Parlamentskorrespondenz Nr. 994 vom 22.09.2022

Bericht des Behindertenanwalts für 2021: Pandemie verursachte Reformrückstau

Interessen von Menschen mit Behinderung bei Krisenbewältigung nicht ausreichend berücksichtigt

Wien (PK) - Laut Bericht des Anwalts für Gleichbehandlungsfragen für Menschen mit Behinderungen (III-742 d.B.) waren 2021 die von den Betroffenen angesprochenen Themen äußerst vielfältig und berührten nahezu alle Lebensbereiche. Von Problemen am Arbeitsplatz über bauliche und kommunikationstechnische Barrieren, fehlende Strukturen zur schulischen Inklusion bis hin zu mangelndem Zugang zu Dienstleistungen der Versicherungswirtschaft wurde berichtet. Ein großer Teil der Anliegen stand im direkten Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie, wobei Ausnahmen von der Mund-Nasen-Schutzpflicht und Diskriminierungen in der Arbeitswelt von Personen mit Risikoattest im Vordergrund standen.

In Folge der Pandemie und der zu ihrer Bekämpfung erfolgten Maßnahmen seien behindertenpolitische Anliegen vernachlässigt worden, wie der Behindertenanwalt im Bericht ausführt. Es sei zu einem "Rückstau an wichtigen, eigentlich überfälligen Reformen" gekommen. Beispielhaft nennt er dabei die Schaffung eines Anreizsystems im Behinderteneinstellungsrecht und eine tiefgreifende Pflegereform. Menschen mit Behinderungen seien nicht regelmäßig in Gremien zur Krisenbewältigung miteinbezogen worden, wodurch deren besonders schutzwürdige Interessen keine Berücksichtigung erfahren hätten. Die Behindertenanwaltschaft habe jedoch gemeinsam mit Interessensvertretungen für Menschen mit Behinderungen zahlreiche Ausnahmebestimmungen und Sonderregelungen erwirkt – etwa bei der Befreiung vom Mund-Nasen-Schutz oder den Ausnahmen von der COVID-19-Impfpflicht.

Tätigkeiten der Behindertenanwaltschaft

Die Aufgaben des Behindertenanwalts umfassen die Beratung und Unterstützung von Personen, die sich im Sinne des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes oder des Behinderteneinstellungsgesetzes diskriminiert fühlen. Dazu kann er Untersuchungen durchführen, Berichte veröffentlichen, Empfehlungen abgeben und Verbandsklagen zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern einbringen. Er agiert selbstständig, unabhängig und weisungsfrei und ist dabei zur Verschwiegenheit verpflichtet. Darüber hinaus versteht sich die Behindertenanwaltschaft als umfassende Anlauf- und Servicestelle für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörigen.

Insgesamt wurden im Jahr 2021 754 Akten über Sachverhalte protokolliert, 668 telefonische Beratungen durchgeführt und Klient:innen in 33 Schlichtungsverfahren unterstützt. Durchschnittlich nahmen 63 Menschen pro Monat das Angebot der Behindertenanwaltschaft in Anspruch. Pandemiebedingt konnte das Angebot an Sprechtagen, Beratungen in den Wohnungen der Klient:innen und Lokalaugenscheinen nicht in der gewohnten Intensität aufrechterhalten werden. Auch die Vernetzungsarbeit mit politischen Entscheidungsträger:innen, Behindertenorganisationen und anderen relevanten Stakeholdern war nur eingeschränkt möglich.

Die Behindertenanwaltschaft beteiligte sich über das Einbringen von Stellungnahmen am Gesetzgebungsverfahren, setzte sich für Barrierefreiheit beim Umbau des Parlaments sowie in Schulgebäuden ein und bot Veranstaltungen über das Behindertengleichstellungsrecht im Rahmen der Ausbildung von Richteramtsanwärter:innen an. Auch Maßnahmen in der Öffentlichkeitsarbeit, die auf die Aufklärung und Sensibilisierung für die bestehenden Rechte von Menschen mit Behinderungen zielten, zählten zu ihren Tätigkeiten. 

Empfehlungen für die Gesetzgebung

Im Zuge der Beratung und Unterstützung von Menschen mit Behinderungen werden auch Schwachstellen in der Gesetzgebung offenbart, die einer Änderung bedürfen, wie es im Bericht heißt. So kritisiert der Behindertenanwalt etwa, dass die personellen Ressourcen für den sonderpädagogischen Unterricht nicht nach dem tatsächlichen Bedarf zugewiesen werden, sondern fiktiv davon ausgegangen wird, dass ein fixer Prozentsatz der Pflichtschüler:innen diese Förderung benötigen. Weiters spricht er sich im Bildungsbereich für den Ausbau inklusiver Kinderbetreuungseinrichtungen ab dem ersten Lebensjahr und die Einführung der Gebärdensprache als Unterrichtssprache aus. Im Behindertengleichstellungsrecht fordert er den konsequenten Ausbau der Partizipation von Menschen mit Behinderungen, eine Sensibilisierungskampagne zum Abbau von Stereotypen, die Verbesserung des Datenmaterials zur Thematik und die Einrichtung von Regionalstellen der Behindertenanwaltschaft.

Beim Thema Arbeit und Beschäftigung regt die Behindertenanwaltschaft unter anderem eine individuelle Förderung von Arbeitssuchenden mit Behinderungen durch das AMS an. Gefordert wird auch eine Neufassung der Kriterien für die Arbeitsunfähigkeit und die Ausgestaltung eines Anreizsystems für Arbeitgeber:innen, Menschen mit Behinderungen zu beschäftigen. Weitere Anliegen betreffen etwa das Gesundheitsrecht, wo beispielsweise die flächendeckende Einführung von Leichter Sprache im gesamten Gesundheitssystem angeführt wird, und das Sozialrecht, in dem ein vereinheitlichter Zugang zur Persönlichen Assistenz in allen Lebensbereichen gefordert wird. (Schluss) wit


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