Parlamentskorrespondenz Nr. 1436 vom 09.12.2021

Die Zukunft Europas: Perspektiven für die Jugend des Westbalkans

Abgeordnete aus Österreich und Frankreich im Gespräch mit Jugendlichen aus den Westbalkanstaaten

Wien (PK) - Der EU-Unterausschuss des Nationalrats und der Europaausschuss der französischen Nationalversammlung luden heute gemeinsam im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas zur zweiten Diskussionsveranstaltung über "Die Zukunft Europas aus der Sicht der Jugend des Westbalkans". Nachdem die erste Veranstaltung im Oktober im österreichischen Parlament stattgefunden hat, wurde sie dieses Mal von der französischen Nationalversammlung organisiert und virtuell abgehalten. Die Diskussionsveranstaltung bot einen Rahmen für eine gemeinsame Debatte zwischen Jugendlichen aus den sechs Westbalkan-Staaten, französischen Jugendlichen und österreichischen sowie französischen Parlamentsabgeordneten.

Die jungen TeilnehmerInnen schilderten ihre Sichtweise auf die Herausforderungen innerhalb der Region, ihre Ideen, um ihnen zu entgegnen und ihre Erwartungen an die Europäische Union. Die Abgeordneten aus Frankreich und Österreich betonten die Wichtigkeit von konkreten Maßnahmen in der Region, um möglichst schnell glaubwürdige Beitrittsperspektiven bieten zu können.

Österreichische Abgeordnete fordern konkrete Maßnahmen, um Perspektiven vor Ort zu schaffen

Für Stefan Schennach (SPÖ) ist es enorm wichtig, Visafreiheit für die Menschen in den Westbalkanländern zu erreichen. Es sei absurd, dass die Großeltern ihren Enkeln von der Reisefreiheit in Europa erzählen, die sie damals noch erfahren haben, während die jungen Leute heute sehr eingeschränkt seien.

Helmut Brandstätter (NEOS) betonte, dass die EU präsenter am Westbalkan sein muss. Es müssten konkrete Maßnahmen vor Ort geschaffen werden, um der Jugend Perspektiven zu geben. Die EU könnte zum Beispiel bei der Schaffung von Start-Ups unterstützen und Trainings für LehrerInnen anbieten, um das Bildungssystem zu verbessern. Leere Versprechungen von einem möglichen Beitritt in der Zukunft reichten nicht mehr aus.

Meri Disoski (Grüne) bezog sich auf ihre eigenen familiären Wurzeln am Westbalkan und sprach von der Notwendigkeit struktureller Reformen, insbesondere im Bildungssystem. Außerdem fügte sie hinzu, dass es Problemfelder in den Bereichen der Gleichstellung von Frauen und im Umgang mit Minderheiten gebe, die man beobachten müsse. Es sei aber wichtig, den Ländern des Westbalkans trotz aller Herausforderungen, schnell eine glaubhafte Perspektive für einen EU-Beitritt zu geben.

Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik über aktuelle Maßnahmen der Kommission

Olivér Várhelyi, Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik, stellte fest, dass es ein gemeinsames Interesse zwischen der Europäischen Union und dem Westbalkan sei, die Region weiterzuentwickeln. Die COVID-19-Pandemie habe gezeigt, wie schnell konkrete Unterstützung vor Ort umgesetzt werden könne. Nicht nur medizinisches Equipment wurde sehr rasch zur Verfügung gestellt, die Europäische Union habe auch den Arbeitsmarkt am Westbalkan unterstützt und Arbeitsplätze gesichert.

Ein Schwerpunkt der Partnerschaft müsse auf der Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit liegen. Das gehe auch aus dem Investitionsplan der Kommission hervor, erklärte der Kommissar. Es brauche eine digitale und grüne Wirtschaft, mehr Innovation und mehr Klein- und Mittelunternehmen, so würde auch die Attraktivität der Arbeitsplätze für junge Menschen gestärkt werden. Das Lohnniveau müsse 60-65% der Europäischen Union erreichen, dann würden junge Menschen auch in ihrer Heimat bleiben und die Wirtschaft vor Ort vorantreiben. Nur wenn eine echte Integration vor Ort stattfindet, sei der Bevölkerung des Westbalkans langfristig geholfen, fasste Várhelyi zusammen.

Mobilität von Jugendlichen stärken

Ein grundlegendes Anliegen der teilnehmenden jungen Menschen ist es, die Mobilität der Jugend am Westbalkan zu stärken. So könnte zum Beispiel der Europäische Solidaritätskorps auf den Westbalkan ausgeweitet werden, schlug Benjamin Sibille vom Europäischen Zivildienstkollektiv (Collectif Service Civique européen) vor. Eine andere Möglichkeit wäre auch eine verstärkte Zusammenarbeit der bestehenden nationalen Zivildienste, wie es teilweise innerhalb der Europäischen Union schon passiert. Solche Projekte würden vereinen und die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen.

Liliane Tanguy, stellvertretende Vorsitzende des Europaausschusses der französischen Nationalversammlung, stimmte dem zu und befürwortete einen Ausbau des Solidaritätskorps und gemeinsame Zivildienstinitiativen. Die Förderung von Mobilität sei eine gute Methode, um junge Menschen einander anzunähern. Wenn die Länder einander besser kennenlernen, würden gemeinsame Initiativen und Projekte entstehen. Insbesondere die Gründung von Start-Ups in zukunftsträchtigen Sparten würde Perspektiven schaffen, unterstrich die Abgeordnete.

Nationalismus durch mehr Zusammenarbeit bekämpfen

Thomas Hagleitner, Referatsleiter in der Generaldirektion Erweiterung, sprach von einem Mangel an politischen Führungspersonen, die die Erweiterung vorantreiben. Obwohl die Zustimmung zum EU-Beitritt unter der Bevölkerung des Westbalkans groß sei, herrsche Bedarf an PolitikerInnen vor Ort, die Reformen vorantreiben. Vor allem aber sei es wichtig, die Kooperation innerhalb der Region zu stärken. Auch die Reisefreiheit zwischen den Westbalkan-Ländern sei noch ein Hindernis, das es zu beseitigen gäbe.

Aber auch in der EU und in Österreich sei es wichtig, Bewusstsein zu schaffen, meinte Reinhod Lopatka (ÖVP), Vorsitzender des EU-Unterausschusses. Er sprach über die große Skepsis gegenüber der EU-Erweiterung in der österreichischen Bevölkerung. Die Politik sei gefordert, darüber aufzuklären, welche Mehrkosten Österreich entstehen würden, wenn es nicht zu einer EU-Erweiterung kommt und was die Auswirkungen auf Österreichs Sicherheit wären, erklärte der Abgeordnete. Der Westbalkan gehöre zur Europäischen Union, auch wenn der Weg dahin ein schwieriger sei.

Die Verbindungen innerhalb der Westbalkanstaaten seien von enormer Bedeutung, egal ob es dabei um Bahnverbindungen oder das Breitbandinternet gehe, sagte der Abgeordnete, es gehe um Connectivity. "Das muss dem Gift des Nationalismus als Gegenmittel gegenübergestellt werden", so Lopatka. Der zweite wichtige Punkt sei der Bildungsaustausch zwischen der Europäischen Union und dem Westbalkan. Wenn es Perspektiven vor Ort gibt, würden junge Menschen auch wieder zurückkehren in ihre Heimat und die Region voranbringen. Drittens brauche es mehr Investitionen der Europäischen Union in konkrete Projekte, fasste Lopatka die Diskussion zusammen.

Die Veranstaltung war Teil des Diskussionsprozesses über die künftige Ausrichtung und Gestaltung der EU und fand im Rahmen der im Mai 2021 gestarteten "Konferenz zur Zukunft Europas" statt. Österreich und Frankreich setzten sich im Vorfeld für die Einbindung der Westbalkanstaaten in diesen Prozess ein. Die Diskussionsveranstaltung wurde auf der Website der französischen Nationalversammlung live übertragen und ist dort online abrufbar. (Schluss Jugendveranstaltung) kuc