Parlamentskorrespondenz Nr. 666 vom 02.06.2021

Volksanwaltschaft: Präventionskonzepte für zukünftige Gesundheitskrisen nötig

Volksanwaltschaftsausschuss widmet sich Berichten zu präventiver Menschenrechtskontrolle sowie zu COVID-19

Wien (PK) – Am zweiten Tag des Volksanwaltschaftsausschusses beschäftigten sich die Abgeordneten heute weiter mit dem Tätigkeitsbericht der Volksanwaltschaft für das Jahr 2020 (III-224 d.B.), der schlussendlich einstimmig zur Kenntnis genommen wurde. Dabei standen der zweite Teil des Berichts zur präventiven Menschenrechtskontrolle sowie heuer erstmals auch ein dritter Band, der die Aufgabenstellungen des Prüforgans in Zusammenhang mit COVID-19 umfasst, im Fokus (Zusammenfassungen siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 660 bzw. 661).Die drei Volksanwälte Bernhard Achitz, Werner Amon und Walter Rosenkranz standen dazu den Ausschussmitgliedern Rede und Antwort, die fraktionsübergreifend die wichtige und wertvolle Arbeit der Volksanwaltschaft als Kontrollorgan des Parlaments betonten. Aus Sicht der Volksanwaltschaft bedarf es der Erstellung von Präventionskonzepten und von klaren Rechtsgrundlagen, um für zukünftige Gesundheitskrisen gewappnet zu sein.

COVID-19-Pandemie: Einschränkung von Grundrechten braucht sachliche Rechtfertigung

2020 wandten sich 1.200 Menschen mit Anliegen an die Volksanwaltschaft, die auf die Corona-Pandemie zurückzuführen waren. Das Prüforgan hat deshalb im Rahmen seines Tätigkeitsberichts erstmals einen dritten Band verfasst, der sich diesem Themenkomplex widmet. Dabei geht es etwa um Anfragen und Beschwerden zu Polizeistrafen infolge unklar kommunizierter Rechtslagen, um Auszahlungen von Unterstützungsleistungen, um Besuchs- und Ausgangsverbote in Alten- und Pflegeheimen, um die Zentralmatura und Homeschooling oder um Einschränkungen in den Justizanstalten.

Die Volksanwaltschaft fordert im Bericht eine ausführliche und transparente Diskussion zur Einschränkung von Grund- und Menschenrechten infolge der Pandemiebekämpfung. Jede Einschränkung der Menschenrechte müsse eine Ausnahme bleiben, man dürfe sich nicht daran gewöhnen. Dort wird auch kritisiert, dass es vielfach Ankündigungen zur Eindämmung der Pandemie gab, die in der aktuellen Rechtslage keine Deckung gefunden hätten. Dazu komme auch eine intransparente Kommunikation, was zu einer weitreichenden Verunsicherung in der Bevölkerung geführt habe, heißt es im Bericht.

Zu Beginn der Pandemie habe die Volksanwaltschaft weniger strenge Prüfmaßstäbe angelegt, da dies für alle involvierten Stellen eine neue und besondere Situation bedeutet habe, hielt Volksanwalt Bernhard Achitz einleitend fest. Je länger jedoch die Pandemie gedauert habe, umso strenger habe man die Prüftätigkeit wieder aufgenommen, da man davon ausgegangen sei, dass Problemlösungsansätze bereits bekannt und in Umsetzung seien. Durch die eingeschränkten Prüfmöglichkeiten habe man nach Alternativen gesucht und etwa mit telefonischen Umfragen mit dem Pflegepersonal und den Heimleitungen positive Erfahrungen gemacht. Nach etwa vier bis sechs Wochen habe man jedoch etwa wieder mit den Besuchen in den Altersheimen begonnen, so Achitz gegenüber Romana Deckenbacher (ÖVP), Sabine Schatz (SPÖ) und David Stögmüller (Grüne), die nach der Art und Weise der Kontrolltätigkeit am Beginn der Pandemie gefragt hatten.

Was die coronabedingten Beschränkungen vor allem für Pflege- und Altersheime betrifft, unterstützte Achitz die Forderungen von Elisabeth Scheucher-Pichler (ÖVP) nach Präventionskonzepten, um besser für zukünftige Gesundheitskrisen gewappnet zu sein. Laut dem Volksanwalt braucht es einerseits klare Handlungsanleitungen in Form eines "Handbuches" für die Pandemie, andererseits werden zentrale Rechtsgrundlagen für die BetreiberInnen von Pflegeheimen benötigt, denn diese hätten sich oftmals nicht getraut mehr zuzulassen, um nicht als die "Schuldigen" dazustehen.

Was die Reaktion auf aufgezeigte Missstände in Einrichtungen betrifft, sei keine allgemeine Antwort möglich, betonte Achitz gegenüber Gudrun Kugler (ÖVP). Kleinere Mängel oder bauliche Maßnahmen würden eher schnell erledigt werden, bei strukturellen Problemen dauere es hingegen oftmals lange bis Einrichtungen reagieren würden. So sei es etwa gelungen, den Einrichtungen klar zu machen, dass eine längere Zimmerquarantäne nicht erlaubt ist. Dies sei dann im zweiten Lockdown im Herbst 2020 auch nicht mehr vorgekommen, informierte der Volksanwalt den SPÖ-Abgeordneten Rudolf Silvan. Achitz schloss sich zudem der Kritik von Christian Ragger (FPÖ) an, der die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen in den Alters- und Pflegeheimen bemängelte. Auch eine Pandemie sei kein "Sondertatbestand für Freiheitsentzug", gerade hier müsse man sehr sensibel vorgehen, so der Volksanwalt.

Zur Frage Johannes Margreiters (NEOS) nach "den teilweise zu Unrecht ausgestellten Verwaltungsstrafen" in Zusammenhang mit COVID-19, stellte Bernhard Achitz fest, dass sich die Volksanwaltschaft für eine Zurückzahlung durch die Behörden ausspreche. Insgesamt hätten das Prüforgan rund 200 Beschwerden zu diesem Thema erreicht. Die Behörden würden aber auf eine bundeseinheitliche Lösung warten, weshalb es eine Initiative des Gesetzgebers benötige, sollte man sich dieser Sache annehmen wollen.

Von Mario Lindner (ÖVP) auf die Position der Volksanwaltschaft zur Prüfung der COFAG angesprochen, meinte Volksanwalt Werner Amon, dass das Prüforgan diese gerne prüfen würde. Dafür müsse der Gesetzgeber aber eine gesetzliche Basis für die Prüfkompetenz festlegen. Aktuell seien Prüfungen nur erschwert durch den Umweg über das Finanzministerium möglich. Was die Unterstützungsleistungen für PflegerInnen mit zumeist ausländischem Bankkonto betrifft, habe man mittlerweile erreicht, dass das Finanzministerium die Leistungsansprüche an diese Konten ausbezahlt, informierte Amon ÖVP-Mandatarin Gudrun Kugler, die die gute Zusammenarbeit der Volksanwaltschaft mit den Ministerien gelobt hatte.

Präventive Menschenrechtskontrolle 2020: Häufigste Beanstandungen im Bereich des Gesundheitswesens

Um die Überprüfung von öffentlichen und privaten Einrichtungen, in denen Menschen in ihrer Freiheit eingeschränkt werden, geht es im zweiten Teil des Berichts der Volksanwaltschaft. Im Rahmen des Nationalen Präventionsmechanismus (NPM) hat die Volksanwaltschaft den verfassungsgesetzlichen Auftrag, Einrichtungen wie Alten- und Pflegeheime, Krankenhäuser und Psychiatrien, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, Justizanstalten, Polizeianhaltezentren und Polizeiinspektionen zu kontrollieren. Außerdem werden Zwangsakte der Exekutive überwacht.

Insgesamt wurden im Berichtsjahr 448 Kontrollen durchgeführt, wobei in Alten- und Pflegeheimen die meisten Kontrollen stattfanden (109). Bei 73% der Kontrollen wurden von den Kommissionen Mängel betreffend die menschenrechtliche Situation aufgezeigt. Besonders diskutiert werden in dem Bericht Missstände, die auf systembedingte Defizite schließen lassen und oftmals im Zusammenhang mit den pandemiebedingten Maßnahmen standen. Schwerwiegende Defizite (u.a. Personalmangel in Alten- und Pflegeheimen, mangelnde Ausstattung von Justizanstalten) bestanden aber auch schon vor der Pandemie und waren bereits Thema von Vorjahresberichten. Die Beanstandungen betrafen am häufigsten das Gesundheitswesen (17,7%), die Lebens- und Aufenthaltsbedingungen (16,4%) sowie freiheitsbeschränkende Maßnahmen und unzureichende Personalressourcen (13% bzw. 11%).

Die Arbeit des NPM und von seinen sechs Kommissionen war laut dem Bericht im Jahr 2020 von zwei Auswirkungen der Pandemie geprägt. Zum einen stand die neue menschenrechtliche Gefährdungslage im Zentrum, der Menschen aufgrund der Einschränkungen und der daraus folgenden Isolation im Rahmen der Pandemiebekämpfung ausgesetzt waren, wie die Volksanwaltschaft darlegt. Es wurde festgestellt, dass die Einschränkungen der Grundrechte teilweise unverhältnismäßig waren und ein vorsorglicher Infektionsschutz durch Freiheitsentziehungen, dies betraf besonders Alten- und Pflegeheime, unzulässig sei. Zum anderen war aber auch die Arbeit der Kommissionen selbst unmittelbar eingeschränkt, da diese während der Phase des ersten Lockdowns keine Besuche von Einrichtungen durchführen konnten. Daher wurden andere Wege gewählt, um den Schutz von in ihrer Freiheit eingeschränkten Personen zu erreichen.

Mit nahezu 450 Kontrollen habe man 2020 fast 10% der Einrichtungen kontrolliert, was trotz der Corona-Pandemie ein sehr guter Wert sei, meinte Volksanwalt Werner Amon. Zudem gehe es vor allem um die Qualität und nicht mehr nur um die Quantität der Kontrollen. Was die Corona-Pandemie betrifft, so zeigte sich Amon erfreut, dass es unter den Inhaftierten in den Justizanstalten eine hohe Akzeptanz zu den getroffenen Maßnahmen gegeben habe. Von Reinhold Einwallner (SPÖ) auf die Einschätzungen der Volksanwaltschaft zu den Zuständen im Maßnahmenvollzug angesprochen, betonte Amon, dass die aktuelle Situation dramatisch sei. Durch den 60-prozentigen Zuwachs in den letzten Jahren komme es vor allem zu Überbelegungen. Volksanwalt Amon stufte aber die vor kurzem präsentierten Reformschritte der Bundesregierung als positiv ein. Für Verbesserungen in diesem Bereich brauche es zudem eine weitere forensische Anstalt, hielt Werner Amon gegenüber Johannes Margreiter (NEOS) fest. Diese könne Abhilfe schaffen, um auch die oftmals aus Platzmangel vorgenommenen Fixierungen von Inhaftierten abzustellen.

Die Kommissionen des Nationalen Präventionsmechanismus seien unabhängig und weisungsfrei und zudem unabhängig in der Erstellung der Kontroll- und Besuchspläne, unterstrich Volksanwalt Walter Rosenkranz. Zudem würden die Kommissionen auch festgestellte Mängel an die zuständigen Stellen weitergeben, die nicht von ihrem Prüfauftrag umfasst sind. Was die Besuche bei Demonstrationen betrifft, so würden diese in der Regel unangekündigt stattfinden. Um eine Auswahl treffen zu können, melde die Polizei dem NPM jedoch jene Demonstrationen, wo mit einem Gewaltpotential gerechnet werde, so Rosenkranz. Außerdem könnten die KommissionsleiterInnen auch in die Einsatzpläne der Polizei einsehen, um mögliche "Hot Spots" bei Demonstrationen vorab besser ausfindig machen zu können. Zum Komplex der Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen stellte Rosenkranz klar, dass nur die Polizeibehörden und nicht die Gesundheitsbehörden die Abwägung von Grundrechten vollziehen könnten, ob eine Demonstration stattfinden darf oder nicht.

Volksanwälte sehen keinen Handlungsbedarf zur Änderung des Bestellmodus

Stephanie Krisper (NEOS) kritisierte in ihrer Wortmeldung den Bestellmodus der Volksanwälte. Die NEOS-Abgeordnete forderte eine Stärkung der Unabhängigkeit des Prüforgans, denn obwohl die Volksanwälte gute Arbeit leisten würden, stehe die Parteinähe aktuell mehr im Vordergrund als die Fachkompetenz. Krisper forderte eine öffentliche Anhörung und die Einbindung der Zivilgesellschaft.

Alle drei Volksanwälte sahen hingegen keinen Handlungsbedarf an einer Änderung des Bestellmodus, sie würden sich aber auch jeglichem Auswahlverfahren stellen. Diese Überlegungen seien zudem ausschließlich die Aufgabe des Parlaments. Walter Rosenkranz betonte, dass es keine Einflussnahme auf die Arbeit der Kommissionen seitens der Volksanwälte gebe, Werner Amon verwies auf die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit des Prüforgans. (Schluss) med