Volksanwaltschaft: Einschränkung von Grundrechten braucht auch während einer Pandemie sachliche Rechtfertigung
Tätigkeitsbericht 2020 enthält neues Kapitel "COVID-19"
Wien (PK) – Die Volksanwaltschaft legte ihren Tätigkeitsbericht für das Jahr 2020 aufgrund der Corona-Pandemie erstmals in drei Bänden vor (III-224 d.B.). Neben den Bänden über die Kontrolle der öffentlichen Verwaltung und über die präventive Menschenrechtskontrolle fasst der dritte Band jene Aufgabenstellungen der Volksanwaltschaft zusammen, die in direktem Zusammenhang zu COVID-19 standen.
2020 wandten sich 1.200 Menschen mit Anliegen an die Volksanwaltschaft, die auf die Corona-Pandemie zurückzuführen waren. Diese beinhalteten Anfragen und Beschwerden zu Polizeistrafen infolge unklar kommunizierter Rechtslagen, zur Auszahlung von Unterstützungsleistungen, zu Besuchs- und Ausgangsverboten in Alten- und Pflegeheimen, zu Zentralmatura und Homeschooling oder zu Einschränkungen in den Justizanstalten. Das breite Themenspektrum der Anliegen, mit denen sich die Bevölkerung 2020 an die Volksanwaltschaft wandte, zeigt, dass Corona Menschen in allen Lebensbereichen beeinflusst, so der Bericht.
Die Volksanwaltschaft fordert im Bericht eine ausführliche und transparente Diskussion zur Einschränkung von Grund- und Menschenrechten infolge der Pandemiebekämpfung. Jede Einschränkung der Menschenrechte müsse eine Ausnahme bleiben, man dürfe sich nicht daran gewöhnen, heißt es im Bericht. Dort wird auch kritisiert, dass es vielfach Ankündigungen zur Eindämmung der Pandemie gab, die in der aktuellen Rechtslage keine Deckung gefunden hätten, wie auch intransparente Kommunikation dazu, und das habe zu einer weitreichenden Verunsicherung in der Bevölkerung geführt. Die Volksanwaltschaft habe beispielsweise im März 2020 zahlreiche Anfragen erhalten, inwieweit die verhängten Ausgangssperren rechtskonform seien, wie die Ausnahmegründe – es wurde vonseiten der Regierung kommuniziert, dass man nur aus vier Gründen das Haus verlassen dürfe – zu verstehen seien und wie man allfällige Verwaltungsstrafen beeinspruchen könne. Aufgrund dessen beantworteten die Volksanwälte in der ORF-Sendung "Bürgeranwalt" ab dem Frühjahr 2020 gezielt Anfragen zu COVID-19. Damit erreichte man regelmäßig über 600.000 Menschen.
Testungen und Contacttracing: Langsamer Ausbau der Kapazitäten
Um die Pandemie möglichst rasch einzudämmen, war neben ausreichend Testmöglichkeiten ein effizientes Contacttracing vonnöten. Vonseiten der Regierung wurde im März betont, dass Laborkapazitäten dahin gehend ausgeweitet werden, dass 15.000 Menschen pro Tag getestet werden, verwirklicht wurde dieses Vorhaben jedoch erst im September, so die Volksanwaltschaft im Bericht. Außerdem wurde es im Sommer von allen Bundesländern verabsäumt, das Personal der Gesundheitsbehörden und für die Gesundheitshotline 1450 aufzustocken, was im Zuge der zweiten Welle im Herbst zu Verzögerungen im Contacttracing führte. So erreichten die Volksanwaltschaft zahlreiche Beschwerden, dass es bei der Kontaktaufnahme über die Hotline 1450 zu überlangen Wartezeiten sowie bei der Durchführung von Corona-Tests und in weiterer Folge bei der Bekanntgabe der Testergebnisse zu Verzögerungen kam. Die Vorgabe, dass zwischen Meldung und Test sowie zwischen Test und Ergebnis jeweils nicht mehr als 24 Stunden liegen sollen, konnte häufig nicht eingehalten werden. Bei mehreren Betroffenen, die sich an die Volksanwaltschaft wandten, lag die Wartezeit auf das Testergebnis bei bis zu zehn Tagen. Auch wurden positiv Getestete teilweise erst mit wochenlanger Verspätung zu möglichen Kontaktpersonen befragt, heißt es im Bericht.
Drastische Einschränkungen der Freiheitsrechte in Alten- und Pflegeheimen
Ab März 2020 kam es zu drastischen Freiheitsbeschränkungen für die Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sowie von Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Sie durften zwecks Minimierung des Risikos der Einschleppung des Corona-Virus ihre Unterkünfte teilweise wochenlang nicht verlassen. Zwar galten auch für die allgemeine Bevölkerung Ausgangsbeschränkungen, diese waren aber mit Ausnahmen versehen. Sogenannter vorsorglicher Infektionsschutz durch Freiheitsentziehung sei unzulässig, so die Volksanwaltschaft, die sich ab Mai 2020 beim Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) intensiv dafür einsetzte, diese Ungleichbehandlung zu entschärfen. Dem wurde im Juni 2020 Rechnung getragen, als klargemacht wurde, dass für Heimbewohnerinnen und -bewohner keine strengeren Beschränkungen für den Aufenthalt im Freien gelten als für den Rest der Bevölkerung.
Im ersten Lockdown musste die Volksanwaltschaft ihre Kontrollbesuche in Alten- und Pflegeheimen aussetzen, anstelle dessen führte sie telefonische Befragungen mit zahlreichen Pflegedienstleitungen durch. Dabei wurde unter anderem gefragt, welche Unterstützung die Einrichtungen benötigen, welche sie bekommen haben, und inwieweit sie für die Pandemie vorgesorgt haben. In der Frühphase der Pandemie mangelte es beispielsweise an Schutzausrüstung, die Umsetzung von Verordnungen und Empfehlungen gestaltete sich als schwierig und es fehlte, trotz Zuteilung zusätzlicher Zivildiener, vielfach an Personal. Die ohnehin hohe Arbeitsbelastung von Menschen, die in Alten- und Pflegeheimen beschäftigt sind, wurde durch die Pandemie verstärkt, da neue Aufgaben hinzukamen, darunter das Umsetzen der umfangreichen Hygienekonzepte und der Maßnahmen zur Infektionsprävention, das Besuchermanagement sowie das Testen der Bewohnerinnen und Bewohner.
Kritik an Verfahrensdauer beim Familienhärteausgleich
Auch im Bereich Familie, Bildung und Jugend erreichten die Volksanwaltschaft Beschwerden, viele im Zusammenhang mit den Unterstützungsleistungen für Familien, wie beispielsweise dem Familienhärteausgleichsfonds. Damit sollte aufgrund der Pandemie unverschuldet in Not geratenen Familien rasch und unbürokratisch geholfen werden, so das zuständige Ministerium im Vorfeld. Viele Familien mussten jedoch Monate auf die Auszahlung warten und wandten sich deshalb an die Volksanwaltschaft. Nach Rückfrage gestand man vonseiten des Ministeriums anfängliche Verzögerungen ein, für die die hohe Anzahl an Anträgen als auch IT-Probleme verantwortlich waren, hieß es. Die meisten Fälle, die an die Volksanwaltschaft herangetragen wurden, konnten inzwischen im Sinne der Antragsteller gelöst werden, wie aus dem Tätigkeitsbericht hervorgeht.
Einmalzahlungen für Arbeitslose: Volksanwaltschaft regte Gesetzesänderung an
Im Unterkapitel Arbeit und Wirtschaft setzt sich der Tätigkeitsbericht der Volksanwaltschaft näher mit Anliegen im Zusammenhang mit Kurzarbeit, Härtefallfonds, Fixkostenzuschuss oder Umsatzersatz auseinander. Die Beschwerden, die die Volksanwaltschaft dazu erreichten, ähneln jenen der anderen Lebensbereiche: Die Informationslage war zunächst unklar, bürokratische Hürden standen den Antragstellerinnen und Antragstellern im Wege, Voraussetzungen konnten nicht erfüllt werden oder es kam zu Verzögerungen bei der Auszahlung, so der Bericht.
Jene Menschen, die aufgrund von Corona ihren Arbeitsplatz verloren haben und zwischen Mai und August 2020 mindestens 60 Tage Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezogen haben, sollten mit einer Einmalzahlung in der Höhe von 450 Euro unterstützt werden. Die Volksanwaltschaft erreichten Schreiben von Menschen, die diese Voraussetzungen aufgrund längerer Erkrankungen nicht erfüllten. Als Folge dessen trat die Volksanwaltschaft mit der Anregung, eine differenziertere Regelung zu schaffen, an das zuständige Bundesministerium für Arbeit heran. Begleitend wurde die Thematik auch in der ORF-Sendung "Bürgeranwalt" aufgegriffen. Die Voraussetzungen für die erste Einmalzahlung wurden rückwirkend nicht geändert, es wurde aber eine weitere Zahlung von 450 Euro beschlossen, dieses Mal wurden auch Unterbrechungen der Arbeitslosigkeit aufgrund des Bezuges von Krankengeld berücksichtigt. Des Weiteren wurde eine Staffelung der Einmalzahlung nach Anzahl der Bezugstage innerhalb des relevanten Zeitraumes vorgesehen.
Schwerpunkt Straf- und Maßnahmenvollzug: Internationale Standards als Maßstab der Kontrolle
Von der Bekämpfung der Pandemie besonders betroffen sei auch der Straf- und Maßnahmenvollzug, so der Bericht. Darauf legte die Volksanwaltschaft als nachprüfende Kontrolleinrichtung besonders im Jahr 2020 ihr Augenmerk. Gefangene seien generell einem größeren Risiko von Menschenrechtsverletzungen und Misshandlungen ausgesetzt, im besonderen Fall der Corona-Pandemie bestehe aufgrund der gegebenen Verhältnisse – enger persönlicher Kontakt unter Inhaftierten, teils unhygienische Haftbedingungen, überbelegte Hafträume – ein höheres Ansteckungsrisiko und insofern ein noch höheres Gefährdungspotenzial. Der Bericht zitiert die WHO, die aufgefordert hat, die Anzahl von Inhaftierten zu reduzieren und von Alternativen zum Freiheitsentzug Gebrauch zu machen. Die Vorgaben, die zum Schutz der Inhaftierten und Bediensteten vor einer Corona-Infektion dienen sollten, wurden in den österreichischen Justizanstalten ab Mitte März 2020 im laufenden Betrieb umgesetzt, wie der Bericht informiert.
Inhaftierte wandten sich insbesondere im Zusammenhang mit der veränderten Belegung von Hafträumen an die Volksanwaltschaft: Um der Vorgabe, eine Quarantäneabteilung einzurichten, entsprechen zu können, waren die Justizanstalten gezwungen, Platz zu schaffen, was in vielen Fällen zulasten der Insassen passierte, deren Aufenthaltsbedingungen sich laut Volksanwaltschaft verschlechterten. Mehrere Inhaftierte seien bereits im offenen Vollzug beziehungsweise im Entlassungsvollzug gewesen, als sie aufgrund der durch Corona notwendig gewordenen Kontaktbeschränkungen in den Normalvollzug überführt und mangels Beschäftigung bis zu 23 Stunden eingeschlossen worden seien.
Von Mitte März bis Mai und von November bis Mitte Dezember waren keine persönlichen Besuche von Angehörigen in den Justizanstalten mehr erlaubt, ab Beginn der Lockerungen durften zwei Personen zu Besuch kommen. Durch eine Glasscheibe getrennt konnte die Besucherin/der Besucher den/die Inhaftierte/n sehen, die Kommunikation erfolgte über eine Sprechanlage. Der fehlende direkte Kontakt wurde von zahlreichen Inhaftierten und deren Angehörigen beklagt. Mit der Schaffung von Videotelefoniemöglichkeiten wurde einer langjährigen Forderung des Nationalen Präventionsmechanismus (NPM) nachgekommen, so könne Inhaftierten ermöglicht werden, ihre Sozialkontakte zu Angehörigen und Freunden aufrechtzuerhalten, heißt es im Bericht.
Maßnahmen zum Schutz vor COVID-19 in Polizeiinspektionen
Die Kommissionen der Volksanwaltschaft besuchten im Berichtszeitraum 50 Polizeiinspektionen und konnten dabei die strenge Einhaltung der Hygienevorschriften feststellen, so der Bericht. Hafträume und Kfz würden nach Gebrauch desinfiziert. In einigen Polizeiinspektionen wurde zu Beginn der Pandemie ein Mangel an Schutzausrüstung und Desinfektionsmittel beklagt, ein Umstand, der laut Bericht bald behoben wurde. Um das Infektionsrisiko für die Bediensteten der Polizeidienststellen gering zu halten, wurde in allen Einrichtungen eine Aufteilung des Personals in Dienstgruppen veranlasst, in einer Polizeiinspektion habe das die Ausbreitung des Virus von einem Bediensteten auf weitere verhindern können, heißt es weiter.
Bundesheer und Zivildienst: kaum Beschwerden
Obwohl das Bundesheer und die Zivildienstleistenden während der Corona-Pandemie umfangreich im Einsatz waren, erreichten die Volksanwaltschaft in diesem Bereich nur wenige Beschwerden. Kritisiert wurden Verzögerungen in den Stellungsverfahren und im Hinblick auf die Verlängerung des Zivildienstes, da somit die Planbarkeit eines allfälligen Berufseinstieges oder Studiums fehlte. Die Verlängerung des Zivildienstes betrafen auch Beschwerden an die Volksanwaltschaft, die die Ungleichbehandlung des außerordentlichen Zivildienstes kritisierten. In diesen Fällen erklärte die Volksanwaltschaft sich für nicht zuständig, informierte aber über die zuständige Stelle und die bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten. (Schluss) map