Parlamentskorrespondenz Nr. 1147 vom 06.11.2020

Gesundheitsausschuss: ÖGK rechnet heuer mit Bilanzverlust in der Höhe von 194 Mio. €

Anschober sieht budgetäre Lösung in Sicht und will Behandlungsqualität weiter ausbauen

Wien (PK) – Mit einem Bilanzverlust von 194 Mio. € im heurigen Jahr rechnet ÖGK-Obmann Andreas Huss, der heute gemeinsam mit Generaldirektor Bernhard Wurzer die Abgeordneten im Gesundheitsausschuss über die angespannte finanzielle Situation der Österreichischen Gesundheitskasse informierte. Die Corona-Krise habe zudem dazu geführt, dass Beitragsstundungen in der Höhe von 1,78 Mrd. € angefallen sind. Sowohl Bundesminister Rudolf Anschober als auch die VertreterInnen der Regierungsfraktionen zeigten sich aber zuversichtlich, dass bald eine budgetäre Lösung für die Finanzierungsprobleme der ÖGK gefunden werden. Es werde zudem weder zu Qualitätsverlusten in der medizinischen Versorgung noch zu zusätzlichen Belastungen für die PatientInnen kommen, versicherte Anschober. Mit in Verhandlung standen eine Reihe von – mehrheitlich vertagten - oppositionellen Entschließungsanträgen, die unter anderem Forderungen nach einer Leistungsharmonisierung, einem Risikostrukturausgleich zwischen den Kassen sowie einem umfassenden Maßnahmenpaket für das heimische Gesundheitswesen enthielten.

Weiters befassten sich die Ausschussmitglieder mit dem Volksbegehren "Smoke – NEIN", das bundesweit von insgesamt 140.526 Personen unterstützt wurde und somit im Parlament behandelt werden muss (346 d.B.). Der in den Ausschuss geladene Bevollmächtigte Marcus Hohenecker appellierte noch einmal an die Abgeordneten, dem Wunsch der UnterstützerInnen des Volksbegehrens nach einer verfassungsrechtlichen Absicherung des Rauchverbots in der Gastronomie nachzukommen. Da es zeitgleich die Möglichkeit gegeben habe, auch ein gegenteiliges Volksbegehren ("Smoke – JA") zu unterschreiben, hätte die Mehrheit der Bevölkerung ein klares Zeichen gesetzt. Der diesbezügliche Ausschussbericht wird im Plenum noch weiter beraten werden.

Große Herausforderungen für die ÖGK durch die Corona-Krise

Hätte es die Corona-Krise nicht gegeben, dann wäre die Bilanz der Österreichischen Gesundheitskasse heuer positiv ausgefallen, stellte der derzeitige Obmann des ÖGK-Verwaltungsrats Andreas Huss fest. Nachdem man ursprünglich von ziemlich düsteren Prognosen ausgegangen sei, habe sich die Lage über den Sommer hin verbessert, erklärte er, es müsse aber noch immer von einem Bilanzverlust in der Höhe von 194 Mio. € per Ende 2020 ausgegangen werden. Gründe dafür liegen unter anderem im Rückgang der prognostizierten Steigerung der Beitragseinnahmen von 4,1% auf 0,1%. Die Ausgaben fallen nur etwas geringer aus, erläuterte Huss, so war nämlich ursprünglich eine Erhöhung für den Bereich medizinische Hilfe eingepreist. Auch bei den Medikamenten seinen keine Einsparungen zu erwarten. "Die große Rechnung" komme allerdings erst im nächsten Jahr, wenn klar sei, wieviel von den Beitragsstundungen in der Höhe von insgesamt 1,78 Mrd. € nicht mehr einbringbar sein werden. Der Anteil der ÖGK an dieser Summe betrage 350 Mio. €. Generell plädierte Huss dafür, die langfristige Finanzperspektive im Auge zu haben und rechtzeitig dafür Vorsorge zu treffen. Er gab auch zu bedenken, dass der ÖGK durch das 2018 beschlossene Sozialversicherungs-Organisationsgesetz ein finanzieller Rucksack umgehängt worden sei. Als Beispiele nannte er die zusätzlichen Mittel für den Privatkrankenanstalten-Finanzierungsfonds oder die pauschalierte Abgeltung der Arbeitsunfälle an die AUVA.

Die Corona-Krise habe auch die ÖGK vor große Herausforderungen gestellt, ergänzte Generaldirektor Bernhard Wurzer. Im Frühjahr habe man etwa im Laufe einer Woche 190.000 Abmeldungen erhalten. Aufgrund der Schwankungen sei eine kontinuierliche Planung ganz schwierig, da es immer wieder zu "Zacken bei den Ein- und Ausgaben" gekommen sei. Die Unterstützungsmaßnahmen der Bundesregierung für Wirtschaft hätten aber einiges abgefedert. Bezüglich der Finanzierung sei er froh, dass der Bund helfen wolle, damit die Leistungen noch weiter verbessert werden können. Daran arbeite man permanent, versicherte Wurzer, der aber zu bedenken gab, dass die ÖGK noch nicht einmal ein Jahr alt sei. Was die medizinische Versorgung der Bevölkerung in den letzten Monaten betrifft, so habe sie immer gut funktioniert, zeigte sich Wurzer zufrieden. Es haben nicht nur die meisten Ordinationen, sondern auch die Einrichtungen der Sozialversicherungen (z.B. Zahnambulatorien) offen gehalten .

Regierungsfraktionen sehen Finanzierung der ÖGK gesichert

Innerhalb der Bundesregierung gebe es ein klares Commitment, dass es eine entsprechende budgetäre Vorsorge für die coronabedingten Ausfälle der ÖGK geben soll, betonte Abgeordnete Gabriela Schwarz (ÖVP). Es stünden zudem weder Beitragserhöhungen noch die Einführung von Selbstbehalten oder Leistungskürzungen im Raum. Auch der Gesundheitssprecher der Grünen Ralph Schallmeiner hegte die Hoffnung, dass es schon bald zu einer Lösung in Bezug auf die finanzielle Situation der Gesundheitskasse kommen werde.

Derzeit finde sich aber noch kein konkreter Betrag im Budgetentwurf, entgegnete Abgeordneter Philip Kucher (SPÖ), der für einen parlamentarischen Schulterschluss im Sinne der Absicherung der ÖGK plädierte. Überdies bestünden Versorgungslücken, z.B. bei der Behandlung von chronischen Krankheiten oder im Bereich der Psychotherapie, die man endlich angehen müsse. Obwohl die politisch Verantwortlichen in Sonntagsreden immer die gute medizinische Versorgung in Österreich hervorheben würden, gebe es noch immer keine Leistungsharmonisierung, zeigte er kritisch auf. Seine Fraktionskollegin Verena Nussbaum sprach die Fusionskosten und das damit zusammenhängende Controlling an.

Abgeordneter Gerald Loacker (NEOS) zeigte sich verwundert darüber, dass sich Generaldirektor Wurzer nicht für einen Risikostrukturausgleich einsetze, zumal die ÖGK gegenüber anderen Kassen benachteiligt sei. Weitere Fragen bezogen sich auf eine mögliche Erhöhung der Kostenerstattung für Behandlungen durch WahlärztInnen, die aktuelle Vorgangsweise bei Arzneimittelgenehmigungsverfahren, die transparente Darstellung der Vorschaurechnungen sowie die unterschiedlichen Hebesätze für PensionistInnen. Fiona Fiedler (NEOS) berichtete darüber, dass einige Eltern von Kindern mit Behinderung nach der Kassenzusammenlegung mit Leistungsreduktionen konfrontiert worden seien. 

Da die ÖGK ohne Corona-Krise positiv bilanziert hätte, gehe er davon aus, dass die Zusammenlegung der Krankenkassen geglückt sei, urteilte Abgeordneter Peter Wurm (FPÖ).

Den von einigen Abgeordneten angesprochenen Risikostrukturausgleich hielt ÖGK-Obmann Andreas Huss für dringend notwendig, da es zahlreiche Ungerechtigkeiten im System gebe. Dasselbe gelte für die Vereinheitlichung der Hebesätze, die derzeit unterschiedlich ausfallen. Wenn man diese beiden Punkte umsetzen und die ÖGK noch von Belastungen durch die Maßnahmen des Sozialversicherungs-Organisationsgesetzes befreien würde, dann hätte man kein Finanzierungsproblem mehr, strich Huss hervor. Um die ÖGK weiterzuentwickeln, habe man ein Programm vorgelegt, das u.a. die Ausarbeitung einer Hausarztstrategie, den Ausbau der psychotherapeutischen Versorgung, der Ergo- und Logotherapie, die Verbesserung der strukturierten Betreuung von chronisch kranken Menschen oder die Forcierung von Gesundheitsförderungsangeboten enthält. Er konnte sich auch den Abschluss von Verträgen mit Pflegekräften in jenen Gemeinden vorstellen, in denen es keinen Hausarzt mehr gebe. Was die Kassenfusion angeht, so mache dies nur dann Sinn, wenn es zu einer Leistungsharmonisierung kommt.

Die Zusammenlegung der Krankenkassen stelle für ihn den größten Risikostrukturausgleich dar, erklärte Generaldirektor Bernhard Wurzer. Man müsse bedenken, dass die ÖGK nun insgesamt 7,2 Millionen Versicherte vertrete. Aus seiner Sicht sei es eine Meisterleistung gewesen, dass ab dem Jänner alles funktioniert habe. Die Fusionskosten schätzte er mit etwa 30 Mio. € ein, denen aber deutliche Einsparungen gegenüber stehen würden. Alleine mit einem großen Projekt im SAP-Bereich habe man die Kosten um 20 Mio. € gesenkt. Begleitend dazu gebe es natürlich Controlling- und Monitoringprozesse. Ab Juli 2020 wurde ein weiteres Programm aufgesetzt, das über 60 Projekte enthalte und Ende 2022 abgeschlossen sein sollte. Ebenso wie Huss war Wurzer überzeugt davon, dass bezüglich des Landärztemangels ein Bündel an Maßnahmen notwendig sei. Da "die Medizin immer weiblicher werde" müsse darauf reagiert und etwa neue Arbeitszeitmodelle entwickelt werden. Viele junge MedizinabsolventInnen würden sich auch davor scheuen, sofort nach dem Studium selbständig zu werden.

Bundesminister Rudolf Anschober räumte ein, dass es bei der Finanzierung der ÖGK noch einige Fragezeichen gebe, die aber sicherlich bald gelöst werden könnten. Es sei regierungsintern akkordiert, dass es zu keinen zusätzlichen Belastungen für die Versicherten und zu keinen Einbußen bei der Behandlungsqualität kommen werde. Ein großes Anliegen sei ihm der Ausbau der psychosozialen Versorgung, wo zusätzliche Angebote geschaffen werden sollen.

Oppositionelle Forderungen: Leistungsharmonisierung, Risikostrukturausgleich und umfassendes Maßnahmenpaket

Im weiteren Verlauf der Sitzung befassten sich die Abgeordneten mit fünf Entschließungsanträgen der Opposition, die in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Thema der Aktuellen Stunde standen.

So trat etwa die SPÖ mit Nachdruck für einen Risikostrukturausgleich sowie eine Leistungsharmonisierung über alle Krankenversicherungsträger hinweg ein, wobei man sich jeweils an den höchsten Standards orientieren sollte. Das Ziel einer fairen Gesundheitspolitik müsse die Versorgung aller Versicherten mit gleich guten Leistungen sein (325/A(E)). Weiters forderte die SPÖ die Bundesregierung auf, eine Ausfallshaftung für nicht einbringliche Beiträge und Mindereinnahmen der Sozialversicherung aufgrund der COVID-19-Krise zu übernehmen (630/A(E)) sowie der ÖGK die durch die Fusion der Gebietskrankenkassen entstandenen Kosten in den kommenden fünf Jahren mit jährlich jeweils 200 Mio. € zu ersetzen. Zusätzlich soll die von Bundeskanzler Kurz versprochene Gesundheitsmilliarde ausgeschüttet werden, um damit einen Ausbau der Leistungen, wie z.B. für Physiotherapie, psychotherapeutische Angebote oder die Anstellung von ÄrztInnen, zu finanzieren (803/A(E)).

In eine ähnliche Richtung ging ein Antrag der NEOS, in dem Abgeordneter Gerald Loacker für die Etablierung eines Risikostrukturausgleichs im Bereich der Krankenkassen plädiert (321/A(E)).

Auch die Freiheitlichen thematisierten die finanzielle Situation der Sozialversicherungsträger in einem Entschließungsantrag, der die Forderung nach einem umfassenden Maßnahmenpaket für das österreichische Gesundheitssystem enthielt (782/A(E)).

Bei der Abstimmung wurden alle Anträge mehrheitlich vertagt.

Volksbegehren "Smoke - NEIN": Keine Mehrheit für verfassungsrechtliche Verankerung

Der Bevollmächtigte des Volksbegehrens erläuterte im Ausschuss, dass es den InitiatorInnen vor allem darum ging, das ständige Hin und Her in der Debatte über das Rauchen in der Gastronomie zu beenden, zumal weder die Alterskontrollen noch die Trennung in Raucher- und Nichtraucherbereiche in der Praxis funktioniert hätten. Ins Treffen geführt wurde auch der Umstand, dass der Zigarettenkonsum die Hauptursache für frühzeitige Sterblichkeit in den Industrieländern darstelle. Gesundheits-, Jugend- und Arbeitnehmerschutz hätten zudem eindeutig Vorrang vor den Freiheiten der RaucherInnen. Die Tatsache, dass das zweite Volksbegehren "Smoke – JA" nur von 33.000 Personen unterstützt worden sei, zeige zudem, dass die Mehrheit der Bevölkerung dieses Thema endlich abschließen wolle. Wie man am Beispiel Polen sehe, wo nach Jahrzehnten nun das Recht auf Abtreibung in Frage gestellt werde, könne man nie sicher sein, wie sich die politischen Realitäten verändern.

Grundsätzliche Zustimmung für das Anliegen signalisierte Abgeordneter Dietmar Keck (SPÖ). Er habe zwar Verständnis für beide Seiten, es müsse aber verhindert werden, dass RaucherInnen durch ihr Verhalten andere Menschen belästigen oder gefährden.

Eine konträre Ansicht vertrat Abgeordneter Peter Wurm (FPÖ), der zwar "die Schlacht verloren" sah, aber "den Krieg noch nicht aufgeben" wollte. Für ihn stehe der Minderheitenschutz sowie die Freiheit im Vordergrund, die derzeit ohnehin in Gefahr sei. Wurm wies zudem darauf hin, dass in der Gastronomie in Südtirol noch immer geraucht werden könne.

Die rauchfreie Gastronomie sei ein großer Fortschritt, der auf einem langjährigen gesellschaftlichen Entwicklungsprozess zurückgehe, urteilte Abgeordneter Josef Smolle (ÖVP). In seiner Jugend gab es etwa in den Schulen noch Raucherzonen, erinnerte er. Maria Theresa Niss (ÖVP) gab zu bedenken, dass die Verfassung vor allem Grundrechte und Staatsziele enthalte. Sie hielt daher eine einfachgesetzliche Regelung in der Frage des Rauchverbots für ausreichend und verhältnismäßig.

Abgeordneter Gerald Loacker (NEOS) dankte den InitiatorInnen für ihr Engagement, weil damit sichtbar gemacht worden sei, wie deutlich sich die Bevölkerung für ein Rauchverbot in der Gastronomie ausspreche. Angesichts der wechselnden Positionen einzelner Abgeordneter in den letzten Jahre könne er aber auch die Sorge nachvollziehen, dass es wieder zu einer Meinungsänderung kommt. Diese Gefahr sehe er aber nicht mehr. Außerdem sollte man in eine Verfassung nicht mehr reinschreiben, als notwendig sei, betonte Loacker.

Dank für die Proponenten des Volksbegehrens kam auch von Gesundheitsminister Rudolf Anschober, für den "das Ding durch sei". Nun sei eine endgültige Entscheidung getroffen, war er überzeugt. (Schluss Gesundheitsausschuss) sue