Parlamentskorrespondenz Nr. 313 vom 22.03.2018

Arbeitslosenversicherung: Rund 450.000 ArbeitnehmerInnen zahlen ab Juli geringere Beiträge

Nationalrat beschließt mit Koalitionsmehrheit Entlastungspaket

Wien (PK) – Nach der bereits gestern beschlossenen Senkung der Mehrwertsteuer auf Nächtigungen hat der Nationalrat heute ein zweites Entlastungsgesetz verabschiedet. Durch eine Novellierung des Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetzes werden ab Juli dieses Jahres rund 450.000 ArbeitnehmerInnen geringere bzw. keine Arbeitslosenversicherungsbeiträge mehr zahlen. Konkret betrifft das jene, deren monatliches Gehalt zwischen 1.381 € und 1.948 € liegt. Insgesamt gehen dadurch nach den Berechnungen des Sozialministeriums Einnahmen von 140 Mio. € verloren. Für die Gesetzesnovelle stimmten lediglich die Koalitionsparteien, die Opposition hat eine Reihe von Vorbehalten.

Der SPÖ bereitet vor allem die Streichung eines kleinen Passus im Gesetz Sorge. Dieser hatte bisher ausdrücklich normiert, dass Einnahmenausfälle, die dem Bereich Arbeitsmarktpolitik durch reduzierte Arbeitslosenversicherungsbeiträge erwachsen, aus dem allgemeinen Budget abzugelten sind. Da das nicht nur die aktuelle Beitragssenkung sondern auch bereits geltende Rabatte betrifft, werden nach Schätzung der Abgeordneten künftig rund 500 Mio. € für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie Aus- und Weiterbildungsprogramme fehlen. Vor allem behinderte Menschen und Langzeitarbeitslose über 50 seien die Leidtragenden, da diese Gruppen trotz der boomenden Konjunktur keinen Arbeitsplatz finden, glaubt Ex-Sozialminister Alois Stöger.

Ein Abänderungsantrag der SPÖ, der auf die Beibehaltung des Passus abzielt, fand allerdings keine Mehrheit. Die Bestimmung sei nicht notwendig, da Abgänge in der Gebarung Arbeitsmarktpolitik ohnehin vom Bund zu tragen sind, argumentierte ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger.

Die errechnete Entlastung der betroffenen ArbeitnehmerInnen im Ausmaß von 140 Mio. € ist nach Meinung der SPÖ außerdem nicht richtig. Durch die reduzierten Arbeitslosenversicherungsbeiträge steige die Steuerbemessungsgrundlage, was dazu führe, dass sich der Finanzminister über 50 Mio. € mehr an Lohnsteuer freuen könne, gab SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch zu bedenken. Damit werde Geld vom Sozialministerium in Richtung Finanzressort verschoben, ergänzte Stöger. Die SPÖ pochte außerdem auf eine Entlastung der niedrigsten EinkommensbezieherInnen, sie konnte sich mit der Forderung nach einem wesentlichen Ausbau der "Negativsteuer" aber nicht durchsetzen.

Als wenig zielführend qualifizierte auch NEOS-Abgeordneter Gerald Loacker die Gesetzesnovelle. Er glaubt, dass vor allem Teilzeitbeschäftigte von der Beitragssenkung profitieren werden. Damit werde Teilzeit im Vergleich zu Vollzeit erneut ein Stück attraktiver gemacht. Teilzeitanreize würden aber dazu führen, dass vor allem Frauen auf Vollzeitarbeit verzichten und damit von Altersarmut bedroht seien, macht Loacker geltend. Eine sinnvollere Entlastungsmaßnahme wäre seiner Ansicht nach die Abschaffung der "kalten Progression". Dass die Beitragssätze unterjährig geändert werden, ist für ihn außerdem "ein bürokratischer Wahnsinn".

Kritik an der Gesetzesnovelle hatte auch die Liste Pilz im Sozialausschuss geübt. In der heutigen Debatte meldete sie sich nicht zu Wort.

Sozialministerin Hartinger-Klein versichert: "Ich habe genug Geld"

Die Einwände der Oppositionsparteien sind für ÖVP und FPÖ allerdings nicht nachvollziehbar. Faktum sei, dass den Menschen künftig mehr im Geldbörsel bleibt, sagte Dagmar Belakowitsch (FPÖ). Mit der Novelle würden vor allem niedrige EinkommensbezieherInnen entlastet. "140 Mio. € sind nicht nichts", so die Abgeordnete. Ihr Fraktionskollege Peter Wurm geht von einer monatlichen Durchschnittsentlastung der betroffenen ArbeitnehmerInnen von 30 € aus. Vor allem Frauen würden überproportional von der Entlastung profitieren. Belakowitsch ist überzeugt, dass das Geld sofort wieder in den Konsum geht und damit auch die Wirtschaft gestützt wird.

Den Einwand, das künftig weniger Mittel für Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung stehen werden, lässt Belakowitsch nicht gelten. Sie gebe Abgeordnetem Muchitsch zwar recht, aufgrund der guten Konjunktur und der damit verbundenen sinkenden Arbeitslosigkeit sei aber sichergestellt, dass heuer pro Kopf gleich viel Geld zur Verfügung steht wie 2017.

In dieselbe Kerbe schlug Sozialministerin Beate Hartinger-Klein. "Ich kann Sie beruhigen, ich habe genug Geld", hielt sie in Richtung SPÖ fest. Das gelte auch für die Unterstützung von Arbeitslosen, für die pro Kopf mehr Geld zur Verfügung stehen werde. Die Regierung entlaste diejenigen, die das brauchen, betonte Hartinger, sie habe bisher gedacht, dass das auch ein Anliegen der SPÖ sei. Die Sistierung der Aktion 20.000 begründete die Ministerin mit der fehlenden Nachhaltigkeit.

Seitens der ÖVP wies Tanja Graf den Vorwurf der sozialen Kälte zurück. Vielmehr sei es großes Ziel der Regierungsparteien, die arbeitenden Menschen zu entlasten und die Abgabenquote insgesamt zu senken. Das trage zur Motivation bei und stärke die Kaufkraft. "Wir setzen das um, was wir den Menschen vor der Wahl versprochen haben", bekräftigte auch ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger.

In Richtung Abgeordnetem Loacker fragte Wöginger, warum Teilzeitkräfte nicht entlastet werden sollten. Den von Loacker beklagten bürokratischen Mehraufwand für Unternehmer sieht Graf als unproblematisch.

Konkret werden durch den Gesetzesbeschluss ab Juli folgende Beitragsätze zur Arbeitslosenversicherung für ArbeitnehmerInnen gelten: 0% bei einem Monatseinkommen bis 1.648 € (derzeit 1.381 €), 1% bei einem Monatseinkommen zwischen 1.648 € und 1.798 € (derzeit 1.381 € bis 1.506 €), 2% bei einem Monatseinkommen zwischen 1.798 € und 1.948 € (derzeit 1.506 € und 1.696 €). Erst darüber wird der normale Beitragssatz von 3% fällig. (Fortsetzung Nationalrat) gs