorliegen. Gegen einen entsprechenden Bescheid sei aber eine Beschwerde beim Verwaltungsgericht möglich. Knasmüller verteidigte außerdem die Bestimmung, wonach Prüfungszertifikate nicht älter als zwei Jahre sein dürfen: Schließlich gingen Sprachkenntnisse bei Nichtanwendung verloren. Das Prinzip "Deutsch vor Zuzug" ist ihr zufolge vom Integrationsgesetz nicht umfasst.

Generell meinte Knasmüller, das Integrationsgesetz regle nur einen Teilbereich der in Österreich bestehenden Integrationsmaßnahmen. Es schließe aber Lücken bei Spracherwerb und Wertekursen.

Faber: Europäischer Menschenrechtsgerichtshof erlaubt Vollverschleierungsverbot

Ronald Faber ging insbesondere auf das vorgesehene Vollverschleierungsverbot in der Öffentlichkeit ein und zeigte sich davon überzeugt, dass die Bestimmungen im Falle einer etwaigen Klage vor dem Europäischen Menschrechtsgerichtshof (EGMR) halten werden. Das österreichische Gesetz sei dem französischen nachgebildet, welches vom EGMR bereits als zulässig anerkannt wurde. Im Wesentlichen gehe es um eine Abwägung der Interessen zwischen den Rechten des Einzelnen und den legitimen Rechten des Staates: Dem Recht auf Privatleben, zu dem auch das Recht auf eine freie Kleiderwahl gehört, stehe das Interesse des Staates an einer offenen Gesellschaft und an einem friedlichen Zusammenleben gegenüber. Laut EGMR ist ein neutral formuliertes Verhüllungsverbot, wie es auch in Österreich vorgesehen ist, verhältnismäßig.

Skeptisch äußerte sich Faber in Bezug auf die rechtliche Zulässigkeit eines generellen Kopftuchverbots im gesamten öffentlichen Dienst. Ihm zufolge gibt es zwar mehrere Sprüche des EGMR zu einzelnen Bereichen, es wäre aber wohl nicht möglich, alles über einen Kamm zu scheren. Erlaubt ist etwa ein Kopftuchverbot bei Sicherheitskontrollen, bei Identitätsfeststellungen, in Schulen und – aus hygienischen Gründen – im Gesundheitsbereich.

In Beantwortung einer Frage der Grünen stellte Faber klar, dass im Integrationsgesetz ein umfassendes Weisungsrecht des Außen- und Integrationsministers gegenüber dem Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) verankert sei. Damit seien auch umfangreiche Kontrollrechte des Parlaments gewährleistet. Auch Knasmüller hatte zuvor auf diese Bestimmung hingewiesen.   

Pabel: Integrationsmaßnahmen werden gebündelt und strukturiert

Universitätsprofessorin Katharina Pabel hob hervor, dass mit dem vorliegenden Gesetz Integrationsmaßnahmen gebündelt und strukturiert werden. Zudem solle klargemacht werden, dass Integration nicht nur Spracherwerb, sondern auch die Vermittlung von Orientierungswissen sei. Auf der einen Seite gebe es die Pflicht des Staates, Kurse zur Verfügung zu stellen, auf der anderen Seite die Pflicht, das Angebot zu nutzen. Bei Nichterfüllung drohten Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten die Kürzung von Sozialleistungen, Drittstaatsangehörige müssten mit aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen rechnen. Wichtig ist für Pabel, dass für die Werte- und Sprachkurse ein einheitliches Niveau gilt. Was die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft betrifft, ist für sie die Rechtslage klar: Das Modul 2 der Integrationsvereinbarung muss erfüllt sein.

In Bezug auf die rechtliche Beurteilung des Burka-Verbots schloss sich Pabel dem Verfassungsexperten Faber an. Der EGMR räume in diesem Bereich Mitgliedstaaten großen Spielraum ein.

Mirzo: Islamisches Kopftuch ist Symbol der Unterdrückung

Zu wenig weit geht das Vollverschleierungsverbot der gebürtigen Syrerin Laila Mirzo. Dieses sei nichts anderes als "ein hilfloser Aktionismus und eine kopflose Hauruck-Aktion ohne Nachhaltigkeit", sagte sie und forderte, auch das islamische Kopftuch aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Das Kopftuch des Islam sei nicht nur ein Stück Stoff, sondern ein Symbol der Unterdrückung und Apartheid, warnte sie vor "falscher Toleranz". Sie sei nicht gegen das islamische Kopftuch, weil sie jemanden diskriminieren, sondern weil sie Frauen vor Diskriminierung schützen wolle.

Generell meinte Mirzo, hätte die Regierung ihre Hausaufgaben ordentlich gemacht, würde sie nicht vor den jetzigen Problemen stehen. Man hätte früher hinschauen müssen, wer hinter den Moscheevereinen und hinter den Koranverteilungsaktionen stecke. Es gehe ihr nicht um Islam-Bashing, sagte Mirzo, sondern um die Politisierung einer Religion. Sie habe Angst vor einem Apartheid-System, das die Menschen in Gläubige und Ungläubige teile.

Die vorgesehenen Sprach- und Wertekurse für Flüchtlinge und MigrantInnen hält Mirzo zwar grundsätzlich für richtig, sie bezweifelt aber, dass damit eingefahrene Denkmuster und chauvinistische Haltungen aufgebrochen werden können. Man müsse jedenfalls genau hinschauen, wer im Zuge des Flüchtlingsstroms nach Österreich gekommen sei. Für viele der Flüchtlinge seien die demokratische Grundordnung und die Gleichstellung von Mann und Frau keine Selbstverständlichkeit. Man müsse diese Menschen an der Hand nehmen und über die österreichische Lebensweise aufklären.

Demmig: Keine Vermengung von Sprach- und Wertetests

Silvia Demmig, Professorin an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich und Expertin für Deutsch als Zweitsprache, wandte sich aus Gründen der "Konstruktvalidität" dagegen, Sprach- und Wertetests miteinander zu vermengen. Das Bestehen der Prüfungen habe gravierenden Einfluss auf das Leben der betroffenen Menschen, gab sie zu bedenken, man müsse daher besonders Augenmerk darauf richten, wie valide und sinnvoll diese seien. Für Sprachprüfungen gebe es Standards, diese sollten beibehalten werden. Auch in Deutschland sind Demmig zufolge Orientierungskurse bewusst erst nach Absolvierung erster Sprachkurse vorgesehen.

Um die Kurse besser auf die Bedürfnisse des Staates, der Gesellschaft und des Arbeitsmarkts abzustimmen, hält es Demmig überdies für notwendig, zunächst einmal den konkreten Sprachbedarf zu erheben und dabei auch die Betroffenen miteinzubeziehen. Zudem empfahl sie eine umfassende Qualitätssicherung. Generell hielt Demmig fest, dass es – nicht nur in Österreich – keine Studien über die Wirkung von Integrationstests gebe. Damit bleibe unklar, ob man mit ihnen die gewünschten Ziele erreiche.

Bogdanović-Govedarica: Neues Gesetz hat hohes Potential für Härtefälle

Dunja Bogdanović-Govedarica, Juristin und Mitarbeiterin im Beratungszentrum für Migranten und Migrantinnen in Wien, begrüßte grundsätzlich das zusätzliche Angebot an Integrationskursen. Die Erfahrung habe gezeigt, dass leistbare Angebote gerne angenommen werden, betonte sie. Allerdings braucht es ihrer Meinung nach Härtefallregelungen sowie eine genaue Definition der Zumutbarkeitsbestimmungen, um eine unterschiedliche Vollzugspraxis in den Bundesländern zu vermeiden. Keinesfalls dürfe es sein, dass durch krankheitsbedingtes Fehlen bei Kursen bzw. bei Prüfungen die Mindestsicherung gekürzt wird.

Als Problem sieht Bogdanović-Govedarica außerdem, dass Betroffene das Modul 2 der Integrationsverbeinbarung erfolgreich absolvieren müssen, um Zugang zum Daueraufenthaltsrecht und zu bestimmten sozialen Rechten zu erhalten. Das Modul entspreche immerhin Maturaniveau der zweiten Fremdsprache. Zwar gebe es Ausnahmen, wenn die Prüfungen aufgrund dauerhafter körperlicher oder geistiger Einschränkungen nicht absolviert werden können, hier komme es in der Praxis aber immer wieder zu Problemen, schilderte die Expertin. So würden etwa schwer traumatisierte Personen nicht unter die Ausnahmeregelung fallen, da Traumatisierungen als heilbar gelten.

Zudem würden Lernschwierigkeiten nicht berücksichtigt, bedauerte Bogdanović-Govedarica. Es gebe immer wieder Frauen ohne Schulbildung über 50, die x-mal zu Prüfungen antreten, diese aber nicht schaffen. Bogdanović-Govedarica plädierte in diesem Sinn dafür, auch das nachweisliche Bemühen zur Erfüllung der Integrationsvereinbarung anzuerkennen. Offen bleibt für sie außerdem, wer für Alphabetisierungskurse verantwortlich ist. Dass die Aufenthaltsbehörde feststellen kann, dass die Integrationsvereinbarung trotz bestandener Tests nicht erfüllt ist, öffnet ihrer Ansicht nach Behördenwillkür Tür und Tor.

Allgemein stellte Bogdanović-Govedarica in Frage, warum das Integrationsgesetz EU-BürgerInnen nicht umfasst. Schließlich kämen mittlerweile beinahe schon die Hälfte der in Österreich lebenden Fremden aus anderen EU-Ländern. Man könne keine Verpflichtungen schaffen, räumte sie ein, man könnte aber auch diesen Personengruppen Kurse anbieten. (Fortsetzung Außenpolitischer Ausschuss) gs