Parlamentskorrespondenz Nr. 1036 vom 14.10.2020

Schallenberg: Ein heißer außenpolitischer Herbst

Nationalrat diskutiert Außen- und Europapolitischen Bericht 2019 der Bundesregierung

Wien (PK) – Die aktuelle Situation der EU, insbesondere vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, die Krisenherde Berg-Karabach und Belarus sowie das Verhältnis zu Russland und der Türkei standen heute im Mittelpunkt der Debatte im Nationalratsplenum über den Außen- und Europapolitischen Bericht 2019 der Bundesregierung. Außenminister Alexander Schallenberg sprach angesichts der vielen weltweiten Konfliktherde von einem "heißen außenpolitischen Herbst".

Entschließungsantrag zum Konfliktherd Berg-Karabach angenommen – harte Kritik an der Türkei

Einstimmig angenommen wurde ein Entschließungsantrag der Abgeordneten Reinhold Lopatka (ÖVP), Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) und Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) zum Konflikt um Berg-Karabach. Darin wird die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten, ersucht, auch weiterhin auf bilateraler und multilateraler Ebene für eine sofortige Einstellung der Kampfhandlungen und die Einhaltung des Völkerrechts einzutreten. Der Fokus soll dabei auf den völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Schutz der Zivilbevölkerung und ziviler Infrastruktur liegen. Die Abgeordneten treten in diesem Sinn dafür ein, dass die EU humanitäre Hilfe für die betroffene Zivilbevölkerung zur Verfügung stellt und ihren Einfluss auf alle beteiligten Akteure im Konflikt um Berg-Karabach geltend macht, um den Zugang zur humanitären Hilfe für die Versorgung der Zivilbevölkerung sicherzustellen. Darüber hinaus soll auch bilateral humanitäre Hilfe geleistet werden. Ferner sprechen sich die Abgeordneten dafür aus, dass die EU ihren Einfluss auf alle beteiligten Akteure, insbesondere die Türkei, geltend macht, um die äußere Einmischung in den Konflikt wie Waffenlieferungen an die Konfliktparteien zu stoppen, und auf eine rasche Deeskalation hinzuwirken.

Zudem wird der Außenminister ersucht, sich für eine friedliche Beilegung des Konflikts in Berg-Karabach durch substantielle Verhandlungen unter der Schirmherrschaft der Ko-Vorsitzenden der Minsk-Gruppe der OSZE einzusetzen und bei Bedarf direkte Gespräche in Wien zwischen Armenien und Aserbaidschan zu ermöglichen. Ewa Ernst-Dziedzic meinte dazu, dass Österreich schon einmal einen neutralen Raum für Waffenstillstandsverhandlungen geboten habe.

Außenminister Schallenberg sprach in diesem Zusammenhang von einem Konflikt mit großem Eskalationspotential und appellierte an die Dialogbereitschaft aller Beteiligten. Der derzeitige Waffenstillstand sei ein erster Schritt in die richtige Richtung, der ihn sehr vorsichtig optimistisch stimme. Hart ging er aber mit der Rolle der Türkei ins Gericht, da Ankara nicht auf Deeskalation aus sei, sondern Öl ins Feuer gieße.

Ins gleiche Horn stieß der außenpolitische Sprecher der ÖVP, Reinhold Lopatka. Ihm zufolge hat sich die Türkei weit von der EU entfernt. Ankara betreibe eine Politik, die auf Krisen angelegt sei und auch Krisen in der Region verstärke, sagte er. Lopatka nannte in diesem Zusammenhang nicht nur das Eingreifen in den Konflikt um Berg-Karabach, sondern auch die Einmischung der Türkei in Syrien und Libyen, das Vorgehen gegen die kurdische Minderheit und schließlich auch die Drohungen gegen Griechenland und Zypern. "Wer so handelt, hat keinen Platz in der EU", stellte Lopatka unmissverständlich fest.

Debatte über Multilateralismus

Die Klubvorsitzende der SPÖ, Pamela Rendi-Wagner, entfachte mit ihrer Wortmeldung eine Debatte über den Multilateralismus. Sie warf Bundeskanzler Sebastian Kurz und Außenminister Schallenberg grundsätzlich vor, den multilateralen Ansatz zu verlassen, obwohl sich die Bundesregierung in ihrem Programm dazu bekenne. Vor allem im Kampf gegen Corona werde der Mangel an Zusammenarbeit und Solidarität augenscheinlich, betonte sie.

Das Auseinanderklaffen zwischen Anspruch und Wirklichkeit sehe man auch bei der Armutsbekämpfung in der Welt. Auch wenn das Regierungsprogramm dem Thema einen hohen Stellenwert einräume, zumal weniger Armut mehr Friede und Stabilität mit sich bringe, liegen die österreichischen Beiträge zur Entwicklungszusammenarbeit weit unter den angestrebten 0,7% des BIP und auch unter dem OECD-Durchschnitt. Das sei für ein reiches Land inakzeptabel angesichts von rund 1,2 Milliarden Kindern in Armut.

Auch ihr Klubkollege Jörg Leichtfried ortete eine Umorientierung in der Außenpolitik. Das zeigt sich laut Leichtfried auch am abnehmenden Interesse am Nahostkonflikt. Der SPÖ-Mandatar bemängelte auch, dass Österreich immer weniger eine Mittlerrolle einnehme, sondern sich rasch auf die Seite eines Konfliktpartners stelle, wie beispielsweise in der Auseinandersetzung zwischen Griechenland und der Türkei. Da werde es schwierig werden, im Konflikt um Bergkarabach zu vermitteln, wo die Türkei aktiv mitmische, stellte Leichtfried fest.

Dem wiedersprach Martin Engelberg (ÖVP) heftig. Man könne nicht schweigen, wenn Unrecht geschehe, man müsse klar Position beziehen, unterstrich er seinen Standpunkt. Es sei wichtig, dass Österreich eine starke und ehrliche Position einnimmt. Zum "schamlosen" Wahlbetrug in Belarus könne man ebenso wenig schweigen wie zum Umgang der russischen Führung mit der Opposition. Er sei froh, dass sich Österreich nicht als "weicher Vermittler" hereinlavieren lasse, meinte er. Engelberg begrüßte zudem die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel einerseits und den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain andererseits.

Für die Kritik der SPÖ sah Nikolaus Berlakovich (ÖVP) ebenfalls keinen Anlass. Wie Engelberg unterstrich auch er die aktive Außenpolitik der Bundesregierung, die sich durch rege internationale Kontakte und eine intensive Besuchspolitik äußere. Außerdem sei Österreich Standort zahlreicher wichtiger internationaler Organisationen.

Eine Ablehnung des Multilateralismus kam klar von der FPÖ. Axel Kassegger nannte diesen ein "Modewort". Die Corona-Pandemie werde weltweit genutzt, um supranationale Organisationen wieder zum Leben zu erwecken, so Kassegger. Diese trachteten danach, wie etwa die UNO, wieder mehr Geld und Macht an sich zu ziehen, mutmaßte er. Nicht mehr die Nationalstaaten würden dann die Interessen der Bevölkerung vertreten, sondern NGOs, Stiftungen oder die Zivilbevölkerung.

Die Herausforderungen wurden größer

Seitens der Grünen unterstrich auch Ewa Ernst-Dziedzic die Bedeutung des Multilateralismus. Die Herausforderungen seien größer geworden, sagte sie. Die Pandemie habe nicht nur vielerorts die Gesundheitssysteme kollabieren lassen. Viele Regime nützten die Lage, um alte Konflikte wieder neu zu entfachen. Besonders kritisierte sie dabei die Türkei, Saudi Arabien, den Iran und auch Russland, insbesondere wegen des Giftanschlags auf den Oppositionsführer Alexej Nawalny. Sie kritisierte aber auch scharf China, das Millionen BürgerInnen in Zwangs- und Umerziehungslager stecke und die verbrieften Freiheiten für Hongkong abschaffe. Gleichzeitig sei China der zweitgrößte Handelspartner der EU, fügte sie hinzu.

Als kritisch bewertete auch Außenminister Alexander Schallenberg die Lage in Belarus. Alexander Lukaschenko versuche mit allen Mitteln den Dialog und Neuwahlen zu verhindern. Daher befürworte er die Sanktionen der EU. Schallenberg unterstrich dabei aber die Notwendigkeit, die Zivilbevölkerung zu unterstützen und wertete es als besonders wichtig, Gelder der Jugend und den unabhängigen Medien zugutekommen zu lassen.

Scharf verurteilte der Außenminister auch das Chemiewaffenattentat auf Nawanlny. Angesichts dieser eklatanten Verletzung des Verbots des Einsatzes chemischer Waffen könne man nicht zur Tagesordnung zurückkehren, sagte er und verteidigte die von der EU neu beschlossenen Sanktionen. Gegenüber Russland müsse man eine Doppelstrategie fahren, so Schallenberg – "Kanten, wo nötig, und Dialog, wo möglich".

Corona-Pandemie und EU-Politik

Die Debatte über internationale Zusammenarbeit fokussierte Petra Steger seitens der FPÖ auf die Europapolitik. Sie warf der EU "Allmachts-Phantasien" vor. Die EU sei eine Union der Lobbyisten, eine EU, die ihre Außengrenzen nicht schütze und sich von der Türkei gängeln lasse, eine Union, die die Corona-Krise missbrauche, um ihre Macht und Kompetenzen zu erweitern. Hart kritisierte sie das 750 Euro-Milliarden-Hilfspaket der EU, das einen Tabubruch darstelle, da die EU erstmals selbst Schulden aufnehme. Bundeskanzler Kurz und der ÖVP warf sie vor, die SteuerzahlerInnen damit verraten zu haben. Kurz habe auch zugestimmt, mehr ins EU-Budget zu zahlen. Steger übte zudem scharfe Kritik an den Ankäufen von Staatsanleihen durch die EZB und den Vorschlag der EU-Kommission, eine digitale Währung einführen zu wollen. Steger vermutet, dahinter stecke die Absicht, das Bargeld abzuschaffen.

In die gleiche Kerbe schlug ihr Klubkollege Axel Kassegger. Die EU sei nicht in der Lage, Probleme zu lösen, meinte er im Hinblick auf die Migration und die Aufweichung der Maastricht-Kriterien. Sie sei mit dem 750 Euro-Milliarden-Aufbaufonds zur Bekämpfung der Folgen der Pandemie zu einer Schuldenunion geworden und wolle zudem die Abschaffung der Nationalstaaten.

In eine andere Richtung ging die Kritik von SPÖ-Klubvorsitzender Pamela Rendi-Wagner. Für sie isoliert sich Österreich zunehmend. Als Beispiele dafür nannte sie die Veto-Drohungen gegen das EU-Budget und den Widerstand gegen den EU-Aufbaufonds. Auch die "atmosphärischen" Verstimmungen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel seien nicht förderlich, stellte Rendi-Wagner fest. Österreich sei immer ein stabiler Partner, erwiderte darauf Nikolaus Berlakovich seitens der ÖVP. Es sei das gute Recht des Bundeskanzlers, aktiv mitzugestalten und nicht zu allem Ja und Amen zu sagen.

Ein Thema waren auch die aktuellen Reisewarnungen. Diese seien leider Teil der europäischen Realität, bemerkte Außenminister Schallenberg und wies auf das gemeinsame Ziel einer Balance zwischen Schutz der Gesundheit und Schutz der Personen-, Waren- und Dienstleistungsfreiheit hin. In diesem Sinne zeigte er sich auch nicht ganz zufrieden mit der Corona-Ampel in der EU, da sie keine einheitlichen Standards für Reisebeschränkungen, Quarantäne und Tests mit sich bringt.

Jörg Leichtfried führte die aktuellen Reisewarnungen gegen Österreich auf die seiner Ansicht nach unsensible Politik Österreichs im Frühjahr zurück. Reisewarnungen sind kein Sandkastenspiel, entgegneten ihm Rudolf Taschner und Martin Engelberg (beide ÖVP). Es sei klar, dass die Reisewarnungen auf nackten Zahlen beruhen.

Helmut Brandstätter (NEOS) warnte wiederum davor, dass immer mehr Staaten versuchen, die Pandemie dazu zu nützen, Parlamentarismus und Demokratie zu schwächen.

Mit seiner Kritik an einem Auftritt von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka in der ZIB 2 vom 13. Oktober 2020, weil dieser dabei seiner Meinung nach den Parlamentarismus heruntergemacht und den Ibiza-Untersuchungsausschuss schlecht gemacht habe, entfachte Brandstätter eine kurze Geschäftsordnungsdebatte, weil unter anderem ÖVP-Klubobmann August Wöginger von der Vorsitz führenden Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures einen "Ruf zur Sache" erwartet hätte. Gerald Loacker (NEOS) und Jörg Leichtfried (SPÖ) sahen die Wortmeldung Brandstätters durchaus im Kontext mit dem Thema, sei es dabei doch um die Frage der parlamentarischen Demokratie in ganz Europa gegangen. Die Zweite Nationalratspräsidentin stellte fest, der Exkurs von Brandstätter stelle keine Abweichung von der üblichen Praxis dar, daher gebe es auch keinen Ruf zur Sache.

Keine Mehrheit für Forderung der NEOS, 100 Kinder aus Moria aufzunehmen

Der Entschließungsantrag der NEOS, eingebracht von Helmut Brandstätter, der darauf abzielt, dass sich Österreich am Programm der Europäischen Kommission beteiligt und 100 besonders notleidende Kinder aus Lagern auf den griechischen Inseln aufnimmt, fand nicht die erforderliche Mehrheit.

Schallenberg zu Verhandlungen mit Großbritannien: Die Zeit wird knapp

Nicht angesprochen wurden von den Abgeordneten die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien über ein Abkommen nach dem Brexit. Minister Schallenberg nahm dazu kurz Stellung und meinte, die Zeit werde knapp, ein Abkommen müsste Anfang November stehen, um rechtszeitig ratifiziert werden zu können. Österreich und die EU seien auf alle Szenarien vorbereitet, ein Deal liege jedoch im Interesse aller. Großbritannien sollte ein wichtiger und starker Partner in Europa bleiben.

Mercosur-Abkommen stößt auf Ablehnung

Seitens der Grünen und der SPÖ wurde auch das Mercosur-Abkommen zwischen der EU und den lateinamerikanischen Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay angesprochen. Man hätte viel früher wegen der ökologischen und wirtschaftlichen Folgen eingreifen sollen, unterstrich Michel Reimon von den Grünen. Das Abkommen würde den EU-Agrarmarkt für die betreffenden Länder und im Gegenzug deren Industriemarkt für die EU öffnen. Das müsse man stoppen, war er sich mit Jörg Leichtfried (SPÖ) einig. (Fortsetzung Nationalrat) jan

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Live-Stream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.