Parlamentskorrespondenz Nr. 420 vom 23.04.2019

Studie über Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft in Österreich konstatiert "Klimaänderung" im politischen Diskurs

Podiumsdiskussion zum "Civil Society Index - Update 2019" im Palais Epstein

Wien (PK) – Vor fünf Jahren wurde die Studie über die Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft in Österreich "Civil Society Index – Rapid Assessment" im Parlament vorgestellt. Die Untersuchung konzentrierte sich auf Bereiche, die als besonders relevant für das zivilgesellschaftliche Engagement erachtet wurden. Ein Update der Studie wurde von der Interessenvertretung Gemeinnütziger Organisationen (IGO) gemeinsam mit einem wissenschaftlichen Team unter Leitung von Universitätsprofessorin Ruth Simsa vom Institut für Soziologie der Wirtschaftsuniversität Wien durchgeführt. Im Palais Epstein fanden heute Nachmittag die Präsentation der Ergebnisse der empirischen Erhebung und eine Podiumsdiskussion darüber statt, wie sich Klima und Rahmenbedingungen für zivilgesellschaftliche Organisationen in Österreich seit 2014 verändert haben.

In Vertretung von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, der aus Termingründen an der Veranstaltung nicht teilnehmen konnte, übernahm Parlamentsdirektor Harald Dossi die Begrüßung. Das Parlament sei ein angemessener Ort für die Präsentation dieser Studie, da dem Dialog mit der Zivilgesellschaft für die repräsentative Demokratie große Bedeutung zukomme, sagte der Parlamentsdirektor.

StudienautorInnen sehen deutliche Veränderungen des Diskurses über Zivilgesellschaft

Zum Hintergrund der aktuellen Erhebung erläuterte IGO-Geschäftsführer Franz Neunteufel, dass die 2014 vorgelegte Studie über die Zivilgesellschaft in Österreich über weite Strecken nach wie vor relevant sei. Die zivilgesellschaftliche Sphäre nehme weiterhin eine wichtige Funktion zwischen den Aufgaben des Staates und dem Markt ein und habe damit wesentlichen Anteil am Funktionieren einer liberalen Demokratie. Weltweit sei aber seit mehr als einem Jahrzehnt festzustellen, dass dieses Demokratiemodell unter Druck gerät. Die Studie belege, dass es in letzten fünf Jahren auch in Österreich deutliche Veränderungen des politischen Diskurses und damit der Rahmenbedingungen für die Arbeit von Nichtregierungs- und Non-Profit-Organisationen gegeben habe. Angesichts dieser Situation würde er sich wünschen, dass die Arbeit der Zivilgesellschaft stärker öffentlich gewürdigt wird. Dazu könnte aus seiner Sicht beitragen, wenn die Statistik Austria damit beauftragt würde, statistische Daten über die Leistungen des zivilgesellschaftlichen Sektors zu erheben.

Universitätsprofessorin Ruth Simsa (Institut für Soziologie, Wirtschaftsuniversität Wien) erläuterte das Vorgehen bei der Erstellung des Studien-Updates. So wurden etwa VertreterInnen von NGOs und NPOs über die von ihnen wahrgenommen Rahmenbedingungen ihrer Arbeit befragt. Auch wurde die Einschätzung von BürgerInnen erhoben. Herausgekommen sei, dass deutliche Veränderungen des politischen Klimas und eine Polarisierung des politischen Diskurses wahrgenommen werden, sagte Simsa. Ein Anzeichen dieser "Klimaänderung" sei es etwa, dass NGO-Aktivitäten öfter als früher verbal abgewertet würden. Neu daran sei auch, dass sich negative Formulierungen auch in Aussagen hochrangiger PolitikerInnen finden. Die Dialogbereitschaft der Politik sowie die Einbeziehung der Organisationen der Zivilgesellschaft in das Gesetzgebungsverfahren seien zuletzt deutlich zurückgegangen. Die rechtliche Situation für NGOs und NPOs habe sich grundsätzlich zwar kaum geändert und auch die finanzielle Lage der Organisationen sei im Allgemeinen stabil. Österreich verfüge weiterhin über eine gut funktionierende Demokratie, betonte Simsa. Gleichzeitig gebe es aber auch hierzulande populistische Versuche einer Schwächung der kritischen Zivilgesellschaft, das seien negative Entwicklungen, die man im Auge behalten müsse. Die zivilgesellschaftlichen Organsationen hätten auch bereits auf sie reagiert. So würden sie sich stärker vernetzen und mehr Augenmerk auf die Narrative legen, welche in der Gesellschaft im Umlauf sind. Statt an VertreterInnen der Politik wenden sie sich nun stärker direkt an die BürgerInnen, fasste Simsa die Ergebnisse der Studie zusammen.

Podiumsdiskussion: "Tonalität" des politischen Diskurses ist wichtig

Im Rahmen einer Podiumsdiskussion hatte das Publikum, dem zahlreiche VertreterInnen von NGOs und NPOs angehörten, Gelegenheit, Fragen an die ExpertInnen sowie an Abgeordnete zu richten. Muna Duzdar (SPÖ) meinte, wenn es um das politische Klima gehe, so könne man die gegenwärtige Bundesregierung nicht aus der Verantwortung entlassen. Bei den Fristen für die Begutachtung von Gesetzen sei zuletzt eine deutliche Verschlechterung eingetreten. Auch habe sich die "Tonalität" des politischen Diskurses eindeutig verschlechtert und gebe Anlass zur Besorgnis. Nikolaus Scherak (NEOS) schloss sich diesem Befund an, betonte aber auch, nicht alle Entwicklungen könnten der gegenwärtigen Bundesregierung zugeschrieben werden. Teilweise nütze diese die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten einfach nur anders aus, als das frühere Regierungen getan hätten. Das bedeute für ihn, dass der Gesetzgeber stets sehr genau darauf achten müsse, welche Auswirkungen eine Regelung auf die Rahmenbedingungen der Arbeit der Zivilgesellschaft haben kann. Andreas Hanger (ÖVP) unterstrich, die Arbeit der gemeinnützigen Organisationen und das freiwillige Engagement würden seiner Wahrnehmung nach in Österreich noch immer sehr hoch geschätzt. Er trete für den Dialog ein, allerdings müsse dabei auch legitime Kritik an Organisationen zulässig sein. Er halte eine Diskussion darüber, welche Aufgaben der Staat, welche der Markt und welche die Zivilgesellschaft am besten erfüllen könne, für sinnvoll. Einig zeigte Hanger sich mit Duzdar und Scherak darüber, dass für diese Auseinandersetzung ein angemessener und respektvoller Ton erforderlich ist. Auch darüber, dass für ein gutes Gesetzgebungsverfahren die Möglichkeit einer ausreichenden Begutachtung erforderlich ist, herrschte Konsens unter den Abgeordneten am Podium. Die Zivilgesellschaft verfüge über Expertise, die der Gesetzgeber dringend benötige, so der Tenor der Aussagen. (Schluss) sox

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