Parlamentskorrespondenz Nr. 857 vom 08.07.2022

Nationalrat: "Kindergartenmilliarde" und mehr Unterstützungspersonal für Pflichtschulen

Demokratiewerkstatt des Parlaments soll ausgebaut werden

Wien (PK) – Zentrales Thema der heutigen Nationalratssitzung war die Finanzierung der Kindergärten und Pflichtschulen. Mit jährlich 200 Mio. € soll laut 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern der Ausbau elementarpädagogischer Betreuungsangebote vorangetrieben werden. Zielsetzungen der mehrheitlich angenommenen Novelle sind die Bereitstellung eines bedarfsgerechten ganzjährigen und ganztägigen Betreuungsangebots für Kinder bis zum Schuleintritt, wodurch auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert werden soll. Einhellige Zustimmung fand eine Regierungsvorlage, die mehr administratives und psychologisches Unterstützungspersonal für die Pflichtschulen vorsieht. Neun Entschließungsanträge von SPÖ und NEOS zum Thema Elementarpädagogik blieben in der Minderheit.

Ein Mehrparteienantrag von ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS, der auf eine Stärkung der Demokratiebildung bei Kindern und Jugendlichen, aber auch in der Erwachsenenbildung abzielt, wurde angenommen.

Mittelaufstockung für Kindergärten und Pflichtschulen, mehr Assistenz und Sozialarbeit an Pflichtschulen

Laut Regierungsvorlage, mit der die Novelle der 15a-Vereinbarung zur Finanzierung der Kindergärten fixiert werden soll, soll  es in den Kindergartenjahren 2022/23 bis 2026/27 jährlich in Summe 200 Mio. € an Zweckzuschüssen des Bundes an die Länder geben. Die Aufteilung der Gelder auf die Länder berechne sich aus dem Anteil der unter Sechsjährigen pro Bundesland an der gleichaltrigen Gesamtbevölkerung. Die Aufteilung der Mittel zwischen Ländern und Gemeinden liege in der Kompetenz der Gebietskörperschaften.

Weiterhin verpflichtend ist der Besuch einer elementaren Bildungseinrichtung im Jahr vor der Schulpflicht des Kindes. Der Besuch soll wie gehabt im Ausmaß von 20 Stunden beitragsfrei angeboten werden, was der Bund im Rahmen der Zweckzuschüsse mit 80 Mio. € pro Kindergartenjahr bis 2026/27 mitfinanzieren will. Die verbleibenden 120 Mio. € sind laut Vorschlag zum Großteil zweckgebunden von den Ländern einzusetzen, nämlich zu mindestens 51% für den Ausbau elementarer Bildungseinrichtungen und zu mindestens 19% für die frühe sprachliche Förderung. Für diese beiden Bereiche ist von Bundesländerseite zudem eine zusätzliche Kofinanzierung von jährlich 63 Mio. € vorgesehen. Die verbleibenden 30% des Bundeszuschusses können je nach Bedarf des jeweiligen Landes flexibel eingesetzt werden. Zum qualitativen Ausbau der Angebote elementarer Frühförderung will man die Qualifikation der Betreuenden bundesweit vereinheitlicht weiterentwickeln.

An Pflichtschulen, die ebenfalls in der Zuständigkeit der Bundesländer liegen, beabsichtigt der Bund, mit einer Aufstockung der Mittel den Ausbau der administrativen und psychosozialen Unterstützung an Schulen sowie der ganztägigen Schulplätze zu fördern. Nötig sind dazu Änderungen im Finanzausgleichsgesetz und im Bildungsinvestitionsgesetz. Die als "Transferaufwand" bezeichneten Zahlungen an die Länder betragen laut Novellenentwurf für das Restjahr 2022 2,33 Mio. €, für 2023 sind 45,84 Mio. € vorgesehen und von 2024 bis 2026 jährlich 22 Mio. €.

SPÖ: "Kindergartenmilliarde" ist eine Mogelpackung

Von "verpassten Chancen" und einer "Mogelpackung" sprachen mehrere Abgeordnete der SPÖ. Anstatt einer Milliarde pro Jahr, die es für den flächendeckenden Ausbau der Kinderbetreuung gebraucht hätte, seien nun lediglich 200 Mio. € übrig geblieben, bemängelte Petra Tanzler (SPÖ). Das seien nur 57 Mio. € mehr, als es ohnehin schon gebe und auch diese würden bereits in kurzer Zeit von der Inflation "aufgefressen" werden. Die Bundesregierung weise nicht mal den Ansatz eines Bewusstseins für die vorhandene Problematik auf, obwohl durch die Jahre der Pandemie die Missstände offen zu Tage getreten seien, so Tanzler. Vor allem den nun nicht gegebenen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Jahr kritisierte Eva Maria Holzleitner (SPÖ). Dieser sei sogar von den Sozialpartner:innen gefordert worden. Klaus Köchl (SPÖ) erinnerte an die Chats des ehemaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz, in denen aus seiner Sicht die Verhinderung des Rechtsanspruchs geplant worden sei. Dadurch sei die österreichische Bildungspolitik für Jahre "ins Hintertreffen geraten". Während Konzernen Steuererleichterungen geschenkt würden, sei der Bundesregierung die Elementarbildung kaum etwas wert, meinte SPÖ-Mandatarin Katharina Kucharowits.

ÖVP: Meilenstein beim Ausbau der Kinderbetreuung gelungen

Mit der 15a-Vereinbarung werde ein "kräftiger Ausbau der Kinderbetreuung" umgesetzt, lobte Gertraud Salzmann (ÖVP) die Novelle. Es gehe dabei sowohl um bildungspolitische als auch um familien-, frauen-, wirtschafts- und arbeitspolitische Aspekte und die Bundesregierung habe gezeigt, dass ihnen die frühe Förderung der Kinder viel wert sei. Viele Maßnahmen, wie etwa im Bereich der Ausbildung des Personals, seien bereits im Vorfeld gesetzt worden. Hier müssten künftig noch Anreize, etwa für Quereinsteiger:innen geschaffen werden, so Salzmann. Von einem "Meilenstein für die Kinderbetreuungseinrichtungen in den Gemeinden" sprach Manfred Hofinger (ÖVP), der sich erfreut zeigte, dass die Bürgermeister:innen nun angesichts der Herausforderung der Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen angemessen unterstützt würden. Es gehe um ein bedarfsorientiertes Vorgehen und ein Rechtsanspruch würde die Gemeinden in der momentanen Situation überlasten. Norbert Sieber (ÖVP) brachte kein Verständnis dafür auf, wie die Opposition eine Anhebung der Mittel um 40% so "niederdiskutieren" könne und berichtet, dass bisher kein Bundesland einen Antrag auf den Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung eingebracht habe. Als wesentlichen Vorteil der Vereinbarung sah Rudolf Taschner (ÖVP), dass das Kindergartenmanagement den Ländern und Gemeinden überlassen werde, da diese den Bedarf vor Ort am besten kennen würden.

FPÖ: Gute Vereinbarung dank freiheitlicher Handschrift

FPÖ-Mandatar Hermann Brückl erklärte, dass die vorliegende 15a-Vereinbarung sich aus drei vorangegangenen Vereinbarungen speisen würde, die unter anderem die frühzeitige Sprachförderung, den Ausbau der Kinderbetreuung und die verpflichtende Frühförderung enthalten hätten. Es handle sich um Ideen aus dem Regierungsprogramm der vergangenen ÖVP-FPÖ-Koalition. Man werde der Novelle zustimmen, da sich der darin abgebildete "Wertekatalog" nicht aufgelöst habe und damit ein freiheitliches Projekt "umgesetzt und fortgesetzt" werde. Die Probleme im Schulbereich seien laut Brückl bekannt. Während der Pandemie habe die Bundesregierung den Schüler:innen vieles "angetan" und mangelnde Sprachkenntnisse hätten sich mit einer hohen Anzahl von Schüler:innen ohne deutsche Muttersprache zu einem eklatanten Problem entwickelt. Daher sei der Fokus auf eine frühe Sprachförderung besonders zu begrüßen, wie auch Edith Mühlberghuber (FPÖ) betonte. Ihr Fraktionskollege Gerald Hauser ging auf die "Kollateralschäden" der Corona-politik an den Schulen ein.

Grüne: Mehr Unterstützung und Sichtbarkeit für Elementar- und Freizeitpädagog:innen

Beide Regierungsvorlagen würden sich mit "großen Baustellen" im schulischen Bereich befassen, die viel zu oft im Schatten des formellen Schulbetriebs stünden, erklärte Sibylle Hamann von den Grünen. Generell herrsche in der Bildungsfrage eine viel zu enge Perspektive auf das Klassenzimmer, obwohl Bildung, Lernen und Persönlichkeitsentwicklung mehr noch im Kindergarten, in den Pausen und nach dem Unterricht stattfinde. Daher sei es ein wichtiges Zeichen, dass nun Elementar- und Freizeitpädagog:innen sowie Support-Personal mehr Unterstützung und Sichtbarkeit erhalten würden, so Hamann. Gerade Letzteres sei besonders relevant, damit sich beispielsweise Schuldirektoren um ihre eigentlichen Aufgaben, etwa in der Schulentwicklung kümmern könnten. Barbara Neßler (Grüne) gestand zu, dass man bei der Kinderbetreuung noch lange nicht dort sei, wo man hin wolle, verwies jedoch auf den Arbeitskräftemangel, der einen größer angelegten Ausbau erschwere. Zudem handle es sich bei der 15a-Vereinbarung um "kein Diktat des Bundes", sondern sei mit den Ländern, speziell mit den Finanzlandesräten, ausverhandelt worden. Davon seien drei von neun der SPÖ zugehörig, wie Neßler klarstellte.

NEOS: Elementarbildung hat für Bundesregierung keine Wertigkeit

Einen "Jubeltag für die Elementarbildung" hätte sich Martina Künsberg Sarre (NEOS) gewünscht. Es seien jedoch keine der drängenden Probleme in diesem Bereich gelöst worden, wie beispielsweise zu große Gruppen und die unattraktiven Arbeitsbedingungen gelöst worden. Gebraucht hätte es eine "wirkliche", jährliche "Kindergartenmilliarde", da mit nur 200 Mio. € real nicht viel dazu käme. Die Stadt Wien allein würde bereits jetzt eine Milliarde ausgeben. Generell seien die hohen Erwartungen in eine Regierung mit grüner Beteiligung enttäuscht worden, so Künsberg Sarre. Die Bundesregierung solle ihren Blick gerade in Bildungsfragen auf Gesamtösterreich werfen und sich nicht an den Ländern "abputzen", weil man sich verfassungstechnisch nicht zuständig fühle. Es handle sich um eine Frage der Wertigkeit und die Koalition habe gezeigt, dass sie diesem Bereich keine hohe Priorität einräume. Sie entwickelte keine Ziele und Visionen, was sich nun in den "kleinen Summen" niederschlage mit der sie die Elementarbildung "abspeise", kritisierte Künsberg Sarre.

Polaschek: Wichtige Punkte des Regierungsprogramms in "großem Wurf" umgesetzt.

Einen "großen Wurf" stellte die Vereinbarung für Bildungsminister Martin Polaschek dar. Es sei wichtig, dass diese Themen als Gesamtpaket verhandelt wurden und somit wesentliche Punkte des Regierungsprogrammes umgesetzt werden konnten. Die zuständigen Landesrät:innen würden sich schon intensiv mit der Materie auseinandersetzen. Die Pandemie habe den elementarpädagogischen Bereich vor große Herausforderungen gestellt, die dort "großartig" gemeistert wurden. Mit einer Milliarde und damit einer Erhöhung der Mittel um 40% könne nun vieles speziell bei der Schaffung neuer Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren und für die unterversorgten Regionen weitergebracht werden. Auch für die Randzeiten würden neue Angebote geschaffen die zahlreichen Familien zugutekommen würden. Nicht nur der Ausbau der Plätze könne nun vorangetrieben werden, sondern auch die Etablierung von Qualitätsstandards im Bereich der Personalentwicklung, so Polaschek. Im Vergleich zum Vorjahr würde nun auch eine Verdoppelung der Schulsozialarbeiter:innen ermöglicht. Das Ziel eines weiteren Ausbaus bleibe aber bestehen, erklärte der Bildungsminister

Keine Mehrheit für Oppositionsanträge zur Elementarpädagogik

Mehrere Anträge von SPÖ und NEOS fanden keine ausreichende Zustimmung im Plenum. So fordern die Sozialdemokrat:innen deutliche finanzielle Nachbesserungen der 15a-Vereinbarung zwecks Erreichung einer Bildungsmilliarde für Kindergärten. Ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem ersten Lebensjahr sei gleichzeitig vom Gesetzgeber zu implementieren. In die gleiche Kerbe schlagen die NEOS mit ihren Forderungen nach einem Rechtsanspruch sowie nach der Finanzierung von mehr Betreuungspersonal in Kindergärten bzw. nach bundesweiten Standards für einen Mindestpersonaleinsatz. Die Bundeszuschüsse an die Länder sollten nach Ansicht der Pinken an Qualitätsindikatoren wie Gruppengrößen gebunden werden. Für Assistenzkräfte in Kindergärten pochen die NEOS auf österreichweit gleiche Ausbildungs- und Qualifikationsanforderungen, für Kinder mit Behinderung auf ein verpflichtendes Kindergartenjahr.

Maßnahmen zur Demokratiebildung: Ausbau der Demokratiewerkstatt des Parlaments

ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS fordern in einem Mehrparteienantrag Initiativen von Bundesregierung und Parlament zur Stärkung der Demokratiebildung bei Kindern und Jugendlichen sowie in der Erwachsenenbildung. Vor allem in Kooperation mit der Demokratiewerkstatt und der Margaretha Lupac-Stiftung des Parlaments sollten die zuständigen Regierungsvertreter:innen an der Weiterentwicklung der politischen und demokratischen Bildungsangebote arbeiten. Die Antragsteller:innen konkretisieren ihre Vorschläge anhand mehrerer Schwerpunkte, die auch Vermittlungstätigkeiten in Museen und Gedenkstätten umfassen.

Die Freiheitlichen hätten sich gerne an dem Antrag beteiligt, erklärte Hermann Brückl (FPÖ), doch wesentliche Anliegen seiner Fraktion seien nicht miteinbezogen worden. Vor allem die Einbindung der geistigen Landesverteidigung im Rahmen des Unterrichtsfaches politische Bildung sei für sie unerlässlich gewesen. Deren Relevanz würde sich gerade auch angesichts aktueller Krisenentwicklungen offenbaren und sie stelle auch einen wesentlichen Teil der österreichischen Verfassung dar, wie Gerald Hauser (FPÖ) ergänzte.

Man merke die "Abnützungserscheinungen" der Demokratie nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa und darüber hinaus, attestierte Nico Marchetti von der ÖVP. Daher sei die vorliegende Initiative dringend notwendig. Die Demokratiewerkstatt des Parlaments werde ausgebaut und Demokratiebildung verstärkt in den Lehrplan integriert, auch um den kritischen Umgang mit Fake News zu vermitteln. Es sei jedoch auch zu reflektieren, welches Bild die Parlamentarier:innen speziell im Umgang untereinander nach außen transportieren. Auch das würde Einfluss auf das Bild der Demokratie in der Bevölkerung ausüben. Ziel sei es, die Schüler:innen zu befähigen, sich ein eigenes Urteil auf der Basis seriöser Quellen zu bilden, wie Agnes Totter (ÖVP) ergänzte.

Man könne immer wieder beobachten, dass demokratische Systeme nicht "in Stein gemeißelt" seien, sagte Nurten Yilmaz (SPÖ) weshalb es wichtig sei, Projekte wie die Demokratiewerkstatt auszubauen. Der Zugang müsse noch niederschwelliger werden und jeder Schüler und jede Schülerin müsse mindestens einmal in seiner Laufbahn ein gesetzgebendes Organ kennenlernen. Yilmaz fragte, was von der Demokratie übrig bleibe, wenn immer weniger Menschen an ihr teilnehmen und verwies auf die steigende Anzahl an Menschen ohne Staatsbürgerschaft, die von der Partizipation ausgeschlossen seien.

Sibylle Hamann (Grüne) äußerte ihre Freude über das Gelingen des Vierparteienantrags und betonte die Wichtigkeit der Vermittlung von Medienkompetenz an den Schulen. Sie regte an, vermehrt Teilhabemöglichkeiten für Jugendliche in ihren konkreten Umfeldern zu schaffen, um Demokratie für sie greifbar zu machen.

Gerade in polarisierenden Zeiten seien kritisches Denken, Dialogfähigkeit und Ambiguitätstoleranz zentrale Eigenschaften für das Fortbestehen der Demokratie, erklärte NEOS-Mandatar Yannick Shetty. Nur ein kleiner Teil der Jugendlichen fühle sich noch von der Politik vertreten, was auch in Problemfeldern wie der Korruption seinen Ursprung habe. Shetty bemängelte, dass es immer dieselben Kräfte unter anderem im Bildungsministerium seien, die Projekte zur Demokratiebildung blockierten. (Fortsetzung Nationalrat) wit

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.