Parlamentskorrespondenz Nr. 459 vom 30.04.2019

Besorgnis um Pressefreiheit in Europa dominiert Concordia-Preisverleihung

Christoph Zotter, Elfriede Hammerl und Recherchenetzwerk Europes Far Right ausgezeichnet

Wien (PK) – Sie schreiben gegen das Zudecken und Vergessen an, wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht, setzen sich für Gerechtigkeit ein, zeigen auf, analysieren und blicken journalistisch über die Grenzen des Nationalstaats. "profil"-Journalist Christoph Zotter, "profil"-Kolumnistin Elfriede Hammerl und das europäische Recherchenetzwerk "Europe's Far Right" wurden gestern im Parlament für ihr besonderes journalistisches Engagement mit den diesjährigen Concordia-Preisen ausgezeichnet. Geprägt war die Preisverleihung von der Sorge um die Pressefreiheit in Europa. "Heute stehen wir geschlossen hinter Armin Wolf", so etwa der ungarische Journalist Márton Gergely für das europäische Recherchenetzwerk, ARD-Journalist Arnd Henze sagte, dass Angriffe gegen den ZIB2-Moderator auch Angriffe auf die europäische Pressefreiheit seien.

"Es fällt schwer, den Mund zu halten angesichts diverser Entwicklungen", sagte der Präsident des Presseclubs Concordia Andreas Koller etwa in Bezug auf das ZIB 2-Interview von Armin Wolf mit dem freiheitlichen Generalsekretär und EU-Spitzenkandidaten Harald Vilimsky vergangenen Dienstag. Wenn ein Journalist für eine "völlig berechtigten Frage" offen mit Folgen bedroht werde und sich ein Vizekanzler "der Sprache der Identitären bedient", seien das Dinge, die nicht "einreißen" dürften, so Koller. Der Presseclub Concordia werde auch in Zukunft gegen solche Entwicklungen aufstehen. Auch, dass es noch immer kein Informationsfreiheitsgesetz gebe, sei eine schwere Wunde für die österreichischen JournalistInnen.

Schmidt: Habe derartige Angriffe gegen die Pressefreiheit in Österreich nicht für möglich gehalten

Unmissverständliche Worte zum Umgang von Regierungsmitgliedern mit JournalistInnen fand auch die frühere Chefin des Liberalen Forums und ehemalige Dritte Nationalratspräsidentin Heide Schmidt in ihrer Funktion als Vorsitzende der Concordia-Preis-Jury. "Ich hätte nie gedacht, dass noch zu meiner Lebenszeit in meinem Land die Verteidigung der Pressefreiheit und der Menschenrechte von so hoher Wichtigkeit werden könnte", zeigte sich Schmidt alarmiert. Etwa habe sie es in Österreich nicht für möglich gehalten, dass JournalistInnen von Regierungsmitgliedern aufgrund ihrer Fragestellung offen angegriffen und diffamiert würden.

"Als Bürgerin bedanke ich mich bei vielen JournalistInnen", so Schmidt vor dem Hintergrund der "überzeugenden Qualität vieler Arbeiten", die eingereicht wurden. "profil"- Redakteur Christoph Zotter erhält die Auszeichnung für eine Serie zum Thema Menschenrechtsverletzungen an der EU-Außengrenze. Ein zentrales Thema der Artikelreihe ist das Schicksal der sechsjährigen Afghanin Madina Hussiny, die bei einem versuchten Grenzübertritt ums Leben kam, die Auswirkungen auf ihre Familie und der Umgang der Behörden mit diesem Ereignis.

Mit der Auszeichnung des internationalen Recherchenetzwerks "Europe's Far Right" zeigt die Concordia ihre Solidarität im Kampf für Presse- und Meinungsfreiheit, sagte Schmidt. JournalistInnen aus sechs europäischen Ländern haben sich darin im vergangenen Jahr zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, um länderübergreifend über den Aufstieg und die Strategien von Europas RechtspopulistInnen zu berichten. Die teilnehmenden Medien sind die taz (Berlin), Internazionale (Rom), Gazeta Wyborcza (Warschau), Falter (Wien),  Libération (Paris), HVG (Budapest) und WOZ (Zürich).  

Die Autorin und Journalistin Elfriede Hammerl wurde für ihr journalistisches und schriftstellerisches Wirken und ihren Einsatz für Gerechtigkeit ausgezeichnet. "Ihre Arbeit als Kolumnistin sticht durch thematische Breite und differenzierte Darstellung komplexer gesellschaftlicher Sachverhalte hervor, ihre pointierten Analysen zeigen systematische Benachteiligungen auf, besonders von Frauen, und entlarven Vorurteile", so das Jury-Urteil.

Reding: Unter der Oberfläche sehen wir, dass der freie Journalismus und die unabhängige Justiz geknebelt werden

Die Laudatio in der Kategorie Menschenrechte hielt die ehemalige Vizepräsidentin der EU-Kommission Viviane Reding. Trotz mancher Despoten, "die Trumps und Orbans dieser Welt", die mit Fake News Schlagzeilen machten und für die Medienhetze zum Alltag gehöre, gebe es noch Lichtblicke und JournalstInnen, die sich nicht unterwerfen und agieren. "Es wird nicht mehr argumentiert, es wird mundtot gemacht. Und schlimmer noch, es wird totgemacht", brachte Reding ihre Sorge um die Pressefreiheit und eine unabhängige Justiz in Europa zum Ausdruck. Zotter gehöre zu jenen, die aufdecken, und das schonungslos und in einer jedermann verständlichen Sprache. Er erteile dabei keinerlei Lektionen, sondern ermögliche es mit seinen Berichten, Menschenrechtsverletzungen mitzuempfinden. "Zotter zwingt uns hinzuschauen. Guter Journalismus ist genau das. Es ist dieser Journalismus, den wir in Europa brauchen. Und der auch Europa retten wird", so Reding.

Zotter beschäftigt sich seit Längerem mit den EU-Außengrenzen, im Zentrum seiner Geschichten steht "die Frage nach dem Rechtsstaat". Wobei die Grenzen am Papier klarer verliefen, als in der Realität, wie der Journalist sagte. Die EU-Grenzregionen rechtsstaatlich gestalten zu wollen, sei eine komplexe Aufgabe. Seine Geschichten über die Menschen vor Ort würden Situationen zeigen, die die Frage aufwerfen, ob die EU-Staaten ihre eigenen Regeln noch einhalten können. Sein Dank ging mitunter auch an NGOs, "ohne die es schwierig wäre zu berichten", sowie an jene Menschen, die den Mut gehabt hätten, ihre Geschichten zu erzählen.

Henze: Angriff auf Wolf ist Angriff auf europäische Pressefreiheit

In seiner Laudatio für das Recherchenetzwerk "Europe's Far Right" in der Kategorie Presse- und Informationsfreiheit würdigte ARD-Journalist Arnd Henze "exzellent recherchierte Artikel", die nachhaltig wirken und einen klaren Blick für die "Verächter dieses Europas" hätten. Keiner der sieben involvierten Zeitungen erreiche eine sechsstellige Auflage, keine gehöre einem mächtigen Konzern, keine hätte von sich aus die Kraft gehabt, so aufwendig zu recherchieren, so Henze. Es sei überfällig, für die Verteidigung der Demokratie zu lernen, europäisch oder global zu denken und zu arbeiten, das Recherchenetzwerk habe dazu Pionierarbeit geleistet.

Angriffe auf Armin Wolf und den ORF seien nicht nur ein Angriff auf die österreichische, sondern auch auf die Pressefreiheit Europas. Durch neue Medien sei ein kommunikatives Vakuum entstanden, das von jenen besonders gut beherrscht und gefüllt werde, die sonst auf Nationalismus setzten. Für den Ausweg aus diesem Paradoxon brauche es europäische Solidarität samt ureigenen Mitteln und Waffen, nämlich guten Journalismus.

Vonseiten der europäischen Rechercheplattform sagte der ungarische Journalist Márton Gergely, dass Armin Wolf helfe, den Fokus nicht zu verlieren. "Er zeigt uns, wie unerschrocken auch wir sein sollten. Heute stehen wir alle geschlossen hinter Armin Wolf", so Gergely. Mit ihrer Arbeit wolle die Plattform "Europe's Far Right" kräftigen Gegenwind etwa gegen "die Le Pens, Straches, Salvinis oder alle anderen Brüder und Schwestern im Geiste Orbans" erzeugen. Die Rechercheplattform habe sich vernetzt, weil sich auch PopulistInnen in ihrer Abscheu gegenüber Demokratie vernetzt hätten. Ihre Aufgabe sei es, die Menschen auf diese Entwicklungen aufmerksam zu machen.

Hammerl: Keine Option, sich zurückzulehnen

Für Elfriede Hammerl übernahm die ehemalige Concordia-Generalsekretärin Astrid Zimmermann die Laudatio. "Ehrende Worte für Elfriede Hammerl zu finden, ist keine Schwierigkeit", würdigte sie Zimmermann als journalistisches Vorbild und "Pionierin in vielerlei Hinsicht". Die erste feministische Kolumne in Österreich sei Hammerl zu verdanken, seitdem schreibe sie "mit spitzer Feder", unnachgiebig sowie keinem Modetrend folgend.

In ihrer Rede sagte Hammerl, dass es trotz der Auszeichnung für ihr Lebenswerk angesichts einer immer noch einfach abzurufenden antifeministischen Stimmung keine Option sei, sich zurückzulehnen. Noch immer würden viel zu viele Frauen Teilzeit arbeiten müssen, für die gleiche Arbeit weniger bezahlt bekommen oder als AlleinerzieherInnen oder PensionistInnen von Armut gefährdet sein. Zum Glück müsse sie aber nicht versuchen, die Welt im Alleingang zu retten, sagte Hammerl, denn es gebe viele Kolleginnen, die nicht davor zurückscheuen würden, für jene zu schreiben und zu sprechen, die es im Leben nicht so gut getroffen haben. Dass es JournalistInnen wie in der Rechercheplattform gebe, sei "beruhigend in beunruhigenden Zeiten".

Moderiert wurde die Preisverleihung von der Generalsekretärin des Presseclubs Concordia Daniela Kraus, die Begrüßung übernahm stellvertretend für den Nationalratspräsidenten Parlamentsdirektor Harald Dossi. Überreicht werden die Concordia Preise jedes Jahr rund um den Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai. (Schluss) keg

HINWEIS: Fotos von der Preisverleihung finden Sie im Fotoalbum auf www.parlament.gv.at .