Parlamentskorrespondenz Nr. 993 vom 16.09.2021

Gesundheitsausschuss hält Expertenhearing zum Volksbegehren Für Impf-Freiheit ab

Wenig Unterstützung für die Anliegen der ProponentInnen, aber dringender Appell zum Impfen

Wien (PK) – Die Corona-Infektionszahlen steigen kontinuierlich an, die Impfbereitschaft der österreichischen Bevölkerung jedoch stagniert. Vor diesem Hintergrund befasste sich heute der Gesundheitsausschuss im Rahmen eines Expertenhearings mit dem bereits im Jänner gestarteten Volksbegehren "Für Impf-Freiheit", das von insgesamt 259.149 BürgerInnen unterstützt wurde. Einleitend stellte der stellvertretende Bevollmächtigte der Initiative Emanuel Dragomir mit Nachdruck fest, dass in keinster Weise die Impfung oder deren Wirkung in Frage gestellt werden soll. Es gehe den ProponentInnen primär darum, selbst entscheiden zu können, ob man das Impfangebot annehmen wolle oder nicht. Außerdem müsste jegliche Diskriminierung sowie gesellschaftliche, rechtliche oder berufliche Ungleichbehandlung von geimpften und ungeimpften Personen verhindert werden.

Auch bei den von den einzelnen Fraktionen geladenen Experten sprach sich niemand für einen Impfzwang aus, dennoch schlugen sie unterschiedliche Maßnahmen vor, um die Durchimpfungsrate zu erhöhen. So setzte sich etwa Gerhard Kobinger (Präsidiumsmitglied der Österreichischen Apothekerkammer) für die Möglichkeit zum Impfen in den Apotheken ein, weil dadurch ein niederschwelliger Zugang ermöglicht werde. Universitätsprofessor Michael Kundi, der auch Mitglied des Nationalen Impfgremiums ist, bezeichnete Impfen als einen Akt der Solidarität und hielt es für legitim, dass der Staat ungeimpften Personen gewisse Einschränkungen auferlege. Auch der Präsident der österreichischen Ärztekammer Thomas Szekeres hielt eine Impfpflicht für nicht wahrscheinlich, konnte sich jedoch strengere Regelungen in bestimmten Berufsgruppen (z.B. LehrerInnen) vorstellen. Universitätsprofessor Karl Stöger (Leiter der Abteilung Medizinrecht am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Uni Wien) gab zu bedenken, dass eine Umsetzung der Anliegen des Volksbegehrens die Möglichkeiten des Staates bei der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten einschränken würde.

Unterstützung für die ProponentInnen kam hingegen von Michael Stelzl (Facharzt für Zahnmedizin), der die Anliegen des Volksbegehrens aufgrund der politischen Entwicklung in den letzten Monaten als nachvollziehbar bezeichnete. Solange aussagekräftiges Zahlenmaterial zum Immunstatus der Bevölkerung fehle, seien Bedenken gegenüber dem Vorgehen der Bundesregierung, insbesondere was den Einsatz von mRNA-Präparaten betrifft, berechtigt.

Volksbegehren-Proponent Emanuel Dragomir sieht "Gesundheit der Demokratie" in Gefahr

Eine Impfung könne nur ein Angebot sein und dürfe nur auf freiwilliger Basis erfolgen, unterstrich der stellvertretende Bevollmächtigte des Volksbegehrens Emanuel Dragomir. Aufgrund des Feedbacks durch die Bevölkerung habe man gesehen, dass die Zustimmung zum Erhalt der Wahlfreiheit in dieser Frage über alle Parteigrenzen hinweg verlaufe. Im Konkreten treten die UnterstützerInnen dafür ein, den Artikel 7 B-VG um folgende Formulierung zu ergänzen: "Staatsbürger, die an ihrem Körper keine chemische, biologische oder hormonelle Veränderung durchführen haben lassen und keine mechanischen oder elektronischen Implantate tragen, dürfen in keiner Weise gegenüber anderen Personen benachteiligt werden. Es ist unzulässig, solche Veränderungen zwangsweise an Personen vorzunehmen."

Als seine Eltern Ende der 1980er Jahre vor der kommunistischen Diktatur aus Rumänien geflüchtet seien, haben sie im Traum nicht daran gedacht, dass gute 30 Jahre später in Österreich Ungleichbehandlung und Diskriminierung von bestimmten Personengruppen toleriert werden könnte, merkte Dragomir an. Da dies sogar von der aktuellen Bundesregierung proaktiv betrieben werde, sei für ihn die "Gesundheit der Demokratie" in Gefahr. Er könne daher heute nur an jeden einzelnen Abgeordneten appellieren, sich selbständig eine persönliche Meinung zu bilden und dementsprechend zu entscheiden.

Kobinger: Seriöse Aufklärung der Bevölkerung, niederschwelliger Zugang sowie Impfen in den Apotheken

Die Impfung gegen SARS-CoV-2 sei für ihn der einzige Weg, um die Pandemie zu überwinden, betonte Gerhard Kobinger (Präsidiumsmitglied der Österreichischen Apothekerkammer). Da Österreich in diesem Bereich nur im europäischen Mittelfeld liege, müsse alles getan werden, um die Durchimpfungsrate so schnell wie möglich zu steigern. Für ihn seien zwei Komponenten dafür entscheidend, nämlich die Eigenverantwortung sowie der niederschwellige Zugang. Einerseits trat Kobinger dafür ein, die Sorgen und Bedenken der Menschen ernst zu nehmen und seriöse wissenschaftliche Informationen zu vermitteln, andererseits müsse ein vielfältiges Impfangebot geschaffen werden. In diesem Zusammenhang plädierte er generell für das Impfen in den Apotheken, wie es auch in 14 anderen europäischen Staaten möglich sei. Für wichtig erachtete es Kobinger zudem, dass das Impfen nur auf freiwilliger Basis erfolgen soll, zumal es sich um eine persönliche Wissens- und Gewissensfrage handle.

Kundi bezeichnet Impfen als einen Akt der Solidarität und fordert rasche Erhöhung der Durchimpfungsrate

Universitätsprofessor Michael Kundi vermutete, dass das Impfwesen Opfer seines eigenen Erfolgs geworden sei. Dass die Menschen teilweise mehr Angst vor der Impfung als vor der Erkrankung haben, sei wohl auch den vielen Falschmeldungen in den sozialen Medien geschuldet. Es sei natürlich immer wichtig, Nutzen und Risiken von medizinischen Maßnahmen gegeneinander abzuwägen, räumte Kundi ein, aber dies werde im Fall der Corona-Impfung auch gründlich getan. Da eine Impfung rein rechtlich eine Körperverletzung darstelle, könne es auch gar keinen Impfzwang geben, unterstrich der Epidemiologe. Dennoch müsse man klar sagen, dass die Freiheit des Einzelnen durch die Freiheit der Anderen begrenzt werde. Es sei aus seiner Sicht daher nicht nur legitim, sondern geboten, dass der Staat ungeimpften Personen entsprechende Einschränkungen auferlege. Allein im ersten Halbjahr mussten 130 Säuglinge, die an Corona erkrankt waren, im Spital behandelt werden, neun davon sogar auf der Intensivstation, zeigte Kundi auf. Aufgrund der aktuellen hohen Infektionszahlen drängte er darauf, rasch zu handeln und alles zu tun, um die Durchimpfungsrate in Österreich zu erhöhen.

Stelzl übt Kritik an "Zwangsmaßnahmen" und fehlendem Zahlenmaterial bezüglich des Immunstatus der Bevölkerung

Die im Volksbegehren geäußerten Bedenken seien für ihn aufgrund der aktuellen politischen Entwicklung in den letzten Monaten nachvollziehbar, urteilte Michael Stelzl (Facharzt für Zahnmedizin), der die vorgeschlagene Verfassungsänderung begrüßte. Im Fall von COVID-19 sei eine Impfpflicht auch schon deshalb strikt abzulehnen, weil die Anwendung von mRNA-Wirkstoffen für eine breite, gesunde Personengruppe nicht ausreichend erforscht sei. Stattdessen sollte vielmehr auf eine umfassende Erhebung des Immunstatus der Bevölkerung gesetzt werden, um daraus die richtigen gesundheitspolitischen Maßnahmen ableiten zu können, schlug Stelzl vor. Mehrere Studien würden nämlich eindeutig zeigen, dass eine durchgemachte Infektion mit SARS-CoV-2 eine langanhaltende Immunität bei Genesenen induziere. Was die Maßnahmen zur Freiheitsbeschränkung betrifft, so seien diese unangebracht und nicht verhältnismäßig, wenn kein entsprechendes Zahlenmaterial vorliege. Gegen eine generelle Impfpflicht spreche aber auch die Tatsache, dass es erfolgreiche Therapien bzw. Therapieansätze wie z.B. die Behandlung mit Cortison oder monoklonalen Antikörpern gebe, zeigte Stelzl auf. Zwangsimpfungen oder der Einsatz von biotechnischen oder elektronischen Implantaten gegen den Willen der Betroffenen seien jedenfalls strikt abzulehnen.

Stöger: Umsetzung des Volksbegehrens schränkt Möglichkeiten des Staates zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten ein

Das Verbot einer zwangsweisen medizinischen Behandlung bestehe teilweise schon jetzt, erklärte Universitätsprofessor Karl Stöger. Auch eine Impfpflicht sei nicht durch Zwang, sondern mit anderen Mitteln durchzusetzen. Wenn der vom Volksbegehren vorgeschlagene Verfassungstext beschlossen wird, würde das nicht nur eine staatlich angeordnete Verpflichtung zur Impfung ausschließen, sondern auch die derzeit schon angewandte Regeln, die aus medizinischen Gründen zwischen Geimpften und Ungeimpften differenzieren wie etwa eine 1-G-Regel. Da sich der Gleichheitsgrundsatz des Art. 7 B-VG primär an den Staat richte, war für Stöger fraglich, ob damit auch Privaten eine Differenzierung verboten werden würde. Dies sei derzeit aber möglich, erläuterte der Experte für Medizinrecht. Auf jeden Fall würde eine Umsetzung des Volksbegehrens die Möglichkeiten des Staates zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten einschränken. Dies stehe aber in einem Spannungsverhältnis zur verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates, die Bevölkerung vor solchen ansteckenden Krankheiten zu schützen.

Szekeres: Impfung ist einziger Schlüssel zur Überwindung der Epidemie

ÖAK-Präsident Thomas Szekeres zeigte sich frustriert über die Durchimpfungsrate in Österreich, die derzeit noch viel zu niedrig sei. In Dänemark etwa wurde bereits eine Quote von über 80% erreicht, wodurch einschränkende Maßnahmen zurückgenommen werden konnten. Man dürfe nicht vergessen, dass durch "eine Fügung des Schicksals" in kurzer Zeit mehrere Impfstoffe entwickelt werden konnten, die alle wirksam und sicher seien. Szekeres konnte auch die Skepsis bezüglich der mRNA-Wirkstoffe nicht nachvollziehen, da sie seit über zehn Jahren in der Krebsbehandlung eingesetzt werden. Außerdem handle es sich dabei auch um keine Gentherapie, wie so oft fälschlich behauptet werde, unterstrich Szekeres. Klar sei, dass in Österreich wahrscheinlich keine Impfpflicht kommen werde, da dies von keiner politischen Partei gefordert werde. Der Impfstatus sollte jedoch bei der Aufnahme von neuem Personal im Gesundheitsbereich eine Rolle spielen. Außerdem sollten ungeimpfte Beschäftigte nicht bei Betreuung von PatientInnen, die etwa ein geschwächtes Immunsystem haben, nicht eingesetzt werden. Aus seiner Sicht hätten auch ungeimpfte und potentiell ansteckende LehrerInnen in den Klassenzimmern nichts verloren. (Fortsetzung Gesundheitsausschuss) sue

HINWEIS: Die heutigen Beratungen des Gesundheitsausschusses über das Volksbegehren sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.