Parlamentskorrespondenz Nr. 1446 vom 05.12.2018

Heftige Debatte zu ungerechtfertigter Erstattung von Kapitalertragsteuer-Zahlungen

Rechnungshofbericht zeigt Schaden von sechs Millionen Euro für Republik auf; wenig Chancen, das Geld zurückzuholen

Wien (PK) – Zu einer Kontroverse zwischen Finanzminister Hartwig Löger und JETZT-Abgeordnetem Bruno Rossmann kam es heute im Rechnungshofausschuss bei der Debatte eines Rechnungshof-Prüfberichts, betreffend Kapitalertragsteuer-Erstattung nach Dividendenausschüttungen nach sogenannten Cum-Ex-Geschäften (III-165 d.B.). Rossmann sprach von einem Skandal im Zusammenhang mit einer von ihm behaupteten Nicht-Behebung personeller und ausstattungsmäßiger Mängel. Löger betonte, das Finanzministerium habe umgehend reagiert.

Ende 2012 waren in Deutschland erste Fälle von Betrügereien mit Cum-Ex-Geschäften bekannt geworden: Bei Cum-Ex-Geschäften werden Aktien rund um den Dividendenstichtag gehandelt. Sie werden "mit" (lat. cum) Dividendenberechtigung verkauft und "ohne" (ex) sie geliefert. In diesen Fällen ist es nicht einfach abzuklären, wer berechtigt ist, die abgeführte Kapitalertragsteuer (KESt) rückerstattet zu bekommen. Es kann zu Mehrfachrückerstattungen kommen. Im Mai 2016 regten Rossmann und KollegInnen eine Rechnungshofprüfung an, nachdem es in Medien geheißen hatte, Österreich habe keinen Schaden erlitten.

Der Rechnungshof führt in seinem Bericht aus, das dafür zuständige Finanzamt Bruck, Eisenstadt, Oberwart habe insgesamt 1,099 Milliarden Euro an KESt nach Dividendenauszahlungen an ausländische AntragstellerInnen zwischen 2001 und 2016 rückerstattet. Mehr als ein Viertel dieser Summe war auf 2012 entfallen. Aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens war rund ein Fünftel davon in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) geflossen. Ein solches Abkommen, wonach eine Kapitalertragsteuer-Erstattung in vollem Umfang vorgesehen ist, gibt es auch mit Bahrain, Katar und Kuwait. Ziel ist es, Investoren aus diesen Ländern Anreize zu geben. Dem Rechnungshof zufolge birgt es aber ein erhöhtes Missbrauchsrisiko in sich. Ein ähnliches Abkommen mit Großbritannien soll kommende Woche im Nationalrat behandelt werden. SPÖ-Abgeordnete Karin Greiner wollte daher wissen, ob auch dieses Abkommen ein solches Risiko hervorrufe. Finanzminister Löger verneinte das mit dem Hinweis auf die unterschiedlichen steuerlichen Grundlagen auf Kapitalerträge in Großbritannien (15 %) gegenüber den VAE (0 %).

Teilweise mehr an KESt rückerstattet als in Staatskasse geflossen

Nach Berechnungen des Rechnungshofs war 2012 ein Schaden von 1,78 Millionen Euro entstanden. Anhand der Ausschüttungen zweier österreichischer Aktiengesellschaften, die als Vergleiche betrachtet worden waren, könnte 2010 bis 2012 ein weitere Schaden von 5,92 Millionen Euro entstanden sein. Dieser lässt sich allerdings mangels Daten nicht genau berechnen. Jedenfalls dürfte mehr an KESt rückerstattet worden sein als bezahlt worden war.

Das Finanzamt Bruck, Eisenstadt, Oberwart hatte als Reaktion auf das Bekanntwerden von Schäden in Deutschland die Erstattung von 38,35 Millionen Euro nicht anerkannt und so weiteren Schaden verhindert. "Eine Rückforderung ungerechtfertigt ausbezahlter Beträge ist aber schwer möglich", räumte Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker im Rechnungshofausschuss ein. Grund ist das Fehlen entsprechender Abkommen mit betroffenen Ländern zur Rückerstattung von Steuermitteln.

Der Rechnungshof kritisiert insbesondere, dass ExpertInnen des Finanzministeriums und des Finanzamts Bruck, Eisenstadt, Oberwart einige Risiken und Unzulänglichkeiten bereits 2006 aufgezeigt hatten. Rossmann wirft den verantwortlichen Finanzministern nun vor, wider besseren Wissens nichts unternommen zu haben. Die Rede ist im Bericht von unzulänglicher IT-Ausstattung (veraltete Verfahren, Insellösungen, händische Übertragung von Papier ins System), fehlender risikoorientierter Fallbearbeitung (kein automatischer und regelmäßiger Abgleich) und unzureichender Personalausstattung (erst seit 2013 ein eigenes Team). Des Weiteren fehle es an fachlicher Unterstützung, Fachaufsicht und Bildungsmöglichkeiten.

Mangel an gesetzlichen Bestimmungen

Nach 2012 versuchte das Finanzministerium gegenzusteuern. 2015 nahm die Zahl nicht anerkannter Erstattungsanträge deutlich zu – das heißt, es wurden offenbar Betrugshandlungen verhindert. Mangels einer gesetzlichen Regelung ist man dem Rechnungshofbericht zufolge allerdings immer noch einem beträchtlichen rechtlichen Risiko ausgesetzt. Oberstgerichtliche Entscheidungen sind noch ausständig. Unklar ist allein schon bei der Antragstellung, welche Nachweise etwa in Bezug auf den Zahlungseingang auf einem Bankkonto erbracht werden müssen. In Deutschland und der Schweiz etwa werden umfassende Nachweise gefordert.

Der Rechnungshof verlangt insbesondere: ein transparentes Kapitalertragsteuer-Erstattungsverfahren, verbesserte IT-Unterstützung, höhere Rechtssicherheit durch klare gesetzliche Regelungen, konkrete Anforderungen an die beizubringenden Nachweise. Ziel sollte eine vertiefte Prüfung von risikobehafteten Anträgen sein, damit es gar nicht erst zur Erstattung von Beträgen kommt. Insgesamt gab der Rechnungshof 50 Empfehlungen ab. Finanzminister Löger berichtete, 33 davon seien ganz und 12 teilweise umgesetzt; bei 5 der 48 unmittelbar an das Finanzministerium gerichteten Empfehlungen gebe es Auffassungsunterschiede zwischen den ExpertInnen des Ministeriums und des Rechnungshofes – zum Beispiel, ab welchem Zeitpunkt Zinsen bei einer Steuerrückerstattung fällig seien.

Dabei handelte es sich um einen Punkt, den die Ausschussvorsitzende Irmgard Griss (NEOS) angesprochen hatte: Sie wies darauf hin, dass Anträge auf KESt-Erstattung bis zu fünf Jahre nach Begleichung der Steuer gestellt werden können. Dadurch komme es möglicherweise zu hohen Zinsforderungen. "Man könnte das als fordernde Person auch steuern, indem man den Antrag auf Erstattung erst knapp vor Ablauf dieser Frist stellt", sagte Griss. Löger räumte ein, dass das ein Spannungsfeld sei. Er berichtete, dass VertreterInnen seines Ressorts mit KollegInnen in Deutschland in Kontakt und auf der Suche nach gesetzlichen Lösungen seien. Dabei sei auch EU-Recht zu bedenken.

200 weitere Fälle in Überprüfung

Zur Frage, wie hoch der Gesamtschaden nun tatsächlich sei, wollte sich Finanzminister Löger nicht festlegen. "Fest stehen bisher nur ungefähr sechs Millionen Euro als Schaden – alles übrige beruht auf Potenzialen und Einschätzungen", erklärte er. Rossmann sprach von "Vertuschung". "Erst hat es geheißen, es hat überhaupt keinen Schaden gegeben, noch am 17. Oktober sprechen Sie von 1,78 Millionen Schaden für die Republik, jetzt sollen es 6 Millionen sein und 168 weitere Fälle werden überprüft, höre ich. Zudem habe ich auf eine meiner Anfragen als Antwort erhalten, es sei zu einem Auszahlungsstopp gekommen – jetzt lese ich im Rechnungshofbericht, einen Auszahlungsstopp habe es nie gegeben", führte der Abgeordnete aus. Finanzminister Löger bestätigte weitere Fallprüfungen: "Insgesamt werden rund 200 Fälle neu aufgerollt – aber nicht, weil wir etwas vertuschen wollen, sondern weil wir an Aufklärung interessiert sind", betonte er. Einen Auszahlungsstopp habe es sehr wohl gegeben, schließlich seien 38,35 Millionen Euro, für die es Anträge gab, nicht ausgezahlt worden.

Zum Vorwurf Rossmanns, Mängel in der Finanzverwaltung seien schon seit 2006 bekannt gewesen und man habe darauf nicht reagiert, sagte Löger, es gebe kein Unternehmen und keine Verwaltungseinheit, die guten Gewissens von sich behaupten könne, sie sei, was die IT betrifft, auf dem letzten Stand. Auf das Bekanntwerden von Betrugsfällen mit Cum-Ex-Verkäufen in anderen Ländern – nicht einmal im eigenen Land – habe man im Finanzressort umgehend reagiert. 2013 sei ein entsprechendes Team im Finanzamt Bruck, Eisenstadt, Oberwart aufgestellt worden. Es habe anfangs sieben MitarbeiterInnen umfasst. Seit 2016 ist es, personell gesehen, in seiner Endausbaustufe mit 15 Bediensteten. Was die IT-Ausstattung betrifft, arbeite man seit einiger Zeit an einer umfassenden Lösung. Diese sei im November getestet worden, mit positivem Ausgang, und werde nun mit Jänner 2019 endgültig umgesetzt. Die Frage nach personeller und IT-mäßiger Ausstattung hatte die Abgeordneten Karin Greiner (SPÖ), Andreas Hanger (ÖVP) und Vorsitzende Irmgard Griss interessiert. Griss wollte von Löger auch wissen, ob seinen Berechnungen eine Personal-Bedarfsprüfung zugrunde liege. Löger verwies auf eine gesamtheitliche Modernisierung der Finanzverwaltung. Eine Unterbesetzung der Finanzverwaltung insgesamt wollte er nicht bestätigen.

Löger kündigte eine endgültige Berechnung des Gesamtschadens bis Ende des ersten Quartals 2019 an. Auf die Frage Rossmanns, warum das so lange dauere, sagte er, man habe 2013 nach Bekanntwerden erster Fälle in Deutschland sofort reagiert, entsprechende Strukturen aufgebaut, ungerechtfertigte weitere Auszahlungen gestoppt und Einzelfälle nachgeprüft. Das sei ein enormer Aufwand. Der Bericht wurde schließlich einstimmig angenommen.

Einstimmig und ohne Diskussion angenommen wurden drei weitere Berichte des Rechnungshofs: ein Bericht betreffend die Transparenz von Begünstigungen im Einkommenssteuerrecht (Follow-up-Überprüfung) (III-82 d.B.); ein Bericht betreffend die Oesterreichische Nationalbank zu Gold- und Pensionsreserven, Jubiläumsfonds sowie Sozialleistungen (Follwo-up-Überprüfung) (III-114 d.B.); und ein Bericht des Rechnungshofs betreffend die Familienbeihilfe, deren Ziele und Zielerreichung, Kosten und Kontrollsystem (III-166 d.B.). (Schluss) gb