Parlamentskorrespondenz Nr. 182 vom 23.02.2021

Erster SDG-Bericht zeigt Fortschritte und Schwächen bei Umsetzung der UN-Entwicklungsziele in Österreich

Agenda 2030 soll auch als Kompass für Bewältigung der Corona-Krise dienen

Wien (PK) – Im Jahr 2015 haben die Vereinten Nationen die Agenda 2030 beschlossen. Insgesamt wurden 17 nachhaltige Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) definiert, die die Mitgliedstaaten der UNO bis zum Ende des nächsten Jahrzehnts erreichen sollen. Dazu gehören etwa die Beendigung von Armut, Ernährungssicherheit, hochwertige Bildung, nachhaltiges Wirtschaftswachstum, die Verringerung von Ungleichheit, eine widerstandsfähige Infrastruktur und Maßnahmen gegen den Klimawandel. Über den aktuellen Stand der Umsetzung der Ziele in Österreich informiert der erste Fortschrittsbericht (FNU), den die Regierung nicht nur der UNO, sondern auch dem Parlament übermittelt hat (III-243 d.B.). Mit Stichzeitpunkt März 2020 macht er nicht nur bisherige Erfolge sichtbar, sondern zeigt auch einige wunde Punkte auf.

Noch nicht berücksichtigt im Bericht sind die Auswirkungen der Corona-Krise. Sie wird sich wohl massiv auf einige Indikatoren auswirken, die die Statistik Austria erstellt hat, um die Fortschritte in Österreich bei der Erreichung der Ziele der Agenda 2030 zu messen. Insgesamt hat die Statistikbehörde rund 200 derartige Indikatoren erarbeitet, die laufend weiterentwickelt werden. Für die Regierung ist jedenfalls klar, dass die Agenda 2030 bei der Bewältigung der Krise – nicht nur in Österreich – als Kompass dienen muss: Es sei wesentlich, weiter an den SDGs festzuhalten, um zur Stärkung der Gesundheitssysteme, zur Verringerung von Ungleichheiten, zur Förderung nachhaltiger Konsum- und Produktionsweisen und zum Schutz von Klima und Umwelt beizutragen, heißt es dazu im Bericht.

Das Vorwort zum Fortschrittsbericht steuerte Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei. Er verweist darauf, dass nicht nur die Politik, sondern jeder und jede Einzelne gefordert ist, um die Ziele der Agenda 2030 zu erreichen bzw. ihnen zumindest näher zu kommen.

Viele Akteure sollen Beitrag zur Erreichung der SDGs leisten

Für die Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen zur Erreichung der SDGs wurde in Österreich ein breiter Ansatz gewählt, wird im Bericht hervorgehoben. Das heißt, es gibt keinen zentralen Aktionsplan, vielmehr sind die einzelnen Akteure wie Ministerien, Bundesländer, Städte, Gemeinden, Sozialpartner und die Zivilgesellschaft von sich aus gefordert, in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich Maßnahmen zu setzen. Zur allgemeinen Koordinierung und zum Austausch mit den relevanten Akteuren wurde eine interministerielle Arbeitsgruppe (IMAG) eingerichtet, die beim Bundeskanzleramt angesiedelt ist. In diesem Sinn ist es auch Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler, die den ersten Fortschrittsbericht dem Nationalrat vorgelegt hat.

Konkreten Niederschlag finden die SDGs nicht nur in diversen Strategiepapieren des Bundes wie der Klima- und Energiestrategie #mission2030, dem Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik 2019-2021, den "Gesundheitszielen Österreich" und der österreichischen Jugendstrategie, sondern auch in verschiedenen Länderprogrammen wie der Wiener Smart-City-Rahmenstrategie, dem "Raumbild Vorarlberg 2030" und dem 12-Punkte-Programm "Bioland Burgenland".

Außerdem werden im Bericht Dutzende Einzelprojekte genannt. Diese "Flagship-Initiativen" reichen von den österreichweiten "Aktionstagen Nachhaltigkeit" und einem SDG-Schreibwettbewerb des Außenministeriums über Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Absicherung von Kunst- und Kulturschaffenden und der niederösterreichischen Initiative "17&wir" bis hin zum Musical "Solve it!", mit dem in Vorarlberg 20 JugendbotschafterInnen zwischen 14 und 22 Jahren im Jahr 2018 insgesamt 5.000 Kinder und Jugendliche in kreativer Form mit allen SDGs vertraut machten. Der Städtebund hat einen Leitfaden zur Umsetzung von SDGs auf kommunaler Ebene herausgegeben.

Auch in der Forschung und im universitären Bereich finden die 17 Nachhaltigkeitsziele Berücksichtigung, wie im Bericht hervorgehoben wird. Ebenso spielen sie teilweise bereits bei der Budgeterstellung auf Bundes- und Länderebene eine Rolle, zumal sich die budgetären Wirkungsziele und die SDGs inhaltlich oft überschneiden. Allerdings gibt es hier laut Bericht durchaus noch Luft nach oben. Im Wirtschaftsbereich wurde unter anderem die Auszeichnung "TRIGOS" ins Leben gerufen, um Unternehmen, die besonders verantwortungsvoll und nachhaltig wirtschaften, vor den Vorhang zu holen.

Hingewiesen wird im Bericht außerdem auf die Plattform SDG Watch Austria, zu der sich im Jahr 2017 zahlreiche Organisationen mit dem Ziel zusammengeschlossen haben, eine wirksame und ambitionierte Umsetzung der Agenda 2030 zu fördern. Mittlerweile gehören der Plattform bereits 180 Mitglieder aus verschiedenen Bereichen an.

Schwerpunkte Digitalisierung, Klimaschutz und Verbesserung der Lebenssituation benachteiligter Gruppen

Als inhaltliche Schwerpunkte bei der Umsetzung der SDGs hat Österreich laut Bericht drei Schwerpunkte gewählt: Digitalisierung, Klimaschutz und Klimawandelanpassung sowie Frauen, Jugend und Verbesserung der Lebenssituation benachteiligter Gruppen. Gemäß dem Agenda-2030-Motto "Leaving no one behind" sollen die politischen Maßnahmen darauf ausgerichtet werden, ein gutes Leben für alle sicherzustellen und niemanden zurückzulassen.

In den Detailberichten zu den drei Schwerpunkten wird unter anderem auf die seit 2018 laufende Initiative "fit4internet", die Forcierung des "digitalen Amtes", das Projekt "Trapez" zur Verringerung von Altersarmut von Frauen, die gestartete Gleichstellungsoffensive im Filmsektor und den Kompetenzcheck für asylberechtigte und subsidiär schutzberechtigte Frauen verwiesen. Auch das Projekt "Violence-free zone Europe" zur Forcierung gewaltfreier Erziehung, die Ausbildungsgarantie für Jugendliche bis 18, die jährliche Valorisierung des Pflegegeldes und der Pensionsbonus für AusgleichszulagenbezieherInnen mit langer Versicherungsdauer finden Erwähnung. Im Umweltbereich wird etwa auf die Klima- und Energie-Modellregionen (KEM), die Umweltförderung des Bundes und die Bioökonomie-Strategie, die auf einen Ersatz fossiler Ressourcen durch nachwachsende Rohstoffe abzielt, verwiesen.

Nicht alle der im Bericht erwähnten Projekte sind übrigens neu. Zum Teil wurden sie schon vor der Beschlussfassung der SDGs 2015 gestartet.

Positive Weiterentwicklung bei vielen Zielen

Die Gesamtbetrachtung zeige, dass Österreich bei vielen Zielen eine positive Weiterentwicklung verzeichnen könne, wird im Bericht festgehalten. So gibt es in Österreich etwa wesentlich weniger Armut als im Durchschnitt der EU-Mitgliedsländer, die Zahl der Wohnungen mit schlechtem Wohnstandard sinkt. Im Bereich Ernährung und Nahrungsmittelproduktion ist das Land mit seinem hohen Anteil an Bioflächen Spitzenreiter in der EU. Das Bildungsniveau steigt kontinuierlich, extreme Armut ist – nach der aktuellen internationalen Definition – so gut wie beseitigt.

Auch die Gesundheitsversorgung ist grundsätzlich gut, und der Zugang zu einwandfreiem und bezahlbarem Trinkwasser ebenso gesichert wie der Zugang zu bezahlbaren, verlässlichen und modernen Energiedienstleistungen. Der Anteil der Waldfläche an der gesamten Landfläche ist von 46,8% 2010 auf 47,2% 2018 gestiegen, die zertifizierten Waldflächen, also Waldflächen, die in Schutzgebieten liegen, nahmen sogar deutlich zu. Beim internationalen Sustainable Development Report 2019, der die Erfüllung der SDGs weltweit untersucht hat, hat Österreich laut Bericht mit Platz fünf gut abgeschnitten.

Wunde Punkte Ressourcenverbrauch und Flächenversiegelung

Allerdings legen das von der Statistik Austria entwickelte Indikatorenset und von der Gesundheit Österreich im Auftrag des Sozialministeriums durchgeführte Vergleiche auch einige wunde Punkte offen. So ist etwa der Energieverbrauch zwischen 2010 und 2018 weiter gestiegen und lag konstant über dem Energieeffizienzrichtwert für das Jahr 2020 von 1.050 Petajoule (2018: 1.126 Petajoule). Auch die verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen (+7,9% im Zeitraum 2010 bis 2018) und die Flächennutzung für Bau-, Verkehrs- und Freizeitflächen nahmen weiter zu. Die ÖsterreicherInnen verbrauchen außerdem mit rund 19 Tonnen pro Kopf deutlich mehr Rohmaterialien als im EU-Schnitt (13,8 t), ebenso sind die Siedlungsabfälle angewachsen. Auch bei den Einkommensunterschieden von Männern und Frauen sowie bei der staatlichen Entwicklungshilfe hinkt Österreich hinterher.

Im Gesundheitsbereich wird auf den deutlichen Anstieg von Hepatitis-B-Erkrankungen in den letzten zehn Jahren – mit einer Spitze im Jahr 2014 – verwiesen. Zudem sterben nach wie vor verhältnismäßig viele Menschen infolge von Alkoholkonsum, auch wenn zwischen 2010 und 2018 ein leichter Rückgang verzeichnet werden konnte. Auch bei der Selbstmordrate liegt Österreich – bei sinkender Tendenz – nach wie vor über dem europäischen Durchschnitt. Bei Lungenkrebs ging die Sterberate bei Männern zwar stark zurück, bei Frauen hingegen stieg sie deutlich an.

Im EU-Vergleich erfreulich hoch sind die Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Österreich landete hier 2018 mit einer Forschungsquote von 3,17%, gemessen am BIP, auf dem 2. Platz. Allerdings wurde der österreichische Zielwert von 3,76% verfehlt, wie aus dem Indikatorenbericht der Statistik Austria ersichtlich ist. Insgesamt ein negativer Trend ist bei den Wohnkosten und bei den öffentlichen Ausgaben zur Erhaltung des baukulturellen Erbes zu verzeichnen.

Dass Österreich auch bei jenen UN-Nachhaltigkeitszielen etwas tun kann, die das Land nicht direkt betreffen, zeigt das Ziel 14, das dazu auffordert, Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung zu erhalten und nachhaltig zu nutzen. Hier wird auf ein 2018 geschnürtes ambitioniertes Maßnahmenpaket zum Ausstieg aus Mikroplastik in bestimmten Produkten wie Kosmetikartikel und Reinigungsprodukte verwiesen.

Dialog mit der Wissenschaft und verstärkte Bewusstseinsbildung

Um eine kohärente Umsetzung der Agenda 2030 durch Österreich zu verstärken, wurden laut Bericht zuletzt einige Maßnahmen gesetzt. So wird etwa auf die Stärkung der Steuerungsgruppe und den beabsichtigten Ausbau der Schnittstellen mit den Bundesländern, den Städten und Gemeinden, den Sozialpartnern, der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft verwiesen. Zudem soll die Einsetzung eines wissenschaftlichen Beirats oder einer anderen Form des strukturierten Dialogs mit der "Scientific Community" geprüft werden. Auch eine verstärkte Information der Öffentlichkeit und verbesserte Rahmenbedingungen für freiwilliges und zivilgesellschaftliches Engagement sind angedacht. Ebenso wird die Regierung dem Parlament regelmäßig über die Fortschritte bei der Umsetzung der SDGs berichten.

Was die österreichische Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) betrifft, kündigt die Regierung unter anderem an, auch das nächste Dreijahresprogramm an der Agenda 2030 ausrichten zu wollen. Das gleiche gilt für die jeweiligen Länder- und Regionalstrategien. Im Sinne einer aktiven Klimadiplomatie sollen die Förderung erneuerbarer Energieträger und Energieeffizienz weiterhin einen Schwerpunkt der OEZA darstellen.

Etliche Vorhaben werden auch für die drei Schwerpunktbereiche Digitalisierung, Klimaschutz und Soziales genannt – sie reichen von einem weiteren Ausbau digitaler Verwaltungswege und der Förderung von Frauen in Führungspositionen über den Ausbau der gesundheitlichen Primärversorgung und der Sicherstellung einer qualitätsvollen Pflege bis hin zu einer ökosozialen Steuerreform und dem 1-2-3-Verkehrsticket für ganz Österreich. (Schluss) gs